Anders
Ich habe vor einiger Zeit mit einer Geschichte begonnen und beim Wiederdurchlesen festgestellt, dass ich unbemerkt von der Ich-Form in eine andere Betrachtungsebene gewechselt habe. Im Prinzip gefällt mir das, es fühlt sich richtig an, aber ich weiß nicht, wie ich diesen Übergang für den Leser deutlich machen kann, zumal die Grenze zwischen Eigen- und Fremdbetrachtung fließend ist.Deshalb würde ich Euch bitten, diesen Teil der Geschichte zu lesen und mir Tipps zu geben, wie ich den Wechsel umsetzen kann. Ich möchte anschließend wieder zur Ich-Form zurückkehren, diesen Wechsel ggf. öfter vollziehen. Wie stelle ich das dar? Evtl. durch Kursivschrift? Welche Mittel stehen da zur Verfügung?
Niemand sagte mir jemals, mein Vater sei im Himmel. Meine Stammfamilie war der sicheren Überzeugung, dass er zur Hölle gefahren sein müsse. Er starb am 6. Januar 1956, zwei Tage nach meinem zweiten Geburtstag. An Leukämie, unerkannt bis kurz vor seinem Tod, während er auf Leberzirrhose behandelt wurde, nachvollziehbar bei einem Mann, der täglich zwei Kästen Bier konsumiert haben soll. Meine bewusste Erinnerung setzt erst kurz nach seinem Tod ein, und so blieb die Person, die er tatsächlich war, für mich eine Gestalt in dichtem Nebel, dessen Schleier nur punktuell gelüftet wurde durch die Erzählungen meiner Familie. Kolportierte Geschichten, die ich immer wieder hörte, und deren Wahrheitsgehalt ich nie überprüfen konnte, hinterließen bei mir den Eindruck, der Mann, der mich gezeugt hatte, hätte über magische Kräfte verfügt.
Als Jugendlicher wurde er von seinem Vater in ein weit entferntes Erziehungsheim gebracht. Prompt ausgerissen war er auf unerklärliche Weise schneller wieder zuhause als der Vater mit dem Auto. Später fälschte er Zwei-Mark-Stücke, und zwar so schlecht, dass er dafür ins Gefängnis kam. Seine Frauengeschichten waren Legion. Mindestens zwei weitere Frauen hatten ein Kind von ihm, meine älteren Halbgeschwister, die ich niemals kennenlernte. Meine Frage, warum er ausgerechnet meine Mutter heiratete, blieb immer unbeantwortet. Ich habe eine Geburtsurkunde, die mich als eheliches Kind ausweist. Nach dem Tod meiner Mutter fand ich die Heiratsurkunde, aus der hervorging, dass meine Eltern erst ein Jahr nach meiner Geburt heirateten. Adoptiert wurde ich nie. Wie hat er es geschafft, mich als eheliches Kind eintragen zu lassen? Zur damaligen Zeit ein Unding. Hat er jemanden geschmiert oder bedroht oder einfach nur mit seinem Charme überzeut?
Ein schwarzes Schaf war er, ein Tunichtgut der übelsten Sorte, Säufer, Raufbold, Weiberheld, Spieler, Kleinkrimineller, der nichts aus seinem Leben gemacht hatte. Der seinem dominanten Vater den Rücken kehrte und sich lieber als Maurer durchschlug, als in den elterlichen Verlag einzutreten, wo er den ganzen Tag unter der Knute des Alten gestanden hätte.
Eine Ausländerin heiratete er, nachdem er sich von ihr ein Kind andrehen ließ! Eine, die während des Krieges aus Weißrussland hierherkam. Man weiß ja, was das für welche sind. Eine solche Mesalliance gab es in dieser Familie noch nie.
Und jetzt, nachdem er tot ist, hat man auch noch den Bankert aus dieser unglücklichen Verbindung am Hals, weil die Mutter arbeiten muss und sich nicht um das Kind kümmern kann. Nun, es ist Blut von seinem Blut, und man wird sich nicht nachsagen lassen, dass man sich nicht gekümmert hätte. Aber man kann sich ja zumindest einmal erkundigen, ob es nicht ein passendes Waisenhaus gibt, wo man das Kind unterbringen könnte, statt sich tagtäglich selber damit abzumühen.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, das ist schon früh erkennbar. Unangepasst, unzumutbar und peinlich ist dieses Kind, genau wie der Vater.