Da draussen....
"Moin" tropfte der Gruß widerwillig aus dem Munde des untersetzten Mannes, dem die Müdigkeit aus den Augenhöhlen zu kriechen schien.
"Guten Morgen"" kam es zurück.
Ein Neuer, dachte der Wachhabende und musterte den Neuankömmling, ohne direkt hinzusehen.
Gel in den Haaren, Ohrring links, Hände wie ein Eichhörnchen, einen höhnischen Zug um die Mundwinkel (es sah ständig so aus, als nähme er das Leben nicht ernst) und ein weiches Gesicht. Das waren die ersten Eindrücke, und sie bedeuteten rein gar nichts.
"Du bist der Neue, hallo ich bin Tom" sagte der Untersetzte, deutete auf einen Bürostuhl und ließ keinerlei Zweifel daran, dass der Neue sich dort hinzusetzen hatte.
Der Händedruck war wie das Gesicht. Weich. Tom hasste es wie die Pest, wenn man ihm kalte, schlabbrige, weiche Wurstfinger in die Hand legte und nicht einmal einen ordentlichen Druck übrig hatte.
"Ich bin Nicole" antwortete das Neue und Tom überspielte seine Verwirrtheit.
"Macht nichts, setz dich"
Es folgte eine allgemeine Einweisung. Nicole "der" Neue, hörte aufmerksam zu und stellte nur wenige Fragen. Nach einer guten Stunde ging man zur Übung über. Nicole, mit gut 70 Kg bei 1,65 m Länge recht robust gebaut, setzte sich an die Leitstelle und nahm unter Anweisung des Wachhabenden alles wahr, was sie heute Nacht allein absolvieren sollte. VENÜ. Das alte Leitkonzept der Bundeswehr galt noch immer. Vormachen, erklären, nachmachen, üben. Sicherheit durch Wissen. Nicole stellte sich nicht allzu blöde an und man konnte bemerken, dass sie und in der Folge auch der Wachhabende, sich zusehends entspannten.
Die Haupt- Tätigkeit in einer NSL, Notruf und Service- Leitstelle, bestand aus warten. Warten auf Stress. Auf Action, auf Notrufe, Einsätze und auch auf dumme Fragen. Der letzte war von Witzbold Rolf.
"Hey. Ich habe hier einen alten B
rie. Sind die immer auf der Flucht und darf ich sie erschießen?"
"Aufessen und so an der Flucht hindern" war die Antwort. Rolf war okay, sonst hätte er es ins Buch eintragen müssen. Aber wozu....
Der Wachhabende lehnte sich zurück. Blickte nach links. Eine steile, V- förmige Falte zeigte sich auf seiner Stirn. Für einen winzigen Augenblick sah er besorgt aus.
Unwillkürlich folgte Nicole seinem Blick.
"Ist da etwas?" fragte sie mit ihrer, jetzt wo er wusste, dass sie kein Männchen war, eher indifferenten Stimme.
"Nein" antwortete Tom lakonisch und wandte sich wieder den Monitoren zu.
"Erklärst du mir das mit den Alarmfahrten noch einmal?"
"Klar" antwortete er und war insgeheim froh, abgelenkt zu werden.
Anschließend gingen beide in die Waffenkammer. Tom zeigte Nicole das Arsenal. 4 GLock 17, 2 Heckler & Koch P7 und 5 narrensichere Smith & Wesson 629 in .357 Magnum.
Für Objektschutz und Separatschutz schon überbewaffnet, aber der Chef ging wohl gern auf Nummer sicher. Dabei ist man im Objektschutz, sofern es sich nicht um ein Atomkraftwerk oder Flughafen oder Munitionsdepot handelt, eher ein besserer Grüß- August. Den meisten Mitarbeitern war das nicht klar. Sie benehmen sich zumeist wie Graf Koks von der Bananenweide.
Tom musste immer grinsen, wenn er an den Widerspruch denken musste. Die Berufsbezeichnung lautete: SMA. Sicherheitsmitarbeiter. SM. Ist klar. Der Widerspruch war, dass man vor dem Gesetz als Besitzdiener galt.
Nicole bemerkte sein Grinsen und bezog es auf sich. Er bedeutete mit einer Kopfbewegung, das Arsenal zu verlassen und korrigierte das Missverständnis.
"Sado- Maso, was?"
"Spricht was dagegen?"
"Und wenn?"
