Süsse Hölle ...
Mein Beitrag ...ich hoffe er ist nicht zu lang und die Typos und Kommafehler halten sich in erträglichen Grenzen
Süsse Hölle
Amelia Montfort betrachtete den schlafenden Mann neben ihr in dem Wasserbett. Er war attraktiv genug, aber wie die meisten Männer, mit denen sie ihr Beruf zusammenführte, in Sachen Sex erstaunlich naiv.
Woran lag es nur, dass diese Eliteunitypen meist ganz gut aussahen und auch sicher nie eine ihrer Small Talk Charme Lektionen verpasst hatten, aber dann im eigentlichen Nahkampf zwar stets die Enthusiasmusnote 10 erreichten, aber dabei trotzdebm ungefähr soviel Phantasie bewiesen wie vertrocknete Kieselalgen?
Immerhin war Monsieurs Appartement ziemlich cool. Es befand sich im oberen Stock eines Stadtpalais aus dem 17. Jahrhundert, das in exklusive Eigentumswohnungen umgestaltet worden war. So etwas war – gerade hier im Maraisviertel - extrem schwer zu finden.
Amelia wunderte sich, wie Monsieur sich das leisten konnte. Zu den ganz großen Tieren seiner Branche gehörte er (noch) nicht und solche Appartements kosteten Unsummen. Wahrscheinlich Familienvermögen, meinte sie.
Dass der Herr ausgerechnet sein Schlafzimmer mit zwei riesige Lilien in einer weißen Designervase schmückte, war ihrer Meinung nach auch kein Zeichen guten Geschmacks und bestätigte im Grunde auch nur, was sie letzte Nacht über seine Fähigkeiten zwischen den Laken lernte.
Monsieur schlief wie ein Toter, dachte Amelia und musste unwillkürlich lächeln. In seinem Alter (Ü40) brauchte mann schon seinen erweiterten Schönheitsschlaf, nachdem man die halbe Nacht im Bett nach Enthusiasmusnote 10 strebte.
Amelia war vor einigen Wochen Sechsundzwanzig geworden und brauchte selbst nach einer Nacht in einem Club mit Cocktails, Pillen und heftigen Tanzrunden nicht mehr als drei oder vier Stunden Schlaf. Was sie allerdings derzeit dringend nötig hatte war eine Tasse Kaffee - heiß, schwarz, süß.
Monsieur, das wusste sie, beschäftigte nur eine Zugehfrau, mit der allerdings an einem Sonntagmorgen nicht zu rechnen war. Zumal um diese Uhrzeit – drei Minuten nach Sieben.
Amelia schälte die Bettdecke von sich und sah sich nach etwas um, das sie auf dem Weg zur Küche überziehen konnte.
Ihre eigenen Sachen lagen verstreut im Korridor, dem Wohnzimmer und Monsieurs kleiner Bibliothek. Das war Ergebnis jenes ersten Anfalls physischer Gier des Herrn, der es gestern kaum hatte erwarten können, dass die Einganstür hinter ihnen zuviel, um ihr seine Finger unter Blusenkragen und Rock zu schieben…
Da lag sein Hemd auf dem Schlafzimmerboden. Es roch nach seinem Schweiß und einem herben Herme Parfum, das ihr gestern Nacht durchaus nicht unangenehm gewesen war. Doch heute morgen bevorzugte sie den schlichten roten Kimono, der über einer Sessellehne hing. Er würde ihr zwar viel zu groß sein, aber dafür war er aus Naturseide und Seide mochte sie nun mal.
Sie streifte ihn über, aber fand keinen Gürtel, so dass sie beschloss ihn offen zu tragen. Ihr Verlangen nach einem Kaffee war zu heftig, als dass sie im Schlafzimmer noch lange nach dem Gürtel suchen wollte.
Der dünne Stoff fühlte sich gut an, wie er so beim Gehen um sie herwehte, jedes Mal wenn er über ihren Bauch oder über ihre Brüste strich, löste er ein winziges Kribbeln in ihrem Bauch aus, das Amelia durchaus als sehr angenehm empfand.
Auf dem Werg zur Küche passierte sie den Korridor, der zur Bibliothek und dem Wohnzimmer führte.
Im vorbeigehen, aus den Augenwinkeln heraus, ein Blick auf den Leder und Stahlrohrsessel darin.
Gott, das Teil schrie einfach danach, dass frau sich nackt mit leicht gebreiteten Beinen über seine Lehne beugte, ihre Blüte hervorstreckte und sich verwöhnen ließ, während ihr Bauch, die Brüste, Arme und ihr Hals sich an dem kühlen glatten Leder rieben. Versäumt, verpasst, verweht – Monsieur war dazu nicht bereit gewesen. (Frau musste allerdings bei solchen Übungen besser auch darauf achten, dass der Akt nicht zu langte dauerte und der fragliche Raum nicht zu heiß war, sonst klebte sie an dem Leder, und jeder aufgeregte Atemzug erzeugte so komische Platsch-und Knietschgeräusche)
Davor, erinnerte sie sich mit einem überheblichen Grinsen, lag dieses Buch, von dem Monsieur behauptete es gehörte seiner Hausperle.
