Ein Märchen
Die selbstbewusste wehrhafte Prinzessin ohne Erbsen aber mit flammend rotem Käppi, hatte sich verirrt. Nicht nur der Pfad, auf dem sie wandelte, wirkte unheimlich, auch der Wald um sie herum war düster.
Der Tag war in fahles Licht getaucht. Beschlagene Feuchtigkeit lag in der Luft, der typische Geruch des Herbstes stieg in ihre Nase- ein Potpourri aus kühl, klamm, säuerlich- es roch erdig und nach süßlichem Verfall.
Nebelschwaden waberten zwischen den bemoosten Stämmen der Bäume -nahmen ihr die klare Sicht. Das tote Laub lag dick, deckte den Boden wie eine warme Daunendecke zu - dämpfte alle Geräusche.
Mächtige Äste, vom letzten Herbststurm von ihren Baumkörpern abgerissen, ragten vereinzelt wie dürre Arme aus dem Meer des Laubes heraus – hoben mahnend ihre Finger, als wollten sie ihr zurufen: „ Kehr` um, dieser Weg wird dich mit Haut und Haar verschlingen, das Ungeheuer mit Namen Wolfram lauert schon auf dich!“
Energisch schüttelte sie den Kopf in der Absicht, ihre eigenen Zweifel wie Wassertropfen abzuschütteln und lief weiter. Wo waren in diesem Zauberwald nur die Tiere? Keine Eichhörnchen, keine Hasen, nicht einmal Wölfe im dichten Brombeergestrüpp, nur kreischende Raben über ihr in den Wipfeln der Bäume.
Ein Viadukt tauchte vor ihr auf, verwahrloste Gestalten mit seltsamen Zipfelmützen lotterten darunter. Sie fürchtete sich, wo war denn nur der Prinz auf dem Schimmel, wenn Frau ihn mal brauchte?
In dem Wissen, dass es keinen anderen Weg als diesen geben konnte, näherte sie sich selbstbewussten Schrittes. Mit hocherhobenen Kopf, gestrafften Schultern und ihrem hochnäsigsten Blick.
In diesem Moment brach die Sonne durch den Nebel. Gerade als sie dachte, dass jetzt alles gut würde, raschelte es neben ihr im sumpfigen Schilf. Sie erstarrte vor Schreck als der Schlagschatten des Ungeheuers sie streifte.
Ein gar garstig Wesen mit glühenden Augen, eine gepanzerte Chimäre, es öffnete seinen gewaltigen Hauer besetzten Rachen. Fauler Odem schlug ihr entgegen und sie wusste, ihr letztes Stündlein hatte geschlagen. Wild entschlossen, es dem Biest so schwer wie möglich zu machen, starrte sie nur äußerlich unerschrocken zurück in die eiskalten toten Augen.
Nun, jetzt würde sich zeigen, ob ihr Kampftraining mit dem kleinen Muck etwas gebracht hatte.
Nichts geschah, die Bestie starrte sie verwundert an, dann ertönte eine wunderbare henochische Stimme während sich die Chimäre in eine Lichtgestalt wandelte: „ Ich danke dir, tapfere Prinzessin, ich bin der letzte Engel auf Erden, eine böse Hexe hat mich in dieses Untier verzaubert, mein Herz in einen Stein verwandelt und mich gezwungen alles zu verschlingen bis ich auf eine unerschrockene Jungfrau treffe, die keine Angst vor mir hat.
Du hast den Bann gebrochen! Einen einzigen Wunsch darf ich dir zum Dank erfüllen.“
Die Prinzessin konnte ihr Glück kaum fassen „ich wünsche mir, dass du mich in eine moderne Frau des 21. Jahrhunderts verwandelst, damit ich endlich so leben kann, wie ich es will- keinen blöden Prinzen heiraten muss und endlich meiner dunklen Lust frönen kann ohne Angst zu haben zu müssen auf dem Scheiterhaufen zu landen.“
Der Engel sah die unschuldig lächelnde Prinzessin ungläubig, aber zähneknirschend erfüllte sein Versprechen und wenn sie nicht gestorben ist, dann findet ihr sie in einem Darkroom.