Sonntag, 10.8.14, 10:00 Uhr MESZ:
Ich liege noch wachträumend in meinen Kissen, herrliche Bilder der vergangenen wilden durchtanzten Nacht sowie die schmachtenden und feurigen Blicke des feschen Salsa-Tänzers Raoul ziehen an meinem inneren Auge vorbei, als mich ein hektisches Klingeln an der Haustür aufschrecken lässt.
Wer stört denn so früh am Morgen und ohne, dass ich meinen Morgenkaffee hatte? denke ich unwirsch, eigentlich wollte ich den heutigen Tag geruhsam verbringen und entspannen.
Ich rühre mich nicht, vielleicht geht derjenige wieder, hoffe ich im Stillen bis gleichzeitig mein Handy klingelt und es äußerst dominant gegen meine Tür hämmert. „Mach auf, du Schlafmütze, ich weiß, dass du da bist!“ tönt es.
Seufzend gebe ich auf und erhebe mich - gegen meine Freundin Helene ist kein Kraut gewachsen und jeder Widerstand zwecklos.
„Guten Morgen“, begrüße ich sie mit müdem Lächeln und sie stürmt voller Energie an mir vorbei.
„Moin, moin! Weißt du, dass heute „Faulpelztag“ ist?“ fragt sie mich. Ich schüttle meinen Kopf, noch nie gehört.
„Wie wär`s - wollen wir beide heute mal so richtig schön faul zusammen sein? Wir beide arbeiten sowieso viel zu viel.“
Sie lässt mich gar nicht zu Wort kommen.
„Keine Widerrede, wir beide machen heute mal gar nichts! Frühstück?“ grinst sie mich an und schaut sich fragend in meiner Küche um.
Ich schließe meinen Mund wieder, gerade wollte ich ihr sagen, dass genau dies meine Intention für den heutigen Tag war, aber da sie es so gut mit mir meint…
„Ich hatte heute noch kein Frühstück, bin ja gerade erst zwangsweise aufgestanden“, zwinkere ich ihr lächelnd zu.
„Wer soll denn das Frühstück machen, wenn doch „Faulpelztag“ ist, und keiner von uns beiden etwas arbeiten darf?“
Ich weiß, dies ist eine Fangfrage, aber ich kann der Versuchung nicht widerstehen.
„Dann muss das Frühstück heute wohl ausfallen“, meint Helene lapidar und schenkt sich ein Glas Orangensaft ein, weil das alles noch von heute Nacht auf dem Tisch steht und keinen größeren Arbeitsaufwand erfordert.
„Das muss dann wohl genügen!“ Sie verzieht ihr Gesicht und scheucht mich zurück ins Bett.
„Die Regeln für heute: Wir hängen rum wie die Faultiere und machen gar nichts. Das soll nämlich sehr gesund sein, habe ich vorhin im Radio gehört. Der Mensch braucht ab und zu eine Auszeit, damit er wieder kreativ sein kann.“
Gar nichts tun? Den ganzen Tag? Das kann doch nicht ihr Ernst sein?
Wenn ich heute nicht das Geschirr im Spülbecken reinige, dann werde ich gottgleich, da ich die Voraussetzungen für neues Leben, für eine neue Flora und Fauna, schaffe. Außerdem liegt noch die unerledigte Post im Ablagekörbchen und die Birne in der Badleuchte ist auch kaputt. Doch ich fürchte, dass kann ich auch vergessen, denn dazu müsste ich einen Schraubenzieher in die Hand nehmen. Das wäre nach den Regeln verboten!
Bis mittags lümmeln wir uns faul auf den Kissen und tauschen Neuigkeiten aus, dann klingelt mein Telefon. Der Kuckucksuhr-Klingelton fährt mir schreckhaft in die Glieder. Gedankennotiz: Klingelton ändern, sobald Helene weg ist.
Dem natürlichen Reflex entsprechend möchte ich es annehmen, aber Helene verbietet es. Gegen die Regeln für den heutigen Faulpelztag! Verflixt! Diese Frau ist eiskalt! In mir rumort es. Wenn das nun Raoul aus dem Club war, der ein heißes Date mit mir verabreden wollte? Oder meine Mutter, weil sie vielleicht meine Hilfe braucht, oder mein Chef, oder…ich dreh durch!
Das passt doch nicht zu einer entspannten Faulheit!
Im Gegenteil, ich bin sowas von angespannt, wie ein Flitzebogen. Mein Koffeinpegel ist auf dem Nullpunkt, mein Magen knurrt laut und ich will wissen, wer mich angerufen hat.
Zum Glück geht Helene ins Bad und schon bin ich an meinem Handy. Tippe hektisch mein Passwort in die Tasten und natürlich vertippe ich mich! Wie lange dauert das denn?
Los schneller, sporne ich mich an, sie ist bestimmt gleich zurück. Ich will doch nur einen ganz kurzen Blick in die sozialen Netzwerke werfen.
"Aha! Erwischt! Gib mir sofort dein Handy, du bist ja richtig süchtig!“ schimpft mich Helene aus.
„Hältst du es nicht mal einige Stunden ohne dieses Ding aus?“
Ich muss ihr leider Recht geben und steige kleinlaut zurück ins Bett, während ich mein Handy leise fluchend in die Nachttischschublade gleiten lasse.
Drei neue Nachrichten in WhatsApp registriere ich noch. Von wem?