Das Cover ließ nicht viel Raum für intelligente Reflektionen über dessen Inhalt: Ein Bischof betrachtete in einem Dormitorium missmutig eine armen Novizin, der ein wollüstiger Inquisitor seine feisten Griffel in die Brust krallte.
Amelia, dachte sich den Rest. Selbstverständlich spielte die Geschichte in einem Nonnenkloster, in dem des Nachts im Dormitorium unter den Nonnen die Sünde so richtig Urstände feierte, dort wurden Blüten defloriert, dass die Buchseiten nur so vorüber flogen, bis irgendeine der Nonnen von der Vision eines zornigen Erzengels heimgesucht wurde, der ihr - so schön wie er in seinem Zorn war - natürlich den heimlichen Lustschweiß auf die kühle Stirn trieb und sie donnernd aufforderte von dem teuflischen Tun abzulassen, in sich zu gehen und sich vor Gottes Vergeltung zu fürchten!
Oh, Mann, grinste sie. Einzig der Katholizismus konnte solch kulturelle Sumpfblüten treiben!
Monsieur – oder, was wahrscheinlicher war: seine Innenarchitektin - hatte den Korridor mit allerlei kleineren Gemälden behangen.
Kein ausgesprochener Kitsch, das musste Amelia widerwillig zugestehen, aber noch nicht wirklich auch bloß mittleres Kunstniveau. Und von Museumsqualität ganz zu schweigen.
Vor allem der in süßliches Abendlicht getauchte kindliche Priester im Beichtstuhl, den das erste der Bilder zeigte, fiel eher unter die Kategorie Edelkitsch. Erst recht in Verbindung mit der kleinen puttenhaften Schäferin, der er darauf gerade die Beichte abnahm.
Amelia machte sich einen Spaß daraus, sich vorzustellen, was die kleine Schäferin dem kindlichen Priester da wohl durchs Beichtgitter zuflüsterte.
Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass sie selbst seine roten Apfelbäckchen schon mit nur zwei drei Sätzen zum Glühen hätte bringen können. Das zauberte ihr ein neues, wesentlich offeneres und anzüglicheres Lächeln auf die Lippen.
Es in einem Beichtstuhl zu treiben fiel auf ihrer Hitliste, der noch abzuarbeitenden „ungewöhnlichsten Orte, an denen Sie je Sex hatten“, sowieso eindeutig unter die Top Five. Zumal sie auf ihrem letzten Asientrip die Kategorie Flugzeugtoilette abgearbeitet hatte. Zwei Mal.
Neben dem Priester hing das Bild der Reiter im Galopp, etwas das ihr zu deutsch und schwer erschien. Diese dunklen Erdfarben wirkten zu trostlos. Daneben das Werk des Hockneyschülers. Das war schon spritzig, auch die Farben smart kombiniert. Doch im Pinselstrich fand sie es letztlich noch um eine Winzigkeit zu unsicher und zögerlich ausgeführt Trotzdem ein Künstler, den es lohnte im Auge zu behalten. Bei der Küchentür, erinnerte sie sich, hingen zwei Stilleben. Eines mit Blumen, Wildbret und Muskete - frühes 18. Jahrhundert und ganz nett. (Wobei in diesem Fall „nett“ durchaus im Sinne von „Kleine Schwester von Scheiße“ zu verstehen war). Das andere zeigte eine Fruchtschale, frühes 20. Jahrhundert, Äpfel, Pfirsiche und einem Malpinsel – das hatte ihr am besten gefallen. Der giftgrüne Pinsel steckte in dem Apfel und hatte sicher nicht zufällig etwas Phallisches. Das Bild war schnell gemalt worden und sicher Ausdruck einer Augenblicksstimmung. Der Pinsel in dem appetitlichen, reifen Apfel hatte beinah etwas Brutales und wirkte jedenfalls sehr männlich. Eigentlich merkwürdig, dass der Name des Künstlers ihr so gar nichts sagte. Und definitiv war es eine Schande, dass ausgerechnet der Rahmen dieses Bilds gemessen an den Übrigen hier von so erbärmlicher Qualität war und man sogar die Haltesehne sichtbar über den Haken hatte legen müssen, um ihn aufzuhängen.
Amelia blieb verblüfft stehen.
Was war das denn?
