Hucky Sprite
Eine kleine Geschichte aus dem Westend, N.Y.*
Man erkannte ihn auch von hinten sofort. Eine ständige Dunstwolke umgab ihn immer und überall, er war Kettenraucher. Damals, als er sich als Reinigungsmann im Lost Hero vorstellte, hatte er keine Papiere, nichts. Er stand einfach da. Dazu stumm wie ein Fisch. Keiner wusste genau ob er wirklich stumm war, denn hören konnte er. Er stand da und rauchte ununterbrochen. Babe, die die Geschäfte im Lost Hero führte, sah auf seine Zigarettenschachtel und taufte den Jungen nach der Marke: Hucky Sprite. Das war danach sein Name. Hucky war nicht groß, aber sehr kräftig, er konnte gut anpacken. Sein Alter war schwer zu schätzen, irgendwo zwischen Fünfundzwanzig und Fünfunddreißig. Er hatte dichtes, struppiges blondes Haar. Dass er nicht redete, machte ihn allseits beliebt. Tagein, tagaus spülte er Gläser, putzte die Toiletten, leerte die Spucknäpfe, hielt den ganzen Laden in Schuss. Er wechselte Glühbirnen aus, reparierte so ziemlich alles, kurz, nach einiger Zeit war er unersetzlich. Sein kleines Zimmer hinter der Bar hatte er sich preiswert, aber gemütlich eingerichtet. Hucky liebte seine Arbeit, und er liebte Babe, vom ersten Augenblick an. Das sagte er ihr natürlich nicht, denn er sagte ja nie etwas.
Babe mochte den Jungen auch. Bei all der Drecksarbeit, die er immer sorgfältig erledigte, war er jedoch stets sauber und gepflegt. Mittwochs hatte er seinen freien Tag. Um Punkt 20 Uhr verließ er an jedem Mittwoch sein Zimmer und war nicht vor 6 Uhr morgens wieder da. Keiner wusste, wo er diese Zeit verbrachte. Irgendwann, dachte Babe, irgendwann gehe ich dir hinterher. Babe war sehr neugierig. Es muss doch einen Grund haben, sagte sich Babe. Und es hatte seinen Grund.
• * *
Eines Tages, einem Mittwoch im Mai, spazierte er durch das Westend, ziellos schlenderte er durch die Straßen. Etwa drei Blocks vom Lost Hero entfernt blieb er stehen. Ihm war, als hörte er einen Schrei. Den Schrei einer Frau. Er eilte um den Block, in eine dunkle Seitengasse, da sah er sie und einen Kerl, der brutal auf sie eindrosch. Sie stürzte zu Boden, aber der Fiesling liess nicht locker. Mit einem gewaltigen Hieb schlug Hucky den Mann zu Boden. Dann half er der Frau auf die Beine. Verlegen schaute er sie an, wie sie da auf wackligen, endlos langen Beinen vor ihm stand, mehr als einen Kopf größer als er. Zu dünn, fand Hucky, sie ist viel zu dünn. Sie trug einen sehr kurzen Rock und lange Stiefel mit hohen Absätzen. Ihre helle Bluse war blutverschmiert. Ich sollte sie zu einem Arzt bringen, dachte er. Als sie ihn fragte wie er hieße, zeigt er auf seine Zigarettenschachtel. Hucky? Du heißt Hucky Sprite? Ihr Lachen war bezaubernd, trotz ihrer Schmerzen lachte sie. Ihre Frisur saß schief, er zeigte auf ihre Haare. Wieder lachte sie und schob ihre Perücke an die richtige Stelle. Hucky war verwirrt. Komm mit, mein Beschützer, bringe mich nach Hause, sagte sie mit einer etwas zu dunklen Stimme. Immer noch lächelnd hakte sich bei ihm unter. Im Vorbeigehen trat sie dem am Boden liegenden Kerl in die Eier.
Der vergitterte alte Fahrstuhl brachte sie in den sechsen Stock. Hucky wusste nicht, ob er wirklich mit hinein gehen sollte. Er zündete sich eine neue Zigarette an. Sie schloss auf und zog ihn mit hinein. Setz dich auf das rote Sofa, ich mix uns einen Drink. Hucky nahm Platz und schaute sich um. Das Zimmer war sehr elegant eingerichtet, viel Rot, an den Wänden Fotografien von ihr. Eine schöne Frau, dachte er und lief rot an, als er ein Foto entdeckte, auf dem sie fast nackt und noch nicht ganz so dünn war. Sie verschwand kurz in ihr Schlafzimmer. Nach einer Weile kam die ehemals Blonde feuerrot- und langhaarig zurück, schnappte sich die Drinks und setzte sich neben Hucky, der sie erstaunt ansah. In seinen Mundwinkeln eine neue Fluppe. Er zeigte auf die Stereoanlage. Sie verstand und legte eine Platte auf. Ob er nicht reden kann?, fragte sie sich. Und er raucht viel, viel zu viel. Eine große Qualmwolke hüllte das Sofa ein. Magst du David Bowie? Kennst du Fame? Tänzelnd zur Musik prostete sie ihm zu. Lächelte ihn an, nahm sein und ihr Glas, stellte sie auf den Tisch und schaute ihm tief in die Augen. Ihr Blick senkte sich südlich, fand das Ziel. Sie kniete sich vor dem sitzenden, immer noch verlegenen Hucky, ihre Hände glitten über seine Oberschenkel. Nervös zuckte er zusammen. Schsch. Entspanne dich, schließe deine Augen. Er schloß seine Augen. Ich heiße übrigens Charlotte, waren ihre vorerst letzten Worte.
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Copyright © 2008 Maurice De Winter
Fortsetzung folgt.