Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
PT mit GV in getr. Räumen
1072 Mitglieder
zum Thema
Dein Kopf auf meinem Schoß4
Lignus 11/20 Dein Kopf auf meinem Schoß Teil1 Ich freue mich darauf…
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Zeit-Räume

****ra Frau
2.916 Beiträge
Themenersteller 
Zeit-Räume
„Herzlich willkommen in unser einzigartigen, einmaligen Welt der ZeitRäume. Ich möchte mich Ihnen gerne vorstellen. Ich bin Honora und werde Sie von nun an begleiten, erkläre Ihnen, wie sie sich hier zurechtfinden, um in den vollen Genuss unserer Angebote zu kommen.“

Honora neigte ihren Kopf sanft zur Seite. Eine Silberflut, die bei einem Menschen simples Haar darstellte, floss über ihre schmale Schulter und schimmerte im Licht, das von allen Seiten diesen Ort beschien. Ihr langes Gewand umschmeichelte ihre Figur. Der Stoff war nicht einzuordnen. Mal erschien er weiß, dann silbriggrau, dann wieder transparent. Ihre Augen, die riesigen Opalen glichen, bohrten sich in die Pupillen des zahlenden Gastes, der mit schweißnassen Händen vor ihr stand und ihr gebannt lauschte.

„Kommen Sie“ befahl Honora und streckte eine zartgliedrige Hand mit milchigweiß schimmernden Fingern in die Richtung des Gastes. Dieser folgte wie unter Hypnose der schwingenden Tonlage ihrer Worte und lief ihr nach. Honora schwebte über den wie Perlmutt schimmernden Boden und stoppte an einem Geländer, das aus irisierendem Licht bestand. Eine Kuppel überspannte den ovalen Raum und der Gast blinzelte ungläubig, als er unter der höchsten Stelle der Kuppel Wolken dahin ziehen sah. Honora stieß ein leises Lachen aus, als sie den Gast beobachtete, der seinen Kopf in den Nacken gelegt hatte und staunend den Kuppelhimmel bewunderte.

„Nun, ich bin erfreut. Ihnen gefällt bereits dieses Arrangement. Warten Sie ab, bis Sie genießen können, für das sie gezahlt haben.“
Ihr Gast brachte seinen Kopf in die normale Haltung zurück und sein Blick zeugte von Faszination und Neugier. Er trat an den Rand dieses seltsamen Geländers und wagte kaum, seine Hände darauf zu legen.

„Nur zu, berühren Sie es. Es passiert nichts Schlimmes“ wieder lachte Honora beim Anblick seines ehrfürchtigen Zögerns.

Langsam schob er seine Unterarme vor und je näher seine Finger dem lebendigen Licht kamen umso deutlicher nahm er dieses Pulsieren in seiner Hand, auf seiner Haut, ja in seinem ganzen Körper wahr. Das Licht zog ihn in seinen Bann. Fest umspannten seine Finger nun das Geländer und dennoch glaubte er zu fühlen, dass sich dieses wunderbare Konstrukt je nach Belieben in seiner Handfläche bewegen und verändern konnte. Nicht er hielt sich daran fest, sondern das Licht gab ihm Halt durch seine Energie, die verhinderte, dass er vornüber stürzte.

Jetzt wagte er es, seinen Blick schweifen zu lassen und war geblendet von dem was er sah. Der ovale Raum, hier oben, in dem er mit Honora stand, verjüngte sich in der Tiefe wie ein Schneckengehäuse. Eines derjenigen, die spitz zuliefen und wie ein Zauberhut aussahen. Die Windungen waren weiß marmoriert und eine Wendeltreppe zog sich an den Wänden spiralförmig tiefer ins Unendliche hinab. Diese Treppe schmiegte sich an die äußere Schale und schien atemberaubend der Schwerkraft zu trotzen.
Honoras Gast beugte sich ein wenig weiter vor, um alles zu erfassen, er konnte sich kaum satt sehen, an dem unglaublichen Gebilde. Der Sog der Tiefe war faszinierend.

