Beinbruch
Es war der elfte November, St. Martin. Ein trüber, regnerischer Nachmittag.
Als der recht korpulente Mann das Hotel betrat und sich zur Rezeption begab, grinste der Hotelbesitzer ihn an.
Er kannte seine Pappenheimer.
Die Gäste, die immer mal für eine oder mehrere Stunden in seiner Absteige in der Straße gleich parallel zu den Bahngleisen nahe des Hauptbahnhofs landeten.
Häufig mit einem der blutjungen Dinger vom Straßenstrich um die nächste Ecke. Manchmal konnte sie kaum laufen in ihren furchtbaren hohen Highheels mit ihren streichholzdünnen Beinen. Taumelten mit glasigem Blick.
Unter ihren Augen zeichneten sich Schatten ab, zusätzlich zu dem dunklen Augenmakeup, das grotesk ihre ausgemergelten Züge unterstrich.
Die Freier zahlten stundenweise und steckten ihm immer mal einen Zehner zu, damit er die Diskretion wahrte.
Einige kamen als Liebespaare. Gepflegt gekleidet, eng umschlungen, albern kichernd, verliebt turtelnd; Seitensprung-Hotel.
Dieser hier kam immer allein. Er führte stets einen Rucksack mit sich, verlangte immer dasselbe Zimmer; Nummer 110. War er Polizist? Oder war das sein Geburtsdatum, seine Glückszahl? Was ihn hertrieb, interessierte den Inhaber nicht. Bett und Dusche waren stets unbenutzt und er blieb maximal eine Stunde.
Der Mann, der in einen dunkelgrauen Trenchcoat gekleidet war, trug den Rucksack aus tarnfarbenem Leinenstoff an nur einem Trageriemen über der linken Schulter.
Er zahlte den üblichen Preis für die obligatorische Stunde, rannte dann eiligen Schrittes die knarrenden Holzstufen hinauf in den ersten Stock, mit einer Geschwindigkeit, die man seinem massigen Körper kaum zugetraut hätte.
Rechts durch den langen Flur über den zerschossenen Teppich, unter dem altersschwache Holzdielen knarrten, gelangte er zur Zimmertür.
Nun schloss er mit zittrigen Fingern das Hotelzimmer auf und blickte angewidert geradeaus auf die geschmacklosen froschgrünen Vorhänge; die Farbe schmerzte wie jedesmal in den Augen.
Zu Hause konnte er seine Spielchen nicht durchführen. Da gab es keine Rollläden an den Fenstern. Nur leichte Jalousien aus Plastik. Die Schnüre waren für seine Zwecke nicht stabil genug.
Hier im Hotel gab es stabile Rollladengurte.
Außerdem hätte seine Frau ihn in der Wohnung dabei ertappen können, dass er sich Nylonstrumpfhosen anzieht oder damit herumläuft.
Der Mann legte seinen Mantel auf das Bett und entledigte sich auch seiner übrigen Bekleidung; lediglich ein schwarzglänzendes Unterhemd behielt er an. Die Kleidungsstücke legte er ordentlich auf den Mantel, die Schuhe stellte er vor dem Bett ab und legte den rechten Socken auf den rechten, den linken Socken auf den linken Schuh.
Aus einem verborgenen Innenfach des Rucksacks entnahm er ein kleines schwarzes Bündel, das sich beim Auseinanderziehen als Strumpfhose entpuppte.
Anschließend trug er den mit dunkelgrünem, an einigen Stellen durchgewetzten Stoff bezogenen Stuhl direkt vor das Fenster, ließ sich ächzend darauf nieder und streifte mit vorsichtigen Bewegungen die schwarze Nylonstrumpfhose über seine stämmigen, stark behaarten Beine.
Er genoss das Knistern des Stoffes und die leichte statische Aufladung, die sich beim Hochziehen über den Haaren bildete, kam allerdings in der vornübergebeugten Haltung ziemlich außer Atem.
Schnaufend setzte er sich aufrecht, hob kurz das Gesäß, um die Strumpfhose hochzuziehen, beugte sich dann nur so weit nach vorne, damit er den Rollladengurt zu fassen bekam. Diesen zog er dann gerade in der Länge heraus, die ihm ausreichte, eine Schlinge zu machen.
Diese zog er über den Kopf, um sie dann so um seinen Hals zu legen, dass sie sich bei geringer Verstärkung des Zuges immer ein wenig mehr zuziehen und effektiv die Blutzufuhr zum Kopf unterbinden würde.
Das war es, was ihm den ultimativen Kick verschaffte!
Das beginnende Schaukeln des Stuhles, vor und zurück, dieses währenddessen zunehmende Schwindelgefühl, immer bis knapp vor der Bewusstlosigkeit. Die Steigerung seiner Erektion, sobald sich der Gurt kräftiger zuzog und es ihm ein wenig schwarz vor den Augen wurde.