Hier gab es ja noch eine Tür. Merkwürdig - gestern Nacht war die ihr gar nicht aufgefallen. (Andererseits erinnerte sie sich, dass sie in diesem Korridor schon fast alle ihrer Kleider verloren hatte, und Monsieurs Finger sich sehr zielstrebig unter den Saum ihres Höschens schoben, was ihrer Konzentration auf ihre unmittelbare räumliche Umgebung abträglich gewesen war)
Hm, dachte Amelia, Monsieur hatte offenbar Geheimnisse. Aber nicht mir ihr, lächelte sie und stellte fest, dass die Tür verschlossen war.
Oha!
Hm, soweit sie Monsieur nach ihrem kleinen Abenteuer von letzter Nacht einschätzte, zählte der nicht nur zum eher phantasielosen, sondern auch zum bequemen Teil der männlichen Pariser Bevölkerung. Falls er den Schlüssel zu dem Raum nicht an seinem Bund trug, dann bewahrte er ihn ganz bestimmt hier irgendwo griffbereit auf.
Amelia sah sich neugierig danach um.
Klar, der Schlüssel war der Grund, weshalb er dem Apfelstilleben seinen so erbärmlich miesen Rahmen gelassen hatte! Sie hob das Bild ein wenig von der Wand ab – und tatsächlich war zwischen Leinwand und Rahmen ein kleiner silberner Schlüssel in einer Metallklemme befestigt.
Amelia zog ihn hervor, schob das Bild wieder zurecht und schob den Schlüssel ins Schloss. Er passte!
In ihrem Bauch bildete sich ein Knoten, sie spürte wie ihr ein winziger Tropfen Schweiß übers Kinn herab rann und schließlich auf ihrem Dekollete zerplatzte. Sie wusste, dass sie etwas höchst Ungehöriges tat und sich besser von Monsieur dabei nicht ertappen ließ, diese Eliteunitypen hatten fast alle Leichen im Keller und neigten daher dazu schon mal überzureagieren, sollten Außenstehende ihre Privatsphäre verletzten. Doch gerade dies machte es eben auch so irre aufregend Monsieur hinterher zu schnüffeln.
Amelias erster Eindruck war, dass das Zimmer hinter der Tür in seinem Originalzustand belassen worden war, die kostbare rot blaue Seidentapete und der reiche Stuck in den Zimmerecken und entlang der hohen Decke waren so eindeutig 17. Jahrhundert, wie gepuderte Turmperücken und livrierte Sänftenträger.
In dem Raum stand ein etwas größerer Bruder des Stahlrohr- und Ledersessel aus dem Wohnzimmer und an der hohen Decke waren teure Galerieleuchten installiert. Davon abgesehen war der Raum zu Amelias tiefer Enttäuschung leer.
Das sollte Monsieurs Geheimnis sein? Was war dieser Raum und was trieb er darin? Konnte das eine luxuriöse Mönchszelle sein, in die er sich zurückzog um allein zu sein? Wie langweilig.
Amelia war schon dabei das Licht auszuschalten und den Raum zu verlassen, da erregte ein Schatten an der gegenüberliegenden Wand ihre Aufmerksamkeit. Ein Riss in der alten Tapete vielleicht? Doch überall sonst war sie so hervorragend erhalten. Amelia ging neugierig darauf zu.
Zum zweiten Mal stand ihr an diesem Morgen eine Überraschung bevor. Und diese war heftiger, als jene erste.
Es gab keinen Riss in der Seidentapete. Was es stattdessen gab war ein Vorhang aus Seidentapetenmaterial, der so raffiniert befestigt und gespannt worden war, dass jeder Besucher des Zimmers schon viel Glück haben musste, um ihn als solchen zu erkennen.
Amelias Mund trocknete aus, so gespannt und aufgeregt war sie. Vorsichtig, sehr vorsichtig schob sie einen Zipfel des Vorhangs beiseite.
Ein Teil eines prächtigen Goldrahmens wurde darunter sichtbar. Amelia zog den Vorhang weiter zur Seite. Ein Stück nachtblau bemalte Leinwand wurde sichtbar. So dunkel, dass sie fast schwarz war. Darauf waren einige Buchstaben gepinselt, die Amelia einen Schauer über den Nacken jagten. Diese vier Buchstaben innerhalb eines nie ganz geschlossenen Kreises waren in der Kunstwelt so berühmt, wie die Signaturen Dürers, Gaugins oder Caravaggios. Amelias Doktorvater Professor Armand Cottillar war geradezu besessen von ihnen gewesen. Es existierten ganze acht Bilder, die mit dieser Signatur gezeichnet und für zweifellos echt erklärt worden waren. Als der Louvre es vor einigen Jahren fertig brachte nur vier davon in einer Ausstellung zu vereinen, war das eine Sensation, die internationale Schlagzeilen machte.
Das Problem war nur, dass keines der acht Gemälde hier in diesem Appartement hängen sollte, denn keines davon befand sich in Privatbesitz. Es kämen weltweit sowieso nur eine Handvoll von Leuten infrage, die sich eines davon hätten leisten können.