"SMA Nicole. Wenn du demnächst Dienst auf einem Fischkutter schieben willst, red nur weiter"
"Nee nee, schon gut"
Sie nahmen wieder vor den Monitoren Platz. Tom sah wiederum aus dem Fenster.
Der Teutoburger Wald. Wie gemalt an einem frühen Morgen wie diesem. Die Wälder und Baumreihen in einer Meile Entfernung schienen wie hinter einem dämpfenden, glastigen Schleier zu liegen.
Davor saftige Wiesen, von denen im drängender werdenden Licht der Sonne leichter Dunst aufzusteigen schien.
Und doch betrachtete Tom den Rand des Waldes mit einem seltsamen Blick.
"Du schaust immer zum Wald, gibts da was Besonderes?"
"Nein" kam wieder die knappe, schroffe Antwort.
"Mh hmm"
"Wann machst du 34a?" Fragte Tom, um auf irgendein Thema abzulenken. Er meinte die Unterrichtung der IHK ohne die man den Dienst hier gar nicht machen durfte.
"Montag gehts los."
"Und dann?"
"Wie und dann"
"Was machst du dann?"
"ääh... keine Ahnung"
"Ach so. Das bedeutet, du bist mit 7,14 Euro Tariflohn im Bewachungsgewerbe zufrieden?"
"Nein!"
"Ja, dann: Wie willst du die Quote erhöhen? Man munkelt, dass der Chef schon 2 Liebchen hat, da wirds eng"
Die Stimmung im Raum änderte sich schlagartig. Toms besonderes Talent. Schwachstellen zu spüren und mit den Fingern drin zu popeln.
"Also erstens: ich habe es nicht nötig, mich hochzuschlafen. Zweitens erkenne ich ein Arschloch 10 Meilen gegen den Wind. Drittens stehe ich nicht auf Männer und Viertens kannst du mich mal!"
Nicole war zur Wildsau mutiert. Jetzt fehlte nur noch, dass ihr Hörner wuchsen und sie rötlich- orange Augen bekam, dann konnte Tom mit dem Exorzismus beginnen.
"Schon gut, schon gut, Test bestanden, reg dich ab, du Gipsnacken. Was ich meinte, war Fortbildung. Sachkundeprüfung, dann Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Waffensachkunde und so weiter. Als Fachkraft liegst du schon bei 14 Euro"
Tom lächelte. Nicole, mit ihrem eher sehr jungenhaften Äußerem und ihrer in der Uniform recht unvorteilhaften Figur gehörte absolut nicht ins Jadgschema des Chefs. "Wo es Haie gibt, ist man vor Krokodilen sicher" hatte Pa immer gesagt. Und Recht hatte er.
....sprich, was wahr ist...... das alte Luther- Zitat war allgegenwärtig.
"Nicole, eine Sache." Schob er ein, als er Nicole´s Wirrnis im Hinblick auf eine Karriere in einem Satz las, " Von mir wirst du niemals eine Lüge hören, auch wenn es von Zeit zu Zeit brutal ist. Diese faschistische, schizoide Gesellschafts- Struktur lässt mich am Leben verzweifeln, ich finde die Welt einfach nur zum kotzen. Wale werden getötet, die Umwelt zerstört, Tiere gequält, Menschen geschunden und ausgebeutet und noch viele Dinge mehr. Nicht mehr lange, und wir werden die Quittung dafür bekommen, es hat bereits begonnen"
Nicole war überrascht ob des dramatischen Thema- Wechsels. Und wieder beobachtete sie, wie Tom einen schnellen Seitenblick zum Waldrand warf.
"Du lügst also nie?"
"Richtig"
"Falsch"
"Wie bitte?"
"Was ist am Waldrand?"
Bingo. Kalt erwischt.
"Nichts ist wohl eine Lüge oder?"
Tom dachte nach und zeigte seine V- Falte auf der Stirn. Erhabener diesmal, und das gab seinem Gesicht bei den herrschenden Lichtverhältnissen einen dämonischen Zug.
"Nein, keine Lüge. Es ist tatsächlich Nichts. Und doch vielleicht ein etwas"
"Hä?" antwortete Nicole konsterniert.
Tom zögerte. Sollte er oder sollte er nicht? Dann traf er eine Entscheidung.
"Okay. Ich hoffe, du nimmst das nicht allzu ernst."
"Was denn zum Kuckuck?"
"Ich muss ein wenig ausholen. Hast du ab und zu so.... Momente erlebt, die skurril sind?"
"Zum Beispiel?"
