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Geschichtenspiel Teil 33

*******he77 Frau
599 Beiträge
Nachtspazierer
vielen Dank... genau das hatte ich mir hier erhofft *knicks*
**********Engel Frau
25.343 Beiträge
Gruppen-Mod 
Eine sehr nette Geschichte zum Einstieg, die mir gut gefallen hat!
Vor allem erinnert sie mich an meinen eigenen inneren Schweinehund, der auch gerne sagt, irgendwann erledige ich auch das. *zwinker*
*********ynter Frau
9.577 Beiträge
Sonntag, 10.8.14, 10:00 Uhr MESZ:
Ich liege noch wachträumend in meinen Kissen, herrliche Bilder der vergangenen wilden durchtanzten Nacht sowie die schmachtenden und feurigen Blicke des feschen Salsa-Tänzers Raoul ziehen an meinem inneren Auge vorbei, als mich ein hektisches Klingeln an der Haustür aufschrecken lässt.
Wer stört denn so früh am Morgen und ohne, dass ich meinen Morgenkaffee hatte? denke ich unwirsch, eigentlich wollte ich den heutigen Tag geruhsam verbringen und entspannen.
Ich rühre mich nicht, vielleicht geht derjenige wieder, hoffe ich im Stillen bis gleichzeitig mein Handy klingelt und es äußerst dominant gegen meine Tür hämmert. „Mach auf, du Schlafmütze, ich weiß, dass du da bist!“ tönt es.

Seufzend gebe ich auf und erhebe mich - gegen meine Freundin Helene ist kein Kraut gewachsen und jeder Widerstand zwecklos.
„Guten Morgen“, begrüße ich sie mit müdem Lächeln und sie stürmt voller Energie an mir vorbei.
„Moin, moin! Weißt du, dass heute „Faulpelztag“ ist?“ fragt sie mich. Ich schüttle meinen Kopf, noch nie gehört.
„Wie wär`s - wollen wir beide heute mal so richtig schön faul zusammen sein? Wir beide arbeiten sowieso viel zu viel.“
Sie lässt mich gar nicht zu Wort kommen.
„Keine Widerrede, wir beide machen heute mal gar nichts! Frühstück?“ grinst sie mich an und schaut sich fragend in meiner Küche um.

Ich schließe meinen Mund wieder, gerade wollte ich ihr sagen, dass genau dies meine Intention für den heutigen Tag war, aber da sie es so gut mit mir meint…
„Ich hatte heute noch kein Frühstück, bin ja gerade erst zwangsweise aufgestanden“, zwinkere ich ihr lächelnd zu.
„Wer soll denn das Frühstück machen, wenn doch „Faulpelztag“ ist, und keiner von uns beiden etwas arbeiten darf?“
Ich weiß, dies ist eine Fangfrage, aber ich kann der Versuchung nicht widerstehen.
„Dann muss das Frühstück heute wohl ausfallen“, meint Helene lapidar und schenkt sich ein Glas Orangensaft ein, weil das alles noch von heute Nacht auf dem Tisch steht und keinen größeren Arbeitsaufwand erfordert.

„Das muss dann wohl genügen!“ Sie verzieht ihr Gesicht und scheucht mich zurück ins Bett.
„Die Regeln für heute: Wir hängen rum wie die Faultiere und machen gar nichts. Das soll nämlich sehr gesund sein, habe ich vorhin im Radio gehört. Der Mensch braucht ab und zu eine Auszeit, damit er wieder kreativ sein kann.“

Gar nichts tun? Den ganzen Tag? Das kann doch nicht ihr Ernst sein?
Wenn ich heute nicht das Geschirr im Spülbecken reinige, dann werde ich gottgleich, da ich die Voraussetzungen für neues Leben, für eine neue Flora und Fauna, schaffe. Außerdem liegt noch die unerledigte Post im Ablagekörbchen und die Birne in der Badleuchte ist auch kaputt. Doch ich fürchte, dass kann ich auch vergessen, denn dazu müsste ich einen Schraubenzieher in die Hand nehmen. Das wäre nach den Regeln verboten!

Bis mittags lümmeln wir uns faul auf den Kissen und tauschen Neuigkeiten aus, dann klingelt mein Telefon. Der Kuckucksuhr-Klingelton fährt mir schreckhaft in die Glieder. Gedankennotiz: Klingelton ändern, sobald Helene weg ist.
Dem natürlichen Reflex entsprechend möchte ich es annehmen, aber Helene verbietet es. Gegen die Regeln für den heutigen Faulpelztag! Verflixt! Diese Frau ist eiskalt! In mir rumort es. Wenn das nun Raoul aus dem Club war, der ein heißes Date mit mir verabreden wollte? Oder meine Mutter, weil sie vielleicht meine Hilfe braucht, oder mein Chef, oder…ich dreh durch!

Das passt doch nicht zu einer entspannten Faulheit!
Im Gegenteil, ich bin sowas von angespannt, wie ein Flitzebogen. Mein Koffeinpegel ist auf dem Nullpunkt, mein Magen knurrt laut und ich will wissen, wer mich angerufen hat.
Zum Glück geht Helene ins Bad und schon bin ich an meinem Handy. Tippe hektisch mein Passwort in die Tasten und natürlich vertippe ich mich! Wie lange dauert das denn? Los schneller, sporne ich mich an, sie ist bestimmt gleich zurück. Ich will doch nur einen ganz kurzen Blick in die sozialen Netzwerke werfen.

"Aha! Erwischt! Gib mir sofort dein Handy, du bist ja richtig süchtig!“ schimpft mich Helene aus.
„Hältst du es nicht mal einige Stunden ohne dieses Ding aus?“
Ich muss ihr leider Recht geben und steige kleinlaut zurück ins Bett, während ich mein Handy leise fluchend in die Nachttischschublade gleiten lasse.
Drei neue Nachrichten in WhatsApp registriere ich noch. Von wem?
Meine Gedanken fahren Achterbahn, meine innere Unruhe lässt mich an meinen Nägeln knabbern und an der Haut darum herumzupfen, was mir einen strafenden Blick und ein verbietendes Kopfschütteln einbringt.

