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Mansharing
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Geschichtenspiel Teil 31

Oh, nein...
...da tun sich ja Abgründe auf!
Danke für dieses köstlich amüsante schwarzhumorige Werk, Ev!
Ich bin fasziniert, was diese harmlosen 8 Wörter, wenn man vielleicht vom Wort "Pistole" einmal absieht, auslösen können!
*******an_m Mann
3.834 Beiträge
Abgründig, ja! *g*
eyes002
******ace Mann
15.955 Beiträge
Gruppen-Mod 
Neueste
wissenschaftliche Erkenntnisse der Staatsuniversität für Gesundbeterei in Rangoon haben bewiesen, dass "Musikantenstadl" den massiven Musen- und Hirnzellenschwund auslösen. Beides bedeutet eine irreversible Schädigung mit extremen Beeinträchtigungen.
Unglücklicherweise wurde festgestellt, dass es nur eine Gattung der Homo Dingenskirchen gibt, die gegen Musen- und Hirnzellenschwund immun sind. Es wird befürchtet, dass diese erworbene Immunität mit entweder dem Leder der Springerstiefel oder der Absenz des Haupthaares zu tun hat....


Tom
eyes002
******ace Mann
15.955 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ Ev
DU bist schuld! Jawoll. Icxh habe das Gefühl, du hast dem Wort "Revolverschwinger" eine neue Bedeutung zukommen lassen *haumichwech*

Tom
@ Tom
*smile* Ev
*******day Frau
14.250 Beiträge
Ev, oh Ev...
jetzt habe ich ein Bild vor Augen... *schweig*
**********Engel Frau
25.346 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Dieses Bild hatte ich auch... *schock*

Ev... da tun sich ja Abgründe auf!

Tolle Geschichte. *g*
*******day Frau
14.250 Beiträge
Stummer Dialog
Was ist nur mit dir los? Ich erkenne dich nicht wieder. Erwartest du etwa begeisterte Zustimmung? Rote Haare stehen dir nicht. Kurze auch nicht. Ich liebe dich, aber ich kann dir doch nicht sagen, dass du hinreißend aussiehst, wenn ich finde, dass die neue Frisur ein Griff ins Klo war.

Warum sagst du nichts? Ist es dir egal wie ich aussehe? Oder siehst du seit Jahren durch mich hindurch und merkt es nicht? Wann waren wir eigentlich das letzte Mal tanzen? Und ich meine nicht den Discofox-Walzer-Verschnitt auf der silbernen Hochzeit, ich meine abhotten bis der Arzt kommt. Ich erkenne dich nicht wieder.

Es heißt ja immer, wenn eine Frau zum Friseur geht und mit einem neuen Look herauskommt, dass sie etwas in ihrem Leben verändern will. Aber warum nur? Wir haben es doch gut. Zweiunddreißig Jahre, das muss uns erst mal jemand nachmachen. Ich weiß noch genau, wie du damals ausgesehen hast. »Wie ein Rauschgoldengel«, habe ich geflachst. Du hast einen süßen Schmollmund gezogen und »Idiot« gefaucht. Und Tom meinte süffisant, dass ich dich nicht wiedersehe. Dem habe ich es gezeigt!

Für den sinkenden Haaransatz kannst du ja nichts. Aber wenigstens akkurat schneiden lassen könntest du die Reste regelmäßig. Dieser dürftige Zopf sieht aus wie ein von den Motten zerfressender Rasierpinsel. Dazu dieser dämliche Hut mit der viel zu großen Krämpe. Und diese schwarzen Hemden, die über der Hose hängen... Glaubt du, du wirkst dadurch schlank? Aber soll ich dir das sagen? Ich will dich doch nicht kränken.

Du warst immer so warm und weich. Ich mochte es doch immer, dass ich bei dir was zum anfassen hatte. Nichts ist schlimmer als diese dürren Dinger. Warum also plötzlich dieser Fitnesswahn? Ich kann die Vorträge über Vitamine und freie Radikale nicht mehr hören. Warum tust du uns das an?

Ich kriege dich schlank. Vielleicht nicht so schlank wie du warst, als wir uns kennengelernt haben. Aber wenigstens altersmäßig angemessen. Wie konntest du dich so gehen lassen? Ich hätte viel früher einschreiten müssen. Sabrina hat Recht. Ich muss mehr für mich tun. Und mit den passenden Gewürzen merkt man gar nicht, dass man magere Pute statt fettem Schwein auf dem Teller hat. Und du auch nicht.