Amelia kam jedoch nicht dazu den Seidentapetenvorhang vollständig von dem Gemälde zu lüften.
Aus der Küche (jedenfalls aus ihrer Richtung) drang ein Geräusch, wie von Stiefelabsätzen auf Holzboden zu Amelia.
Ihr erster Gedanke war: Die Haushaltshilfe! Ihr zweiter Gedanke war: Männer wie Monsieur irrten sich nie, über die freien Tage ihrer Hausperlen. Aber, sie logen schon mal über ihren Status, bezeichneten sich zum Beispiel als Single, obwohl sie verheiratet waren. Das da in der Küche war Monsieurs Frau.
Sie trug Monsieurs Kimono, darunter war sie nackt. Sie war in diesem Zimmer, in dem sie eindeutig NICHT sein sollte. Und sie hatte die verdammte Tür offen gelassen. Für jeden der den Korridor hinab ging war es unmöglich zu übersehen!
Amelia zwang sich zur Ruhe.
Sie ließ das Gemälde sein, lief zur Tür, schlüpfte auf den Korridor, verschloss die Tür, platzierte den Schlüssel wieder unter seinen Bilderrahmen und blieb eine Sekunde lauschend im Korridor stehen. Hatte ihre überreizte Phantasie ihr etwa einen dummen Streich gespielt? War da doch niemand anderer in der Wohnung?
Plötzlich: Wieder Schritte. Diesmal sogar lauter.
Aber sie kamen dennoch nicht aus der Küche. NOCH nicht! Kämen sie von dort hätten sie lauter sein müssen, dann hätte Amelia Monsieurs Gattin hier bereits riechen müssen. Also war sie noch in der Halle, dem Eingangsbereich – dort wo seit gestern Nacht irgendwo ihre roten fake Pradapumps umher lagen.
Was jetzt?
Einfach hier zwischen Schlafzimmer und Küche warten? Unmöglich, dachte Amelia. Ins Bett zu Monsieur zurück war erst recht ausgeschlossen. Und vom Wohnzimmer aus konnte man zur Küche sehen und in die Halle.
Wieder hörte sie Schritte, irgendwie leiser, zögernder?
Amelia atmete tief ein und aus und schlich dann zur Küche.
Keiner hier! Noch war sie allein.
Aber die Schritte kamen wieder näher. Und jetzt lag keine Spur von Zögern mehr darin.
Amelia raffte den Kimono über der Brust zusammen und setzte sich auf einen der Barhocker an der Küchentheke.
Bete, Süße, dachte sie und ärgerte sich fast noch im selben Moment über sich selbst. Da kam doch wirklich ihre verachtete katholische Erziehung durch! Es fehlte nur noch, dass sie sich jetzt, wie damals im Kindergarten vorm Besuch des Weihbischofs vor Panik, Anspannung und Angst ins Höschen machte (Obwohl – sie trug kein Höschen, das lag irgendwo im Schlafzimmer unter der Decke, höchstens lief Monsieurs Barhocker eine gewisse Gefahr benässt zu werden)
Amelia stammten aus einem alten Offiziersgeschlecht. Sie hatte das Gefühl all die Haudegen in ihren modrigen Uniformen blickten grinsend aus der Hölle zu ihr herauf, gespannt darauf, ob ihre Nachfahrin auch nur den Hauch ihres eigenen Schneids geerbt haben mochte.
Und ob ihr verdammten alten Narren, dachte Amelia, straffte sich und setzte ein feines (nicht ZU feines) Lächeln auf, als sich die Tür zwischen Halle und Küche jetzt öffnete und eine Frau eintrat, die gar niemand anderes sein konnte als Monsieurs Gattin.
„Huch!“, sagte die Gattin, sobald ihr klar wurde, dass da eine junge Frau mit grünlichen Augen und rotem Haar an ihrer Küchentheke saß. Im Seidenkimono ihres Mannes. Und darunter völlig nackt.
„Bon jour, Madame!“, flüsterte Amelia „Sie sollten wissen, dass das jetzt nicht so ist, wie es vielleicht aussieht …“
Madame war deutlich jünger, als Amelia erwartet hätte, vielleicht Dreißig, höchstens Zweiunddreißig. Sie war blond, nicht ZU schlank und hatte intensiv graue Augen. Sie trug eine weiße Bluse mit Silberknöpfen, eine halblange blaue Lederjacke, einen zur Jacke passenden Minirock und handgenähte Reitstiefel. (Amelia konnte gar nicht anders, als solche Details zu registrieren)
Sie stellte wortlos ihre Tasche auf der Küchentheke ab. (Chanel – ganz sicher echt)
Ihr Blick blieb dabei auf Amelia haften. Ihre Mine wechselte von erstaunt, zu kühl um sich dann zu so etwas wie funkelnder Entschlossenheit zu verdichten.
