Vatertagsmorgengrauen
Hannes hatte die Grillwürstchen und einen Sack Feuerholz im Gepäck, Gerd die Holzkohle und den leckeren Kartoffelsalat, den seine Diana ihm immer speziell für den Vatertagsausflug in einer Plastikschüssel mit Deckel und dem dazu passenden Picknickgeschirr einpackte.
Auch Hektor durfte mit. Im vergangenen Jahr war er noch zu klein gewesen. Jetzt war der Schäferhundrüde fast ausgewachsen und sprang freudig erregt und heftig schwanzwedelnd auf seinen Stammplatz auf der Ladefläche von Hannes’ Geländewagen.
Peter, der Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr einer kleinen Ortschaft am Rande des Siebengebirges hatte den Grill eingeladen, ein geräumiges Zelt und fünf Feldbetten.
Da in den letzten Tagen die typischen Temperaturen der Eisheiligen vorherrschten und nach wie vor Nachtfrost gemeldet war, hatte er außer den fünf Schlafsäcke noch einige dicke Wolldecken in den roten Hanomag der Freiwilligen Feuerwehr gepackt.
Erst als er seinen Weg zum Angelgewässer fortsetzte und Benno abholte, wurde ihm bewusst, dass sie in diesem Jahr ja nur zu Viert sein würden.
Just seit dem letzten Vatertag war ihr Kumpel Florian verschwunden. Einfach weg, spurlos.
Der See war idyllisch gelegen, in fast unberührter Natur, ungestört durch Straßenlärm und Wanderer, von allen Seiten von dichtem Wald umgeben.
Seit dem schrecklichen Vorfall hatten sie die Gegend allerdings gemieden und an anderen Gewässern geangelt.
Nun wollten Sie jedoch zu Ehren von Florian und im Andenken an ihn die Tradition fortsetzen, die sie seit mehr als 10 Jahren pflegten: Am Vatertag wird geangelt und am Abend vorher wird gegrillt und gezeltet.
Und natürlich reichlich gezecht. Deshalb lud Benno mehrere Kästen Bier in den Hanomag und wies mit Augenzwinkern auf den Inhalt der Kühltasche hin.
„Was Kühles, Klares zum Einheizen, damit uns heute Nacht nicht friert!“
Als Peter und Benno mit dem feuerroten Fahrzeug eintrafen, hatten Hannes und Gerd bereits den Zeltplatz gemäht und ihr Angelgerät einsatzbereit gemacht.
Der Hund genoss den freien Auslauf in der Natur. Er tollte umher, stöberte Feldmäuse und Wildkaninchen auf und jagte Krähen und Elstern hinterher.
Gemeinsam luden die vier nun den Rest der Ausrüstung aus dem Hanomag, bauten Zelt und Grill auf, jedoch nicht, ohne dass sich jeder zuvor ein Fläschchen Stubbi genehmigt hätte.
„Prost, Männer, trinken wir zunächst mal auf unseren schmerzlich vermissten Kumpel Florian!“ donnerte der Feuerwehrchef.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte zwar niemand einen Fisch aus dem See gezogen, trotz raffinierter, kostspieliger Angelausrüstung und allerhand geheimer Köderzutaten.
Aber das Bier schmeckte trotzdem. Hannes hatte den Grill in Gang gebracht, die Holzkohle glühte und alles war bereit, um damit Steaks und Würstchen perfekt zuzubereiten; es war genügend Holz vorhanden, um das lodernde Lagerfeuer in Gang zu halten, das bereits behagliche Wärme verbreitete.
Nachdem das Grillgut und der leckere Kartoffelsalat verzehrt waren, folgten noch einige obligatorische Schnäpschen, um die rechte Schwere für die Übernachtung bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zu erreichen.
Sie machten es sich in dem geräumigen Zelt auf den Feldbetten so bequem wie möglich und hüllten sich in die Schlafsäcke.
Hektor wurde angekettet, kroch unter den Hanomag und rollte sich auf einer warmen Decke zusammen.
Durch die helle Zelthaut war noch stundenlang das Knacken, Knistern und Flackern des Lagerfeuers wahrzunehmen und gelegentlich schreckte einer der Männer von den Geräuschen des umgebenden Waldes oder des Schnarchens seiner Kumpels aus dem Schlaf.
Selbst als Hektor kurz knurrte und anschlug, lauschte Hannes nur kurz in die Dunkelheit, schlief dann jedoch wieder tief und traumlos weiter.
