Mein kleiner Bruder
Mein kleiner Bruder ist, wie ich auch, in einem kleinen Dorf im Oberpfälzer Wald, an der tschechischen Grenze aufgewachsen. Die karge Gegend prägt die Menschen, insbesondere sprachlich.Bruno Jonas formulierte - ne fabulierte mal, dass die Oberpfalz das Sprachlabor Bayerns sei und einen virtuosen Umgang mit den Vokalen pflege.
Dazu hat er auch einen Beispiel Dialog gebracht:
Dou dadierd da da
Dou dadierd da da a
Dou dada da a dadiern
Da dies niemand versteht, außer den Oberpfälzer Eingeborenen, ist eine Übersetzung zwingend notwendig. Es geht hierbei um eine Antwort auf die Frage, an welcher Stelle man am besten einen Blumenstock platzieren sollte:
Dort verdorrt er dir
Dort verdorrt er dir auch
Dort würde er dir auch verdorren
Eigentlich ganz einfach, oder? Wie dem auch sei, mit dieser Sprache ist mein kleiner Bruder, wie ich natürlich auch, aufgewachsen. In der großen weiten Welt, war es allerdings nicht von Vorteil, sich so zu artikulieren.
In der Zeit, die ich in Regensburg verbrachte, bemühte ich mich, mir einen gepflegteren Umgangston anzugewöhnen. Die Preißen (sic!), aus meiner WG, gaben vor, mich nicht zu verstehen. Wobei Kieler und Mörser auch keine Leuchten des Hochdeutschen sind.
Aber ich wollte ja über meinen Bruder erzählen. Mein kleiner Bruder hat meine Bemühungen Hoch - bzw. Gepflegtdeutsch zu sprechen energisch sabotiert. Immer wenn er mit mir sprach, nutzte er den Mutterdialekt. Und automatisch hatte ich einen Rückfall in denselben.
Falls dies bemängelt wurde, antwortete mein kleiner Bruder mit Anekdoten. Besonders gerne erzählte er, wie ihn sein Doktorvater ersatzweise zu einem Vortrag bei einer Lehrerfortbildung aussandte. Er hielt den Vortrag in eben erwähnten Mutterdialekt. Auf Beschwerden seitens der Zuhörerschaft entgegnete er, er könne den Vortrag auch auf Englisch fortsetzen, da die meisten Quellen eh in dieser Sprache seien.
Er weigerte sich also gepflegteres Deutsch, auch bei wichtigen Terminen zu benutzen. Diese Verweigerungshaltung scheint typisch für ihn zu sein. Im Zuge seines Studiums und seiner Promovation war er insgesamt drei Jahre in Israel. Nicht nur, um Quellenarbeit zu machen, auch um Hebräisch zu lernen.
An seinem dreißigsten Geburtstag waren einige Mädels aus Israel auf seiner Geburtstagsfeier. Irgendwann bekam ich mit, dass er bei seinem Israel Aufenthalten keineswegs Hebräisch lernte, sondern sein Englisch perfektionierte (darüber, was er noch alles perfektionierte will ich gar nicht spekulieren). Er verweigerte sich also nicht nur dem Hochdeutsch, sondern auch der Hauptsprache für seine Promovation.
Letzt kündigte mein kleiner Bruder auf Facebook an, dass ihn die Tagesschau für ein Interview angefragt hat. Die Kommentare waren entsprechen zahlreich. Was nütze denn ein Interview, dass ein Großteil, der Zuschauer nicht verstehe. Aber Selbstverständlich, saß ich am Termin pünktlich um 20 Uhr vor der Glotze, damit es mir ja nichts entgeht. Ich würde es ja auf jeden Fall verstehen.
Der Bazi, der Sauhund, der elendige sprach perfektes Deutsch.
Und was soll ich sagen, ich bin furchtbar stolz auf meinen kleinen Bruder.