Inspiration
Zum Thema gelungene Geschichte, die, wie wir hier und da lernen können, einen Anfang, ein Ende und dazwischen einen möglichst interessanten Spannungsbogen haben sollte, viel mir als Erstes ein, dass der berühmte Musenkuss, die Inspiration, die am Anfang steht, wohl bei jedem unterschiedlich beginnt. Es würde mich sehr interessieren, wie das bei euch läuft, liebe Mitschreiberlinge.
Habt ihr eine Idee und baut ihr das Drumherum dann so lange aus, bis alles zu passen scheint oder fangt ihr mit dem ersten Satz an und entwickelt sich der Rest? Treibt euch die Lust am Schreiben dazu oder muss eine Idee, ein Ansatzpunkt, der eine Geschichte werden könnte, gezwungermaßen aufs Papier (in die Tasten) gebannt werden?
Anlässlich der Olofschen Märchen sprach man davon, dass alle hier, ich denke ohne Ausnahme, auch gerne lesen, Lesen für uns einfach dazu gehört und Geschichten immer wieder interessant und wichtig sind. Und dass man schon als Kind damit anfängt, die Liebe zum Wort zu entdecken, sein Leben lang von Geschichten begleitet werden kann, weil so viel darin zu uns spricht.
Das Thema Märchen und die scheinbar ewigen Deutungsmöglichkeiten, ihre Faszination und der nie ganz zu ergündende Einfluss, den sie auf unser Leben nehmen können, brachten mich zum Nachdenken und es stellten sich Fragen, die ich mit euch teilen möchte. Vielleicht stoss ich damit auch andere zum Nachdenken an und ich würde gern erfahren, wie ihr das seht.
Zuerst mein nicht ganz ernster Ansatz zur oberflächlichen Deutung der meisten Märchen:
Wieso erwarten wir eigentlich, wenn wir unseren Kindern alte oder neue Märchen erzählen, dass sie dann noch auf uns hören, wenn wir ihnen gutgemeinte Vorschriften machen?
Tarzan schwingt sich halbnackt durch den Urwald… Aschenputtel kommt erst nach Mitternacht nach Hause… Pinocchio lügt andauernd… Aladin ist der König der Diebe… Batman fährt 320 km/h... Dornröschen faulenzt ewig herum… Schneewittchen lebt mit 7 Kerlen zusammen… Rotkäppchen hört auch nicht auf ihr Mutter… Und da wundern wir uns noch, wenn die Kleinen dauernd Dummheiten machen.
Werte vermitteln ist damit schwer möglich, findet ihr nicht? Zum Glück kann sich ja immer wieder rausreden mit: is` doch nur eine Geschichte, im wahren Leben müsst ihr leider ganz anders handeln, denn ihr seid keine Märchenfiguren oder Superhelden. Obwohl es doch eigentlich schön wäre, wenn sie noch ne Weile länger in diesem Glauben verblieben und erst mal ein starkes Selbstbewusstsein entwickeln.
Am deutlichsten ist mir das bei meinen Kindern beim Vorlesen und Anschauen von Pippi Langstrumpf-Geschichten geworden. Sie kann alles, darf alles, tut wozu sie Lust hat, wann es ihr passt. Sie kann fliegen, kämpfen, hat Spaß dran, Leute zu verarschen, ist die Stärkste und Frechste von allen.
Doch meine Kinder wollten ihr das gar nicht nachmachen, weil sie schnell kapierten, wie unwirklich das ist, und haben sich eher mit Tommi und Annika verglichen, die in Pippis Abglanz baden und dennoch ihren Spaß haben.
Die Geschichten lehren Toleranz, und das man jemanden bewundern kann, ohne ihm alles nachmachen zu müssen, ihn beneiden kann, ohne sich dabei schlecht zu fühlen, wenn man sich mit seinen unspektakulären, aber realistischen Fähigkeiten abfindet. Sehr wichtige Eigenschaften und ein guter Ansatz, mit sich ins Reine zu kommen. Denn man muss nicht die Schönste oder der Stärkste sein, sondern sollte `einfach` das Beste aus sich und seinen Anlagen zu machen versuchen.
Das gefiel mir als Kind bereits an Geschichten am besten, in denen die Helden manchmal sehr alltäglich sind, Fehler machen, Enttäuschungen erleben, auch mit noch so gutgemeinter Absicht in Fettnäpfchen treten: dass man so einen Einblick bekommt in die `Denke` einer anderen Person. Man kann deren Entscheidungen bewundern oder für dämlich halten, aber entdeckt immer wieder neue Wege und lernt vor allem: der oder die ist ja auch nur menschlich und nicht perfekt.
