Der Butterfly-Effekt
Der Butterfly- Effekt© 2014 by TRB
Es begann, wie es immer beginnt. Klein und bescheiden. Kaum wahrnehmbar. Und niemals für alle sichtbar. Bestenfalls für Einzelne. Und dann stellt sich immer noch die Frage, ob die, die es sehen können, auch verstehen, worum es geht.
Bei mir war das ein unglückliches Zusammentreffen. Und zwar von Beruf, Gelegenheit und Einstellung. Ich muss dazu ausholen.
Mein Name ist Richard Stark. Ich bin Privat- Detektiv. Eine Art nichtamtlicher Ermittler. Mein Kundenkreis besteht aus Ehefrauen, Ehemännern und Firmen-Inhabern. Die wollen immer das gleiche. Wer fickt mit wem? Und vor allem: Warum? Betrügt jemand die Firma, und zwar für wie viel?
Mein tägliches Brot für viele Jahre. Dann kam ein Wandel. Die Schwerindustrie interessierte sich für private Ermittler. Und irgendwann klopfte ein Münchner Verein bei mir an die Tür. Und wenn man erst einmal intern für Krauss-Maffei ermittelt hat und auch noch erfolgreich war, standen einem Tür und Tor offen. Der Name wird „gehandelt“. Das war gut. Und schlecht zugleich. Gut, weil man sich Luxuskarossen leisten kann, die vorher Traumautos waren, schlecht, weil man von den Gegnern auch gern einmal verfolgt wird. Und die, über die wir hier reden, werfen nicht mit Erbsen.
Und genau deshalb lebte ich seit ein paar Monaten in einem Kuh-Kaff in Nordwest- Deutschland zwischen Meppen und Papenburg. Am Arsch der Welt. Warum? Ganz einfach. Ich enttarnte mehrere verdeckte Mitarbeiter für ein russisches Konsortium in einem deutschen Bankunternehmen. Mehrere Leute im selben Verein in Schlüsselpositionen. Mit perfekter Vita.
Und wie schlau sie das eingefädelt hatten. Auf mehreren Ebenen. Ein Analyst, ein paar Broker, ein paar Verwalter von Hedge-Fonds. Im Geiste konnte ich sehen, wie alle Mitglieder der Verschwörung bei ihren Treffen die Bonjour-Tröpfchen in der Hose hatten.
Für die, die nicht wissen, was Hedge-Fonds sind. Mein Opa hat das immer mit Truthähnen verglichen. So ein Truthahn kommt zur Welt. Er ist glücklich und zufrieden wie Bolle. Er hat genug Auslauf, jede Menge Spielkameraden um sich, seine Eltern immer in der Nähe und bekommt von den Menschen immer genug und pünktlich zu fressen.
Fragte man einen jungen Truthahn, er würde immer sagen, dass sein Leben ein Traum wäre. Und sein zukunftsorientiertes Weltbild zu den Menschen wird jeden Tag aufs Neue gestützt, genährt und positiv bestätigt. Nähme der Truthahn den Ist-Zustand als Maßstab, müsste seine Zukunft golden und strahlend wirken. Nur… eines Tages ist Thanksgiving. Und der Präsident rettet immer nur einen Truthahn vorm Grill, aber nicht alle.
So ist das auch mit Hedge-Fonds. Dort „oben“ kursieren Billionen von Dollars und Euros, die nie gedruckt worden sind. Sie werden aber gefüttert und beworben wie Truthähne; sie wachsen und gedeihen. Im Gegensatz zu den Truthähnen gibt es dieses Geld nicht wirklich. Es ist quasi in „high rotation“. Aber, und das ist das Wunder, durch Leveraging und Leerkäufe, also Beschiss, kann man das Geld abschöpfen und auf Sonderkonten umleiten. Besonders beliebt sind Stiftungen, deren Finanzsitz auf den Cayman Islands liegt. Dort geschieht das Wunder. Theoretisches Geld wird durch Beschiss in harte Währung umgewandelt und kann sogar in Koffern abgeholt werden. Letztendlich bedeutet das, dass die Banken und deren Schergen nichts weiter darstellen als das, was man früher rückständigerweise „Buchmacher“ bei den Pferdewetten nannte.
Nur dass man beim Derivate-Handel mittlerweile nicht mehr weiß, welches Pferd gerade Läuft. Oder wo. Oder ob. Man weiß auch nicht, ob es einen Jockey gibt. Man weiß auch nicht, an welchem Tag zu welcher Stunde das Rennen läuft. Alles, was man beim Derivate-Handel weiß ist, dass der Gewinn 10 % betragen KANN. Den meisten reicht das schon. Da kann einem schon das Lachen im Gesicht gefrieren, denn dieses Gesindel hauste noch vor Jahren auf dem Jahrmarkt in einem Zelt mit einer Glaskugel auf dem Tisch.
