Da ist er wieder – ihr Berg voller Probleme.
Kaum aufgewacht, schon beginnen wieder diese bangen Fragen. Welchen Designer trage ich heute? Habe ich überhaupt einen Passenden im Kleiderschrank? Welches meiner hundert Paar Schuhe soll ich anziehen? Manolos, Louboutins, ganz andere? Welche Tasche? Dior, Gucci, Bulgari? Wie sehen meine Haare aus? Habe ich noch genug Zeit, sie mir stylen zu lassen? Welchen Lippenstift kann ich heute benutzen? Wie werde ich diesen Tag überstehen? Wann ist das Meeting mit den Mädels?
Das Leben ist aber auch hart zu so einem netten Mädchen wie sie eines ist.
Manch einer würde über ihre sogenannten Sorgen lachen, aber nur jemand, der es nicht besser weiß.
Jeden Tag diese öden Entscheidungen! Jeden Morgen dieser Terror, perfekt frisiert, gekleidet und bis in die Zehenspitzen durchgestylt sein zu müssen. Weil schon wieder diese elenden Paparazzi hinter ihrem gut gesicherten Tor lauern. Sie werden sie wieder durch die ganze Stadt verfolgen und sich nicht abschütteln lassen. Versuche, diese lästigen Zeitgenossen loszuwerden, hat sie längst aufgegeben.
Auch Unterlassungsklagen nutzten nichts, denn sie ist ja eine öffentliche Person und damit hat sie jedes Recht auf ein unbeachtetes Leben aufgegeben.
Ach, wie sehr beneidet sie die Frauen, die morgens nur mit einem Pferdeschwanz, ungeschminkt und in Jogginghosen zum Einkaufen gehen können. Die nicht bei jedem Bissen die Kalorientabelle vor Augen haben. Die nicht die Vorgabe haben, auf gar keinen Fall auch nur einen Zentimeter an Umfang zuzulegen.
An manchen Tagen isst sie nur einen Apfel über den ganzen Tag verteilt. Die Modeschöpfer sind gnadenlos. Die Größen werden immer schmaler.
Eine normalgewichtige Frau hat in diesem Job keine Chance, selbst mit Größe 36 gilt Frau als „zu dick“. Magersüchtig darf man aber neuerdings auch nicht mehr aussehen, was also tun? Workouts über viele Stunden, damit zumindest eine kleine Muskelmasse erhalten bleibt. Zuviel trinken geht auch nicht, man kann ja schließlich bei den Anproben nicht ständig verschwinden. Bleibt noch das Rauchen oder andere Drogen, aber das ist mittlerweile gesellschaftlich geächtet, kein gutes Vorbild – scheidet also aus!
Doch genau so ein Dasein hat sie sich früher gewünscht. Schön, reich, berühmt, bekannt im ganzen Land und darüber hinaus. In welchen Leben war das noch einmal?
Was war sie damals dumm gewesen! Zu gerne würde sie eine Zeitreise zu ihrem jungen Ich unternehmen und diesem warnend ein „Tu es nicht!“ zurufen.
Sie vermisst ihre alten Freundinnen, mit denen sie damals die Hochglanzmagazine durchgeblättert und mit denen sie gemeinsam von einem Leben im Jet-Set geträumt hatte. Hätte sie damals gewusst, dass sie trotz ihres Reichtums immer hungrig sein würde (was nutzen Einladungen in die teuersten Restaurants der Welt, wenn man nur etwas Salat möglichst ohne Dressing essen darf?), dass sie einsam trotz ständiger Menschenmassen um sich herum wäre und, dass sie niemanden mehr hätte, der ihr die Wahrheit sagt , sie hätte diesen Weg vermutlich nicht gewählt.
Gerne hätte sie einen anständigen Mann an ihrer Seite, der sie nur ihretwegen liebt und nicht wegen ihres Geldes oder ihres Bekanntheitsgrades. Einen Mann, der sie anhimmelt und nicht sich selbst, so wie ihre männlichen Kollegen oder die zumeist superreichen Machos, die bei den Modewochen die Haute Couture für ihre Frauen oder Mätressen einkaufen ohne nach dem Preis zu fragen.
Würde sie je wieder so einen Mann wie ihrem damaligen Freund finden? Herzenslieb und völlig uneitel? Wohl eher nicht!
Was für ein Leben führt sie denn da? Sie geht in den heißen Phasen nach durchgefeierter Nacht meist erst mit den ersten Sonnenstrahlen zu Bett, um dann abends im glühend heißen Scheinwerferlicht und im Blitzlichtgewitter auf den roten Teppichen dieser Welt eine gute Figur zu machen.
Damit Mann sich mit ihr schmücken kann.
Nichts anderes sind ihre „Beziehungen“ seitdem sie dieses Leben gewählt hat. Unechtes Lächeln in die Kameras, ein gefühlloses Bussi hier und da und manchmal zur dringenden Triebbefriedigung eine schnelle Nummer zwischen zwei Auftritten. Für mehr bleibt keine Zeit. Ein tolles Leben! Ironie-Schild!
Ihr eigentliches Wesen verkümmert immer mehr im Schatten ihrer neuen Persönlichkeit. Ab und zu begehrt es noch auf, will barfuß durch den Regen laufen oder nachts um drei auf einer Wiese liegend in den Sternenhimmel schauen (egal, ob ihre Frisur oder ihr Aussehen darunter leidet). Doch dieses Stimmchen wird immer leiser.
Ein perfektes Gesicht im Spiegel, kunstvoll hochgetürmt das Haar, die Handtasche und Schuhe passend zur Garderobe. It`s Showtime! Der Plebs verlangt nach Neuigkeiten über sie. Vor der Haustür atmet sie tief durch, nimmt ihren ganzen Mut zusammen um dieser Bestie Informationsrecht ins grausame Auge zu blicken. Sie strafft die Schultern, tritt nach draußen in die wartende Meute.
Wolken verhangen ist der Himmel, ein sanfter warmer Sommerschauer erwartet sie, ebenso wie die zahlreich versammelte Presse. Ihre zahlreichen Lakaien reißen sich darum, sie zu beschirmen.
Zum Teufel mit ihnen allen! Sie ist reich genug! Sie lässt sich nicht mehr gängeln! Sie hat genug Kontakte in andere Bereiche geknüpft! Sie will so nicht mehr leben!
Einem inneren Drang nachgebend kickt sie ihre teuren Louboutins von ihren Füßen, spürt das satte quietschende Nass des Rasens unter ihren Füßen.
Was für ein herrliches Gefühl!
Sie beginnt durch den Regen zu rennen und freut sich wie ein kleines Kind. Sehr schnell hängt ihr Haar klatschnass auf ihren Schultern, das Makeup zerrinnt und das - ein kleines Vermögen kostende - Kleid klebt wie ein nasser Sack an ihrem Körper. Sie rennt und rennt um ihr inneres wirkliches Wesen vor dieser Person, zu der sie über die Jahre geworden ist, zu retten.
Die Regenbogenpresse ist begeistert. So durchgeknallt hat man das weltberühmte Topmodel noch nie gesehen. Steht vermutlich unter Drogen oder warum benimmt man sich sonst so „crazy“? Die Fotos und die Berichterstattung werden ihnen ein Vermögen einbringen. Gnadenloses Dranbleiben lautet nun die Devise!
Armes reiches Mädchen.