„Ich erkläre Ihnen nun die Vorgehensweise, wie Sie sich auf der Treppe am besten verhalten und vorwärtskommen. Sie werden sich gleich, nachdem ich Ihnen alles beschrieben habe, zu diesem Absatz begeben.“
Ihre Hand schwebte in Kopfhöhe und wies auf einen ausladenden Treppenabsatz, auf dem sich das Licht spiegelte.

„Sie steigen die Stufen hinab, so lange sie mögen. Sobald Sie jedoch stehenbleiben und die Wand berühren, wird sich eine Tür zeigen. Einige werden Beschriftungen tragen, viele jedoch nicht. Sie zu öffnen, liegt allein in Ihrer Entscheidungsgewalt. Wenn Sie sich jedoch dazu entschlossen haben eine Tür zu öffnen, müssen Sie sie auch durchschreiten. Sie können nicht zurück, weder nach oben, noch nach unten, sobald Ihre Entscheidung gefallen ist.“

„Aber wie finde ich dann den Weg zurück zur Treppe?“ krächzte der Gast, der spürte, wie Nervosität in seinen Kehlkopf kroch.

Wieder lächelte Honora ihm wissend zu. „Diesen Weg finden nur Sie allein. Vertrauen Sie Ihrer Wahrnehmung.“

Die Finger des Gastes nestelten an seinem Gewand und noch bevor er seine Lippen zur nächsten Frage formen konnte, antwortete Honora:
„Dieses Kleidungsstück, das Sie bei Ihrer Ankunft anlegen mussten, wird Sie durch Ihren Aufenthalt sicher begleiten. Auch wenn der Stoff unscheinbar wirkt, steckt in ihm alles, was Sie brauchen. Das werden Sie dann erfahren, wenn es soweit ist. Möchten Sie Ihre Reise nun beginnen?“ mit einer leichten Verbeugung streckte Honora ihren Arm in Richtung der Treppe aus. Nur langsam setzte der Gast einen Fuß vor den anderen, passierte die noch immer gebeugt stehende Honora, ließ sie hinter sich und fixierte mit seinem Blick die erste Stufe der unendlichen Treppe.

Zögernd legte er seine Finger auf den Handlauf, der sich perfekt seiner Handfläche anpasste. Gleichzeitig hob sich sein rechter Fuß und der erste Schritt führte ihn in sein Abenteuer. Noch einmal drehte er seinen Kopf, um Honora anzublicken, doch der Raum, in dem sie sich eben beide noch unterhielten, war verschwunden. Eine Wand aus Nichts schwebte an der Stelle, an der er und Honora eben noch standen.

Heftig schluckte er, dann folgte er dem Lauf der Stufen nach unten. Ein leichter Luftzug umschmeichelte seinen Körper. Es war ein angenehm warmer Lufthauch, der ihm ein Gefühl von Geborgenheit gab und ihm mit jedem weiteren Schritt die Angst nahm. Er folgte den Windungen des Schneckengehäuses und genoss das Licht und die Wärme, die ihn einnahmen. Eine einzige Runde schien ihm ewig zu dauern, doch hatte er in dem Oval keinerlei Anhaltspunkte. Er konnte nicht zurück blicken, denn dort war nichts außer der Wolkenkuppel zu sehen. Die Wendeltreppe lief nur noch nach unten. Jede Stufe die er nahm und hinter sich, ließ löste sich auf und stieg als neue kleine Wolke in die Kuppelwölbung nach oben.

