Remember the truth
So viel Gefühl, so wenig Zeit. Es war dafür eine wundervolle kurze Zeit. Da es im Moment nicht anders ging, wir uns zwar regelmäßig, aber nur für wenige Stunden sehen konnten, genoss ich es umso mehr, unser Zusammensein.
Abschied gehörte von Anfang an zu unserer Beziehung. Ich wusste, dass die Zeit meine Gefühle, meine Liebe nie auslöschen könnte. Was bedeutete also schon Zeit….
Ich schob meine Lieblings-CD in den Player und schaltete die Scheinwerfer ein. Es wurde diesig, die Welt versank im Grau. Das Licht der beiden künstlichen Augen erhellte die Straße, die vor mir lag, die mich nach Hause führen sollte.
Mein Körper war noch immer aufgeputscht, ich trug seinen Geruch auf meiner Haut, mein Körper brannte an den Stellen, an denen ich seine Berührungen spürte. Heiße, geflüsterte Worte klangen nach in meinem Ohr, seine Lippen schmeckte ich auf meinen, spürte seine Hände sanft um meine Brüste gelegt, seine Lenden fordernd gegen die meinen gepresst.
Jeder Kilometer der mich aus seiner Umarmung riss, brachte mich näher an die unstillbare Sehnsucht nach ihm, die mich bis zum nächsten Treffen erfüllen sollte.
Wie ein Schatten hält sie sich versteckt, eine Stimme im Dunkel, die sich dann meldet, wenn man glaubt, sich vor ihr in Sicherheit gebracht zu haben. Unerbittlich ist sie, besteht auf ihre Daseinsberechtigung und fordert erfolgreich Aufmerksamkeit.
Harte Musik dröhnte durch mein kleines Auto, die Lautsprecher bebten, das Metall der Karosserie schien im Takt zu vibrieren, die tiefen, hämmernden Bässe peitschten meinen Puls in die Höhe.
-Keine Angst vor dem Tod, keine Angst vor Schmerzen- war mein Mantra und so trat ich das Gaspedal durch. Der kleine Wagen machte einen Hopser nach vorn, ich krallte meine Finger um das Lenkrad und mein Kopf nickte im harten Takt der Metal-Klänge.
„Never be alone“ röhrte der Sänger durch die Lautsprecher, es hörte sich manchmal an wie „ever be alone“, ich weigerte mich, den Knoten, der sich um mein Herz wand, zu beachten.
Schon wieder diese Sehnsucht – da war sie, wie gesagt, sie schlägt immer unerwartet zu.
Die Musik tat mir gut, sie durchflutete meinen Körper, streichelte meine Haut, erfüllte meinen Kopf. Innerlich begann ich, meine Flügel auszubreiten und zu fliegen. Euphorie durchströmte mich, ich spürte meinen Körper als wundervolle Einheit und ein wahnsinniges Glücksgefühl ergriff mich.
Ich flog in der Freiheit meines Fühlens, dem einzigartigen Gefühl, trotz der Entfernung mit ihm verbunden zu sein.
Diese Wahrheit würde mir nichts und niemand nehmen können
„NICHT MAL DU“ schrie ich über die lauten Bässe hinweg und stellte mir dabei den schwarz gewandeten Kapuzenmann vor. Ich lachte, bis Tränen meinen Blick verschleierten, die Straße vor meinen Augen verschwamm. Hastig wischte ich sie aus den Augenwinkeln, versuchte ein wenig Aufmerksamkeit der Strecke zu widmen. Hier war das lange Waldstück, das sich ewig in die Länge zog. Es war verdammt dunkel, die Scheinwerfer gaben sich größte Mühe, das Schwarz zu zerschneiden, mir einen Weg zu bahnen.
‚Der Tod; was ist das eigentlich?’ grübelte ich,
‚es ist doch nur ein weiterer Zustand, so wie das Leben auch nur ein Zustand ist. Nur dass Tod eben nicht der Zustand ist, den sich ein Mensch normalerweise erwünscht. Doch wird ihn jeder erreichen. Ob er will oder nicht. Das ist nun mal die Wahrheit, vor der alle die Augen verschließen und versuchen, sie mit allen möglichen und unmöglichen Nichtigkeiten zu verdrängen. Die Wahrheit ist hart und grausam. Logisch, dass sie daher kaum jemand will, geschweige denn erträgt.
Ich bestehe aber darauf, denn ich habe keine Angst vor dem Schmerz der Wahrheit….’
„Ha! Ich hab keine Angst vor dir!“ grinste ich trotzig dem imaginären Sensenmann entgegen. Mutig, vorlaut, das Schicksal herausfordernd? Mir egal, es war die Wahrheit.
Mein Handy klingelte. Es lag auf dem Beifahrersitz, gefährlich nahe an der Kante des Sitzes. Bevor es durch sein eigenes Vibrieren in den Fußraum plumpste, erkannte ich SEIN Bild, das ich seinen Anrufen zugeordnet habe, auf dem Display. Mein Herz raste. Ich freute mich, fing an zu zittern.
Er rief öfters nach unseren innigen Momenten an, um meine Stimme noch mal zu hören und um ein wenig über das Erlebte zu reden.
Ich beugte mich schräg über den Beifahrersitz und tastete nach dem klingelnden Handy. Meine Finger strichen über den staubigen Gummi der Fußmatte, kleine Sandkörnchen setzten sich unter meinen Nägeln fest.
‚Verdammt, wo ist das Mistding nur’ fluchte ich innerlich. Ich sah den matten Lichtschein, den das lange Klingeln auf dem Display erzeugte, dann erlosch es.
„Shit“ brüllte ich, doch die Drums des Liedes, das aus den Boxen dröhnte, übertönten mit Leichtigkeit meine Stimme. Ich zog den Wagen auf die Mitte der Straße zurück und wagte es, mich tiefer in den Fußraum zu beugen, soweit dies der Gurt zuließ. Das Handy konnte nur unter dem Sitz liegen, soviel war klar. Zwischen Zeigefinger und Daumen packte ich nach kurzem Suchen das Plastik des Handys, es rutschte nach vorne in das Dunkel des Fußraumes.
Ein greller Lichtschein, der plötzlich meinen Wagen erhellte, ermöglichte mir, das kleine Ding zu erkennen und zuzugreifen.
„Jetzt ruf ich ihn sofort zurück“ rief ich und richtete mich glücklich auf. Ich pustete eine lange Haarsträhne aus meinem Gesicht und blickte nach vorne, das Handy fest in meiner Hand.
Die Scheinwerfer meines Wagens beleuchteten einen Brückenpfeiler, der das Licht reflektiert hatte und mir so das Sehen und Finden ermöglichte – jetzt kam er rasend schnell auf mich zu.
Ich habe keine Angst vor Schmerz, und der letzte, endgültige Kuss des Betons, der mich in das Land ohne Zeit führen würde, war schmerzlos….
© Lys 06/2011