Ich glaube ernsthaft, aus Büchern mehr gelernt zu haben als von echten Mitmenschen. Mehr über das Leben und seine vielfältigen Formen von Arschtritten und Glücksmomenten, über die Dummheit und die Liebesfähigkeit von Menschen, über ihre Schwächen und oft unentdeckten Talente, ihre geheimen Neigungen und unerkannten Sehnsüchte.
Im Gespräch kann man nie genau wissen, ob der andere es nicht verschönt, was er von sich preisgibt und auch nach Jahren mit einem Menschen kann man ihn plötzlich in einem neuen Licht sehen, wenn er ein Geheimnis lüftet. Man sieht niemals weiter als bis auf die Stirn – und wenn man noch so sehr glauben möchte, in seinen Augen etwas anderes gelesen zu haben.
Bücher haben mir geholfen, meiner Menschenkenntnis nicht allzuviel zu vertrauen und eher abzuwarten. Dadurch wurde ich weniger enttäuscht und positiver überrascht, weil ich weniger erwartete. Es hat mir auch ermöglicht, nun im fortgeschrittenen Alter Dinge in meinen Mitmenschen zu erahnen und zu entdecken, die ich ohne das angeeignete Wissen um die Vielschichtigkeit menschlicher Züge falsch interpretiert hätte.
Leute, die nie lesen, die es nicht kennen, Figuren aus einer Geschichte wie Freunde zu mögen, mit ihnen zu fiebern, zu weinen und zu lachen, woher nehmen die ihr Wissen um das Leben mit anderen? Da muss doch was fehlen.
Um nun selbst eine Geschichte zu schreiben, in der andere sich wiederfinden können, braucht es lebendig wirkende Personagen, die Relief bekommen sollten durch ihre Eigenheiten, aber realistisch sind (auch Vampire), zumindest sollten ihre Handlungen nachvollziehbar sein.
Wenn man sich auch nicht im Detail von wirklich bestehenden Personen inspirieren lässt, so geht es doch vielleicht nicht anders, als die erfundenen Figuren aus einer Mischung aus Eigenschaften und Äußerem zu erschaffen, die wir hier und da aufgeschnappt oder sehr gut kennengelernt haben.
Muss man nun (viel) gelesen haben, um Figuren erfinden zu können, mit denen man sich identifizieren kann, oder ein sehr guter Beobachter und intuitiver Menschenkenner sein, was ist wichtiger?
Ich denke beides, aber es gibt sicher auch beide Extreme – Autoren können Menschenhasser sein und ihr Wissen um Menschliches und Zwischenmenschliches kann aus reiner Theorie gewachsen sein. Oder es sind nette Leute, die es lieben, sich mit anderen zu unterhalten und neugierig auf andere sind. Der Art, wie sie dann schreiben, muss man das nicht mal anmerken, ist meine Erfahrung.
Die einen benutzen dann ihre erfundenen Personagen, um sich mit Freunden zu umgeben, die sie im wirklichen Leben nicht kontrollieren könnten, vielleicht haben sie Angst davor, ihre Mitmenschen doch nicht gut genug zu kennen. Die anderen erschaffen aus all ihren Eindrücken und dem Gelernten aus ihrem sozialen Leben Figuren in ihren Geschichten, die sehr echt rüberkommen, gerade weil sie auf lebendigen Vorbildern beruhen.
Mit der Ausnahme von Biografien muss jeder Autor sich für jede seiner Figuren eine Lebensgeschichte, einen Hintergrund, ein Aussehen, einen Charakter erfinden, um sie nicht zu flach und ausdruckslos werden zu lassen. Natürlich kann das ein extremer Lebenslauf sein, den man in Wirklichkeit kaum finden würde, es können Wesen mit fantastischen Eigenschaften sein, doch sollte man diese logisch begründen können, damit es echt und nicht zu verrückt wirkt.
Viel schwieriger ist es jedoch meiner Meinung nach, über oder von einfachen Menschen zu schreiben, unspektakulären Leben, deren Eintönigkeit bei guten Autoren Tiefe gewinnen kann. Wenn man erfährt, dass auch Menschen mit langweiligen Leben, Leute mit monotonen Gewohnheiten, stinknormale Männer und Frauen Sehnsüchte haben, Verzweiflung kennen, oder ganz einfach auf ewig menschliche Art handeln, die einen faszinieren, bedrücken oder mitreissen kann, ist ein wichtiger Teil einer guten Geschichte gelungen.
Wovon werdet ihr inspiriert?
Was lasst ihr aus euren Erfahrungen mit einfließen und wann ändert ihr das tatsächlich Erlebte zu einer Geschichte mit anderem Ausgang, wann spinnt ihr weiter, was hätte passieren können oder beschreibt, was anders hätte laufen können?
Inwieweit entstehen eure Figuren aus Eigenschaften von Freunden und Bekannten, aus beobachteten Ereignissen, die anderen oder euch zugestoßen sind?
Ich würde mich freuen, ein paar Meinungen dazu zu lesen.