Um die Nachmittagszeit herrscht Stille zwischen uns. Alles ist erzählt, sämtliche Modezeitschriften sind flüchtig durchgeblättert - vielleicht könnten wir ein wenig fernsehen? Nur ein Tipp auf die Fernbedienung?
„Das ließe sich mit dem Faulpelztag vereinbaren“, meint Helene großzügig.
Leider macht uns das Nachmittagsprogramm eher aggressiv, sowohl das private als auch das öffentlich-rechtliche. Nicht zu fassen, welch ein Schund um diese Zeit geboten wird. Das ist ja schlimmer als Folter für einen einigermaßen intelligenten Menschen! Vielleicht haben die Leutchen in einem Altersheim die nötige Abgeklärtheit, sich das anzusehen ohne Amok zu laufen - ich definitiv nicht!

Ich flüchte mich erst einmal auf die (noch immer) dunkle Toilette, schließe mich ein und kühle meine heiße Stirn, hinter der meine überkochenden Gefühle fast meine Ratio niederringen, an den Fliesen.
Dann spüle ich kurz und leise meine wilde Verzweiflung durch meine Augen aus meinem Körper. Der Hunger ist übergangen, das fehlende Koffein, das schreckliche TV-Programm und Helene mit ihrer blöden Idee machen mich schrecklich wütend.
Und gleichzeitig ist mir langweilig, so langweilig!
Ich überlege, wann ich das zuletzt hatte? Während der Schulzeit?

Ein Gefühl, meine kostbare Lebenszeit auf unverantwortliche Weise zu verschwenden, macht sich in mir breit. Helene und ihre blöde Idee!
Überhaupt, wer kreiert denn so einen nervenzerfetzenden Tag, an dem man nichts darf, was einem wirklich Spaß macht und zur Entspannung beiträgt?
So ein kleines bisschen arbeiten ist doch völlig in Ordnung.
Auf so eine Idee kann doch nur ein verkappter Sadist kommen!

Schlimmer noch: Meine Freundin geht mir mit ihrer ständigen Verbieterei auf die Nerven wie noch nie in unserer langen Freundschaft und meine Gedanken werden mörderisch.
Im Geiste sehe ich mich bereits mit Messern um mich werfen, wie ich vor Gericht stehe und mein Anwalt auf kurzfristige geistige Unzurechnungsfähigkeit in Folge der Umstände plädiert.
Komm wieder runter, denk nach, versuche ich meinen steigenden Adrenalinausschub und meine Lust, etwas schlimmes Unverzeihliches zu tun, wieder unter Kontrolle zu bringen. Mein Yoga-Training fällt mir rettend ein.
Atmen – ich lege meine Hände auf meinen Unterleib und lasse meinen Atem langsam zu meinen Händen fließen und atme ebenso geruhsam wieder aus.

Ein, aus, ein, aus – ich beruhige mich allmählich.
Sinnierend schweifen meine Gedanken dabei zu dem fünftägigen Klosteraufenthalt, den ich einmal hatte. Das war Faulsein auf einem hohen Niveau. Man dürfte so ziemlich alles außer reden.
In der Regel war man allein mit sich und seinen Gedanken. Dies war nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sehr erholsam, denn ich musste mir keine Gedanken um das alltägliche Einerlei machen - wurde bekocht und umsorgt.
Niemals war meine Kreativität größer als bei diesem stillen Nichtstun.
Ein normaler Urlaub war damit nicht vergleichbar, denn dieser artet schon allein bei dem Schlange stehen morgens und abends am Buffet oder der Suche nach einer freien Liege am Pool in Stress aus.

Ich stelle fest, ich bin für diese Lebensart in dieser Extremform nicht geeignet und werde nun Helene höflich aber bestimmt aus meiner Wohnung werfen. Wenn es sein muss mit roher Gewalt.
Hoffentlich hält unsere Freundschaft das aus!
Einen extrastarken Kaffee werde ich mir kochen, einen Pizza-Lieferservice und dann Raoul anrufen. Mir ist nach sinnlich lustvollen Bewegungen, um meine Stresshormone im Blut abzubauen und zwar sofort. Faulpelztag hin oder her!

Als ich mit entschlossenem Gesicht aus dem Bad komme, steht Helene schon mit der Tasche in der Hand an der Tür.
„Ich hab es mir überlegt, Rieke, ich habe das mit dem Faulpelztag wohl etwas überstürzt. Nichtstun und Faulsein erfordert eine gründliche Vorbereitung, sonst ist es eine unzumutbare Qual!“ seufzt sie.

„Wie wäre es, wenn wir das Ganze nächsten Sonntag wiederholen?
Ich bringe alles für einen leckeren Brunch mit, natürlich am Vorabend zubereitet. Kaffeekochen und Sektflaschen öffnen sowie ein kurzes! Telefongespräch, wenn es wichtig ist, sind von der Regel ausgenommen.
Noch ein paar schöne Filme - etwas, was uns beiden gefällt - und unser Faulpelztag endet pünktlich um 18:00 Uhr. Was meinst du?“ fragt sie mich hoffnungsvoll.
„Das klingt für mich nach dem perfekten Faulpelztag, Lenchen! Ich freu mich darauf und - auf dich!“ erwidere ich strahlend und atme erleichtert auf.
eyes002
******ace Mann
15.955 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Ha!
Horrido, seid ihr schnell.

@******che: Nachtspazierer hat irgendwie Recht. Alles nach dem schnarrpen ist nicht mehr nötig. Aber insgesamt gut geschrieben. Ich war ein paar Minuten woanders, und das ist der Sinn einer guten Geschichte.

