Beauty & Sissi vs. Anita & Christian / IV
Das Finale (wie wir Anita endlich los wurden!)
Gestern nachmittag kam ich kaum zum Arbeiten - hatte ich mich doch in den Bibliothekskeller verzogen und dort stundenlang Bücher über den Umgang mit übersinnlichen Wesen gewälzt bzw. Informationen gesucht, wie ich mich unauffällig aber nachhaltig meiner menschlichen Gäste entledigen könnte. Dabei benutzte ich alle mir zugänglichen Bücher über geheimes Zauberwissen, die dem normalen Bibliotheksbenutzer nicht zur Verfügung stehen. Natürlich konnte ich aus diesen Büchern keine Kopien anfertigen, da sonst das brüchige alte Pergament beschädigt werden würde, also verbrachte ich lange Zeit mit dem Abschreiben der mir wichtig erscheinenden Passagen. Ich war einfach sicher, dass mir, wenn ich nicht bald etwas gegen Anita und Christian unternahm, der Kragen endgültig platzen würde. Es war ja immerhin schon so weit gekommen, dass ich lieber zur Arbeit ging, als mich auch nur eine Minute länger als nötig in der Nähe dieses chaotischen Gespanns aufzuhalten.
Am Morgen hatte es mal wieder mit der einigermaßen pünktlichen Versorgung mit meinem Futter geklappt, und meine Menschin hatte wie immer, wenn sie mich tagsüber alleine lässt, auch die Balkontüre offengelassen, damit ich mich auf meine Streifzüge in die Nachbarschaft begeben konnte. Allerdings hatte ich mir vorgenommen, in der Nähe der Wohnung zu bleiben, weil ich das Gefühl hatte, jetzt alleine für den Schutz von Haus und Hof verantwortlich zu sein.
Ich legte mich also in der Nähe der Haustür auf die Lauer, so dass ich mein favorisiertes Mauseloch und das Geschehen rund um mein Heim gleichermaßen im Auge behalten konnte.
Am späten Vormittag war es dann so weit: die seltsame alte Frau verließ - gestützt von ihrem Männchen - das Haus. Tollpatschig, wie sie mir schon immer erschienen war, stieß sie gleich mit einem weiteren Mann zusammen, der sich unter meiner Dauerbeobachtung schon eine Weile vor der Haustür herumgetrieben hatte.
Nach einer kurzen Unterhaltung drehten unsere beiden zwangseinquartierten Gäste und ihr neuer Bekannter um und gingen ins Haus zurück. Sogleich kletterte auch ich über die Pergola im Garten der Erdgeschosswohnung auf den Balkon und schlich mich möglichst unauffällig ins Wohnzimmer zurück.
Alle hatten nun auf dem Sofa Platz genommen und unterhielten sich angeregt. Vorsichtig schlich ich mich näher heran, ohne dass ich bemerkt wurde. Sofort fiel mir auf, dass der neue Besucher seltsame Reaktionen zeigte: immer wieder rieb er sich die Augen, schnäuzte seine Nase und kratzte sich überall am Körper. Sollte er ...
Ich beschloss, mir die Erkenntnis, die mich bei diesem Anblick überkam, baldigst zunutze zu machen.
Es war schon sieben Uhr, als ich endlich nach Hause kam, reichlich spät angesichts der Tatsache, dass die Katze daran gewöhnt ist, pünktlich um 18 Uhr gefüttert zu werden. Meist rufe ich nach ihr, wenn ich vom Bus komme, da sie es liebt, tagsüber während meiner Abwesenheit in der Gegend herumzustreunen und die ein oder andere Maus zu fangen und als Zeichen ihrer Zuneigung zu mir unter mein Bett zu legen. Aber es kam keine Katze angelaufen.
Als ich die Wohnung betrat, hörte ich sofort eine vielstimmige Unterhaltung. Eine männliche Stimme mit französischem Akzent kam mir gar nicht bekannt vor. Ich traute mich kaum, in mein eigenes Wohnzimmer zu gehen angesichts der neuen ungewissen Bedrohung durch einen weiteren Gast. Folglich ging ich zunächst zum Medikamentenschrank im Badezimmer und verordnete und verabreichte mir eine Dosis Lorazepam zur Beruhigung.
So gestärkt betrat ich den Raum, den ich schon fast als Schlachtfeld im Kampf um meine Selbstbestimmung ansah - auch hier war die Katze nirgendwo zu sehen. Dafür saßen Anita, Christian und ein weiterer Mann - sehr bleich und duster - auf dem Sofa und unterhielten sich angeregt. Zur Steigerung der Stimmung hatten sie sich eine Bowle aus Prosecco und Mandarinen-Schnitzen zusammengerührt. Ihr Angebot, mitzutrinken, lehnte ich dankend ab - ich mochte mir die Wirkung in Kombination mit dem Medikament noch nicht einmal ausmalen, geschweige denn am eigenen Leib erfahren.
Anita, die mir in den Erzählungen von Ev immer als wahre Dame erschienen war, war durch den Genuss des Prosecco vollkommen enthemmt. Bekleidet mit nur einem Hüfthalter in Gold - nach ihrer kichernden Aussage die neue Kultfarbe - alberte sie auf das Kindischste mit den beiden Männern herum und entblödete sich nicht, den anderen Mann aufzufordern, ihren nackten Oberkörper mit einem Bodypainting zu verzieren.