Okay, redete Amelia sich selbst gut zu, bislang hat sie nicht überreagiert und man sagte ja, sobald der erste furchtbare Schock vorüber sei, verringere sich die Wahrscheinlichkeit irgendeiner bedauerlichen Überreaktion.
„Wo ist er?“, fragte Madame. Ihre Stimme hatte etwas rauchiges, durchaus hartes.
„Falls Sie Monsieur meinen, ich glaube er schläft … übrigens allein!“, antwortete Amelia betont gelassen.
„So!“, sagte Madame, suchte eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Chaneltasche hervor und steckte sich eine davon an. Sie ließ sehr bedächtig etwas Rauch aus Nase und Mund strömen.
„Hat er gestern Nacht getrunken, Mademoiselle?“
Amelia räusperte sich, diese Frage war ja wohl eher unerwartet. „Ja. Und zwar ziemlich viel um ganz offen zu sein …“
Madame rauchte und stippte die Zigarettenasche in den Edelstahlausguss. Sie warf Amelia einen merkwürdig kaltblütigen Blick zu.
„Sie rühren sich nicht vom Fleck!“, befahl sie dann, und tackerte – TACK, TACK, TACK – zuerst zur Küchentür um deren Schlüssel umzudrehen und einzustecken, und dann - den Bilderkorridor herab zum Schlafzimmer. In das sie jedoch nur einen kurzen Blick warf, um dann dessen Tür ebenfalls zu verschließen.
TACK, TACK, TACK- näherte sich das Geräusch ihrer Schritte jetzt wieder der Küche.
Putain de merde, fluchte Amelia unhörbar. Mit dieser Braut war so ganz und gar nicht zu spaßen. Und wer garantierte ihr eigentlich, dass die wirklich schon über ihren ersten bösen schock hinaus war? Gab es nicht so etwas wie verzögerte Schockreaktionen? Verdammt!
Madame blieb ein paar Zentimeter hinter Amelias Barhocker stehen und blies ihr etwas Zigarettenrauch in den Nacken.
Amelia spürte wie Gänsehaut über ihre Arme kroch.
„Stehen Sie von meinem Hocker auf, Mademoiselle!“, befahl Madame beunruhigend kühl.
Amelia wagte nicht ihren Befehl zu ignorieren.
Madame trat sehr langsam um Amelia herum. Wieder dieser völlig ungenierte Musterungsblick in ihren Augen.
Oh, verdammt, das KANN jetzt gar nicht gut ausgehen, dachte Amelia erschrocken, während sie den Kimono enger um ihren Leib zog. Auch so war unter der dünnen Seide immer noch genug zu erahnen.
Madame warf
Ihre Zigarette ins Spülbecken. Hätte Amelia die nötige Ruhe dafür gehabt, hätte sie anerkennen müssen, dass es ein beachtlich sicherer Wurf war.
„Sie entsprechen nicht seinem üblichen Typ, Mademoiselle. Bisher waren das androgyne Ziegen mit Vaterkomplexen. Aber, wenn ich mir Sie so anschaue, Sie leiden ja wohl weder an einem Vaterkomplex, noch dürften Sie – und das meine ich vielleicht ja sogar als Kompliment – sich als androgyn beschimpfen lassen.“
Amelias Mund war so trocken, dass sie fürchten musste Staub auszuatmen und ihr Magen hatte sich etwa zu Golfballgröße zusammengezogen.
„Madame…“ stotterte sie.
Doch Madames Zeigefinger schnippte aus ihrer Hand hervor und legte sich auf Amelias Lippen.
Amelia verstummte und schluckte einige Male heftig.
„Sie glaubten doch wohl nicht, dass Sie damit einfach so davonkommen würde, oder Mademoiselle?“
Amelia wagte nicht zu antworten. Sie hätte sowieso nicht gewusst, was sie darauf hätte äußern sollen.
„Sie haben Monsieur bevögelt. Das steht außer Frage.“
Das war nicht mehr wirklich zu verleugnen.
„Ich könnte jetzt die Polizei rufen und Sie verhaften lassen. Ich könnte zuvor sogar auf die Idee kommen, Ihnen mit einem MEINER Küchenmesser weh zu tun und würde sehr wahrscheinlich damit sogar ungeschoren davonkommen. Jedenfalls mal abgesehen von den Klatschsspalten. Aber das wäre es mir ja vielleicht sogar wert …“
Schwarzblaue Angst breitete sich von Amelias Golfballmagen zu ihrer Brust, ihrem Hals ihrem Mund herauf aus und zauberte auf ihrem Weg eine kleine Armee schimmernde Schweißtropfen auf Amelias Stirn und unter ihre Armbeugen. In ihrem Hirn angelangt blockierte sie irgendwie sogar ihre Beine, denen sie vergeblich wegzulaufen befahl.