@******ois: Mist. Es war Faulpelztag und ich habs verpasst! *zwinker*
Aber mal ernst jetzt: So einen langen Taxt hast du "mal eben" aus der Hüfte geschossen? Respekt....

Wie es scheint, habe ich eher eine Formulierungsfraktur...

Tom
*********ynter Frau
9.577 Beiträge
@ Ghostface
Nur nicht so bescheiden, lieber Tom!
Deine Geschichten sind doch immer spitze, was länge währt...*zwinker*.
*******he77 Frau
599 Beiträge
Pourquoi_pas
Vielen Dank, eine sehr schöne Geschichte, man leidet förmlich mit!

Wachträumend - was für ein herrliches Wort.

Nur ein klitzekleiner Fehler ist mir aufgefallen:

Doch ich fürchte, dass kann ich auch vergessen,

es muss natürlich "das" heißen.

Ansonsten ganz toll *bravo*
Liebe Sinnliche,

ich würde alles, was ein möglicher Tippfehler sein kann, nicht ankreiden. Also sämtliche Interpunktionsfehler, Rechtschreibfehler, Singular-Plural-Fehler, fehlende Wörter etc. einfach überlesen.

Weil, wenn es wirklich ein Tippfehler ist (das kann auch bei dass und das passieren), könnte der Schriftsteller es als kleinkariert ansehen.

Inhaltliche Fehler, Widersprüche, falsche Bilder, Wortwiederholungen und zu nahestehende gleiche Wörter etc. sollten angesprochen werden, weil das die Schriftsteller bei der Stilverbesserung weiterbringt- jedenfalls die meisten.

So versuche ich es zumindest zu halten.

Nachtspazierer
teilweise d'accord, aber...
Lieber @*********ierer,

Einen Text, der von Komma- und Rechtschreibfehlern wimmelt (einmal abgesehen von lässlichen Tippfehlern, die man aber auch per Zweitkorrektur erkennen kann), lasse ich gleich nach zwei Zeilen links liegen. Grüne Früchte sollte man am Baum noch reifen lassen, sonst gibt es eine Magenverstimmung. Und dass ein falsch gesetztes Komma den Sinn eines ganzen Textes in sein Gegenteil verkehren kann, das wissen wir ja.

"Die Begnadigung kommt, nicht hängen!"

versus

"Die Begnadigung kommt nicht, hängen!"

Im Prinzip hast du recht, was deine genannten Stilfehler angeht. Das gilt aber nur dann, wenn es nicht gerade so vom Autor gewollt ist. Der Autor macht den Text, nicht der Lektor. Das habe ich hier auch erst vor Kurzem neu dazu gelernt.
Und vor allem setzt es voraus, dass der Lektor mit dem Inhalt und dem Sinn des Textes überhaupt etwas anfangen kann und ihn, bzw., die Absicht und Intention, verstanden hat.

Ließe ich meine Geschichten durch meinen zwölfjährigen Enkel lektorieren, dann stünde fast hinter jedem zweiten Satz: "Kenne ich nicht - ist also falsch!", oder "verstehe ich nicht - also Mist!"

Stelle dir nur einmal vor: Ein gelernter Bäcker käme im Zuge von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in die Verlegenheit, einen astronomischen Text lektorieren zu müssen.
Dann würde die Milchstraße zur Mehlwolke, weil man ja, verdammt noch mal, aus Milch keine Straßen bauen kann. Weiß doch jeder. Und wie Mehlstaub sieht das Ganze ja irgendwie schon aus, nicht? Meint zumindest der Bäcker, denn damit kennt er sich ja schließlich aus.
Die Galaxien würden zu Fladenbroten, weil ja eh kein Schwein weiß, was „Galaxie“ bedeutet, und ein Bäcker in der Regel schon gar nicht. Kugelsternhaufen mutieren dann zu Krapfen mit Puderzucker und die dunkle Energie zu den Kohlehydraten im Schwarzbrot.



PS.: das bezieht sich NICHT auf die hier eingestellten Geschichten und kann gerne nach "Schreibwerkstatt", o.ä. verschoben werden
Hat keine/r mehr eine neue Geschichte?
Na gut.

Dann rühre ich eben weiter meinen Kaffee mit dem Schraubenzieher um, schütte ein Glas Hennessy hinein, dass es mörderisch nach Schnaps riecht und knalle es mir dann in die Birne.
Meine Kuckucksuhr ist schon lange stille und die wird auch erst im Altenheim wieder aufgezogen.
So!
*******he77 Frau
599 Beiträge
LOL
Na da haste aber auch mal ordentlich verdichtet... Hoffe, Du hast morgen keinen Kater!
**********Engel Frau
25.343 Beiträge
Gruppen-Mod 
Eine kleine Anmerkung für unsere "Neuen": *g*

Die Geschichten im Geschichtenspiel werden nicht so genau lektoriert wie Geschichten, die in einem eigenen Thread veröffentlicht werden.
Das Geschichtenspiel ist dafür da, Spaß zu bringen und auch Hemmungen zu verlieren, überhaupt eine Geschichte hier in der Gruppe einzustellen. Und es ist auch zur Übung gedacht.
Da kann auch mal so mancher Blödsinn dabei herauskommen. *lol*

Natürlich darf und sollte man gerne grobe Fehler erwähnen. Das gehört dazu.
Aber nicht so peinlichst genau die kleinsten Fehlerchen, wie es bei einer alleine eingestellten Geschichte der Fall ist.

Wir möchten ja hier nicht seitenlange Korrektur-Diskussionen lesen, bevor wieder eine neue Geschichte eingestellt werden kann. *g*

Also alles - in einem gewissen Rahmen - locker hier. *zwinker*
*******he77 Frau
599 Beiträge
Danke für den Hinweis
Auf Seite 16 hatte ich nämlich genau diese Frage gestellt und leider keine Antwort bekommen. Aber dann weiß ich jetzt ja Bescheid *g*
**********Engel Frau
25.343 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ja, Deine Frage hatte ich gesehen, aber da war's dann auch schon quasi "ums Eck". *g*
Kater
Hoffe, *katze* Du hast morgen keinen Kater!