"Naja so ... Augenblicke, in denen du etwas siehst, ohne hinzusehen"
"Verstehe ich nicht"
"Stell dir vor, du liegst im Bett. Es stürmt und du bist wach und hörst dem Wind beim pfeifen und jaulen zu. Die Straßenlaterne wankt und schwankt und scheint durch den Baum vor deinem Fenster. Skurrile Formen tanzen über die Wände, über die Decke, immer neue Muster bildend. Fasziniert beobachtest du das Schattenspiel und ein wenig fürchtest du dich. Wovor? Du weißt es nicht. Und doch siehst du weiter zu mit einer morbiden Faszination, der dich zu entziehen du nicht vermagst."
"Ja das kenne ich"
"Das ist gut, sehr gut. Jetzt stell dir vor, du wirst müde. Der Wind zerrt und rüttelt am Fenster, an den Türen. Es wird kälter, du ziehst die Decke bis ans Kinn. Du wirst müde, schläfrig. Deine Lider sind nur noch halb geöffnet und dein Geist ist divergent. Quasi zwischen dem Hier und dem Schlaf, irgendwo im Zwischenreich, wo die Grenzen fließend sind. Dann, und nur dann kann man aus den Augenwinkeln etwas sehen. Nein, nicht sehen, wahrnehmen. Du spürst sie. Du siehst aus den Augenwinkeln, wie sie wuseln, wie sie schleichen, durch das Glas, über die Wände, durch die Schatten. Du kannst ein wispern hören, kaum wahrnehmbar. Du hörst sie kreischen, zetern, höhnen und geifern. Und wenn du die Augen auf machst und hinsiehst sind sie fort"
Nicole war blass und sah recht ernst aus.
"Red weiter" forderte sie ihn auf.
"Hier. Hier im Wachhaus, hinter den gläsernen Barrieren sind wir nicht sicher. Wir, nein ich. Ich wache hier seit Wochen. 12 Stunden wachen, 12 Stunden Ruhe und aufatmen. Die Nachtschichten sind... seltsam. Gegen 1 Uhr nachts, wenn der Mond scheint und den Waldrand in skurriles Licht taucht, ändert die Natur dort draußen ihre Laune. Sie wird... fast feindselig. Ich spüre etwas. Eine Präsenz, die nur selten erwacht. Und sie ist alt. Sehr, sehr alt. Wenn ich dann hier sitze und die Glieder schwer werden, wenn ich hier sitze und es passiert nichts, der Geist wird träge, die Gedanken langsam und die Lider schwer... dann sehe ich Dinge dort draußen. Dinge, die ... wuseln. Die etwas tun. Sie geifern, sie graben, sie sind umtriebig. Und sie hassen uns..... und dann sehe ich hin und alles ist weg. An Schlaf hier im Dienst ist nicht zu denken. Denn "Sie" sind dort draußen..."
Tom hielt inne. Er sah, wie Nicole zweifelte. Unglauben sprang ihn aus den wasserblauen Augen förmlich an.
"Du wirst es sehen" nickte er ihr zu und flüsterte "du wirst es sehen.... Und beobachte. Der Parkplatz vor der Fabrik hier nebenan ist riesengroß. Jeden Tag werden hier ca 80 LKW abgefertigt. Eigentlich sollten hier, nimmt man die sanitären Einrichtungen extra für die Fahrer, ständig Lastwagen stehen und parken. Hier steht ab abends niemals jemand. Nur wir sind hier, nur wir." Nickte Tom und versuchte, zuversichtlich zu wirken.
Dann war es 19 Uhr. Tom schnappte sich den Rucksack, drehte sich noch einmal um. Ernst sah er die junge Frau mit dem männlichen Äußeren an. Dann setzte er den Rucksack ab und kramte darin herum.
"Nur zur Sicherheit Nicole."
Er gab ihr ein Medaillon auf dem eine Teufelsfalle eingraviert war. Die Stimmen der Erzengel.... und ein Paket mit 50 Schuß Remington .357 Magnum Munition.
Nicole sah ihn fragend an.
"Nur zur Sicherheit. Munition, die nicht aus der Waffenkammer verschossen wird, muss nicht ins Wachbuch eingetragen werden"
Nicole wurde unsicher. Ihr Mundwinkel- Lächeln war verschwunden, der höhnische Zug Vergangenheit.
"Bis morgen" grüßte Tom und verließ die Zentrale. Er stieg in den silbernen BMW, sah sich noch einmal um und brauste los. Er fragte sich, ob morgen früh noch die gleiche Nicole da saß....
(c) 2011 by TRB
Tom