Was ist eigentlich plötzlich falsch an weiten Röcken und schlabbrigen Pullovern in beige, braun und schwarz? Seit wir uns kennen, hast du dich darin wohl gefühlt. Und jetzt? »Sabrina sagt, ich bin ein Frühlingstyp«. Und du rennst los und kaufst figurbetonte Blusen in aprikot, lindgrün und zarttürkise Röhrenjeans. Ich wusste gar nicht, dass es diese Farben gibt, geschweige denn, wie sie heißen. Und dazu diese merkwürdige Korsage. Oben quillt es, unten quillt es und in der Mitte ist alles zusammengepresst, genau wie diese dämliche Eieruhr, die Tante Frieda uns zur Hochzeit geschenkt hat, damit das Drei-Minuten-Ei auch genau drei Minuten kocht. Du bist nicht mehr die Frau, die ich geheiratet habe. Sind das diese Wechseljahre, von denen alle immer erzählen?

Was guckst du so? Heute ist Veggie-Day. Ruccola, Balsamico-Dressing und echter Parmesankäse. Dazu Sesambratlinge und Vollkornbaguette. Wo ist deine Experimentierfreude geblieben? Ich habe doch immer neue Rezepte ausprobiert?! Du wirst ein alter Mann, der peinlichst auf jugendlich macht. Wahrscheinlich gehst du demnächst in den Park, um mit anderen alten Männern, die es auch nicht wahrhaben wollen,Schach zu spielen. Sabrina hat Recht. Männer kommen auch in die Wechseljahre. Aber sie ignorieren es. Ich bringe dich auf Vordermann! Wenn in zwei Monaten unser Enkelkind kommt, müssen wir fit sein. Dann wirst du im Park Sandburgen bauen und Fangen spielen! Und wir werden uns noch einmal neu entdecken. So wie damals nach der Geburt von Dagmar. Danach war auch alles anders, erinnerst du dich?

Was lächelst du so versonnen? An was denkst du? Halt mal! Die neue Frisur, die neuen Klamotten, die Diät. Hast du etwa einen anderen? Und ich muss diesen Gesundheitsfraß in mich reinwürgen. Meinst du, ich merke nicht, dass du eigentlich auf dem Absprung bist? Das kannst du uns nicht antun! In zwei Monaten kommt doch unser Enkelkind. Aber vermutlich ist es genau das! Du merkst, dass du alt wirst. Was ist verkehrt an einer Oma mit grauen Locken? Aber nein, es ist ja einfacher abzuhauen. Aber vermutlich ist das genau dein Plan. Du servierst mir so lange Tofuschnitzel mit Sojasauce und Gänseblümchengarnitur bis ich freiwillig ausziehe. Aber nicht mit mir!

*

„Meine Damen und Herren. Soeben erreicht uns die Nachricht, dass sich im Narzissenweg ein schreckliches Unglück ereignet hat. Nachbarn hörten Schüsse und riefen die Polizei. Die herbeieilenden Beamten fanden in dem Reihenhaus zwei Tote vor. Wir schalten live zum Ort des Geschehens, an dem sich unser Außenreporter Henning Müller befindet. »Henning. Wie sieht es aus?«“

„Eben wurde zwei Tote aus dem Haus getragen. Sie werden in die Gerichtsmedizin gebracht. Wie Polizeisprecher Krause mir eben bestätigte, geht man derzeit davon aus, dass es sich um die Bewohner des Gebäudes handelt. Wir haben es wohl mit einer entsetzlichen Familientragödie zu tun. Offensichtlich wurde eine Tatwaffe gefunden. Die Polizei überprüft diese derzeit. Wie Nachbarn mitteilten, war der Mann Kreismeister im Pistolenschießen. Er könnte sie also legal besessen haben.“

© Sylvie2day, 3.11.2013
Puh! -Ein Glück,
Sylvie lebt noch. Sonst hättse ja nicht die Geschichte schreiben können.
Jetzt hatte ich schon Angst... *top2* laf
Ja aber ......
Sylvie hat die Pistole .......


*angsthab* Ev *schock* *panik*
*******day Frau
14.250 Beiträge
Isch
'abe gar kein Pisthol *nono*

Die ist doch jetzt in der Aservatenkammer, Ev *taetschel*
*****har Paar
41.021 Beiträge
JOY-Team Gruppen-Mod 
Irgendwie hat es mich bei diesen acht Wörtern gepackt, und so will ich mich auch mal wieder in diesem verrückten, aber so 'fruchtbaren' Spiel versuchen - auch wenn ich darin nicht gerade sonderlich geübt bin und dieses rasche Schreiben nach bestimmten Vorgaben mir gar nicht liegt ...

*g*


K i n d e r l i e d


Die größte Ehre, die man einem Menschen antun kann: So viel Vertrauen zu ihm zu haben, dass man ehrlich zu ihm sein darf.