Kater gabs vorgestern, am internationalen Katzentag
Mörderischer Anschlag im Altenheim

Schraubenzieher in der Kuckucksuhr, Kaffee mit vergifteter Birne im Glas…
- Stille

Schraubenzieher im Sicherungskasten, Birne durchgebrannt, Glassplitter von der Kuckucksuhr im Kaffee, mörderische Stille im Altenheim

Ich kann mir nicht helfen @*******h77, aber war das ne Anleitung
zum Bombenbasteln?
**********Engel Frau
25.343 Beiträge
Gruppen-Mod 
@*********pasXX
Eine wirklich köstliche Geschichte!
Danke für das andauernde Schmunzeln, das sie mir ins Gesicht und in die Seele gezaubert hat. *g*
eyes002
******ace Mann
15.955 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
F 220, Kapitel 3
Kapitel 3: Mittendrin

Mitte 2014. Wir begleiteten den Trägerverband der „Dwight D. Eisenhower“ im Mittelmeer. Es war das erste Mal, dass eine deutsche Fregatte, die in Wahrheit eigentlich ein Zerstörer war, mit dem alleinigen Schutz eines US-Amerikanischen Flugzeugträgers betraut war. Wir kontrollierten den Luftraum in einem Radius von 180 km, die Starts und Landungen auf dem Flugzeugträger, fungierten als Ersatz-Zentrale, falls der Träger getroffen werden sollte und waren verantwortlich für den Schutz des Luftraumes. Wir platzten fast vor Stolz, als wir in die US Carrier Strike Group VII (*1) berufen wurden. Im August, nach vielen Monaten auf See, bekamen wir turnusgemäß eine Ablösung. Ich hatte Urlaub. Eine Sea-King brachte uns Urlauber nach Incirlik in der Türkei und von dort ging es mit einer Hercules C 130 nach Hause.

Natürlich waren wir an Bord immer gut informiert. Moderne Soldaten wurden unterrichtet in Staatsbürgerkunde, Geografie, Politik, Strategie und Geo-Politik. Es gibt Ethik, Recht und die wichtigsten exterritorialen Grundlagen. Zurzeit waren als Tagesthemen die Annektierung der Krim, Aufstände russischer Agitatoren, von Putin geschickt, in der Ost-Ukraine und der anhaltende Konflikt in Syrien. Wir als Soldaten verstanden die Welt nicht mehr. Wo war die soldatische Ehre? Wo? Soldaten, die aufs eigene Volk feuerten? Gesichtsmasken als Soldaten in der Ukraine? Keine Landeskennzeichnung? Bewaffnete Aktionen auf fremdem Territorium? Abschuss von Zivilmaschinen? Wir nannten das Terrorismus. Und waren einig mit den Amerikanern, was unter uns eher selten vorkam. Denn wie sollte ich unseren Ethik- Unterricht mit Guantanamo in Einklang bringen?

Dann der Angriff der Israelis auf Gaza. Die Hamas und die Israelis hatten wohl einen Anpisswettbewerb am Laufen, wer sich human und sozial, wie auch ethisch und moralisch mehr wie ein Arschloch benahm. Die Hamas konnte sich nicht zurückziehen und schoss feige aus dem Hinterhalt auf israelisches Gebiet und die Israelis in ihrer blinden Zerstörungswut ballerten alles nieder. Einschließlich Schulen und Krankenhäusern.

In Syrien war eh schon Hopfen und Malz verloren und jetzt kam eine kleine Meldung aus West-Afrika. 3 Tote durch Ebola. An sich nichts Neues. Das gab es dort öfter. Ein paar Tage später kam eine Nachricht, dass die Ansteckung sich ausbreitete. Wieder ein paar Tage später waren die ersten infizierten Ärzte auf dem Weg nach Hause. Und damit begann alles. Amerika ertrank binnen zwei Monaten in Blut. Der Ebolavirus war und ist der gefährlichste Erreger der Welt. Die Inkubationszeit beträgt 2 Tage. Danach beginnt das, was die Ärzte „hämorrhagisches Fieber“ nennen. Man blutet aus allen Körperöffnungen. Mund, Augen, Ohren, Nase, Rektum und Genitalien. Multiples Organversagen, Kreislaufzusammenbrüche, Schock, Lähmung. Der Virus zerstört die Blutgefäße und führt innerhalb kürzester Zeit in den meisten Fällen zum Tod des Wirtskörpers. Die Sterblichkeitsrate betrug über 90%. Das hieß, bei einer weltweiten Pandemie blieben immerhin noch über 72 Millionen Menschen übrig. Also knapp die Einwohnerzahl Deutschlands. Weltweit… das hieß für Deutschland, dass knapp 8 Millionen Deutsche übrig waren. Auf die Fläche des Staatsgebietes herunter gerechnet würde das bedeuten, dass pro Quadratkilometer ungefähr 22 Menschen überlebt hätten. Ich fragte mich nur, wo die Menschen des Stützpunktes waren. Jedenfalls die, die überlebt haben mussten.

