Oh mein Gott, ich bin allein - sie haben mich zurückgelassen!
Ob aus Versehen oder mit Absicht, das spielt im Moment keine Rolle. Ich bin allein und verlassen im größten Wüstenmeer dieses Planeten!
Dieser dämliche Kameltreiber von einem Führer, der kann wohl nicht zählen und diese anderen Touristenflaschen auch nicht! Ich habe doch gleich so ein mieses Gefühl bei der Buchung dieses Wüstenausflugs gehabt.
Verdammt! Ich könnte jetzt an der Strandbar bei einem Mojito sitzen und mit einigen der vernachlässigten Professorengattinnen flirten, deren Männer mit einem Golfturnier beschäftigt sind. Aber nein, ich muss ja diese blöde Jeep-Safari zu irgendeiner dämlichen Oase buchen und jetzt – sitze ich hier fest und das alles nur, weil dieser feiste Belgier im Schlafsack neben mir so fürchterlich geschnarcht und der Amerikaner auf der anderen Seite so unsäglich nach altem Schweiß gestunken hat.
Das war nicht zum Aushalten!
Deshalb habe ich mich ein Stück abseits der Gruppe hinter Felsen gebettet und wunderbar geschlafen.
Ein Geräusch wie von wegfahrenden Jeeps weckte mich und noch schlaftrunken lugte ich über die kleine Felsmauer. Sah von den ursprünglich drei Jeeps nur noch Staubwolken.
Wie von der Tarantel gestochen, bin ich aufgesprungen, habe geschrien, gewunken und bin ihnen sogar ein Stück hinterhergelaufen, doch sie haben mich weder gehört noch gesehen. Tatsächlich dachte ich am Anfang noch, dass dies ein schlechter Scherz sei – so eine Art Test wie das Balancieren über den Äquator auf einem Kreuzfahrtschiff, etwas, was man nur mit einfältigen Touristen machen kann, und sie gleich zurückkommen und mich auslachen, weil ich mir vor Angst fast in die Hose mache.
Ziemlich nervös werde ich als die Jeeps aus meiner Sicht verschwinden und ich nun endgültig begreife, dass das kein „Verstehen Sie Spaß“ ist, dass man mich wirklich vergessen hat.
Vergessen in der Sahara – toll! Wenn ich hier lebend herauskomme, dann verklage ich die ganze Bande und schreibe ein Buch.
Okay Bestandsaufnahme, was habe ich noch und wie weit werde ich damit kommen? Eine halbe Flasche kostbares Wasser und einige Kekse im Rucksack, ein Handtuch für das Baden im Oasenwasser – haha, der Schlafsack, ein Feuerzeug und ein Handy ohne Netz.
Wie weit ist es wohl bis zu dieser Oase? Fünfzig oder zehn Kilometer? Verdammt hätte ich doch zugehört und nicht stattdessen diese prüde englische Tussi angebaggert!
Warum hat mich niemand vermisst? Aufgeben ist nicht, ich schlage mich durch bis zu dieser Oase, ich folge einfach den Reifenspuren, so schwer kann das doch nicht sein!
Ich marschiere und marschiere, das Handtuch habe ich um meinen Kopf geschlungen, damit ich keinen Sonnenstich bekomme, der Schlafsack liegt wie ein Umhang um meine Schultern, weil meine Jacke irgendwo in einem der Jeeps liegt und der „Planet“ ganz böse sticht. Irgendeinem wird doch meine Jacke auffallen, deren Besitzer fehlt.
Das Laufen fällt so schwer im losen Sand und der blöde Wind beginnt, die Spur – der ich zu folgen versuche - langsam zu verwischen. Verdammt – keine Spur mehr zusehen! Hoffnungslosigkeit überfällt mich.
Fata Morganen täuschen mir kühle klare Seen in der Ferne vor, ich weiß, dass sie nicht echt sind und doch – was gäbe ich jetzt für waschechtes norddeutsches „Shietwetter“!
Zähne zusammenbeißen und weiter, los! Dahinten in der Ferne sind Felsen, vielleicht gibt es dort ein Wasserloch und - falls ja- gibt es dort hoffentlich keine Krokodile wie in dieser einen Doku, die ich mal gesehen habe. Dort hieß es auch, dass unter dem Wüstensand ein ganzes Süßwassermeer aus vergangener Zeit liegt.
Oh bitte lieber Gott, ich brauch kein Meer davon, nur ein paar Liter!
Es wird dunkel und ich sehe meine Hand nicht mehr vor Augen. Neumond natürlich, wie immer wenn ich mal Licht brauche, ist keins da. Das Feuerzeug ist keine große Hilfe. Ich rüste mich für meine erste Nacht allein und versuche mit aufgestütztem Kopf wie die Buschmänner in der Kalahari zu schlafen, damit mir kein widerliches oder giftiges Getier in meine Kopföffnungen krabbelt.
Ganze fünf Minuten halte ich es aus, dann gebe ich auf. Wie, zum Teufel machen die das? Das ist mehr als unbequem und wie finden die bloß Wasser und etwas zu essen?