Es hat schon sehr früh angefangen, vermutlich bereits zu der Zeit, als ich noch ein Kleinkind war und gerade mal das Sprechen gelernt habe: Was auch immer meine Gefühle mir sagen, was ich gerne tun würde und was mir Spaß machen könnte, was mir und meinem innersten Wesen entspräche - es wird mir ausgeredet oder verboten. Oder mir werden Sätze gesagt wie: "Das darf man so gar nicht fühlen" oder "Das kann gar nicht sein" oder "So etwas tut man nicht."

Und dann natürlich noch der große Maulkorb, den wir sicher alle kennen - ich darf nicht sagen, was ich denke: "So etwas sagt man nicht!"

Schon ziemlich früh ist mir damals klar, dass ich zwar ständig dazu angehalten werde, immer ehrlich zu sein und niemals zu lügen, aber dass ich gleichzeitig zum Lügen erzogen werde. Wie soll man beides unter einen Hut bekommen? Eine Szene, an die ich mich heute noch erinnere, mag stellvertretend für unzählige andere, ähnliche Situationen sein, wie wir sie wohl alle kennen.

Es war so: Meine Eltern besuchen mit mir an diesem Tag mal wieder Tante Frieda. Aus Gründen, die ich bis heute nicht verstehe, können meine Eltern diese Frau nicht leiden. Ich dagegen hab absolut nichts gegen Tante Frieda, aber ich mag diese Besuche bei ihr nicht. Vielleicht, weil sie mal Lehrerin war und man das manchmal heute noch merkt? Oder weil die Atmosphäre dann immer von Heuchelei und Verlogenheit geprägt ist?

Warum wir sie trotzdem regelmäßig besuchen, weiß ich nicht - es gibt ja nicht mal was zu erben. Vermutlich muss die Form gewahrt, irgendeine idiotische Tradition gepflegt oder eine hirnrissige Konvention eingehalten werden. Und so übertreffen sich meine Eltern während der Fahrt zu Tante Frieda zwar auch dieses Mal an wüsten Beschimpfungen der alten Frau und ihres Kuchens und, wenn sie schon mal dabei sind, auch gleich des Kaffees und ihres dummen Geplappers und dann auch noch wegen ihrer Angewohnheit, jeden Tag Vitamine zu schlucken, um möglichst lange geistig jung zu bleiben. "Immer dieser erhobene Zeigefinger von ihr", knurrt mein Vater. "Alles weiß sie besser. Und dann bringt sie es fertig, einem auch noch die Pistole auf die Brust zu setzen, nur weil nicht jeder so viel gelesen hat wie sie!" Ich verstehe nicht mal ansatzweise, was er damit ausdrücken will, aber so ist er nun mal, mein Vater. Und meine Mutter zischt mit einem süffisanten Grinsen: "Und wie es in ihrer Wohnung aussieht! Sie sollte vielleicht mal weniger lesen und mehr putzen!" Sicherheitshalber werde ich auch dieses Mal mehrfach ermahnt, unbedingt mit einem freundlichen 'Ja' zu antworten, falls ich gefragt würde, ob dieser abscheuliche Kuchen schmecke, und ihr auch ansonsten niemals zu widersprechen. Als ich einzuwerfen wage, dass ich doch aber niemals lügen solle, werden mir kurzerhand Prügel, Hausarrest und Schlimmeres angedroht. Sonst ist es immer genau andersrum und muss ich mit Prügel und dergleichen rechnen, wenn ich mal lüge. Verwirrend ist das. Wie soll ich das verstehen, zumal ich noch ein Kind bin? Und so lerne ich eben, brav 'Ja' zu sagen, also zu lügen, wenn Tante Frieda fragt, ob mir denn der Kuchen schmecke, den sie extra für uns gebacken habe.

Als wir an besagtem Tag bei ihr eintreffen und zur allgemeinen Begrüßung mal wieder gelogen wird, dass sich die Balken hätten biegen müssen, begehe ich doch tatsächlich einen schweren Fehler. Die Tante bringt gerade zum Ausdruck, wie sehr sie sich freue, dass wir sie besuchen, und meine Eltern murmeln etwas von "Aber das tun wir doch gerne". Und ich im zarten Alter von sieben oder acht Jahren krähe fröhlich dazu: "Das ist doch gar nicht wahr! Eben im Auto habt ihr noch gesagt ...".