Aber die Erinnerungen hörten nicht auf, mich zu überfluten. Als der erste Arzt damals nach Hamburg verfrachtet wurde, war niemand beunruhigt. Im Fernsehen war groß und breit zu sehen, wie der Patient in einer hermetisch geschlossenen Glaskiste abtransportiert wurde. Keine Gefahr. Manche Medien berichteten vom so genannten „Marburg-Virus“. Das hieß, wir hatten ihn schon einmal in den sechziger Jahren. Es wurde vermutet, dass die Wissenschaftler ein Anti-Serum hergestellt hatten. Nur für alle Fälle. Und das hatten sie auch. Nur eben der wissenschaftliche Dienst des Militärs, nicht die privaten Pharma-Konzerne. Das war das Problem. Einzig die Kanadier stellten das angeblich experimentelle Serum zur Verfügung. Zunächst erzielte man damit sogar Erfolge und die Quarantänebestimmungen wurden gelockert. Aber es war nur der Auftakt zur Vernichtung, denn durch das Serum veränderte den Virus und ließ ihn mutieren. Nach der Mutation erfolgte die Infektion nicht mehr allein durch Berührungen und Flüssigkeitstransfer. Das Anti-Serum war wirkungslos, weil es das Virus gegen Sauerstoff resistent machte. Von da an war der Virus über die Luft übertragbar und das war das Ende.

Als in Fuhlsbüttel der Pilot der Maschine, die den Arzt gebracht hatte, ins Krankenhaus kam, mit Fieber und Blut im Stuhl, hatte er auf dem Weg in die Klinik bereits Dutzende an Menschen angesteckt. Und ich Idiot saß zuhause vorm Fernseher, Scotch in der Linken und Fernbedienung in der Rechten, und machte mir immer noch keine Sorgen.

Erst, als die Meldungen aus Amerika kamen, dass dort eine weltweite Pandemie ausgerufen wurde, kamen alle aus ihrer Lethargie. Afrika war so gut wie verloren, Amerika kämpfte verbissen gegen die Seuche. Übrigens auch mit Anti-Seren, die nicht wirkten. Italien, Spanien waren entvölkert, der Balkan so gut wie tot. Der Virus tobte wie ein Flächenbrand. Allein die Chinesen und Japaner hielten sich. Aber nur aufgrund ihrer rigorosen und kompromisslosen Art. Die schossen auf alles, was in ihr Land wollte. Selbst vor zivilen Maschinen, die das Land überfliegen wollten, machten sie nicht Halt. Aber es nützte nicht viel. Als wir hörten, dass der erste Fall in Peking aufgetaucht war, war das Schicksal Asiens besiegelt. Und hier begannen die Plünderungen. Ich hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera. Ging ich hinaus und versuchte, Vorräte zu ergattern, lief ich Gefahr, infiziert zu werden. Blieb ich hier, würde ich hungern müssen. Oder mich zumindest extrem einschränken.

Ich machte an einem Donnerstagabend eine Bestandsaufnahme. 2 Kilo Kaffee, die Tiefkühltruhe dank Mutters Planwirtschaft randvoll. Aber nur 2 Flaschen Jack. Mutter. Ich machte mir Sorgen, sie ging nicht ans Telefon. Allein, um nachzusehen, würde ich meine Festung verlassen müssen. Festung, weil ich von den Plünderungen hörte, jede Nacht. Die Tankstelle gegenüber war bereits geschlossen, die Lebensmittel und Getränke fort. Sogar die Schraubenzieher, die Kuckucksuhr und die Birnen hatten sie mitgenommen. 150 Meter weiter der Netto-Markt. Leer. Sogar den billigsten Fusel hatten die Plünderer mitgenommen. Der Edeka in Gegenrichtung sah bestimmt auch so aus. Nur konnte ich den mit meinem Feldstecher nicht sehen. Ich war aber sicher, dass er einer leeren Garage glich.

Nach 22 Uhr trat eine mörderische Stille ein. Die Zivilisationsgeräusche waren fast vollständig verstummt. Da die meisten Lichtquellen einschließlich der Straßenlaternen erloschen waren, konnte man ein Himmelszelt bestaunen, das ich als kleiner Junge das letzte Mal sehen durfte. Eine Fülle von Lichtern, die ich so schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte. Man sah die Milchstraße. Ich genoss dieses wundervolle Bild der Unendlichkeit, solange ich den Kopf im Nacken halten konnte. Und trotzdem konnte ich hier nicht verweilen. Der Plan war, das Auto aus der Garage zu holen, ohne den Plünderern in die Hände zu fallen. Dann zu Mutter brausen. Das Problem war: Womit? Aus dem Fenster hatte ich beobachtet, dass meine Kutsche keine Räder und Scheiben mehr hatte, so wie alle Autos auf der Straße.

Mir war vollkommen klar, dass ich mich in Gefahr begab. Und im Grunde hatte ich hier nichts verloren, in einem Krisenfall gehörte ich auf mein Schiff. Aber, und das wunderte mich am meisten, ich hatte noch keinen Anruf bekommen. Ich war Soldat. Ich schmiedete einen Plan. Was benötigte ich also? Ein Auto, am besten einbruchssicher. Benzin. Nahrungsmittel. Und am besten eine Waffe. Oder zwei. Ich musste Mutter finden, unbedingt. Und vielleicht hatte ich Glück und meine Schwester war schon da.
Der Plan sah folgendermaßen aus: Ich musste zuerst ungesehen auf das Grundstück gegenüber. Feststellen, ob Opa Schmittke noch lebte. Egal ob ja oder nein, ich musste ins Haus, den Schlüssel zum Gartenhäuschen finden. Dort hatte Opa Schmittke eine illegale Schrotflinte versteckt. Beim letzten Straßenfest hatte er mir das nach einem bis sieben Glas Bier erzählt. So bewaffnet konnte ich mich auf den Weg zu Mutter machen. In Opa Schmittkes Garage stand ein Jeep Wrangler von Malte Hansen, einem anderen Nachbar. Opa brauchte die Garage nicht mehr und Hansen hatte einen guten Unterstellpunkt für sein Ami-Zäpfchen. Aber, und das war der Punkt, die Schlüssel zu dem Monster waren auch bei Opa. Und ich wusste sogar, wo. Denn ich war es, der den Wagen zum Lackierer gefahren hatte. Dann zu Mutter und eventuell zur Schwester. Und dann neu planen. Die Welt war gefährlich geworden.