Ich habe versucht, einige Kekse zu knabbern, doch die Krümel blieben mir in meiner Speiseröhre stecken, weil ich keine Spucke mehr zum herunterschlucken im Mund habe. Das wenige Wasser ist streng rationiert, aber ich muss einen weiteren Schluck nachtrinken, sonst ersticke ich. Ich liege auf meinem Rücken und starre in die Dunkelheit, ab und zu schrecke ich auf, weil ich etwas Unbekanntes höre. Ich fühle mich so einsam und allein als wäre ich der einzige Mensch auf diesem Planeten und ich habe Angst, furchtbare Angst. Ich wünschte, ich könnte das Schnarchen des Belgiers hören, wo sind die denn nur und warum suchen sie nicht nach mir?
Die Nacht ist eiskalt. Ich schlottere in meinem Schlafsack und sehne den Morgen herbei. Während ich wach liege, denke ich an meine Ex und meinen Sohn zuhause, so schlimm war unsere Ehe doch gar nicht, warum habe ich mich nur von ihr getrennt? Ich vermisse sie und den Jungen, wir hatten doch so eine gute liebevolle Zeit miteinander, zumindest am Anfang.
Warum habe ich so schnell aufgegeben und sie ziehen lassen? Wenn ich wieder zuhause bin, dann will ich eine zweite Chance bei ihr.
Bitte Herr, lass mich mein Kind wiedersehen und bitte, lass das alles hier einen von zu viel Alkohol induzierten Traum sein aus dem ich schnell in meinem Hotelbett an der Seite einer aufregenden Blondine aufwache, bitte!
Im Morgengrauen wache ich auf, es ist noch kühl und ich mache mich sofort auf den Weg zu den Felsen, die schon sehr viel näher liegen als gestern. Ich schöpfe neue Hoffnung, stelle aber das denken ein, denn es verbraucht nur Energie, die ich zum laufen brauche.
Mechanisch Schritt für Schritt, immer langsamer werde ich je weiter der Tag fortschreitet, aber der Boden wird felsiger. Mein Durst bringt mich fast um. Weiter immer weiter! Meine Zunge klebt am Gaumen, nur noch wenige Schlucke sind in der Flasche verblieben.
Armer Kamerad, bedenke ich das bleiche Gerippe eines Kamels vermutlich am Wegesrand, dass mit einem Huf in einem tiefen Loch steckt,
dein Wasservorrat im Höcker hat dir auch nichts genutzt.
Da, die Felsen sind zum greifen nah, ich kann den herrlichen Schatten schon sehen. Ich beginne mit letzter Kraft zu rennen und stolpere, weil ich mit einem Fuß in einer Felsspalte stecken bleibe. Etwas beißt mich in meinen Knöchel und dann in meine Wade, aua – das tut weh, verdammt – was ist das?
Hektisch versuche ich meinen Fuß aus der Spalte zu ziehen, doch er steckt fest.
Das beißen und Kribbeln wird immer schlimmer und dann sehe ich es – Ameisen, oh nein, verdammt viele Ameisen, riesengroß und silbrig mit großen Beißwerkzeugen.
Ich wusste nicht, dass es so riesige Ameisen mit so langen Beinen gibt, hat die vor mir schon ein Mensch gesehen? Sie bahnen sich beißend ihren Weg unter meiner Kleidung in Richtung Kopf. Ich hasse Insekten oder was auch immer das für Viecher sind!
Ich schlage um mich und auf meinen Körper, in der Hoffnung alle tot zuschlagen. Ich schreie vor Panik und Schmerz, es fühlt sich an als würden sie mit ihren Kiefern kleine Fleischstücke aus meinem Körper reißen.
Das Feuerzeug!
Ich muss ein Feuer machen, damit sie verschwinden, mich in Ruhe lassen. Ich bestehe nur noch aus Panik und Adrenalin, ich kämpfe um mein Leben, ich greife nach dem Feuerzeug und zünde meine Hose an, sie brennt sofort lichterloh.
„Ja, ihr blöden Viecher, jetzt glotzt ihr aber, was? Ihr kriegt mich nicht, ich werde nicht euer verdammtes Futter sein, ich stehe weit über euch in der Nahrungskette!“ schreie ich bis das brennen der Flammen meine Haut erreicht und eine gnädige Dunkelheit mich umfängt. Mein letzter Gedanke ist bei meinem Jungen.
…
In der Dämmerung erreichen die drei Jeeps die Oase.
Der Belgier hat das letzte Stück geschlafen und geschnarcht, sich gefreut, dass dieser vermeckerte Deutsche wohl in einem der beiden anderen Autos sitzt und ihn diesmal nicht andauernd angestoßen und ausgeschimpft hat.
Der Amerikaner im zweiten Jeep freut sich auf ein erfrischendes Bad im kühlen Nass und ist froh darüber, dass dieser unsympathische German in einem anderen Wagen sitzt und sich nicht ständig über seinen Körpergeruch mokiert.
Die Engländerin im dritten Gefährt fand die Annäherungsversuche des deutschen Herrn „not amused“ und ist dankbar, dass er in einem der anderen Autos gereist ist.
Erst beim Abendessen fällt auf, dass der Deutsche fehlt, doch die Nacht ist zu dunkel, um ihn jetzt noch zu suchen. Das muss bis zum nächsten Tag warten…