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Edith

*******gedy Frau
1.352 Beiträge
Themenersteller 
Edith
Edith war meine Zimmergenossin während eines Klinik-Aufenthalts im letzten Sommer.
Edith war knapp über 60. Eine bäuerliche Figur zwängte sich in bonbonfarbene Blusen und grauen Faltenröcken unter denen grellweiß die Thrombosestrümpfe hervorlugten. Das graue Haar wurde abends mit 4 Lockenwicklern aufgedreht und jeden morgen akkurat in Form gelegt.

Edith war bekennende Christin und betete jeden Abend und auch vor jedem gemeinschaftlichen Essen demonstrativ und laut. Nach dem Aufenthalt hier, will sie eine Selbsthilfe-Gruppe für drogenabhängige Christen eröffnen - echter Glaube könne Wunder vollbringen - erzählte sie mir einmal Abends.

Tagsüber gab es verschiedene Kurse - von Meditation und Wassergymnastik bis Kunst.

Ich mochte das Kunstangebot und Wassergymnastik war bei der Hitze eine willkommen Abkühlung. In Kunst strickte Edith auf eigenen Wunsch an Schals aus bunter Polyacrylwolle. Wassergymnastik war für ihr Alter nicht schicklich und sie brauchte ja auch so lange um die Strümpfe an- bzw. auszuziehen.

Edith und ich teilten uns das Zimmer mehrere Wochen.
Abends strickte sie und ich las. Wir hatten nicht viel gemeinsam - meistens schwiegen wir, die wenigen Gespräche waren seltsam.

"Warum kriegst du eigentlich nie Besuch? Du bist doch noch jung und hast sicher eine Familie..."

Ich legte mein Buch beiseite und erwiderte zögerlich "Ist nicht ganz einfach. Mein Mann ist gestorben und meine Kids werden von meinem Bruder in Hamburg versorgt solange ich hier bin."

"Ach? Du bist Witwe?", sie schaute kurz vom himmelblauen Gestrick auf. "Glaub mir, das Schlimmste, das einer ordentlichen Frau passieren kann, ist eine Scheidung. Mein Mann hat mich betrogen! Diese Schande möchte ich keinem zumuten."

"Ja - Scheidung - das ist echt schlimm...", ich griff meine Zigaretten und ging über die Terassentür in den Garten. Es war früher Abend. Die Hitze des Tages lag noch spürbar in der Luft.
Edith....
Bin ich froh das die Protagonistin Edith und nicht Marianne heißt. Sofort dachte ich es handelt sich um meine Großmutter. Ebenso phlegmatisch und desinteressiert außerhalb ihrer Interessen. Schlimm wer mit solch einem Menschen lange das Zimmer teilen muss....
**********ecter Mann
3.203 Beiträge
ich finde die Gegenüberstellung einer Trennung durch Scheidung vs. Tod und deine subtile Andeutung was du schlimmer findest, sehr gut gelungen.
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Die Frau heiß doch gar nicht Edith. Das ist frei erfunden.
Sie heißt Agathe und war meine Schwiegermutter!
gut gewählter Auszug. harte Pointe.

und bestätigt meine Meinung über nach außen hin so gute Christen - meine Großtante küsste dem Pfarrer den Ring, drehte aber den Fernseher aus, sobald ein Farbiger ins Bild kam.

Diese Frau mag viel erlitten haben, sie kennt kein Mitgefühl. nur das "was sich gehört"
meiner meinung nach kann man ohne Glauben, ohne regiliöse Vorschriften fast schon eher ein "guter Mensch" sein, weil man dann selbst wählt, was gut und richtig ist, sein Gewissen entscheiden lässt, statt den vorgeschriebenen Regeln einer überholten Kultur zu folgen...
Hach, da geht´s wieder mit mir durch.. zur Geschichte

Gut geschrieben, ohne Wertung, die Frau wird durch wenige Sätze unsymphatisch, und das lakonische statt Empörung am Ende gefällt mir auch.
Danke
Gruß
Dea
Innehalten
"Ach? Du bist Witwe?", sie schaute kurz vom himmelblauen Gestrick auf. "Glaub mir, das Schlimmste, das einer ordentlichen Frau passieren kann, ist eine Scheidung. Mein Mann hat mich betrogen! Diese Schande möchte ich keinem zumuten."

Wenn wir an eine Grenze geraten, im inneren (Mit)Fühlen, dann können wir entweder innehalten, und tiefer lauschen - oder aber Impulse wie der oben Beschriebene gewinnen die Oberhand, und lenken alle Aufmerksamkeit wieder an die Oberfläche.

Danke für diesen kleinen, klaren Einblick in die Welt menschlicher Gesprächskultur.

F_H
Beauty's favourite @Argunar (2013)
******ool Frau
31.187 Beiträge
Formal ist mir dieser satz aufgefallen

Edith war bekennende Christin und betete jeden Abend und auch vor jedem gemeinschaftlichen Essen demonstrativ und laut. Nach dem Aufenthalt hier, will sie eine Selbsthilfe-Gruppe für drogenabhängige Christen eröffnen - echter Glaube könne Wunder vollbringen - erzählte sie mir einmal Abends.

Da es indirekte Rede ist, müsste auch das "will" als "wolle" im Konjunktiv stehen.. Ebenso würde ich es bei diesem Satz machen

Wassergymnastik war für ihr Alter nicht schicklich und sie brauchte ja auch so lange um die Strümpfe an- bzw. auszuziehen


Inhaltlich: beim ersten lesen war mir "edith" gar nicht mal so unsympathisch, sondern ich haette eher die Meinung geaeussert - subjektiv - nun ja, die Menschen sind wie sie sind und hab mich grinsend an eine Kreuzfahrt erinnert, bei der ich auch den wunderlichsten alten leutchen begegnet bin ...