Doch bevor ich den Satz beenden kann, bin ich um eine schallende Ohrfeige reicher und werde von meiner Mutter energisch zur Seite gezerrt. "Wenn du noch einmal sowas sagst", keift sie mich flüsternd an - und ich frag mich noch heute, wie man gleichzeitig flüstern und keifen kann, aber sie beherrscht das damals wunderbar -, "dann schlägt Papa dich grün und blau! Also hör auf, uns immer nur auf der Nase rum zu tanzen und halt bloß die Klappe!"

*


Nun ja, was hätte ich damals machen sollen? Ich hab dann eben aus Angst, für meine Ehrlichkeit doch immer wieder nur bestraft und verletzt zu werden, künftig darauf verzichtet, ehrlich zu sein, und hab das Lügen ebenso eifrig gelernt wie das Heucheln und das Schöntun und all das, mit dem man anderen Honig ums Maul schmiert ...

Auch ansonsten musste ich weiterhin in meinem Leben stets so sein, wie meine Eltern und viele andere es sich vorgestellt haben. Und so hab ich mit etwa zehn oder elf Jahren mal in Anlehnung an entsprechende Aussagen meiner Eltern und anderer Erwachsenen wie im Rausch ein kleines "Gedicht" geschrieben und ihm eine einfache, kindliche Melodie verpasst, also ein völlig harmloses Kinderlied daraus gemacht. Und bis heute erinnere ich mich an zwei Zeilen aus diesem Lied:

"So wie ich bin, darf ich nicht sein,
denn dafür bin ich viel zu klein."

Natürlich hab ich mich auch sonst immer so verhalten müssen, wie es andere wollten. Zum Beispiel die Kindergärtnerinnen, die Lehrerinnen und Lehrer, Freundinnen und Freunde - eben die anderen. Und immer wieder das Gleiche: Ich durfte nicht sagen, was ich dachte. Warum nur?

Ich konnte grübeln, so viel und so lange ich wollte - ich kam niemals hinter das Geheimnis. In anderen Situationen wurde mir dann wiederum regelrecht eingeprügelt, dass ich auf jeden Fall unbedingt nichts anderes sagen dürfe als die Wahrheit.

Irgendwann kamen die ersten "Partnerinnen" und wollten natürlich ebenfalls, dass ich so bin, wie sie es gerne hätten. Und dass ich ihnen selbstverständlich nach dem Mund rede. Einfach mal frei und ungezwungen das sagen, was ich denke? Nie im Leben! Es führte immer nur zu tagelangem Schweigen und anderen Bestrafungsaktionen oder gar zur Trennung. Selbst wenn ich um meine ehrliche Meinung gebeten wurde, zum Beispiel zu ihrer Figur, zu einer ihrer Freundinnen oder zu einem bestimmten Kleidungsstück - kaum hab ich sie geäußert, wurde mir eine Szene gemacht.

Auch an der Uni und im Berufsleben war es immer das Gleiche: Andere sagten mir, wie ich zu sein habe, damit ich gut ankomme und Erfolg habe und keinen Ärger bekomme. Und auch dort durfte ich niemals sagen, was ich dachte, oder so reden, wie mir nun mal der Schnabel gewachsen war. Alle schwärmten und träumten von Ehrlichkeit, aber wenn ich mal ehrlich war, kam es unweigerlich zu Katastrophen.

Und nun bin ich im reifen Alter hier im Joyclub gelandet. Und was muss ich überall lesen: So, wie ich bin, darf ich auch hier nicht sein.

Ja, es ist so: Ich darf auch hier nicht kundtun, was ich denke. Ich darf mich nicht so äußern, wie ich es am liebsten würde. Frei von der Leber weg einfach mal ganz ungezwungen, frei heraus und ehrlich zum Ausdruck bringen, was mich bewegt? Das geht gar nicht. So zu schreiben, wie ich mich gerade fühle, oder genau das posten, was ich wirklich denke, das darf ich auf gar keinen Fall. Angeblich könnte sich dann jemand verletzt oder gekränkt oder beleidigt fühlen, und darauf hat man hier gefälligst Rücksicht zu nehmen.

Nun ist es aber so, dass ich mich nur dann so richtig wohl fühle, wenn ich unter Menschen bin, bei denen ich einfach mal so sein darf, wie ich bin. Und wenn wir alle mal ganz ehrlich sind: Geht's uns nicht allen so? Wünschen wir uns nicht alle eine Umgebung, in der wir so reden dürfen, wie uns gerade zumute ist? Wo wir jederzeit sagen können, was wir denken und fühlen, ohne dafür gleich kritisiert, angegriffen oder ausgegrenzt zu werden? Wo wir uns so äußern dürfen, wie uns gerade zumute ist? Hier darf man das jedenfalls nicht.

Werde ich jemals groß genug sein, um so sein zu dürfen, wie ich bin?