„Das wäre ein wenig übertrieben, Madame, ich meine … Herrgott … Bedenken Sie doch - der Skandal und all das! Und ich kann Ihnen garantieren, dass ich es ja auch nie wieder tun würde …“ stammelte Amelia.
Madames Zeigefinger schnippte erneut hervor. Amelia verstummte.
„Also, Mademoiselle, möchten Sie mit der Pariser Polizei Bekanntschaft machen?“
Bestimmt nicht. Und erst recht nicht unter diesen Umständen. Andererseits stand ja wohl immer auch noch diese Küchenmesserdrohung im Raum. Amelia fragte sich, ob sie es mit einer Irren zu tun hatte.
Amelia fühlte sich deutlich überfordert. Auf den Umgang mit Irren hatten sie weder ihre Eltern, noch Schule oder gar die Universität vorbereitet.
„Was ist nun, Mademoiselle - mögen Sie die Pariser Flics?“ lächelte Madame, ging zur Spüle und füllte sich ein Glas Wasser.
„Wer mag die schon, Madame?“
Madame trank von dem Wasser und stellte das Glas ab. „Das dachte ich mir“, sagte sie. Und: löste den Gürtel ihrer Lederjacke.
Was zur Hölle, sollte das, fragte sich Amelia verwundert und erschrocken zugleich.
Madame warf ihr einen sehr langen Blick zu.
„Sie haben ihn bevögelt. Jetzt bin ich an der Reihe. Oder – die Flics…“ flüsterte sie, beugte sich zu Amelia und hauchte ihren einen Kuss auf den Hals, wobei sie für die Dauer eines Wimpernschlags ihre Zunge auf Amelias Haut tippte.
Amelias Golfballmagen dehnte sich schlagartig aus und füllte sich dabei mit winzigen Schaumbläschen, die knisternd an seinen Wänden zersprangen, dabei ein unerhört intensives Kribbeln auslösten.
Madames Mund war jetzt nur Zentimeter von Amelias entfernt, ihre grauen Augen, die sich in Amelias verhakten.
„Oh merde…“, sagte Amelia.
Madames Finger krochen auf Höhe von Amelias Po über die Kimonoseide. Und so sehr sie es einerseits verabscheute, so sehr erregte es sie auch. Die Schaumbläschen vermehrten sich, platzten kribbelnd und schwammen tiefer, südlicher.
Madames Lippen wischten zwischen Kimonoseide und Amelias Hals umher, wieder vollführte sie diesen Zungentrick.
Amelia gab jeden Widerstand auf, sie schlang ihre Arme um Madame und erwiderte ihre Küsse.
Madame streifte die Jacke ab, den Rock herauf und zog Amelia zum Wohnzimmer.
Was folgte war … Sex.
War roter Wein, so dunkel, dass er fast schon schwarz schillerte, war der Duft von Regen an einem Sommertag, wenn er die ockerfarbene Erde der Provence erlöste, wo Amelia ihre Jugend verbrachte, waren Küsse, Streicheln und Zungenspiele und einige - erstaunlich wenige - schamhafte Augenblicke, die Madame entweder mit ihren intensiven grauen Blicken überbrückte oder in zärtlich kollerndem Lachen auflöste.
Wie lange es dauerte?
Vielleicht nur ein paar Minuten, wahrscheinlich jedoch länger. Was dabei zählte war nicht Zeit, sondern Intensität, Neugierde und ein wilder Drang danach der eigenen Gier blind dorthin zu folgen wohin sie trieb, ganz gleich ob die altbekanntes Terrain oder ganz neue bislang mit Tabus belegte Landstriche waren.
Irgendwann kamen Madames Gürtel und ein Schal ins Spiel, der Gürtel wand sich beinah von selbst um Amelias Handgelenke und dass gleich darauf – nahezu im selben Handstreich - der Schal sich über ihre Augen spannte, erschien Amelias plötzlich so natürlich und angemessen, wie das Gefühl von Madames Zunge auf der empfindlichen Haut ihrer Nippelhöfe.
Schließlich waren sie beide soweit, das Spiel gehen zu lassen. Ihre Leiber glühend und verschwitzt, lagen sie beieinander auf dem Teppich zwischen der Couch und dem Stahlrohr –und Ledersessel.
Madames Lippen an Amelias Nacken. “Du rührst Dich nicht, bis ich gegangen bin!“, hauchte sie heiser und rau, erhob sich und ging wohl zur Küche, dem Flur, der Halle und schließlich in das prächtige Treppenhaus hinaus.
