F 220, Teil 4
Kapitel 4: Letzte Vorbereitungen
„Hallo Madame“, sagte ich einschmeichelnd. Das Tier beobachtete mich aufmerksam. Und ich spürte keine Gefahr, was mich überraschte. Madame war mit Schwanz, der ein Drittel ihrer Länge ausmachte, fast eineinhalb Meter lang. Ihre Krallen und Zähne hatten mit mindestens fünf Zentimetern Länge den Charakter von Dolchen. Aber sie war dürr, furchtbar dürr. Vielleicht ist es ein Zeichen von Intelligenz, seine Instinkte so zurück zu fahren, dass man sich mit Menschen arrangiert, nur weil sie Futter haben? Ich würde es gern glauben.
Ich musste wahnsinnig sein, denn ich hockte mich ins Gras. Mit sparsamen Bewegungen förderte ich eine Salami aus der rechten Beintasche. Hatte Madame das gerochen? Mit dem Fallschirmjägermesser schnitt ich eine Scheibe ab und warf sie Madame entgegen. Sie kam zögerlich ein wenig näher, beschnüffelte die Salami. Viel zu salzig, mochte sie denken. Aber der Hunger obsiegte. Als ich Madame zusah, wie sie ihren Kopf zur Seite neigte, damit ihre Backenzähne das Fleisch zerteilen konnten, bewunderte ich ihr Fell. Madame sah aus wie eine Mischung aus Leopard und Gepard. Und sie hatte das Beste aus zwei Welten mitbekommen. Die gedrungene, muskulöse Gestalt der Leoparden und die schlanken Beine der Geparden, einschließlich des sehr ähnlichen „Gesichtes“ der Geparden, jedoch ohne die typischen schwarzen Tränenstreifen unter den Augen. Ein wundervolles Tier.
Scheibe auf Scheibe flog zu Madame und landete jedes Mal ein Stück näher bei mir. Ob sie meine Aufregung spürte? Vielleicht. Aber vielleicht würde das ja überdeckt von ihrer eigenen Aufregung? Es dauerte nicht lange und die 15 cm Salami, für ein hungerndes Tier ein Labsal, waren in der Katze. Ein wildes Tier, das, ohne mich anzugreifen, knapp einen Meter vor mir müde wurde und sich, die Pfoten schleckend, niederließ. Es war wie Magie. Madame hatte keine Angst vor mir. Ich war mir nicht so ganz sicher, ob das gut oder schlecht war, aber ich genoss diesen Vertrauensbeweis.
Vorsichtig, um Madame nicht zu erschrecken, stand ich auf. Meinen Rundgang wollte ich heute unbedingt zu Ende führen. Eine Lücke im Zaun durfte ich nicht zulassen. Mein eigenes, kleines Paradies. Adam mit Katze, ein amüsanter Gedanke. Und besonders angenehm, dass ich mir bestimmt keine Gedanken über Ratten und Mäuse machen musste. Ich fragte mich, ob ich den Ast absägen sollte, der ins Gelände hing und mir eine Begleiterin beschert hatte. Ich entschied mich dagegen, auch wenn ich im Zwiespalt war.
Am Ende des Rundganges stellte ich fest, dass das Gelände des Stützpunktes recht sicher war. Zur See hin jedoch nicht. Jeder Depp mit oder ohne Ruderboot könnte herein. Ein Grund mehr, endlich die Hamburg zu kapern.
Abends stellte ich fest, dass ich es paradiesisch getroffen hatte. Hinter dem Offiziers- Kasino stand ein Grillwagen. Ich beschloss, eine Solo-Grillparty zu feiern. Fleisch war genug da und im Lager des Kasinos fand ich kartonweise Whisky. Sehr zu meinem Bedauern aber nur fünf Säcke mit Grillkohle. Aber das störte mich nicht weiter, denn im Kühlhaus des Krankenhauses fand ich ein paar hervorragende Stücke Entrecote.
Als der Duft des Fleisches über das Gelände zog, lockte ich unweigerlich Madame an. Wir teilten das Fleisch brüderlich; sie verzehrte es roh und ich rare. Als ich das erste Glas Jack kostete, das erste seit langer Zeit, empfand ich einen Moment der Wehmut. Mir war bewusst, dass ich allein war. Wenn ich wirklich Pech hatte, war ich der letzte Mensch auf dem Planeten. Ich markierte das Ende einer Spezies. Wenn das nicht ein guter Grund war, noch ein Glas zu trinken, was dann? Vielleicht der Himmel, der sich bewölkte. Aber ab dem dritten Glas war auch das egal.
Madame leckte sich zufrieden die Pfoten. Auch die Katze mit ihren fantastischen Instinkten sah immer öfter in den Himmel. Die zunächst weißen Kumulus-Wolken hatten sich in eine dunkelgraue Wand verwandelt. Weit hinten auf See sah ich vereinzelt Blitze zucken. Nicht gut. Mein Blick fiel auf den Grill und das G36, das unweit an einer Besucherbank lehnte. Der Stützpunkt war sicher und ich wahrscheinlich der Letzte Mensch. Wozu sollte ich ein Gewehr brauchen? Doch dann hörte ich den Geist meines alten Ausbilders wieder.
