Die Goldene
Liebeslieder, die spinnt doch komplett, dachte Kurt. Jetzt, nach 50 Jahren, zur Feier, womöglich noch vor der versammelten Mannschaft. Er machte sich doch nicht komplett zum Vollpfosten.
„Wie du meinst“, hatte sie mit diesem spitzen Ton gesagt. „Dann gibt es auch keinen Sex mehr.“
Er hatte gelacht und da war sie wirklich wütend geworden. Mit dem Salatbesteck in der Hand, wie verhinderte Dirigentenstäbe, nein, wie außer Kontrolle geratene Paddel hatte sie in der Luft herumgefuhrwerkt, rot angelaufen war sie, du, du, du, du, du, hatte sie herausgestammelt, aber ‚Arschloch‘ nein, das brachte sie dann doch nicht über die Lippen, Gott bewahre.
Gelacht hatte er, weil ‚keinen Sex mehr‘, das hatte sie gerade in einem Film gesehen. Ingrid sah dauernd irgendwas in einem Film, und das musste sie dann genauso umsetzen. Ihre Küche wollte sie plötzlich genauso wie die von Mutter Beimer in der Lindenstraße, so eine Verrücktheit, von den Kosten ganz abgesehen, aber sie weigerte sich einfach weiter zu kochen und eine neue Küche brauchten sie sowieso, da ließ er ihr halt den Spaß. Und weil so eine Tussi aus „Dahoam is Dahoam“ plötzlich Griechisch lernte, wetzte seine Ingrid in die Volkshochschule. Na gut, das konnte man wenigstens beim nächsten Griechenlandurlaub gebrauchen. Bei ihrem letzten Coup, da konnte er nur gequält lächeln. Sein Abendbrottbrettchen dekorierte sie jetzt immer mit einem kleinen Glücksschwein, nicht ohne ihm von dem sanften, romantischen Schweinebauern Schorsch vorzuschwärmen, der auf diese Art und Weise irgendeine Stadtpflanze nach Hinterpfuiteifi gelockt hatte und dessen Hochzeit nächste Woche ausgestrahlt werden würde, im Schweinestall wahrscheinlich.
Aber ‚keinen Sex mehr‘ das ging zu weit.
Nicht das der Sex nicht noch verbesserungswürdig war, aber schlecht war er nun auch wieder nicht. Es musste immer absolut dunkel sein, er musste immer die Rollos bis zum Anschlag herunter ziehen, das war Grundvoraussetzung, dann ließ sie ihn drüber. Doch er fand und kannte seinen Weg. Sobald er eine ihrer Brüste gefunden hatte, ausufernd, ausladend, ein riesiger Schlauch, da war er auch schon bei der zweiten dran und ab da ging alles immer wie geschmiert. Sag Greifvögel, sagte er zu ihr, und komisch, das brachte sie über die Lippen, ‚Arschloch‘ nicht und ‚Dreckschwein‘ nicht, das höchste der Gefühle was sie sagen konnte war ‚vertrottelter Kanalräumer‘, aber sobald er ihre riesigen Brüste abgriff, und ihr befahl, sag greif! vögel!, piepste sie, mit diesem spitzen Ton, lauter, nochmal, sagte er, und ‚greif! und vögel!‘ und ‚du, du, du, du, du‘, es war ihm immer wieder ein Vergnügen.
Spreiz! Füsse! brauchte er eigentlich nur einmal zu sagen, so schnell waren ihre Beine auseinander, und doch er wiederholte es gerne und oft. Greifvögel und Spreizfüsse, er fands geil, man muss sich nur etwas einfallen lassen.
Er konnte das Gejammer seiner Schafkopfkumpel nicht verstehen. Aber er klärte sie auch nicht auf. Er grinste in sich hinein und sie wussten, sie wussten einfach, dass es bei ihm anders war, dass er mit dem Sex zufrieden war. Und wie sie Ingrid dann immer ansahen, wenn sie die Schnittchen hereinbrachte, wie sie bei ihren großen Brüsten hängenblieben, die sich hoben und senkten, wenn sie ging, wenn sie lachte, wenn sie sich vorbeugte, ja, das gefiel ihm auch.
Seine Ingrid war eine Ausnahme, eine Ausnahmeerscheinung, und wenn sie ihn dann noch anfunkelte, ihre kleinen Hände auf dem riesigen Busen ablegte, erinnerte sie ihn, stolz und schön und würdevoll an eine dieser Elefantendamen, und er wollte ihr Mastodon sein, er wollte sie einfach umrennen, einschaufeln, sich in ihren Brüsten vergraben. Aber das durfte er ja nicht sagen, die Brüste, die er so schön fand, das war ihr wunder Punkt. Ihre Brüste waren von roten Adern und Flussläufen durchzogen, ihre Haut aufgeplatzt, gesprengt, mit vielen, kleinen, feinen Tupfen, er hatte sie zum letzten Mal vor 20 Jahren oder so gesehen. Da war sie umgekippt, und er hatte ihr die Bluse aufgemacht, am hellen Tag.
Kompromisse, das war es, dachte er plötzlich. Kompromisse, das wollten sie doch immer die Frauen, und er wollte Sex am Morgen und sie sehen, und außerdem wurde er ja auch nicht jünger. Er holte Papier und Bleistift und begann zu dichten. Zwei gelangen ihm ganz gut, doch mit einem war er besonders zufrieden. Das müsste er nie und nimmer vor versammelter Mannschaft singen. Aber vor ihr. Vor ihr wollte er es singen. Er fand geniale Umschreibungen für Nasenhaare, nicht nur, dass sie ihm seine Nasenhaare immer schnitt, nein er fand einen Weg seine Nase in ihre Haare zu stecken, und ihre Nase in seine Haare. Laut lachen musste er bei der Pickelhaube, er war wirklich eine Pickelhaube gewesen, als sie geheiratet hatten, das war aber alles gar nichts gegen seinen Pickel und ihre Haube, und wie gut die beiden zusammenspielten.
„Ingrid, wart noch einen Moment“, sagte er am nächsten Morgen, „ich hab ein ganz besonders liebes Lied für dich.“ Er wollte aus dem Bett springen, aber er musste es ja auch nicht übertreiben, also ließ er sich Zeit und zog langsam das Rollo hoch.