Ich zog meine schwarze Borduniform an. Nicht aus Gewohnheit. Aus Kalkül. Ich zog sogar eine Gesichtsmaske über, die ich vom Kart- Fahren noch hatte. Die Augenpartie und die Mundpartie schwärzte ich, indem ich einen Teller über eine Kerzenflamme hielt und den Ruß nutzte. Meine einzige Waffen waren eine MagLite und das Fallschirmjäger-Messer und bei Zeus, das war nicht viel, wenn ich an die Strolche dort draußen dachte.

Los ging es. Leise öffnete ich die Tür, nachdem ich mich von Jack verabschiedet hatte. Ich konnte ihn nicht mitnehmen. Sein Maunzen, wenn er mit mir redete, würde mich verraten. Also verschloss ich die Tür nicht hinter mir, sondern ließ Jack gehen. Kein Zweifel, er würde überleben. Seine Instinkte waren voll da. Ein Raubtier bleibt immer ein Raubtier.

Vorsichtig ging ich durch den Flur, die Türen zu den anderen Apartments sorgfältig kontrollierend. Aber nirgendwo schimmerte Licht, alles schien tot. Ich schaffte es bis in den Keller. Ich ließ das Licht immer nur kurz aufflammen, man wusste ja nie. Durch den Fahrrad-Keller gelangte ich ins Freie. Es war unnatürlich still draußen. Die Luft war stickig- schwül und schien schwerer als sonst. Nichts rührte sich. Nicht einmal der Wind schien Lust zu haben, mir eine Brise zu schicken. Alles schien so fremd. Selbst die alte Synagogenstraße, Tausend Mal gesehen und befahren, sah anders aus, als sonst. Was für eine fremde, seltsame Welt. Im Sternenlicht sah der Asphalt fast wie eine trübe Wasseroberfläche aus. Wie ein dreckiger Tümpel oder ein verrottender See. Vorsichtig schlich ich auf Opas Grundstück.

Ein Vorteil war, dass Opa Schmittke, der sich selbst als „alter Nazi“ beschrieb, nicht mehr so gut seine Gartenarbeit erledigen konnte. Früher standen an der Straße Stauden, Büsche und halbhohe Gehölze. Jetzt, nach der Simplifikation, reichte der Rasen bis an den Gehweg. Und auf Rasen konnte man lautlos gehen, das war gut. Ohne die kleine Gatter-Tür zu öffnen (ich wusste, dass sie knarrte), erreiche ich den Rasen hinter dem Haus. Ich erkannte die Terrasse, die im kalten Sternenlicht ebenso befremdlich aussah, wie der Rest der Welt. Eine Kunststoff- Garnitur mit alten, fast verwitterten Polstern. Rot-orange gestreift. Altenheim- Charme. Dahinter die riesengroße Glas-Front. Die Tür eine Handbreit offen. Wohl für Moritz, Opas Katze.

Hinter der Glastür flimmerte es. Offenbar lief der Fernseher. Langsam, auf jedes noch so kleine Geräusch achtend, schob ich die Glastür ein Stück weiter auf. Bis mein Kopf hindurch passte. Und ich sah Opa Schmittke. Und ich sah den Blutregen an der Decke. Und ich sah die Walther in seiner Hand.
Ich trat ein. Opa Schmittke war tot. Er hatte einen großen Schluck Wasser in den Mund genommen und sich eine Kugel in den Mund gejagt. Eine absolut sichere Methode. Auf seinem Schoß lag ein blutverschmierter Notizzettel. „Ich bin gleich bei dir, mein Schatz“ stand dort, mit zittriger Hand geschrieben. Scheiße. Aber immerhin hatte ich jetzt eine Pistole. Gut, eine uralte Walther P 38, aber immerhin 9mm Parabellum. Danke Opa Schmittke. Einen Moment lang empfand ich Trauer. Trauer und Wut. Und auch eine Art Ohnmacht, weil es ja niemandes Schuld war.

Ich musste mich zusammenreißen. Der Schlüssel zum Gartenhaus und den Wagenschlüssel aus der Besteck-Schublade genommen. Dann zum Gartenhaus; dort erwartete mich der erste Schock. Im Licht der MagLite sah ich das heillose Durcheinander. Opa Schmittke hatte das Gartenhäuschen als Rumpelkammer zweckentfremdet. Und doch durfte ich nicht allzu viel Krach machen. Das bekam ich ohnehin nicht mehr aus dem Kopf. Die eingestanzten Worte des Schleifers auf dem Einzelkämpfer- Lehrgang: „Wir bewegen uns schnell, wir bewegen uns leise, denn wir bringen den Tod“

Schnell und so leise wie möglich räumte ich Plastikstühle, Polster, Grill, Tisch, Blumenkübel und allerlei Tand vor das Häuschen. Das Ergebnis war zufrieden stellend, aber nun war der Raum leer. Wo sollte hier eine Waffe versteckt sein? An der Stirnseite war ein kleiner Kamin. Aber da versteckt man doch keine Waffe? Trotzdem leuchtete ich hinein, auch in den Abluftschacht. Nichts. Hatte Opa mich angeschmiert? Es hatte keinen Sinn, ich musste weiter. Beim Verlassen der Laube trat ich auf ein Brett, das nachgab. Nur zwei Millimeter. Aber das reichte. Die Diele hob sich am anderen Ende, ein untrügliches Zeichen. Mit meinem Messer hebelte ich das Brett hoch und konnte es mühelos entfernen. Darunter lag das, was ich mir erhofft hatte. Ein Hohlraum. Kurzerhand hebelte ich noch zwei Dielen aus. Bei der Zweiten verfluchte ich mich dafür, denn die Nägel gaben quietschende Geräusche von sich. In dieser neuen, nächtlichen Stille musste das weithin hörbar sein und das war nicht gut.