Schon lange wunderte er sich nicht mehr über das was er sah. Ein Gefühl der Leichtigkeit stieg in ihm auf, machte Platz für Neues, das er erleben wollte. Die Wand neben ihm sah aus wie Kreide. Weich und porös schien sie zu sein und er meinte den Geruch der Schulkreide aus seinem Klassenzimmer von damals wahrzunehmen. Er hielt erstaunt an und legte seine Hand auf die Kreidewand. Als mit einem krachenden Geräusch ein Türrahmen aus dem Stein brach, zuckte er kurz zurück, bis das Getöse verstummte. Er bestaunte dieses Kunstwerk, das sich aus der Wand geschält hatte. Wie feinster Stuck, von einem Meister gefertigt, zierte es die Wand, als wäre es schon immer dort gewesen. Seine Finger glitten ehrfürchtig über das Material und blieben auf einem Türgriff liegen, der aus einer lilafarbenen Muschelschalenhälfte bestand. Gedankenverloren umspielten seine Finger die Rillen der Schale, dann legte er ein wenig mehr Gewicht auf seinen Arm und seine Hand öffnete die Tür, die geräuschlos aufschwang.

Ja. Ja, genau so roch es damals. Langsam schälten sich aus der gleißenden Lichtwand Einzelheiten. Vor ihm lag sein ehemaliges Klassenzimmer. Er stand am Ende des Raumes, dem Lehrerpult direkt gegenüber. Viele verstrubbelte Hinterköpfe, die angestrengt über Heften und Büchern schwitzten. Ein Stöhnen hier und da, ein Husten, ein Kichern und Tuscheln dort. Vorne am Pult saß seine Lieblingslehrerin. Fräulein Grün. Er errötete. Damals war er unsterblich in sie verliebt. Sogar jetzt noch, als erwachsener Mann, verspürte er dieses Kribbeln, das sie damals schon in ihm hervorgerufen hatte. Und sein Blick als Mann mit inzwischen viel Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht, erkannte die wahre Schönheit dieser jungen Frau. Damals mochte er sie, weil sie immer nett zu ihm war. Eigentlich war sie zu jedem nett, doch er glaubte, zu ihm war sie ganz besonders nett gewesen. Leise schlich er durch den Mittelgang zwischen den Pulten nach vorne. Niemand schien ihn zu bemerken.
Er roch die Schulbücher, Radiergummi, Bleistift und feuchte Tinte, die als Buchstaben in das linierte Papier versank. Ein flüchtiger Blick auf ein Heft und das Buch, über dem ein pummeliger Schüler brütete verriet ihm, dass Erdkunde dran war. Das hatte er damals sehr gemocht. Fräulein Grün nahm ihn auch immer dran, wenn er wild schnipsend seinen Arm verrenkte um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Als er seinen Blick wieder nach vorne richtete, stand er vor dem Pult der Lehrerin.

Fräulein Grün war in eine Lektüre vertieft und schien völlig entspannt. Ihre dunklen Haare waren zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden. Seidig glänzte ihre Pracht. Eine einzelne Strähne löste sich unter der Haarspange und glitt sacht an ihrem Hals hinunter. Der Gast zuckte und streckte seine Hand aus, um den Fall dieser Strähne zu stoppen, doch konnte er grade noch rechtzeitig ausweichen, als die Hand von Fräulein Grün nach der Strähne griff, um sie sich hinters Ohr zu schieben. Jetzt trat er ganz nah an sie heran. Noch immer schien sie nichts zu spüren. Vorsichtig beugte er sich, hinter ihr stehend, über ihren weißen, schmalen Nacken, sah winzige Härchen, die sich auf ihrer Haut kringelten. Ihr zarter Duft stieg auf und ließ seine Knie weich werden.
Er stieß leise stöhnend seinen Atem aus, den er vor Anspannung angehalten hatte und schlug sich vor Schreck darüber seine Hand auf den Mund. Fräulein Grün hob ihren Kopf und strich mit ihrer Hand über ihren Nacken und runzelte die Stirn, als sie sich umdrehte. Er spürte, wie er feuerrot anlief und am liebsten im Boden versunken wäre. Ihr fragender Blick glitt nach oben und schien sich in seine Augen zu bohren. In dem Moment, als er nicht mehr an sich halten konnte und ihre Wange berühren wollte verschwand sie und der Raum um ihn herum und eine Tür schlug geräuschvoll hinter ihm zu.