*


Um noch mal auf Tante Frieda zurück zu kommen: Als ich neunzehn Jahre alt war, hab ich sie eines Tages allein besucht, vorher extra ein paar Gänseblümchen gepflückt, die sie so sehr liebte, und mich dann ziemlich lange mit ihr unterhalten:

Es ist ein erstaunliches Gespräch, denn sie wirkt an diesem Tag ganz anders auf mich als damals, als ich noch ein Kind war. Und so sage ich ihr dann auch ehrlich, dass der Kuchen damals jedes Mal einfach nur scheußlich war.

Lange blickt sie mich daraufhin schweigend an, schüttelt schließlich den Kopf und fragt, warum wir ihr das eigentlich niemals gesagt haben. Sie habe uns geglaubt, dass er wunderbar schmecke und - obwohl sie ihn eigentlich selbst eher schrecklich fand - extra für uns jedes Mal genau diesen Kuchen gebacken, um uns damit eine Freude zu bereiten. Wir hätten sie ja sogar immer wieder darin bestärkt, weil er uns doch angeblich wunderbar schmecke. "Hab mir also jedes Mal umsonst die Mühe gemacht, nur weil ihr mich angelogen habt?", fragt sie mich traurig. Und ich nicke nachdenklich.

Und sie, ausgerechnet die alte Tante Frieda, die wenige Wochen nach diesem Gespräch trotz all ihrer Vitamine leider völlig überraschend gestorben ist und die ich an diesem Tag zum letzten Mal gesehen habe, sie umarmt mich auf einmal und bedankt sich dafür, dass ich so ehrlich zu ihr bin. Dann putzt sie sich die Nase und sagt: "Weißt du, mein Junge, wär mir lieber gewesen, ihr hättet gesagt, dass der Kuchen nicht schmeckt. So fühle ich mich einfach nur verarscht."

"Naja", antworte ich, "es ist vielleicht etwas hart ausgedrückt, wie du das siehst, aber es trifft schon den Kern der Sache. Aber ich wollte wenigstens immer die Wahrheit sagen, doch ich durfte nicht."

"Kann ich mir vorstellen", brummt sie, "kenn ja deine Eltern. Harmoniesüchtig und feige. Angst vor Konflikten. Sogar vor Konflikten mit einer alten Frau."

"Ich weiß nicht so recht, Tante Frieda. Vielleicht haben sie es ja auch nur gut gemeint und wollten dich einfach nur nicht kränken?"

Sie sieht mir in die Augen und fragt: "Sag mal, Junge, weißt du eigentlich, was Kränken wirklich ist?"

"Klar. Warum fragst du?"

"Schon mal dran gedacht, dass deine Eltern mir gegenüber sehr respektlos sind und mich gerade deswegen gekränkt haben?"

Ich räuspere mich und weiß nicht so recht, worauf sie hinaus will und was ich darauf antworten soll, doch sie erlöst mich und sagt etwas, das mich bis heute beschäftigt: "Respektlos ist es, andere Menschen für so schwach oder so blöd zu halten, dass man glaubt, sie schonen zu müssen, dass man ihnen nicht zutraut, auch mal Ehrlichkeit auszuhalten oder die Wahrheit zu ertragen. Denk mal drüber nach, mein Junge, ob man den anderen wirklich ernst nimmt, achtet und respektiert, wenn man ihn für zu schwach oder zu blöd dafür hält. Oder ob man den anderen damit nicht kleiner macht? Mich kränkt es jedenfalls, dass sie mich nicht ernst genug nehmen, um ehrlich zu mir zu sein."

So viel redet Tante Frieda selten, gerade auch in Anbetracht des Umstandes, dass sie ja eine alte Frau ist und somit eigentlich eine Quasselstrippe sein müsste. Also muss das Thema sie doch mehr aufwühlen, als ich gedachte habe. "Das leuchtet mir ein", antworte ich verwirrt. "Da könnte wirklich was dran sein."

"Bin ja nun wirklich nicht mehr die Jüngste und vielleicht schon etwas senil, mein Junge. Meine Eieruhr ... äh ... ich meine natürlich meine Sanduhr ist wohl schon fast abgelaufen. Aber eines weiß ich immer noch: Es gibt keine größere Wertschätzung für einen Menschen als die, immer ehrlich zu ihm zu sein, auch dann, wenn es für ihn mal unangenehm ist oder wenn es eine unbequeme Wahrheit ist. Die besten Freunde in meinem Leben waren immer diejenigen, die wirklich aufrichtig und ehrlich zu mir waren - durch sie hab ich am meisten gelernt. Auch wenn es mal weh getan hat. Wie denkst du darüber?"