Meine Gedanken fahren Achterbahn, meine innere Unruhe lässt mich an meinen Nägeln knabbern und an der Haut darum herumzupfen, was mir einen strafenden Blick und ein verbietendes Kopfschütteln einbringt.
Um die Nachmittagszeit herrscht Stille zwischen uns. Alles ist erzählt, sämtliche Modezeitschriften sind flüchtig durchgeblättert - vielleicht könnten wir ein wenig fernsehen? Nur ein Tipp auf die Fernbedienung?
„Das ließe sich mit dem Faulpelztag vereinbaren“, meint Helene großzügig.
Leider macht uns das Nachmittagsprogramm eher aggressiv, sowohl das private als auch das öffentlich-rechtliche. Nicht zu fassen, welch ein Schund um diese Zeit geboten wird. Das ist ja schlimmer als Folter für einen einigermaßen intelligenten Menschen! Vielleicht haben die Leutchen in einem Altersheim die nötige Abgeklärtheit, sich das anzusehen ohne Amok zu laufen - ich definitiv nicht!
Ich flüchte mich erst einmal auf die (noch immer) dunkle Toilette, schließe mich ein und kühle meine heiße Stirn, hinter der meine überkochenden Gefühle fast meine Ratio niederringen, an den Fliesen.
Dann spüle ich kurz und leise meine wilde Verzweiflung durch meine Augen aus meinem Körper. Der Hunger ist übergangen, das fehlende Koffein, das schreckliche TV-Programm und Helene mit ihrer blöden Idee machen mich schrecklich wütend.
Und gleichzeitig ist mir langweilig, so langweilig!
Ich überlege, wann ich das zuletzt hatte? Während der Schulzeit?
Ein Gefühl, meine kostbare Lebenszeit auf unverantwortliche Weise zu verschwenden, macht sich in mir breit. Helene und ihre blöde Idee!
Überhaupt, wer kreiert denn so einen nervenzerfetzenden Tag, an dem man nichts darf, was einem wirklich Spaß macht und zur Entspannung beiträgt?
So ein kleines bisschen arbeiten ist doch völlig in Ordnung.
Auf so eine Idee kann doch nur ein verkappter Sadist kommen!
Schlimmer noch: Meine Freundin geht mir mit ihrer ständigen Verbieterei auf die Nerven wie noch nie in unserer langen Freundschaft und meine Gedanken werden mörderisch.
Im Geiste sehe ich mich bereits mit Messern um mich werfen, wie ich vor Gericht stehe und mein Anwalt auf kurzfristige geistige Unzurechnungsfähigkeit in Folge der Umstände plädiert.
Komm wieder runter, denk nach, versuche ich meinen steigenden Adrenalinausschub und meine Lust, etwas schlimmes Unverzeihliches zu tun, wieder unter Kontrolle zu bringen. Mein Yoga-Training fällt mir rettend ein.
Atmen – ich lege meine Hände auf meinen Unterleib und lasse meinen Atem langsam zu meinen Händen fließen und atme ebenso geruhsam wieder aus.
Ein, aus, ein, aus – ich beruhige mich allmählich.
Sinnierend schweifen meine Gedanken dabei zu dem fünftägigen Klosteraufenthalt, den ich einmal hatte. Das war Faulsein auf einem hohen Niveau. Man dürfte so ziemlich alles außer reden.
In der Regel war man allein mit sich und seinen Gedanken. Dies war nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sehr erholsam, denn ich musste mir keine Gedanken um das alltägliche Einerlei machen - wurde bekocht und umsorgt.
Niemals war meine Kreativität größer als bei diesem stillen Nichtstun.
Ein normaler Urlaub war damit nicht vergleichbar, denn dieser artet schon allein bei dem Schlange stehen morgens und abends am Buffet oder der Suche nach einer freien Liege am Pool in Stress aus.
Ich stelle fest, ich bin für diese Lebensart in dieser Extremform nicht geeignet und werde nun Helene höflich aber bestimmt aus meiner Wohnung werfen. Wenn es sein muss mit roher Gewalt.
Hoffentlich hält unsere Freundschaft das aus!
Einen extrastarken Kaffee werde ich mir kochen, einen Pizza-Lieferservice und dann Raoul anrufen. Mir ist nach sinnlich lustvollen Bewegungen, um meine Stresshormone im Blut abzubauen und zwar sofort. Faulpelztag hin oder her!
Als ich mit entschlossenem Gesicht aus dem Bad komme, steht Helene schon mit der Tasche in der Hand an der Tür.
„Ich hab es mir überlegt, Rieke, ich habe das mit dem Faulpelztag wohl etwas überstürzt. Nichtstun und Faulsein erfordert eine gründliche Vorbereitung, sonst ist es eine unzumutbare Qual!“ seufzt sie.
„Wie wäre es, wenn wir das Ganze nächsten Sonntag wiederholen?
Ich bringe alles für einen leckeren Brunch mit, natürlich am Vorabend zubereitet. Kaffeekochen und Sektflaschen öffnen sowie ein kurzes! Telefongespräch, wenn es wichtig ist, sind von der Regel ausgenommen.
Noch ein paar schöne Filme - etwas, was uns beiden gefällt - und unser Faulpelztag endet pünktlich um 18:00 Uhr. Was meinst du?“ fragt sie mich hoffnungsvoll.
„Das klingt für mich nach
dem perfekten Faulpelztag, Lenchen! Ich freu mich darauf und - auf dich!“ erwidere ich strahlend und atme erleichtert auf.