Aber das Gift träufelt langsam und sicher ist es schwer,Menschen anzunehmen, die "wir" als bigott erleben, aber das kann man wenn man will ja so weit lernen, dass man sich fuer eine gewisse weile damit arrangiert
*******gedy Frau
1.352 Beiträge
Themenersteller 
es gibt sooo viele ediths, mariannes und agathas - das ist die wohl die generation...

freuu - ich hatte schon bedenken, dass ich den emotionalen minimal-transport wieder nicht gebacken krieg *zwinker*

ich freu mich, dass edith - trotz der kürze des textes - erkannt werden konnte - ihre art und ihr problem

ich mag keine langen texte - es liest sich so schlecht auf dem monitor...

aber ich werde möglicherweise mehr von edith erzählen - kleine fortsetzungen - vielleicht wird sie ein stückweit verständlicher in ihren ängsten und grenzen - aber wohl nicht sympatisch

danke fürs lesen - tragedy

ps. konjunktiv - es wäre wohl besser - ich war mir unsicher - hoffte, man könne es auch so lösen - zuviel "könnte, würde, hätte" mag ich nicht - obwohl ich bekennender konjunktiv-fan bin (im leben)
Beauty's favourite @Argunar (2013)
******ool Frau
31.187 Beiträge
Gute Konjunktive
Werden ja auch nicht mit "würde" "hätte" "täte" gebildet, das sind nur Krücken sondern die eigentlichen Verben werden flektiert

Also nicht: sie würde zu lange brauchen, um die Strümpfe auszuziehen, sondern ... Sie brauche zu lange ...

Sorry fürs erneute *klugscheisser*
*******gedy Frau
1.352 Beiträge
Themenersteller 
kein problem...
stümmt - ok - nächstes mal konjunktiv wo sinnvoll oder nötig

und bestätigt meine Meinung über nach außen hin so gute Christen - meine Großtante küsste dem Pfarrer den Ring, drehte aber den Fernseher aus, sobald ein Farbiger ins Bild kam.

eine solche war edith - das erzähle ich ein andermal...
****i51 Mann
109 Beiträge
Hüte Dich vor Hochmut
Dein Lebensstiel ist anders, aber ist er besser? Natürlich ist es unangenehm, wenn man das Zimmer mit einer Person teilen muss, mir der man so garnichts gemein hat.
Ich hoffe nicht, dass wir uns jetzt über bigotte ältere Damen unterhalten müssen, die Plastikwolle in himmelblau verstricken.

Vielleicht sind die Karos, die wir stricken, in der korrekten Farbe aber manchmal einfach ein bisschen zu klein? *tomaten*
Eine Scheidung ist schlimmer
meint die alte Dame.

Und sie ist es einerseits absolut. Weil es um Schuldfragen geht, um Versagen etc.

Weil ein Mensch verloren geht und das nicht im gleichen Maße betrauert werden darf wie ein Todesfall.

Weil der Tod ermöglicht, Gedanken an ein gemeinsames Leben auf der Erde ad acta zu legen. Das ist bei einer Trennung nicht unbedingt so.

Scheidung gilt irgendwie als Versagen, Tod ist Schicksal.
Versagen?
Der Verlust eines Menschen im eigenen Leben ist schlimm. Auch wenn er selbst gewollt ist. Und es kann weitere Ausmaße annehmen, als erwartet und vorab erwartet.

Aber die Wörter "Versagen" und "Schuld" sind einfach sehr mit Vorsicht zu genießen und gehören meines Erachtens nicht unweigerlich dazu. ..

Grüße Miriam *schweig*
*******gedy Frau
1.352 Beiträge
Themenersteller 
auch wenn es hier nur bedingt hingehört
eine scheidung ist meist mit viel hass und schmerz verbunden - der verlassene fragt sich, was er falsch gemacht hat - hat vielleicht hoffnung, dass er es noch korrigieren kann - ist verletzt, hofft auf versöhnung - beide machen sie vorwürfe und streiten - es gibt einen loslösungsprozess

der tod gibt diese möglichkeiten nicht. aus heiterem himmel - zack - weg...
man kann nicht abschied nehmen, nichts besprechen oder klären
man hat keine hoffnung - es ist endgültig

edith spricht nur von der schande - vielleicht verdeckt sie damit ihren eigenen schmerz - vielleicht will sie meinen schmerz lindern - vielleicht will sie einfach von sich reden

ich kenne beide situationen - beide sind schmerzhaft
meine scheidung habe ich aufgearbeitet - wir verstehen uns besser, als in den zeiten unserer ehe - ich freue mich, dass wir das gepackt haben und beide weitergelebt haben - das hat mich versöhnt...

einen tod muss man irgendwann ad acta legen? - das ist für mich ungleich schwerer - es gab keinen grund - es passierte einfach - man versteht es nicht - man fühlt schmerz und wut und hilflosigkeit und der mensch mit dem man das alles besprechen - dem man es vorwerfen möchte, ist nicht mehr da

dieses schicksal muss man annehmen können

ät mogli
bin ich hochmütig? - mein lebensstil ist nicht besser - edith und ich sind verschiedene planeten - wir haben beide vorbehalte

ich muss nicht jeden mögen
****e_a Frau
583 Beiträge
"Ach? Du bist Witwe?", sie schaute kurz vom himmelblauen Gestrick auf.

Fein pointierter Text. Kühl und trotzdem mit starkem Herzschlag. Gefällt mir.
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