Alltag
Ich traue mich heute mal, meine erste Geschichte einzustellen und hoffe auf konstruktive Kritik.Ich komme gerade mit einem Korb voller Schmutzwäsche aus dem Bad, als Du zur Tür hereinkommst, Deinen Pilotenkoffer abstellst und die Unterlagen, die Du noch auf dem Arm hast, auf den Esstisch gleiten lässt. Deine Baustellenstiefel hinterlassen schwarze Schlieren auf dem frisch gewischten Fliesenboden.
„Hallo Schatzi, Du bist ja auch schon da“, sage ich erstaunt, denn ich habe noch nicht mir Dir gerechnet. „Du bist die ganze Zeit da und hast es noch nicht einmal geschafft, die Post hereinzuholen“, ist Deine Antwort. Einen Gruß ersparst Du Dir. „Ich bin gerade erst vom Einkaufen gekommen und hatte die Hände voll“, verteidige ich mich. Warum muss ich mich eigentlich immer verteidigen? „Deine Ausreden interessieren mich nicht, besser wäre es, Du tust das was ansteht!“
Ich merke, wie mein Körper sich verspannt. Wenn Du mit Deinen Arbeitnehmern auch so reden würdest, wären Deine Projekte vielleicht erfolgreicher und würden ein einträgliches Einkommen abwerfen. Aber diesen Ton anzuschlagen, schaffst Du nur mir gegenüber. Weil wir gerade dabei sind, streiten wir uns über meine Einkäufe. Du wirfst mir vor, dass ich gemäß dem Rezept, das Du mir vorgelegt hast, für das Ratatouille auch eine Aubergine gekauft habe, obwohl ich die nicht mag. Dass ich das aus Rücksicht auf Deine Wünsche getan habe, macht Dich offensichtlich wütend. Wer einen Hund schlagen will, findet wohl immer einen Stock. Du willst wissen, ob ich Hackfleisch eingekauft habe. Habe ich nicht, weil es nicht im Rezept stand. Ich schaue im Buch nach, um zu überprüfen, ob ich es vielleicht übersehen habe. Du erklärst mir, dass es natürlich nicht im Buch steht, aber dass Du von mir schon erwartet hättest, dass ich soweit mitdenke, Fleisch einzukaufen. Aber dann muss ich halt nur Gemüse essen! Ach ja? Ich habe damit kein Problem, wo ist Deines?
Du schaltest, wie jeden Tag, wenn Du nach Hause kommst, den Fernseher ein. Es ist egal, was gerade läuft, Hauptsache, er macht irgendwelche Geräusche. Später, während des Essens, wirst Du durch sämtliche Kanäle zappen und immer dann, wenn ich gerade mal hinhöre, weil etwas interessant erscheint, weiterschalten, während Du die obligatorischen drei bis vier Flaschen Bier konsumierst und das Ganze noch durch einige Gläser Whiskey abrundest. Die Süßigkeiten nach dem Essen dürfen natürlich auch nicht fehlen, verschiedene Packungen, alle aufgerissen. Du probierst Dich durch die unterschiedlichen Sorten; was Dir gerade am besten schmeckt, wird gänzlich vertilgt. Ideal für Dein Diabetes. Deswegen gibt es heute Ratatouille. Du willst etwas für Deine Gesundheit tun.
Ich gehe in mein Büro, um dem für mich unerträglich nervtötenden Lärm des Fernsehers zu entgehen. Nun mache ich mit Deiner Buchhaltung weiter, die noch an diesem Abend fertig werden muss, weil heute Umsatzsteuertermin ist. Ich habe die Arbeit nur unterbrochen, um einzukaufen. Der ganze Tag war ein einziges Ärgernis. Zuerst musste ich mir an Deinen Computern mühsam die Rechnungen zusammensuchen, die Du vergessen hast, auszudrucken. Dann habe ich einen Fehler gemacht und weit über hundert Buchungssätze auf einen falschen Monat gebucht. Diese Buchungen musste ich alle einzeln stornieren und neu erfassen. Dann hat mein Starmoney nach einem Update nicht mehr in der gewohnten Weise funktioniert. Die bei jedem Buchungssatz angedruckten Salden stimmten nicht und waren in einer willkürlichen Reihenfolge. Ich konnte demzufolge den Saldo erst zum Ende eines Monats überprüfen. Natürlich haben sich da auch Zahlendreher eingeschlichen und ich habe einige Zeit damit verbracht, das alles zu kontrollieren und die Fehler zu finden.
Als Du mich zum Essen rufst, hast Du Dich schon soweit beruhigt, dass die Mahlzeit ohne weiteren Streit abläuft. Wir haben schon oft darüber geredet, aber Du bringst es nicht fertig, Deine Aggressionen da abzubauen, wo sie entstehen, nämlich auf der Baustelle, durch die Unfähigkeit der Planer, die Schludrigkeit Deiner Mitarbeit, die ständigen Sonder- und Änderungswünsche der Kunden und die mangelnde Zahlungsmoral Deiner Auftraggeber. Ich weiß, dass Du ein Burnout hast und Dich in der Phase der Kompensation befindest. Aber Du willst davon nichts wissen und schon gar nichts dagegen unternehmen. Und ich werde nicht so lange warten, bis die Sache wieder eskaliert, wie wir es schon einmal hatten.
Nach dem Essen gehst Du zeitnah ins Bett und ich setze mich vor meinen Computer, um ein wenig im Joy zu stöbern. Ich möchte schon lange etwas für die Gruppe „Kurzgeschichten“ schreiben, aber am Abend bin ich in der Regel zu verspannt und zu erschöpft, um noch einen klaren Gedanken zu fassen. Also checke und beantworte ich meine Mails und rufe dann ein weiteres Mal die Seite „immobilienscout24“ auf, um nach einer neuen Wohnung für mich zu suchen, wo ich endlich meine Ruhe habe.