Amelia verfügte weder über Willen noch Kraft genug, jetzt Schal und Gürtel abzustreifen, obwohl beide locker genug saßen, um das relativ mühelos zu bewerkstelligen. Allmählich sank ihr Herzschlag auf ein Niveau, das es ihr erlaubte ihre Augen zu öffnen. Sie fühlte sich so ausgepumpt, wie nach einem Marathon. Doch dieser kleine Augenblick von Leere, jener zweite petit mort, der eigentlich mit Momenten wie diesem einherzugehen pflegte blieb diesmal aus. An seiner Stelle spürte Amelia eine seltsam unerwartete Erleichterung, fast als hätte sie eine Last abgeworfen, von der sie nie sicher gewesen sein durfte, ob sie sie denn je wirklich getragen hatte.
Ein Mobiltelefon begann zu piepen – nervig, hoch und künstlich. Das Scheppern eines altmodischen Glockenweckers mischte sich unter das Pipen und bevor sich Amelia auch nur vor Schreck aufsetzen konnte, begann auch das Radio in der Küche zu plärren. Einen Hardrocksong. In voller Lautstärke.
„Tabernac!“, fluchte sie und sah sich instinktiv nach dem Schlafzimmer um, hinter dessen VERSCHLOSSENER Tür Monsieur immer noch schlafen sollte. Angesichts des plötzlichen Krachs, würde es damit allerdings jeden Augenblick vorbei sein.
Amelia wurde brennend bewusst, was sie gerade getan hatte, was sie gestern Nacht im Schlafzimmer und heute morgen in Küche und Wohnzimmer trieb – dunkel fiel ihr außerdem ein, was sie zuvor in dem verschlossenen Zimmer sah. Oh Gott, dachte sie, absolut UNMÖGLICH, dass sie Monsieur gegenübertrat. Sie musste hier heraus!
Wo waren ihre Kleider? Wo ihre Schuhe und ihre Handtasche?
Sie sprang auf und lief in zunehmender Panik durch Das Appartement, wobei sie eines nach dem anderen ihre Kleider aufsammelte und soweit möglich irgendwie überstreifte, während sie bereits unterwegs zum nächsten Raum war. Wo immer ihr Höschen und der BH abgeblieben waren – bedeutungslos! Hauptsache Bluse, Rock, Schuhe, Jacke und Handtasche waren greifbar.
Immer noch der Hardrocksong im Küchenradio, das Mobiltelefonpiepsen und das blecherne Weckerrasseln.
Ein Scheppern aus dem Schlafzimmer. Der Wecker verstummte. Gleich darauf auch das Mobiltelefon.
Amelia war bei der Wohnungstür angelangt, rammte deren Klinke nach unten, stemmte sich gegen das Türblatt. Die Tür war verschlossen. Madames eher bittere, als süsse Rache!?
Und es konnte eigentlich nur einen plausiblen Grund dafür geben, dass Wecker und Telefonlärm im Schlafzimmer so kurz nacheinander abgebrochen waren – Monsieur war erwacht.
Amelia sah sich in der halle um – nirgendwo ein Schlüsselbrett, kein Schlüsselring. Sie war mit Monsieur in dem Appartement gefangen. Sie hatte gerade mit dessen Frau geschlafen. Oh Gott, ihr Geruch musste noch überall auf und an ihr hängen, in ihren Haaren, auf ihrer Haut und selbst wenn Monsieur ein Mann war, erschien es Amelia unwahrscheinlich, dass er das Glühen, das von ihr ausging, so ganz und gar übersehen würde.
Amelia lehnte sich erschöpft gegen die Wohnungstür. Sie glaubte die modrigen Haudegen in der Hölle nur umso lauter lachen zu hören, aber das war ihr inzwischen gleich. Es war vorbei. Es existierte kein Ausweg mehr.
„Amelia! Bist Du im Bad? Etwa schon in der Küche? Gibt’s frischen Kaffee?“ hörte sie Monsieur aus dem Schlafzimmer nach ihr rufen.
Amelia holte zwei Mal nacheinander tief Atem, dann kickte sie vorsichtig die fake Pradas von ihren Füßen und schritt schicksalsergeben auf das Schlafzimmer zu.
„Amelia? Verdammt! Was ist denn … Hey! Was soll das?“ rief Monsieur und rüttelte an der Tür.
Amelia drehte den Schlüssel um. Und öffnete ihm.
Er trug eine hellblaue Boxershorts und seine Armbanduhr. Er war müde, unausgeschlafen, eigentlich kaum so recht munter. Sein Haar war verstrubbelt.
„Muss klemmen die Tür…“, sagte Amelia leise.
Monsieur gähnte und betrachtete die Tür. „Hat sie doch noch nie … blödes Ding …“, murmelte er.
Er ließ die Tür sein, gähnte noch einmal, zog den Zwickel seiner Boxershorts zurecht und ging wie fremd gesteuert an Amelia vorüber Richtung Küche. Auf halben Weg blieb er stehen und schaute sich misstrauisch nach ihr um.