Benno erwachte als Erster. Er überprüfte die über Nacht ausgelegten Angeln. An dem Schwimmer seiner Angel hatte sich lediglich ein Birkenblatt verfangen. Er holte die Schnur ein, löste das Blatt vorsichtig, bevor er die Angel mit einem neuen Köder versehen wieder auswarf.
Dann ließ er Hektor von der Kette, der wild umhersprang und heftig schnüffelnd die Umgebung erkundete.
Auf dem Gaskocher am Hanomag kochte er Wasser und goss sich einen Pulverkaffee auf.
Die anderen erwachten nacheinander, jeder mit einem ordentlichen Brummschädel. Sie traten aus dem Zelt und blinzelten schläfrig in die Morgensonne.
Benno reichte jedem einen Becher mit Kaffee und holte aus der Kühltasche einige belegte Brote.
Langsam erwärmte sich die kühle Morgenluft und sie platzierten sich an ihren üblichen Angelstellen und versanken in müdes Grübeln.
Im vergangenen Jahr, als sie nach einer ebenso alkoholschwangeren Nacht am Morgen des Vatertages erwachten, war Florian am Vatertagmorgen nicht mehr da.
Sein Angelgerät hatte unberührt dort gelegen. Keines seiner Kleidungsstücke war zurückgeblieben.
Im feuchten Morast rund um den See konnten einige unbestimmbare Schuhspuren gefunden werden. Die Suche nach ihm blieb erfolglos.
„Ich hab’ einen Biss!“ rief Hannes aufgeregt und kurbelte hektisch an seiner Angelrolle. Während er seinen Fang herbeizog, stiegen dicke, blubbernde Luftblasen empor. Als er die Schnur fast eingezogen hatte, konnten die Männer etwas Dunkles, Buschiges erkennen, das so gar nicht nach einem Fisch aussah.
„Ja was ziehst denn da an Land? Einen Wischmopp?“, spottete Gerd, wurde allerdings unvermittelt blass, als er genauer hinschaute.
Unterhalb des zerzausten Büschels hing etwas Helleres und als Hannes das seltsame Etwas anhob und dieses sich drehte, blickten sie in ein fahles Gesicht mit leeren Augenhöhlen, dessen Hautreste nur noch als Fetzen herabhingen. Bei dem verfilzten dunklen Busch handelte es sich zweifelsfrei um den dunklen Schopf von Florian.
Peter drehte sich um und würgte heftig. Auch die anderen drei waren beinah grün im Gesicht.
„Verdammt, das ist ja nur sein Kopf!“ rief Gerd.
„Halts Maul, Du Idiot, das sehen wir auch.“ fluchte Benno. “Da hamse wohl doch nicht alles ordentlich mit Tauchern abgesucht!“
Peter gab die Information über den grausigen Fund über Notruf weiter.
Nun kam der Apparat ins Rollen.
Es wurde eine intensive Suchaktion gestartet.
Im und rund um den Angelsee wurde mit einem Großaufgebot von Polizei und Feuerwehrtauchern akribisch gestöbert.
Im Umkreis von mehreren Kilometern wurden eigens für die Suche von menschlichen Überresten ausgebildete Hunde eingesetzt.
Dabei wurde nicht nur Florians Torso gefunden.
Es fanden sich weitere, bereits ältere menschliche Überreste. Intensive Grabungen rings um den See und im angrenzenden Wald folgen. In den jeweiligen Bereichen, wo die Suchhunde einen Fund vermeldeten, kamen weitere, zum Teil zerstückelte Leichen zum Vorschein.
Letztlich ging die Polizei von einem Täter aus, der für den Massenmord von mindestens zehn ausschließlich männlichen Personen in Frage kam.
In der Nähe des Zeltlagers am See wurden deutliche Schuhspuren eines schweren Wanderstiefels gesichert.
Die Spuren deuteten darauf hin, dass das Lager mehrmals umrundet wurde. Sie konnten durch dichtes Gestrüpp zurückverfolgt werden bis zu einer Waldwegeinfahrt an der Straße.
Dort waren im Morast Reifenabdrücke erkennbar, von denen sich die Polizei, ebenso wie von dem Schuhprofil, weitere Ermittlungsansätze bezüglich des Täters erhoffte.
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„Braver Hektor!“ lobte Hannes seinen Schäferhund, dessen Anwesenheit offenbar einen weiteren Mord verhindert hatte.