Christian guckte bereit etwas pikiert, so dass ich beschloss, die liebes- und sekttrunkene Anita aus der pikanten Situation zu entfernen, bevor es zu einer Tragödie kommen konnte.
Endlich war meine Futterspenderin zurückgekehrt, ich hätte mich gerne vor Freude zu ihr geschlichen und mich um ihre Beine geschmeichelt. Mein knurrender Magen signalisierte mir schon lange, dass die Zeit für mein Abendessen bereits verstrichen war. Im Sinne des großen Ganzen, blieb ich aber in meinem Versteck hinter dem Sofa.
Nun war der günstige Moment gekommen - meine wahre und einzige Mitbewohnerin und die andere Frau verließen den Raum. Vorsichtig schlich ich zur Balkontüre hinaus und setzte meinen Schlachtplan in die Tat um.
Sämtliche Katzen in der Nachbarschaft mussten in Windeseile alarmiert werden. Ich machte ihnen allen klar, wie oft sie es sich bereits in meinem Heim hatten gutgehen lassen und sich an unsere Futtervorräten gelabt hatten.
Diese Argumente überzeugten die meisten, und binnen kurzer Zeit kehrte ich mit der Armee meiner Freunde und Freundinnen über den Balkon ins Wohnzimmer zurück.
Kaum waren wir ins Zimmer eingedrungen, veränderte sich die Situation dramatisch. Der sonderbare neue Gast bekam einen so starken Hustenanfall, dass ich fast glaubte, ihn gleich ersticken zu sehen. Ohne jede Verzögerung schwang er sich auf's Balkongeländer und war in Windeseile verschwunden. Der erste Teil meines Planes war aufgegangen.
Ich merkte, wie mich der Gespiele der alte Frau mit gesträubten Haaren und glühenden Augen beobachtete.
Als ich Anita endlich etwas beruhigt und in eine zivilisiertere Stimmung gebracht sowie sie in die nette alte Dame in Faltenrock und Bluse zurückverwandelt hatte, gingen wir beide ins Wohnzimmer zurück.
Dort sah es aus, als hätte eine Umweltkatastrophe stattgefunden - der Grund dafür war aber nicht zu erkennen. Es wunderte mich lediglich, dass die Katze einträchtig mit einer Vielzahl von Artgenossen auf dem Sofa lag - normalerweise verteidigt sie ihr Revier mit Zähnen und Krallen gegen alle Eindringlinge und Konkurrenten um ihren Futternapf.
Christian saß - wie es mir vorkam - am ganzen Leibe zitternd auf einem einzeln stehenden Sessel.
"Was ist denn hier passiert?" fragte Anita - erneut mit einem hysterischen Unterton in der Stimme, bevor ich überhaupt den Mund aufmachen konnte.
"Nichts, mein Liebling", antwortete er.
"Was sollen denn all die Katzen hier?" fuhr sie inquisitorisch fort. "Ich verlange, dass Du diese Plage sofort entfernst!"
"Soll ich etwa mit ihnen Weitwurf über den Balkon veranstalten?" fragte er mit höhnischem Unterton in der Stimme.
So vergrätzt gegenüber seiner Liebsten hatte ich ihn noch nie erlebt. Angelegentlich, um nicht als ungehörige Lauscherin ertappt zu werden, knibbelte ich an einer Pfütze Kerzenwachs, die auf dem Beistelltisch langsam erkaltete. Es schien als habe eine der Katzen beim Spielen eine Kerze zum Umkippen gebracht. Warum hatten meine drei Besucher überhaupt schwarze Kerzen entzündet? Anscheinend hatte ich in den alten Büchern mit dem Wissen der Magier und Hexen doch noch nicht alle Geheimnisse aufgedeckt.
Der Streit zwischen Anita und Christian steigerte sich zu einem wahren Crescendo. Anita ging sogar so weit, Christian mit der Faust auf's Kinn zu schlagen.
"Voll auf die Elf", kreischte sie triumphierend.
Logischerweise vermied ich es, sie in diesem Moment zu korrigieren.
Ich beschloss, mich aus den Liebeshändeln herauszuhalten.
Nach einer halben Stunden wütendem Gezänk hatte der Streit aber schließlich seinen Zenit überschritten. Fast einträchtig gingen die beiden hinauf ins Schlafzimmer. Sogleich erwartete ich, bald wieder über mir die vertrauten erdbebenartigen Stöße zu hören, aber nein: bereits nach kurzer Zeit kamen sie zu meinem Erstaunen wieder herunter - mit gepackten Koffern.
Ohne weitere Erklärungen und natürlich auch ohne ein Wort des Dankes verabschiedeten sie sich mit kurzen, knappem "Tschüss", gingen zum Auto, verluden das Gepäck und brausten davon - einem für mich ungewissen Schicksal entgegen ...
Endlich allein - ich kuschelte mich an meine Versorgerin, und wir genossen die wiederhergestellte Ruhe. Zur Feier unserer Unabhängigkeit bekam ich eine Sonderration Lachs und Thunfisch. Danach lagen wir gemeinsam in unserem Bett, und sie streichelte gedankenverloren mein Bäuchlein.
"Ich weiß zwar nicht, was Du angestellt hast, Sissi, aber Du hast das sehr gut gemacht," murmelte sie, bevor sie erschöpft einschlief.
Sie ist eben doch meine Beste - zum Dank werde ich ihr eine saftige Maus fangen und auf's Kopfkissen legen
Zuerst erschienen in:
Kurzgeschichten: GESCHICHTENSPIEL TEIL 29