„Hast Du hier geraucht!? Hm… Mist, ich hasse das so früh am Morgen!“, maulte er, wandte sich wieder um und machte sich in der Küche zu schaffen.
Amelia atmete aus. Sie atmete wieder ein. Und noch einmal aus.
Sie kannte diesen Mann ja kaum, in seiner Wohnung hing ein Gemälde, das da nicht hängen durfte, nicht hängen SOLLTE, und seine Frau rächte sich für seine Seitensprünge indem sie diese … nun ja …. Es war absolut verrückt noch eine Minute länger hier zu bleiben. Wo war nur sein Schlüsselbund abgeblieben?
In der Küche ratterte die Espressomaschine.
Monsieur erschien wieder im Korridor. Er hatte ein Glas Wasser in der Hand, aus dem er in großen Schlucken trank. Ach ja- wie neu, dachte Amelia.
Er betrachtete sie. Lächelnd.
„Du bist ja schon wieder angezogen…“, sagte er. Und klang doch tatsächlich irgendwie lüstern dabei.
„Ja…“, meinte Amelia. Und war sich dass dieses Ja zu kleinlaut herüberkam.
Monsieur trank sein Glas aus.
„Ach, Manon kommt in ner halben Stunde oder so vorbei. Vielleicht bringt sie noch jemanden mit, Du müsstest ihn kennen, ein Prof an Deiner ehemaligen Fakultät, Cotillard oder so ähnlich. Manon hat in dem Landhaus ihrer Schwiegereltern ein Bild gefunden, ist sicher, dass es was wert sei. Dabei versteht sie gar nichts von Kunst. Jedenfalls nicht so wie Du…“
Manon? Landhaus? Schwiegereltern? Gemälde? Professor Cottilard?
Amelia war eindeutig überfordert. Sie war sogar so sehr überfordert, dass Monsieur es ihr selbst über beinah die komplette Korridorlänge hinweg ansah.
„Hast Du was?“, fragte er.
Und ob Amelia etwas hatte.
„Manon?“, krächzte sie.
Monsieur zuckte die Achseln. „Meine Schwester. Die mit dem Landhaus und dem Pferdestall in Auteuil? Hab ich Dir gestern nicht von ihr erzählt, nein?“
Schwester.
SCHWESTER?
SCHWESTER!
Landhaus?
Landhaus.
Putain de merde!
„Sie spinnt ein bisschen, aber ich glaube Du wirst sie trotzdem mögen. Ach ja, ich meine wenn Du schon mal hier bist, das Bild hängt in dem alten Ankleidezimmer. Der Schlüssel ist im Rahmen von dem Apfelbild. Übrigens ein Geschenk von Manon. Hässlich, oder das Teil? Aber Familie und so, Du weißt ja. Sonst hätte ich es ja längst abgestoßen… “
„Oh!“, sagte Amelie.
Monsieur kratzte sich ungeniert an einer Stelle INNNERHALB seiner Boxershorts. Woran erinnerte Amelia jetzt das noch mal?
„Also ich geh jetzt erst mal ins Bad …“, meinte er und tappte barfuss davon.
Schwester.
SCHWESTER?
SCHWESTER!
Landhaus?
Landhaus.
Altes ANKLEIDEZIMMER.
Als Monsieur zehn Minuten später aus dem Bad in die Küche zurückkehrte, saß Amelia auf dem Leder und Stahlrohrsessel hinter der Tapetentür und betrachtete das Gemälde in seinem prächtigen Goldrahmen. Es war eigentlich unnötig Cottilard holen zu lassen. Amelia war sicher, dass es echt war. Es hieß Süsse Hölle und war das Porträt einer jungen blonden Frau mit einem grauen und einem grünen Auge. Seit ein paar Hundert Jahren hatten Galeristen und Glücksritter auf der ganzen Welt danach gesucht. Und Monsieurs Schwester fand es in einem Landhaus bei Auteuil.
Das war unfassbar.
Das war mindestens so unfassbar wie dieser ganze absolut wahnsinnige, verrückte, närrische und unglaubliche Morgen.
„Amelia, Cherie – wie trinkst du Deinen Kaffee? Schwarz, mit Milch, oder Zucker?2, rief Monsieur aus der Küche.
„Schwarz …“ antwortete Amelia. Überlegte es sich jedoch. „Mit einem Schuss Scotch … eigentlich, mit zwei …nein!... drei Schuss Scotch!“
Monsieur werkelte mit dem Geschirr. „Wow! Das ist ne herbe Mischung, so früh am Morgen! Bist du sicher?“
Amelia war sicher. Eigentlich war sie sich in ihrem ganzen Leben noch nie irgendetwas so sicher gewesen.
-Ende-