Mir gefror auch das Lächeln, als ich in meinem neuen Dorf beobachtete, wie der Typ, bei dem ich erst vor wenigen Wochen ein Konto eröffnete, Mittwochmittag strammen Schrittes, das Handy am Kopf, in die Kirche rannte.
Das allein wäre kein Problem gewesen, wäre der örtliche Gottesvertreter, ebenfalls das Handy zwischen Kopf und Pfaffenhütchen, nicht direkt hinter dem Banker im Kirchenschiff verschwunden. Und ich bin ein neugieriger Mensch.
Man hört immer von knarrenden Kirchenportalen, aber das stimmt nicht. Es kommt vor, das ist etwas ganz anderes. Hier war es nicht so. Zwar öffnete ich vorsichtig das nur angelehnte, schwere Portal, aber es bewegte sich lautlos. Niemand war zu sehen. Ich fragte mich, was mein Bankmann und der Priester zu telefonieren hätten?
Was auch immer, hier waren sie nicht mehr. Neugierig schritt ich, auf Geräusche oder Stimmen achtend, durch den Mittelgang. Ich hatte zwar keinen Auftrag, aber Neugier ist mir in die Wiege gelegt worden. Fast vor dem prachtvollen Altar aus schneeweißem Marmor und goldenen Ornamenten angekommen, hörte ich leises Gemurmel. Aus dem Seitenschiff. Dort stand der Beichtstuhl.
Ein letzter Blick in die Runde. Jesus am Kreuz hing wie ein Fanal der Prunksucht über dem Altar. Drei Meter groß, fast drei Meter breit. Ein leidendes Gesicht, blutende Hände, eine blutende Stirn. Die Dornen seiner Krone blitzten wie Diamanten auf seinem Haupt.
Ich wollte mich gerade abwenden, aber meine Instinkte schlugen an. Eine Statue drei mal drei Meter mochte so um die 300 Kilogramm wiegen. Denn sie wäre sicherlich nicht aus Vollmetall. Selbst aus Holz, das man auch mit Blattgold belegen konnte, wäre sie nicht schwerer als 400 Kilo. Dafür musste man höchstens zwei Drahtseile zu halten nehmen, die nicht dicker als einen Zentimeter waren.
Ich sah hinauf zur in Gold und Blau- Tönen gehaltenen Decke. Gut übermalt war dort in die Metallstruktur ein Rechteck aus Stahlträgern eingefügt worden. An jeder Ecke war ein vier cm dickes Stahlseil befestigt worden, das die Jesus- Figur über dem Altar schweben ließ. Reichlich übertrieben. Katholiken…
Ich näherte mich dem Beichtstuhl. Die Stimme wurde deutlicher.
„Nein, ich kann das nicht mehr.“
„Blödsinn. Du machst das jetzt seit Jahren. Was ist passiert?“
„Nichts. Aber es ist nicht Richtig, was wir tun!“
Gedankenschwere Pause. Ich kannte beide nicht wirklich, aber der Haltung bei der Ankunft nach zu urteilen, hatte der Banker eine Sorge und der Priester wollte beschwichtigen. So weit, so gut. Aber die Frage blieb: Was machte einem Banker Sorgen, das ein Priester nicht ernst nahm? Wollte ich das wirklich wissen? Ich blieb.
„Hören sie, sagen sie bitte dem Boss, dass ich aufhöre. Er hat gesagt, ich kann das, wann immer ich will.“
„Das stimmt, Peter, aber findest du nicht, dass du es dir zu einfach machst? Jahrelang kassieren, ein Haus bauen, ein zweites, immer das neueste Auto, Geld im Ausland, Frau und Kinder wohlgenährt und sicher. Du bist abgesichert für den Rest deines Lebens. Jetzt die Löffel hin zu werfen, finde ich nicht richtig.“
Peter schwieg. Der Priester hatte den Punkt getroffen, wie es schien. Anscheinend kannten sie sich schon länger. Und der Punkt, der mir aufstieß war, dass der Geistliche bessere Kontakte zu haben schien, als mir klar war. Bestimmt war alles nur harmlos. Ich mit meinem Verschwörungs- Gehabe vermutete wieder irgendein verschwobeltes Geheimnis. Deshalb ging ich. Nicht, ohne einen weiteren, erstaunten Blick auf die dicken Drahtseile zu werfen, die das Kreuz hielten.
Auf dem Nachhauseweg ging mir das Gespräch nicht aus dem Kopf. Ein Priester, der sich aufführte wie ein Mittelsmann und ein Sünder, der aussteigen wollte. Seltsame Konstellation. Meine Phantasie häufte Wolken von Gründen auf, was sich dort abgespielt haben könnte. Das Leben war kein Zuckerschlecken und es gäbe von hart bis zart viele Möglichkeiten, dort erfolgreich zu ermitteln, aber ich hatte den Mut und die Vernunft, meine Gedanken zu unterdrücken. Jedenfalls solange, bis mich jemand dafür bezahlen würde, mir Gedanken zu machen.