Neugierig griff ich in den Hohlraum und förderte ein längliches Paket zum Vorschein. Es sah aus, wie eine Anglertasche. Eine lederne Hülle, mit einer Kordel verschlossen. Heraus kam ein echtes Schmuckstück. Eine Miroku- Bockdoppelflinte, Kaliber 12/76 Magnum, Dreiviertelchoke und Walnuss- Schaft mit bayrischer Backe. Die war nicht billig. Danke Opa Schmittke. Erneut leuchtete ich in den Hohlraum. Noch zwei dieser verpackten Weihnachtsgeschenke und mehrere Packungen Munition. Egal, worauf sich Opa Schmittke vorbereitet hatte, (oder egal wie verrückt er war) er rettete mir gerade als Toter den Hintern.

Im Haus suche ich nach einem Rucksack oder ähnlichem, wurde aber enttäuscht. Einzig eine alte Sporttasche von Adidas fand ich. Dort verstaute ich die Munition, die leider nur für die Schrotflinte passte. 9 mm fand ich nicht. Die Miroku war mit drei Handgriffen zerlegt und verschwand ebenfalls in der Tasche. Dann traf mich der Schlag. Im zweiten Päckchen war eine Benelli Super 90. Eine halbautomatische Schrotflinte italienischer Produktion, die man von Automatik auf Handbetrieb umschalten konnte. Wundervoll. Ich schöpfte Hoffnung, denn mit dieser Ausrüstung konnte wenig passieren. Und doch musste ich an Vater denken. Als ich klein war und meinen ersten Karate-Pokal heimbrachte, platzend vor Stolz und große Reden schwingend, sagte er:
„Junge, denk dran. In jedem Tümpel lauert immer ein noch größerer Fisch“



*1: Ein Trägerverband oder eine Flugzeugträgerkampfgruppe besteht immer aus mehreren Schiffen. Ein Flugzeugträger ist niemals allein unterwegs. Üblicherweise besteht ein Trägerverband (oder CSG=Carrier Strike Group) aus folgenden Teilen:
- Flugzeugträger
- Trossschiff (Versorger für Treibstoff, Lebensmittel und Munition)
- 2 Jagd- Uboote zur Unterwassersicherung
- 2 Kreuzer (meist Ticonderoga-Klasse) zur Fernsicherung
- 2 Fregatten oder Zerstörer (meist Arleigh-Burke- Klasse) zur Nahsicherung und Luftabwehr
*********ynter Frau
9.577 Beiträge
Der helle Wahnsinn!
Deine Geschichten sind derart fesselnd, dass ich alles stehen und liegen lasse!
*anbet* *spitze*
It´s me!
*********ld63 Frau
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Leokardia
Leokardia führt die Tasse langsam hoch zum Mund. Meine Hand zittert heute morgen kaum. Puh, dieser Kaffee...ich kann bis zum Grund der Tasse sehen. Ein fader Hauch von Kaffee, dazu noch koffeinfrei. Sie seufzt und stellt die Tasse ab. „Na, wie geht’s denn heute Morgen, Fr. Hanner?“ Eine laute Stimme, kehlig und warm. Leokardia sah hoch in das lächelnde Gesicht einer Pflegehelferin. Die ist immerhin nett, auch wenn sie meint, dass alle Alten hier taub sind. Leokardia sieht in Bettinas kajalumrahmte Augen mit den Lachfältchen und zuckte ein wenig mit den Mundwinkeln, was als Lächeln interpretiert werden kann. Bettina scheint damit zufrieden, wendet sich ab und geht zum nächsten Tisch. Leokardia greift wieder zur Tasse, ein plötzlich auftretendes Zittern in der Rechten liässt sie innehalten. Sie schaut auf ihre Hand, die ein Eigenleben führt. Eine Hand ausser Rand und Band. Verflixt. Demnächst müssen sie mich füttern. Das fehlte gerade noch. Sie schaut vorsichtig nach links, sieht Hausmeister Erwin im Blaumann und Schnäutzer, der gerade seine Leiter aufstellt. Schöner Mann eigentlich, der hätte ihr früher mal gefallen können. Aber auch er: viel zu laut. Kommt und glozt den Pflegehelferinnen auf den Po. Jetzt steigt er die Leiter hoch, hantiert mit dem Schraubenzieher an der Lampe. Leokardia reckt ein wenig den Kopf und schaut ihm genau auf sein Hinterteil, über dem sich prächtig und feist die Hose spannt. Ihre Mundwinkel zucken, ein fast tonloses Kichern verebbt auf dem Weg nach draussen. „So, Frau Hanner, hier eine Saft für Sie. Kommen Sie, trinken Sie.“ Leokardia erkennt die Stimme - das ist die rothaarige Rumänin um die 50, die gern kocht und richtig gute Pfannkuchen macht – wendet aber nicht den Kopf von Erwin, der fluchend an der Deckenlampe schraubt. Hier gibt es nicht viele Männer, und schon garkeine, die noch auf Leitern steigen und ihr Hinterteil zeigen können. „Frau Hanner! Leokardia, schauen Sie mal, was ich Ihnen gebracht hab...“ Die Rumänin legt den Schmusegang ein, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Leokardia glotzt unbeeindruckt weiter auf den blauen Arsch in der Hose über ihr. Ach, wie lange ist das her, dass ich meine zitternden Hände auf zwei Hinterbacken legen konnte... Leokardia seufzt wieder ohne Ton, kramt ein wenig in ihrem Gedächtnis nach verblichenen Bildern ihres Ehemanns, Gott hab ihn selig. Der Schraubenzieher fällt mit lautem Knall auf den Boden, durchbricht die mörderische Stille... Haha, Leokardia, du liest zuviele Revolverblättchen, mörderische Stille, was? Hausmeister Erwin steigt fluchend von der Leiter. Ein paar der anderen Bewohner sind aufgeschreckt. Heinrich, der Grabscher, der ihr gegenübersitzt, hat langsam den Kopf gedreht und glotzt jetzt ebenfalls auf Erwin. Ein Rinnsal aus Speichel rinnt sein Kinn hinab. Elenore am Tischende streckt ungelenk die Arme nach der Leiter aus, der Rollstuhl schaukelt bedenklich. Margarete vom Nebentisch ruft nach der Schwester, wie immer. Bettina kommt in ihr Sichtfeld, wischt Heinrich den Speichel vom Kinn. „Is ja mächtig was los hier, was, Frau Hanner?“ Ein verschwörerisches Grinsen. Ja, die Kleine ist nicht dumm, sie weiss, dass ich nicht dement bin, denkt Leokardia und lässt ein bisschen die Mundwinkel zucken. Die Kuckucksuhr schlägt 11 Uhr. Den Kuckuck gibt’s nicht mehr, der ist schon länger ausgeflogen. Der Hausmeister schäkert mit Bettina und fasst ihr an den Arm, auch wenn er gern woanders hinfassen würde. Die Rumänin bringt eine neue Birne für die Lampe, ihre Augen sprühen grün. Verschwendeter Charme, der Hausmeister hat nur Augen für Bettina. Dann reisst er sich los und steigt wieder auf seine Leiter, behende trotz seiner Leibesfülle. Leokardia blickt bewundernd auf die blaukariert verpackte Wölbung. Männer müssen einfach stattlich sein. So ein paar herrlich kräftige Pfleger, das bräuchte es in diesem Altenheim....
*********ynter Frau
9.577 Beiträge
Berührende melancholische Geschichte, die ...
... einen daran erinnert, die verbleibenden Jahre ausgiebig zu genießen...solange es noch geht.

