Ich wehrte mich dagegen, dass das Bewusstsein langsam wieder von mir Besitz ergreifen wollte. Durch die geschlossenen Augenlider sah ich das Licht des frühen Morgens schimmern, aber ich wollte, durfte, konnte diesen Ort nicht verlassen, an dem ich mich befand.
Diesen Ort, an dem es nach ihm roch, an dem ich noch den Klang seiner leisen Stimme im Ohr hatte, die mir all diese schlüpfrigen kleinen Frechheiten zuraunte. Dieser Ort, an dem meine Lippen und meine Wangen noch brannten von seinen Küssen und seinen rauen Bartstoppeln. Diesen Ort, an dem er sich in mir versenkte und bei jedem Stoß auf mich hinunter blickte mit seinen vor Lust verhangenen Augen.
Oh, ich wollte bleiben! Nie wieder fortgehen, bleiben an diesem Ort, an dem alles vollkommen war und warm und unendlich.
Doch da war nicht nur das Licht. Da war auch eine Kälte, die mich von hinten anzukriechen begann und die von dorther kam, wo er zuvor gelegen hatte. Ich drehte mich herum, taste nach der Überdecke aus Satin, tastete nach ihm. Zog die Decke und das Laken enger um mich, immer enger. Krallte die Finger in das Meer aus Stoff, in dem wir uns vor wenigen Stunden noch herumgewälzt hatten als würden wir nie mehr etwas anderes tun, solange wir lebten.
Nein, nicht. Ich will das nicht. Ich will bleiben, wo ich bin. Ich will... ich kniff die Augen fest zusammen und rollte mich ein wie ein Fötus im warmen, wohligen Mutterleib. Dort wollte ich sein. Dort, wo keine Wahrheit mich erreichen konnte.
Blind tastend fuhr ich mit den Händen über seine Seite des Bettes, fühlte jede Kuhle, die er dort mit seinem Körper hinterlassen hatte. Hier sein Kopf, dort seine Schulter, dort die delikaten, kleinen Rundungen seines perfekten Hinterteils. Und dann war da plötzlich etwas Kaltes, Glattes, das unter meinen Fingern knisterte. Oh, nein, er hatte doch nicht... Ich stöhnte auf, knüllte das Papier mit einer raschen Bewegung zu einem Kneuel zusammen und warf es quer durch den Raum, so weit weg wie ich es mit noch immer zusammengepressten Augenlidern vermochte. Ich hörte, wie es gegen einen Gegenstand prallte und dann auf den Boden fiel.
Wie konnte er es wagen! Was fiel ihm ein, sich in einer Minute Zutritt zu verschaffen zu den Abgründen meiner Seele und mir in der nächsten Minute einen schäbigen Zettel hinzulegen und sich zu verdrücken wie in einem schlechten amerikanischen Film!
Die Existenz dieses Papierkneuels dort auf dem Boden machte mich zu etwas, was ich für niemanden je sein wollte. Zu etwas Schäbigem. Zu etwas, über das man hinwegsteigen konnte wie über einen Schmutz auf dem Straßenpflaster. Wieso hatte er das tun müssen? Wieso war er nicht einfach so gegangen, wortlos? Alles war besser als eine widerliche, hohle Phrase, dahingeheuchelt auf einen Zettel mit einem Hotellogo darauf.
Ich lag in den Kissen, die Hände über dem Gesicht, schwer atmend wie nach einem Dauerlauf, damit ringend, meine aufbrodelnde Wut zu bezähmen. Wut auf ihn? Natürlich. Aber doch noch viel mehr Wut auf mich! Wie alt würde ich noch werden müssen, bevor ich mich nicht mehr sehenden Auges in solche Situationen begab? Wann würde die Erkenntnis, dass es so etwas wie Glück in der Liebe auf dieser Welt nicht gab und wenn, dass es dann nicht in einem Hotelzimmer zu finden war, jemals dazu führen dass ich aufhörte, mich einzulassen? Herrgott, wieso war ein Teil in mir nur so furchtbar stur und klammerte sich an die Hoffnung, dass jemals jemand bleiben würde, dass jemals jemand mehr wollen würde als meinen Körper für eine Nacht?
Schluss damit! Ich würde jetzt die Augen öffnen, es hinbehmen wie eine Dame, mich frischmachen und diesen Ort des Verbrechens verlassen und nie wieder daran denken, was für eine Art Vergehen hier stattgefunden hatte.
Ich blinzelte in die verhasste Helligkeit des Tages, unter der es nichts mehr zu verbergen gab. Ich erhob mich und versuchte, meine Nacktheit vor mir selbst zu verstecken, indem ich schroff eines der Laken vom Bett riss und es mir so fest um den Körper schlang, wie ich konnte. Etwas musste mich jetzt zusammenhalten. Ich warf nur einen flüchtigen Blick in den Spiegel, aber der genügte, um mich mit Abscheu zu erfüllen vor mir selbst. Zerwühlt, zerrupft, zerknüllt. Liegen gelassen.
Eines nach dem anderen meiner umherliegenden Kleidungsstücke hob ich auf und dann sah ich es dort liegen, am Tischbein, ganz unschuldig. Ich streckte zögernd die Hand danach aus und ergriff es mit zitternden Fingern. Der Himmel weiß, wieso ich mir das antue, dachte ich bei mir, während ich begann, es auseinanderzufalten.
Zwischen Daumen und Zeigefingern strich ich es glatt und entzifferte seine fliehende Handschrift mit den großen, schnörkeligen Anfangsbuchstaben. "Hey, schöne Frau. Ich will schauen, ob ich für uns ein Frühstück im Bett organisieren kann. Bis gleich, D."
Mein Kopf flog empor, als der Zimmerschlüssel sich mit einem Klacken im Schloss drehte. Dort stand er, den Schlüssel in der einen, ein Tablett in der anderen Hand. Er legte den Kopf auf die Seite. "Guten Morgen... ich war kurz..."
"Ich weiß. Stell das mal kurz ab, bitte." Er tat es und sah mich mit großen Augen an. Ich ließ das Laken fallen und flog in seine Arme.