Und das Wiedergewinnen der Kontrolle beim bewussten Nachlassen des Zuges, indem er das Gewicht ein wenig nach vorne verlagerte, damit der Stuhl wieder in seine stabile Position gelangte.
Und sein Höhepunkt beim maximalen Zuziehen des Gurtes...
Zunächst rutschte er nun, wie üblich, ein ganzes Stück nach hinten, so dass sich das Gurtband straffte; sein Blick blieb dabei dem Fenster zugewandt.
Während sich der Druck um seinen Hals allmählich verstärkte, spürte er das Blut in seinem Penis pulsieren.
Er führte seine Hände über die Strumpfhose und genoss das Knistern des Nylonstoffes, schob dann die Hose vorne herunter, so dass sein Penis und sein Hoden frei lagen und durch den Gummibund der Strumpfhose ein wenig abgeschnürt wurden.
Dann begann er mit dem Wippen. Zunächst ganz vorsichtig, auf den beiden hinteren Stuhlbeinen des hölzernen, mit stellenweise abblätterndem, mahagonifarbenem Lack gebeizten Möbelstücks.
Immer weiter lehnte er sich nach hinten, sein Lustempfinden wuchs um ein Vielfaches im Verhältnis zur Zunahme des Drucks auf seine Halsschlagader und seinen Kehlkopf.
Sobald er die maximale Position der Gurtlänge erreicht hatte, schaukelte er, nach Luft schnappend und einer Ohnmacht nahe, wieder nach vorne.
Immer ein wenig fester zog sich das Gewebe um seinen Hals zu, mit jeden Verlagern des Gewichtes nach hinten.
Mit einem plötzliches Knacken brach eines der Stuhlbeine aus seiner Verschraubung, so dass der Stuhl weiter nach hinten in die Schräglage geriet.
Der Mann begann zu zappeln, um seinen Körper nach vorne zu verlagern, doch so sehr er sich auch bemühte, er hing regelrecht in der Falle. Es gelang ihm auch nicht, sich mit den Händen am Gurt festzuhalten, der rutschte ihm durch die schwitzigen Finger, er fuchtelte wild mit den Armen, wurde jedoch zusehends schwächer.
Einen Moment lang versuchte er, den Druck auf seinen Hals, das Gefühl von Schwindel und Atemnot und die dadurch gesteigerte Lust weiterhin zu genießen, bis ihm bewusst wurde, dass der Zug der Schlinge außer Kontrolle geriet.
In Panik immer heftiger zappelnd manövrierte er sich um so schneller in die tödliche Umklammerung.
In ihm keimte ganz kurz die Hoffnung, dass der Gurt durch das Gewicht seines massigen Körpers zerreißen oder dass die Rolle aus dem Kasten oberhalb des Fensters herausspringen wird.
Zuletzt durchzuckte ihn noch blitzartig der Gedanke an einen Entfesselungskünstler, der sich wohl in einer solchen Situation mit einem Zaubertrick aus dieser misslichen Lage befreit hätte.
Dann schwanden ihm vollends die Sinne...
Hauptkommissarin L.L. (Anm. der Verfasserin: die Ermittlerin aus meinen bisherigen Kriminalgeschichten) trat an die Rezeption und blickte auf den dort zitternd und leichenblass hinter dem Tresen versunkenen Hotelinhaber. Sie hielt ihm ihren Dienstausweis vor die Nase und ließ ihn berichten.
„Er kam fast jede Woche, meist Montagnachmittag und war immer nur höchstens eine Stunde in dem Zimmer,“ stammelte dieser, „als er heute nach fast zwei Stunden noch immer nicht herunterkam, schaute ich nach. Ich klopfte mehrmals an und rief. Es meldete sich niemand; das Zimmer war abgeschlossen. Als ich es dann mit dem Generalschlüssel öffnete fand ich ihn.
Er hing an dem Gurt in dem Stuhl in Schräglage, das eine Stuhlbein war nach innen geknickt. Er war völlig blau angelaufen, seine Zunge hing heraus. Nein, nein, ich habe nicht mehr versucht, ihn wiederzubeleben. Ich ließ ihn so hängen und rief die Polizei.
"Tja, ich glaube nicht, dass er sich auf diese Art erhängen wollte.“ resümierte L.L.
"Das war kein Suizid. So etwas nennt man „Autoerotischen Unfall“."
Mal ganz knapp, der nächtliche Musenkuss ereilte mich fast in letzter Minute
Außerdem finde ich es beängstigend, welche Assoziationen bei mir durch die Wörter immer entstehen!