Wieder befand er sich auf der Wendeltreppe. Er wollte zurück. Zurück zu Fräulein Grün. Rasch legte er seine Hand auf die raue Wand, doch statt des erwarteten Geräusches, mit dem die Tür noch vor wenigen Momenten aus dem Gestein brach, blieb es still. Nichts tat sich. Er hämmerte gegen den Kreidestein, krallte seine Nägel in das weiche Material und sah zu, wie kleine weiße Flocken vom Luftzug ergriffen wurden und davon stoben. Traurig sank er zu Boden, zog die Knie an und legte seinen Kopf auf seine gekreuzten Unterarme. Er schloss die Augen und rief sich das Bild von Fräulein Grün ins Gedächtnis. Jede Kleinigkeit war wieder da. Er glaubte jede Pore ihrer Haut erkennen zu können, die geschwungenen Augenbrauen, die die leuchtendblauen Augen zierten. Die sinnlichen Lippen, die so gerne lachten und perlweiße Zähne entblößten. Er verspürte Sehnsucht nach dieser Zeit, die so unbeschwert und doch für immer vorbei war. Aber in sich hatte er jetzt die Sicherheit, diese Erinnerungen in Zukunft stets abrufen zu können und zwar in der Intensität, mit der er sie eben erlebt hatte.

Mit diesem Gedanken und der Zuversicht erhob er sich und begann erneut dem Weg der Treppe zu folgen. Nach diesem Erlebnis war er neugierig, was ihn noch erwarten würde und entschloss, nicht allzu lange zu warten. Er beugte sich über das Geländer und blickte in die Tiefe. Er würde wohl noch viele Türen öffnen können. Eine Umrundung wollte hinter sich bringen, um die nächste Öffnung zu schaffen. Seine Schritte wurden schneller, der warme Lufthauch wirbelte seine Haare durcheinander, als er fast die Stufen hinab flog. Er lachte und schnaufte, hielt sich die Seiten, als er sich vorbeugen musste um tief einatmen zu können. Mit dem Stoff seines Gewandes wischte er sich den Schweiß von seiner Stirn und war wenig überrascht, als er beobachtet, dass der Stoff den Schweiß aufnahm und sich selbst reinigte.

Jetzt und hier wollte er die nächste Tür öffnen. Er rieb seine Hände am Stoff über seinen Oberschenkeln trocken und legte seine Handfläche auf den weißen Stein. Es krachte und splitterte, dann schob sich eine vermoderte und krumme Holztür aus dem Gemäuer. Ein kleines Blechschild, das an einem rostigen Nagel baumelte trug ein Datum, das kaum mehr lesbar war. Der Gast beugte sich vor und als er die Zahlen erkannte, stiegen heiße Tränen in seinen Augen auf. Er schrie verzweifelt auf. Nein, diese Tür wollte er nicht öffnen und wusste doch, dass er nicht anders konnte. Die Treppe war verschwunden, die Tür wartete ungeduldig auf sein Eintreten. Er schloss die Augen, als er den abgenutzten Kupfergriff nach unten drückte. Es quietschte laut und mit einem Ruck wurde ihm die Tür aus den Fingern gerissen.

Seine Augen waren noch immer geschlossen, doch er hörte dafür die Geräusche, die er nicht hören wollte.
„Er schläft, unser Engel“ flüsterte seine Mutter.
Sein Vater warf einen kurzen Blick über seine Schulter und lächelte in die Richtung des Jungen auf der Rückbank des Familienautos. Obwohl er seine Augen noch fester zusammenkniff, sah er alles genau vor sich.
Sein Vater, der seine Mutter ansah und leise antwortete: „Der Tag war aber auch wirklich anstrengend gewesen. Einen solch tollen Geburtstag hat bestimmt nicht jedes Kind erleben dürfen. Er hat sich so gefreut.“

„Ja und wie. Hast Du das Leuchten in seinen Augen gesehen, als er sein Geschenk auspackte? Er hat es noch jetzt fest in seinen Händen, er mag es gar nicht mehr hergeben“ lächelte sie.

