die maus
ich habe meine frühe kindheit in einer kleinen paterre-wohnung in einem schmutzigen hinterhof einer berliner mietskaserne aus der jahrhundertwende gewohnt.2 winzige zimmer (elternschlafzimmer und kinderzimmer) mit immer geschlossenen gardinen damit keiner reinschauen kann - mit immer geschlossenen fenster, damit keiner einsteigen kann.
die muffige wohnung war immer dunkel und auch tags musste man das licht anmachen, wenn man ein zimmer betrat. es gab kein bad und auch keine küche.
am ende des schmalen flures stand ein e-herd, ein kühlschrank und ein kleine küchenanrichte. wasser zum kochen und waschen gab es aus einem hahn mit kleinem waschbecken im kinderzimmer.
im kinderzimmer stand auch die waschmaschine - die rumpelte oft unablässig die nacht durch. ich hab schon in jungen jahren gelernt, jeden lärm beim schlafen zu ignorieren.
meine eltern waren noch jung. abends gingen sie gerne noch etwas in die kneipen der nachbarschaft. ich sollte schlafen, sie schimpften oft, wenn ich nicht gleich einschlief, sie aber endlich los wollten. ich tat dann so, als würde ich schlafen - aber ich schlief nie.
ich hatte angst allein zu sein. in den nächten wenn die waschmaschine nicht lief, hörte ich es rascheln.
seltsamerweise konnte ich die waschmaschine ignorieren, das rascheln aber hielt mich wach.
es waren mäuse, die sich durch die mauerrisse des alten hauses in unsere wohnung gedrängt hatten. man sah sie nie, aber man hörte sie deutlich. oft stundenlang.
ich hatte die kindliche angst, sie würden mich anfressen, so wie sie mit allem essbaren taten, was man liegen ließ. in gedanken sah ich scharen wilder bestien mit bösen augen und scharfen nagezähnen, das maul weit aufgerissen über mich herfallen.
meist weinte ich mich in den schlaf vor angst. manchmal, wenn ich es gar nicht mehr aushielt, lief ich durch die kleine wohnung, machte alle lichter an, schaltete den fernseher ein und kroch verängstigt in das bett meiner eltern.
ich muss 6 oder 7 jahre gewesen sein, als mein vater eines abends eine dieser mäuse einfing. mein onkel war zu besuch und anfangs war es wohl ein riesenspaß für beide.
ich wurde in mein zimmer geschickt und lauschte neugierig an der tür. ich hörte sie reden und lachen, verstand aber nix genaues.
irgendwann mischte sich ein schrei zwischen das gelächter. Ein seltsam hoher und leiser ton, der anschwoll. das lachen wurde lauter. ich öffnete die tür einen spalt und lugte in den flur.
ich sah meinen vater und seinen bruder am herd stehen und in einen riesigen suppentopf schauen. in diesem topf war die maus und die herdplatte war eingeschaltet, das wusste ich in diesem moment genau. ich erstarrte. ich sah wie betäubt, was dort geschah.
die maus schrie und schrie und schrie. mein vater und mein onkel hörten auf zu lachen und starten wie bebannt in den topf. ich weiß nicht wie lange es dauerte. irgendwann wurde es plötzlich ruhig und mein vater sagte trocken:"aus, die maus".
ich traute mich raus und fragte, was das gewesen sei und was mit der maus passiert ist, ich konnte mir nicht vorstellen, dass das was ich da gesehen hatte, wirklich so passiert war, aber mein vater schickte mich nur zurück ins zimmer. ich weinte.
am nächsten tag gründete ich mit den kindern aus meiner straße einen tierclub. wir taten unser zehnerle zusammen und kauften eine maus für ne mark in einem tierhandel einige straßen weiter.
in einem der abrisshäuser der umgebung richteten wir unser clubquartier ein und die maus wurde mangels eines käfigs in der schublade eines ausrangierten schranks untergebracht. gras, altes brot und obst vervollständigten ihr neue heim.
jeden tag trafen wir uns, jeder brachte etwas, von dem er meinte, mäusen könnte es schmecken. wir holten sie aus der schublade und spielten ausgiebig mit ihr.
dennoch gefiel es ihr scheinbar nicht so - einige wochen später war sie durch den kleinen spalt der wohl nicht ordendlich geschlossenen schublade geschlüpft und spurlos verschwunden. der club wurde wieder aufgelöst und wir bauten im hof des abrisshauses ein indianer-lager.