Doch ich antworte auch darauf nicht.

Wir reden dann noch über dies und das, ein paar völlig belanglose Dinge, bis ich mich herzlich von ihr verabschiede. Über diese Frage von ihr denke ich auch heute noch immer wieder mal nach. Doch jedes Mal, wenn ich daran denke, fällt mir dieses blöde Kinderlied ein und ich frag mich, was das wohl damit zu tun haben könnte ...

*****

(Copyright by Antaghar im November2013)
*********ynter Frau
9.578 Beiträge
Danke!
Danke für deine Worte!

Ich kenne niemanden, der nicht genau das von dir beschriebene als Kind gelernt hat:
Man darf der Oma nicht sagen, dass ihre Kekse wie der "Boden des Hamsterkäfigs schmecken", denn das ist unhöflich und würde sie kränken...

Die "guten" Lügen werden damit entschuldigt, dass man ja niemand verletzen möchte und dadurch keinen eigenen Vorteil hat - sie sind gesellschaftlich akzeptiert und auch gefordert, denn sie verhindern Mord und Todschlag. Nicht auszudenken, wo unsere Gesellschaft ohne die täglichen Lügen stehen würde.

Diese beiden Sätze von dir nehme ich mit und werde versuchen, sie in meinem täglichen Leben anzuwenden.

Respektlos ist es, andere Menschen für so schwach oder so blöd zu halten, dass man glaubt, sie schonen zu müssen, dass man ihnen nicht zutraut, auch mal Ehrlichkeit auszuhalten oder die Wahrheit zu ertragen.


Es gibt keine größere Wertschätzung für einen Menschen als die, immer ehrlich zu ihm zu sein, auch dann, wenn es für ihn mal unangenehm ist oder wenn es eine unbequeme Wahrheit ist.

kurz bevor die neuen Worte kommen, noch schnell Lob von mir

@****ie
der Dialog ist - glaub ich - sehr nah an dem, was langjährige Partner so voneinander denken, die, die nicht mehr so viel miteinander reden, die nur den "Alltag" teilen, nicht aber ihre Gedanken. Den Schluss finde ich aber etwas zu hart, obwohl man sich ja alles mögliche vorstellt, wenn mal wieder so etwas in der Zeitung steht.
ich hoffe ja immer, die Leute reden erst mal, bevor sie schießen. Klappt aber leider nicht. Schöne Aufarbeitung der Beweggründe, die sie leider nur - auch sich selbst nicht - begründen können.

@*****har
Du glaubst nur, da könnte was dran sein? Es ist genau so, wie du es beschreibst.
Nur meine besten Freunde erfahren, was ich wirklich denke, und ich weiß, dass ich sie auch durchaus in den Hintern treten und sie auf ihre Fehler aufmerksam machen darf. Bei "Bekannten" sagt man leicht eine Nettigkeit, die eigentlich eine Lüge ist, weil es auch gar nicht so wichtig ist, ob es stimmt. Viel wichtiger ist das harmonische Miteinander, das soziale, mit Samthandschuhen anfassen und unausgesprochen lassen - weil es nicht so drauf ankommt. Weil sie es nicht annehmen würden.
Meine Freunde kann ich mir aussuchen. Der Rest muss mich akzeptieren wie ich bin, und es ist mir relativ egal, ob ich ihnen gefalle. das lernte ich aber erst nach meinem 40.
Mit Ablehnung zu leben fand ich letztendlich einfach: ich war ehrlich zu mir selbst und sagte mir, dass ich den oder diejenige ja schließlich auch nicht leiden kann. Warum sollte es bei anderen nicht so sein dürfen? Was andere, denen ich Honig um den Bart schmiere, wirklich von mir denken, weiß ich nie, also wozu die Liebesmüh?

Deine Geschichte ist exemplarisch für etwas, dass alle Menschen lernen müssen.
Deine Tante war schlauer als deine Eltern. und als viele andere Menschen.
**********Engel Frau
25.346 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Heyeyey, eine mörderische Sylvie, mit einem Bild, das so fern der Realität gar nicht ist. In vielen Partnerschaften dürfte es so sein - allerdings gottseidank nicht immer mit solch einem Ende.
Gute Story, gefällt mir!