Der nächste Morgen war zunächst sehr entspannt. 5:45 Uhr aufstehen, Katze füttern, Kaffee machen. Der morgendliche Gang, duschen und bei Musik von Pink Floyd Garderobe aussuchen. Andere Menschen würden lachen, aber „aussuchen“ ist nicht das richtige Wort. Tauschen würde es eher treffen. Ich hatte 16 Sätze Klamotten. Alle dieselben. Schwarze Einsatzhose aus wasserabweisendem Stoff, ein schwarzes Hemd, ein schwarzes Jackett. Schwarz war meine Farbe. Und sie war und ist universell. In Schwarz kann man ins Kino gehen und auf ein Bankett. Man kann damit in Clubs und Discos, aber auch ins Theater. Man sah nicht aus, wie ein Penner und nicht aus, wie ein Mode-Freak. Unauffällig war das Wort. Unauffällig und zweckmäßig. Für alle Fälle hatte ich im Kofferraum noch eine Splitterschutzweste, eine Einsatzweste und eine Krawatte. Und für Notfälle noch ein paar Knallbonbons. Also zog ich, wen wunderts, einen neuen Satz schwarze Sachen an. Dann kurz vor die Tür. Die Sterne waren längst verschwunden und die Sonne lachte vom Himmel. Eine seltene Konfiguration war entstanden, denn der Mond war noch da. Blass schwebte er über dem Horizont und sein Bild schwand im Lichte der Sonne zusehends. Ich nahm die Zeitung aus dem Korb und schlurfte zurück ins Haus.
Ich liebte den Duft von Kaffee, der einem morgens um die Nase fächelte. Er versprach jedes Mal, dass dieser Tag der beste des Lebens sein würde. Wenn man ihn ließ…
Ich schlug die Zeitung auf. Ein Berg von Neuigkeiten. Putin als „Desputin“ und als „Kriminator“ bezeichnet. Die Medien waren wie die Geier. Aber die Wahrheit traute sich niemand zu schreiben. Wegen des Gases vielleicht, das unser Ex-Vollidiot Schröder uns aus Russland beschert und ihn gleichzeitig reich gemacht hat. Die Wahrheit.
Ich dachte darüber nach, was wohl wäre, wenn in Bayern alle Österreicher danach rufen würden, dass sie als österreichische Bürger darauf bestehen würden, dass Bayern ins österreichische Staatsgefüge eingegliedert werden soll. Sie rufen quasi um Hilfe, weil sie zu faul und zu dämlich sind, nach Österreich ziehen zu wollen. Der österreichische Staat nun schickt massenweise bewaffnete Soldaten. Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, und postiert sie an strategischen Stellen. Polizei, Kasernen, Flughäfen, Ämter, Verkehrsleitzentralen, Bahnhöfe, Bushaltestellen und so weiter. Nach und nach kommen immer mehr. Gleichzeitig sickern Agenten ins Land. Menschen, die nur die Aufgabe haben, Stimmung gegen Deutschland und Bayern zu machen. Sie sind so gut, dass sie die Stimmung im Lande richtig aufheizen. Sie gehen demonstrieren, singen die österreichische Hymne, hissen überall vor den fassungslosen Bayern die österreichische Flagge und nehmen das Land quasi gewaltlos ein. Dann wollen sie wählen. Und siehe da, alles ist schon vorbereitet, von der Wahlurne bis zum Stimmzettel und der Einteilung der Lokale. Ein Wunder? Nein. Ich nenne das einen Überfall. Die neue Art Terrorismus. Ein Wunder wäre, wenn die dicken Stahlseile in der Kirche Lattenjupp fallen ließen. Das Ding auf der Krim ist ein von langer Hand vorbereiteter, terroristischer Akt.
Ich blätterte um. Unter Lokales stand: Peter H. Steber, Chef der örtlichen Polizei, hatte sich in seiner Küche aufgehängt. Ein bewegender Abschiedsbrief war gefunden worden, in dem der hochdekorierte und allseits beliebte Chef der Polizei persönliche Probleme anführte.
Persönliche Probleme? Dieser Typ, der mich da aus der Zeitung anlächelte, stand gestern noch zu Tode betrübt vorm örtlichen Priester und wollte aus irgendetwas aussteigen. Meine Stirn zog sich in Falten. Was war das denn? Sollte nicht der Polizeichef mächtiger sein, als der Bibeljodler? Macht. Ein seltsames Wort. Unzweifelhaft übte der Pfaffe Macht aus. Machtausübung funktioniert nur, wenn der, auf den Macht ausgeübt wird, das als eigene Fähigkeit oder Vermögen anerkennt und vertritt. Und daraus wollte der Oberbulle wohl aussteigen. Und jetzt ist er tot. Von eigener Hand? Niemals. Ich fürchte, ich würde allein aus Neugier weiter ermitteln müssen. Ein tiefer, dunkler Abgrund hatte sich vor mir aufgetan. Und ich starrte neugierig hinein.