Er
Da ist er! Warum kommt er immer wieder? Sie hat ihn nicht eingeladen – noch nie! Aber in den Morgenstunden gesellt er sich immer wieder zu ihr. Ganz leise hockt er sich ans Fußende des Bettes, wartet den richtigen Moment ab, nimmt dann Besitz von ihrem Körper und lässt sie in Ängste verfallen, die inzwischen unerträglich sind. Zu Beginn kam er selten vorbei, vielleicht einmal im Jahr. Heute schaut er unaufgefordert täglich bei ihr herein und macht ihr eine Scheißangst. Abends hat sie Angst sich ins Bett zu legen, weil sie nicht weiß, wann er das Zimmer betritt. Liegt sie dann, hat sie Angst ihre Augen zu schließen und in die Traumwelt einzutauchen.
Mit den Jahren hat sie begonnen von ihm zu träumen - immer dann, wenn er schon das Zimmer betreten hat, aber noch nicht in ihrer unmittelbaren Nähe ist. In diesen Traummomenten weiß sie, dass sie ganz schnell aufwachen und einfach aufstehen muss, damit er wieder verschwindet. Wenn sie auf ihren Beinen steht hat er keine Macht mehr über sie, bekommt sie nicht mehr zu fassen. Verpasst sie diesen kurzen Augenblick, hat sie verloren und muss sich ihm hilflos ergeben.
Im Traum kann sie plötzlich ihre Arme nicht mehr richtig bewegen. Sie sind irgendwie steif, als ob sich alle Muskeln anspannen. Wenn sie dieses Gefühl im Traum empfindet, dauert es nur noch wenige Sekunden bis er da ist und beginnt an ihren Zehen zu knabbern. Sie kann ihn in der Dunkelheit des Zimmers nicht sehen, aber sie weiß, dass er sie hämisch angrinst und sein Gesicht dabei zu einer hässlichen Fratze verzieht. Wenn sie jetzt nicht aufwacht hat sie verloren. Das weiß sie und schwingt sich in guten Nächten noch im Halbschlaf aus dem Bett.
In schlechten Nächten fehlt ihr die Kraft rechtzeitig die Augen zu öffnen. Wenn sie die Angespanntheit ihrer Muskeln im Traum ignoriert, dann hat er diese Runde gewonnen und sie muss sich ihm bedingungslos ergeben.
Nein, sie hat ihn nicht eingeladen und er ist auch nicht willkommen. Aber das interessiert ihn nicht. Er kommt immer wieder.
Er, der Schmerz in ihren Beinen, der sie nachts schreiend im Bett liegen lässt, zu keiner Bewegung mehr fähig. Nur noch ihre Stimmbänder funktionieren und sie schreit so lange und laut, bis ihr Mann neben ihr wach wird und sie mit all seiner Kraft versucht irgendwie aus dem Bett zu bekommen, damit der ungebetene Gast den Raum verlässt.
Ja, er verschwindet, aber nur um in der nächsten Nacht wieder an ihrem Fußende zu stehen und einen günstigen Moment abwartet, um die nächste Runde zu gewinnen.
Luna