„Männer, mit Waffen ist es wie mit Kondomen. Lieber eine haben und nicht brauchen, als eine zu brauchen und keine haben!“
Der Oberfeld. Ein integerer Mann. Er nannte uns immer „Nasenbohrer“. Ich erinnerte mich noch gut an meinen ersten Fallschirmsprung. Unwillkürlich schüttelte ich meinen Kopf, was Madame irritierte. Mein Kampfsport, bzw. das harte Training half sehr bei den Übungen. Abrollen, fallen und verletzungsfrei bleiben war für ich kein Drama. Aber der erste echte Sprung machte mir eine Scheiß-Angst. Die alte CH-53 stieg und stieg. Oberfeldwebel Uhlig war auch flau im Magen. Jedenfalls schien es so, denn urplötzlich griff er nach einem Kotzbeutel und reiherte vehement hinein. Der Gruppendynamik folgend, schlossen sich gleich drei meiner Kameraden an. Es stank bestialisch in der Maschine, weil zwei der drei nicht rechtzeitig den Beutel fanden. Fünf Minuten später leckte sich der Oberfeld über die Lippen.
„Hat oana von eich wos z´ Essen dabei?“
Wir fassten es nicht, wie konnte er Hunger haben? Was wir nicht wussten war, dass der Oberfeld das mit jedem Lehrgang abzog. Er hatte am Morgen Fleischsalat in den Kotzbeutel gefüllt und nur so getan, als ob ihm schlecht wäre. Er fischte also das Feldeßbesteck aus der Beintasche, den Beutel aus der anderen, sprach:
„I hob an Hunger!“,
und begann, den Fleischsalat aus dem Kotzbeutel zu löffeln. Das war dann auch der Grund, dass sämtliche Soldaten, mich eingeschlossen, ihr Frühstück nicht zurück halten konnten.
Als wir auf der richtigen Höhe waren und die Ladeluke der CH-53 aufging, rutschte mir das Herz vollends in die Hose. Wir waren zwar an Fangseilen gesichert, so dass der Fallschirm automatisch geöffnet wurde, aber dennoch war mir aus mehreren Gründen übel. Und der Oberfeld brüllte:
„Na los ihr Hunde! Wollt ihr ewig leben?“
Er gab jedem von uns einen Stoß, der uns über die Ladekante stürzen ließ und lachte dabei ein teuflisches Lachen, das ich nie vergessen werde.
Der erste Regentropfen riss mich aus meinen Erinnerungen. Ich musste mich eilen. Schnell das Gewehr gegriffen, den Grill unter die Markise geschleppt und das Besteck in die Küche gebracht. Abwaschen wollte ich morgen machen, denn wie es aussah, kam ich morgen nicht weit. Als ich in der Halle des Hospitales zurück blickte, sah ich Madame, die sich im Regen nicht sehr wohl zu fühlen schien. Ich öffnete die Seitentür. Der Ozelot sah mich an. Und ich schwöre bei Gott, Madame sah aus, als überlegte sie bewusst, ob sie mir trauen könne. Aber ich ließ ihr die Wahl und blockierte die Tür mit einem Stuhl aus dem Empfangsbüro. So konnte sie herein oder hinaus, wie sie wollte.
Ich zerrte zwei Matratzen aus dem nächst gelegenen Krankenzimmer und brachte sie in den großen Vorraum des Lazarettes. Auf der einen formte ich aus dem Bettzeug eine Art Oval, dass es fast wie ein Nest aussah, auf der anderen Matratze bettete ich mich für eine unruhige Nacht. Als ich schläfrig wurde, hatte der Wind bereits aufgehört, zu hauchen. Er hatte auch das Flüstern hinter sich. Es war ein Zischen und Fauchen, und ich schätzte, dass ein mächtiges Gewitter dabei war, sich über unseren Köpfen zu entladen. Lächelnd sah ich Madame, die sich ins Gebäude getraut hatte. Ein faszinierendes Tier. Und so schlau. Oder ist es so, dass wenn die dominierende Spezies einer Kultur abstirbt, die restlichen Wesen eine Art Quantensprung vollzogen? War das die Evolutionslehre? Ich las irgendwo einmal einen Text von einem begnadeten Autoren, der die Arachnoiden als nächste Lebensform beschrieb. Wenn ich so den Ozelot betrachtete, wären Katzen wohl die bessere Alternative. Schnell, stark, mit unerhörten Sinnen ausgestattet und ganz nebenbei mit dem größeren Gehirn.
In Gedanken ging ich den folgenden Tag durch. Das Unwetter machte mir dabei allerdings einen Strich durch die Rechnung. Ich musste mir, sofern die Rampe nicht wieder zu steil war, die neuen Mantis-Geschütze ansehen; ich hatte keinerlei Erfahrung diesbezüglich. Die Mantis war ein Nahbereichs- Flugabwehr-Verbundsystem. Am Bug, am Heck und jeweils an Back- und Steuerbord war einer der Türme montiert. Zentrales Stück war eine 35 mm Revolverkanone, die bis zu 1000 Schuss pro Minute abfeuern konnte. Das mal vier ergab ein gewaltiges Feuerwerk. Die Mantis war ein Erbstück der Amerikaner. Die Uroma war die gute alte Gatling- Kanone, die später in Vulkan-Geschütz umbenannt wurde. Die Weiterentwicklung der Deutschen hieß: MANTIS. Das stand für: Modular, Automatic and Network capable Targeting and Interception System.
Die Deutschen und ihre Abkürzungen. NBS hätte gereicht. Nahbereichs-Schutzsystem war doch viel eingängiger. Mit diesem Gedanken schlief ich ein.
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So, der Druck ist weg und jetzt habe ich endlich Zeit für eure Geschichten
Tom