Und eine sehr schlaue Geschichte von unserem lieben Antaghar, die sich vielleicht so manche Menschen mehrmals durchlesen sollten. *g*
Und es gibt auch viele, die zwar ehrlich und offen austeilen, jedoch es nicht vertragen können, wenn sie auch mal genauso von anderen etwas einstecken sollen.
Ehrlichkeit nur einseitig funktioniert nicht.
*******day Frau
14.250 Beiträge
Engelchen...
ich hätte den beiden ja gern ein Happy End gegönnt... aber ich musste doch die Pistole benutzen *zwinker*

Und dass sie plötzlich aus heiterem Himmen anfangen miteinander zu reden, dabei respektvoll miteinander umgehen, die im Schmerzkörper angesammelten emotionalen Verletzungen eigenverantwortlich aufarbeiten und ihr Großelterndasein offen und heiter antreten... DAS wäre definitiv unrealistisch.

Sylvie *sonne*
******ier Frau
36.568 Beiträge
Entschuldigung
Bitte einen Moment noch, diese acht Wörter haben es auch mir diesmal angetan, ich beeile mich, versprochen, ich hoffe, ich schaffe es bis um acht, danke, ich fasse mich kurz.
**********Engel Frau
25.346 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Sylvie
Das wäre dann in der Rubrik "Science Fiction" passend gewesen. *lach*
Und hier
Sind die neuen Wörter für das Spiel

  • Curare
  • Druiden
  • Hypnose
  • Klavier
  • Reizstrom
  • koordinieren
  • krähen
  • oktroyieren

Ich wünsche Euch viel Vergnügen
Angelika
******ier Frau
36.568 Beiträge
der große Mann
Nun ja, ich wollte mal wieder tanzen gehen, ich hatte kinderfreie Zeit und gerade nichts besseres vor, die Männer haben eh alle Angst vor mir, ach was soll's, da lass ich es mir heute Abend mal wieder so richtig gut gehen, dachte ich mir, und lief los, zu dieser großen Disco, die mir eine Freundin empfohlen hat.

Von weitem sehe ich ein Schlange, anstehen, okay, davon hat sie mir nichts erzählt, nun denn, ich bin ja die Ruhe in Person.
Als ich endlich am Eingang bin, sieht mich der Herr Einlasser oder auch Türsteher mit süffisantem Grinsen von oben bis unten an.

Schweigend stellt er sich breitbeinig vor mich hin und schüttelt langsam seinen kahl rasierten Schädel. Unglaublich! Der will mich nicht rein lassen!
"Was ist los?", frage ich ihn, "Willst du erst einen Strauß Gänseblümchen von mir haben, um mich rein zu lassen, oder was?".

Der Herr schaut mich an, ihm entgleisen die Gesichtszüge, nahezu unmerklich, denn so eine derartige Gefühlsregung darf er sich in seinem Job nicht anmerken lassen. Er hat ja keine Ahnung, dass er genau mein Typ ist, groß, breit, strenger Gesichtsausdruck, keine Haare auf dem Kopf, und so rede ich mich in einen Rausch hinein, obwohl das sonst nicht meine Art ist.

"Na komm, schöner Mann, lass mich vorbei, oder sag mir jetzt, was dir an mir nicht gefällt!", meine ich mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein zu ihm.
Er spricht nicht, er schaut nur nach unten.
"Was? Ich habe nicht die richtigen Schuhe an? Geht's noch?"
Ich mache einen Schritt auf ihn zu, er steht wie ein Fels in der Brandung, nun ganz nah vor mir, oder besser, an mir dran, ich spüre sein Gemächt, wie es eine Wölbung in seine Hose zaubert, und ich hauche ihm in's Ohr:
"Deine Pistole würde ich mir gern mal in Ruhe ansehen, heute Nacht, nach deinem Dienst. Und wenn sie mir gefällt, dann kannst du mir morgen früh deine Eieruhr vorführen, ich bin gespannt."

Ich ahnte es, jetzt war es aus mit seiner eisernen Standhaftigkeit, er grinst, lässt locker und tritt einen Schritt zur Seite.
"Vielen Dank, der Herr, wir sehen uns.", lächel ich ihn an, ziehe meinen imaginären Hut und verneige mich vor ihm.

In der Disco gehe ich direkt auf die Bar zu, denn jetzt brauche ich einen Vitamin-Drink, denn das war leicht anstrengend, also nervlich. Aber ich freue mich schon auf ihn, auf den großen Mann.
******ier Frau
36.568 Beiträge
15 Minuten
drüber, tut mir leid, aber was soll's.
Schönen Abend allerseits.

Ob drunter oder drüber -
die 15 Minuten haben sich gelohnt!

