Ungeahnte Enthüllungen
„Du, rat mal, wen ich vorhin in der Fußgängerzone getroffen habe! Du wirst es nicht glauben, was denkst du?“
„Was soll denn diese kindische Fragestellung? Scheinbar willst du mir was erzählen, dann nur raus mit der Sprache. Ich habe gerade ein paar Minuten. Aber nicht mehr. Ich muss noch den Bericht hier zu Ende lesen.“
„Du meinst sicher `anscheinend`, mein Lieber. Wieso so gereizt? Sag doch einfach, dass dich mein Gelaber nicht interessiert. Ich will sicher nicht deine wertvolle Zeit vertrödeln.“
„Oh, Mann. Ist ja schon gut. Also. Wen hast du getroffen, was war so besonders daran und ist das der Grund, dass du, obwohl du vor circa 3 Stunden das Haus verlassen hast, um `schnell etwas fürs Abendbrot einkaufen zu gehen, jetzt erst und offensichtlich ohne jegliche nahrhaften Dinge zurückkommst?“
„Deine verschwachtelte Sprechweise und dieser eisige Ton deuten wie immer darauf hin, dass du mal wieder eigentlich keine große Lust dazu hast, dich weiter deinem geheimen Projekt zu widmen. Du willst sicher mal wieder eine Nachtschicht einlegen, nur um nicht gleichzeitig mit mir ins Bett gehen zu müssen. Ich kenne deine Tricks inzwischen.“
„Verschwachtelt? Herrgott, wieso nimmst du solche Ausdrücke nur immer wieder in den Mund, wenn du doch keine Ahnung hast? Verschachtelt heißt das, und meine Art zu reden ist zumindest korrekt. Können wir uns ein anderes Mal darüber unterhalten, wie gut du meine Taktiken, dir aus dem Weg zu gehen, kennst und rückst du jetzt mit der Story raus, bitte? Sonst sitzen wir hier wirklich heute Nacht noch.“
„Wie höflich der Herr sein kann. Wenn du mir also dein Ohr leihst, werde ich es dir erzählen. Ich war also gerade mit dem Fahrrad am Anfang der Fußgängerzone angekommen. Ich wollte zum Metzger an der Rathausecke, um ein paar seiner Spezialwürstchen für mein Linsengericht zu holen, das du so gerne isst. Gegen den eisigen Wind hatte ich mir meinen Schal um den Kopf geschlungen, richtig schön warm eingepackt also, nur dass ich dadurch etwas in meiner Sicht eingeschränkt war.“
„Das klingt ja wie bei Dr. Schiwago. Hoffentlich wird es nicht auch ebenso lang.“
„Sehr witzig. Diese Details sind wichtig, pass auf. Ich konnte also nicht gut sehen und stieß daher nach ein paar Metern mit einem Mann zusammen, der gerade aus dem Juweliergeschäft kam – du weißt schon, der teure, an dem du mich immer gleich vorbeizerrst.“
„Solche Seitenhiebe kannst du dir nicht verkneifen, was? Warum hör ich dir überhaupt immer noch zu?“
„Warte, warte, das wird dir gefallen. Wir entschuldigten uns gleichzeitig und mussten daraufhin beide lachen, ich fand ihn sehr sympathisch.“
„Wer war es denn jetzt, mein Gott? Das klingt ja, als ob du ihn gar nicht gleich erkannt hättest.“
„Nein, ich kannte ihn ja auch gar nicht. Sah ihn zum ersten Mal. Sehr gutaussehender Mann und sehr wohlerzogen. Er half mir, meinen Einkaufskorb, der mir bei unserem Zusammenstoß aus der Hand gerutscht war, wieder aufzuheben und bot mir dann an, mich auf den Schreck hin zu einem Kaffee einzuladen.“
„Du warst also mit einem wildfremden Mann Kaffee trinken, während ich hier am Hungertuch nage? Das wird ja wirklich immer besser.“
„Nun, wildfremd kann man nicht gerade sagen. Er hat sich mir natürlich vorgestellt. Und als ich seinen Namen hörte, konnte ich nicht Nein sagen und bin mit ihm gegangen. Wir haben uns großartig unterhalten.“
„Jetzt spann mich nicht auf die Folter. Kenne ich ihn?“
„Du hast den Namen mehr als ein Mal erwähnt, mein Bester. Es war Herr Plagstricker, dein Chef.“
„Oh.“
„Sehr interessant, was er mir alles berichten konnte, was so in eurer Firma alles läuft im Moment. Und, mein Lieber, das erklärt so Einiges. Du glaubst gar nicht, wie froh ich war, zu erfahren, dass man dich versetzt hat und du jetzt nicht mehr so schwierige Aufgaben hast – der Job hat dich ja viel zu sehr überfordert. Ich weiß jetzt Bescheid, und du, komm du mir bloß nicht mehr mit `ich muss aber den Bericht noch lesen für meine Präsentation morgen`!
„Aber…“
„Ach, halt den Mund. Es tat Herrn Plagstricker richtig leid, dass sie dich in die Pförtnerloge haben verfrachten müssen, aber da du so oft fehlen würdest und das Meeting mit den Japanern mit deiner Inkompetenz versaut hättest, wurde er von seinen Vorgesetzten dazu genötigt. Dabei hätte er deine Witze auf der Arbeit immer gemocht.“
„Ach?“
„Du wärst das beste lebende Beispiel für Kompetenzsimulation, das ihm bisher untergekommen sei. Hat er gesagt. Ich muss gleich mal nachschlagen, was das genau bedeutet, aber ich spüre bereits, dass ich ihm da voll und ganz zustimme. Machst du uns jetzt bitte ein paar Häppchen fürs Abendessen, während ich mich aufwärme und am Computer nachlese? Danke, Schatz.“