Ich hätte Absätze schön gefunden, dann liest sich dein Text besser.
eyes002
******ace Mann
15.955 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
:-)
Eine wirklich gelungenes Stück Teilhabe. Ich finde es sehr authentisch und lässt mich wirklich hoffen, dass man im Alter nicht so dumpf vor sich hin stiert, wie ich es in vielen Altenheimen bereits erleben musste. Ich finde die Geschichte weniger melancholisch, sondern Hoffnungsvoll. Denn wenn man sich noch an Hinterteilen seiner Mitmenschen erfreuen kann, lebt man noch *g*

Was mich dennoch irritiert hat, und das sehe ich irgendwie als grob an, ist folgendes:
Leokardia führt die Tasse langsam hoch zum Mund. Meine Hand zittert heute morgen kaum.

Entweder ich schreibe aus einer Perspektive, in der ich Leokardia betrachte und ihre Handlungen beschreibe, oder aus der "Ich"- Perspektive. Denn im vierten Satz wechselst du erneut die Perspektive. Das ist verwirrend und ich musste das mehrfach lesen, um zu begreifen, was du ausdrücken willst.

Tom

PS: Absätze wären schön...
PS2: Ich habe deine Geschichte gerade noch einmal gelesen. Und für mich habe ich festgestellt, dass es dem Fluß gut tut, wenn man die wörtliche Rede immer an den Anfang einer neuen Zeile setzt. Also ich komme damit besser zurecht...
**********Engel Frau
25.343 Beiträge
Gruppen-Mod 
@*******Wild
Ein sehr netter Einblick in ein Altenheim, der mich schmunzeln ließ.
Wirklich schön! Und in diese Szene mitnehmend; ich saß dort auch an einem Tisch als Beobachterin.

Anfangs hast Du Dich leider in den Zeiten etwas vertan, da war kurz Vergangenheit, dann wieder Gegenwart.
Und in wörtlicher Rede werden "du", "sie", "ihnen" etc. nicht groß geschrieben. *g*

@**m
Grusel... verdammt, wie gehts weiter?!!
Sehr realitätsnah und von daher noch grausliger. Es könnte ja so geschehen...
Ich warte gespannt auf die Fortsetzung!

Ein kleiner grober Fehler ist Dir unterlaufen:

Der Plan war, das Auto aus der Garage zu holen, ohne den Plünderern in die Hände zu fallen. Dann zu Mutter brausen. Das Problem war: Womit? Aus dem Fenster hatte ich beobachtet, dass meine Kutsche keine Räder und Scheiben mehr hatte, so wie alle Autos auf der Straße.

Steht das Auto nun in der Garage oder auf der Straße?
It´s me!
*********ld63 Frau
8.186 Beiträge
Danke ...
... für Lob und Kritik :-)) freu mich über beides gleichermassen!!

Das war die erste Geschichte nach einer längeren Blockade und ich hab sie in einem Schub runtergeschrieben und nicht genau genug korrigiert, deshalb auch keine Absätze.

Ja, stimmt, wegen dem Perspektivewechsel: das war nicht konsequent... und das Einhalten einer Zeit auch nicht....

Dafür, dass es aber die erste ist, die so öffentlich im Netz steht, ist es ganz Ok *ggg*
Liebe Grüße, Into
eyes002
******ace Mann
15.955 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Holla
die Waldfee heißt: Gefallener Engel. Kruzifix, das ist ein Thema für einen eigenen Strang: Wie vermeide ich immer dieselben Fehler. Ääääh die gleichen. Da kannst du lesen, sooft du willst. Wenn die Geschichte im Kopf zementiert ist.... das geht nicht weiter so.

Gemäß Tante Sophie, der Krippenleiterin:
"Mach das weg, das quält sich nur!"


Tom
**********Engel Frau
25.343 Beiträge
Gruppen-Mod 
Heute werden die neuen acht Wörter erst um 22 Uhr eingestellt.
Die von mir Auserwählte schafft es leider nicht früher.

Wir bitten um gnädige Nachsicht. *g*
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