*top*laf
*********ynter Frau
9.578 Beiträge
Der Preis des Erfolges
Mein größter Wusch war es schon immer gut Klavier spielen zu können.
Ich nahm sogar Stunden bei einem Klavierlehrer, einem sehr geduldigen älteren Herrn, der stets einen altmodischen Frack und ein weißes Hemd trug und nach Tabak roch. Dieser verzweifelte fast, weil ich die Bewegungen meiner Finger nicht schnell genug koordinieren konnte. Nach einigen Tagen meinte er lapidar zu mir: "Mädchen, such dir ein anderes Instrument, bei dir ist Hopfen und Malz verloren!“

Ich war zutiefst verletzt und dachte aber gar nicht daran aufzugeben. „Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt“ und dieser Schritt führte mich zu meinen Hausarzt, irgendein Mittelchen müsste es doch geben. Er sah mich zweifelnd an und verordnete mir 10 Behandlungen mit Reizstrom. Natürlich als IGeL-Leistung. Egal, wenn ich dann besser Klavier spielen könnte, dann wäre es mir das wert.

Leider brachte die Behandlung nicht den gewünschten Erfolg, der vernichtende Blick meines Klavierlehrers ernüchterte mich, ebenso die Tatsache, dass ich am Ende um 500 Euro ärmer war, aber weiser in der Erkenntnis, dass die Schulmedizin auch nicht alles wusste.

Hilfesuchend wandte ich mich an unseren örtlichen Druiden. Er bestellte mich beim nächsten Vollmond in einen alten Buchenhain. Er hieß mich, meine Kleider abzulegen und mich so wie ich geschaffen wurde auf einen magischen Stein zu legen, bestrich meine Finger und meine Stirn mit einer widerlich riechenden giftgrünen Paste aus „ich-weiß-nicht-was-und-das-ist-auch-besser-so“ und rief die alten Götter um Beistand an.
Es kostete mich einen halben Monatslohn und meinen Stolz, da ich tags drauf meinen Hausarzt wegen der Allergie an Stirn und Fingern konsultieren musste. Er schüttelte nur den Kopf genau wie mein Klavierlehrer.

Als nächstes empfahl mir meine Freundin einen Psychiater in der nächsten Stadt, der große Erfolge mit Hypnose feierte. Er hörte sich mein Problem an und nickte. Sein ganzes Wesen strahlte Ruhe und Vertrauen aus. Ich bat ihn, mich während der einstündigen Behandlung entsprechend zu oktroyieren.

Leider muss der gute Mann etwas falsch verstanden haben, denn Fortschritte in Sachen Klavierspiel blieben aus, wie mir auch mein Klavierlehrer bedauernd bestätigte. Dafür begeisterte er sich für meine neue Stimme, die sich um mehrere Tonlagen erhöht und einen leicht hysterischen Klang angenommen hatte, nachdem ich die Rechnung des Psychiaters geöffnet hatte.
Mein Klavierlehrer meinte tröstend, er könnte für mich ein gutes Wort beim Opernintendanten einlegen, der eine Neubesetzung für die "Königin der Nacht" suchte.

Noch ein allerletzter Versuch schwor ich mir. Der Freund eines Freundes kannte einen Arbeitskollegen, der wiederum einen indianischen Medizinmann kannte. Ich vereinbarte ein Treffen beim örtlichen Mexikaner und nach mehreren Tequila`s mit Salz und Zitrone wurde er meinem Problem zugänglicher. Er sah irgendwie drollig aus mit seinem schwarz/weiß geschminkten Gesicht und der ausgestopften Krähe auf seiner Schulter. Er dachte lange nach und faselte dann etwas von einer großen Medizin, die selbstverständlich ihren Preis hatte. Ich nickte nur müde, mein Bankkonto war sowieso schon überzogen, da kam es nicht mehr darauf an.

Zur vereinbarten Zeit traf ich bei ihm ein und legte mich entspannt auf eine lederne Liege. Er flößte mir nach der Bezahlung eine klare bittere Flüssigkeit ein, ich glaube, ich las Curare auf dem Fläschchen, und wurde todmüde im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich erwachte auf der anderen Seite in einem langen schwarzen Kleid und an einem Konzertflügel sitzend. Der Saal war von unsichtbaren Lichtquellen in ein himmlisches Licht getaucht und ich erahnte nur das Publikum. Ich begann selbstbewusst und konzentriert meine Lieblingsstücke von Mozart, Bach und Chopin zu spielen, alles war perfekt!
Tosender Applaus - ich verbeugte mich vor meinem klatschenden Publikum und mein strahlender Klavierlehrer überreichte mir eine rote Rose.
*haumichwech*

Ich lache immer noch! Was man nicht alles tut für die Kunst.
klasse
sehr einfallsreich, gut geschrieben und ein Knalleffekt vom Feinsten.

du bist eine Erzählerin, Pourqoui_pas
(und das mein ich positiv)

am besten gefällt mir die plötzlich veränderte Stimme

gruß
dea
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