Sein Vater warf erneut einen Blick auf seine Frau, die auf dem Beifahrersitz saß und voller Wärme für ihr gemeinsames Kind war. Ihn erfasste eine Woge des Glücks, das er ihr schenken wollte und kurz seine Hand vom Steuer nahm um ihr über den Kopf zu streichen, wie er es so oft tat um ihr seine Liebe zu zeigen. In diesem Moment blendete ein entgegenkommendes Fahrzeug die Insassen ihres Wagens, er hörte seinen Vater fluchen, seine Mutter schrie, es holperte eine kleine Ewigkeit, dann drehte sich die Welt, bis es schlagartig ruhig wurde.

Er schrie und schlug um sich, als ihm jemand sein Geschenk aus den Händen nehmen wollte. „Beruhig Dich Junge. Es ist alles gut. Gib es mir, ich muss Dich untersuchen. Nur ein paar Minuten“ forderte eine tiefe Stimme.
Bleischwer erschienen seine Lider, als er sie öffnen wollte.
Das helle Licht verursachte ein Stechen im Hinterkopf und eine Tür schlug krachend zu.

Laut schluchzend sank er auf die Knie, legte sich die Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos. Diese Erinnerung, von der er überzeugt war, er hätte sie erfolgreich für immer in sich vergraben, nahm ihm jegliche Kraft. Sein zehnter Geburtstag. Ein wundervoller Tag bei seinen Großeltern auf dem Bauernhof im Sommer unter blauem Himmel, mit leckerem Kuchen und sein Geschenk. Er war so stolz und er wollte es am nächsten Tag Fräulein Grün in der Schule zeigen. Seine Eltern hatten es ihm gekauft. Das tolle Buch über die Erde, das er sich schon so lange gewünscht hatte. Nur konnte er dieses Buch niemals seiner Lehrerin zeigen. Das Blut seiner Eltern, die er nie mehr sehen würde, klebte zwischen den Seiten seines Geschenkes.

Weinend erhob er sich, fest entschlossen, der Wendeltreppe nun bis zum Ende zu folgen. Er wollte nichts mehr erleben. Nichts mehr sehen, hören oder fühlen. Blind vor Tränen hastete er die Stufen hinab. Streifte die Wand, dann das Geländer, das ihn immer wieder sanft in die Mitte der Treppe drückte. Er lief bis seine Lungen schmerzten, seine Beine den Dienst versagten und er einfach stehen blieb. Sein Herz pochte, beruhigte sich nur langsam, er zählte jeden einzelnen Herzschlag, bis endlich das schreckliche Pochen im Schädel nachließ. Als er an sich herabsah, beobachtete er die Blutflecke, die sich wie Sprühregen auf dem Stoff verteilt hatten. Sie zogen sich zusammen, sammelten sich in Herzhöhe bis sie fast schwarz wurden, ballten sich zusammen und platzten mit einem leisen Plopp vom Stoff um sich in der warmen Luft aufzulösen. Wie schwarze Seifenblasen schwebten sie vor ihm und noch bevor er sie berühren konnten, vergingen sie und mit ihnen die Schmerzen in seinem Herzen.

Benommen setzte er seinen Weg fort. Noch immer fühlte er die Trauer, doch mit jedem Schritt wurde die Last leichter. Viele Umrundungen legte er zurück, bevor er anhielt. Ohne nachzudenken berührte er die kreidige Wand und beobachtete, wie sich eine Tür aus dem Stein schälte. Es kratzte metallisch, als sich der obere Bogen der Tür herauspresste. Diese Tür trug kein Schild und besaß auch keine Klinke. Er wusste, er müsste sie nur berühren und sie würde sich öffnen. Gedankenverloren presste er seine Handfläche gegen das Metall und die Tür schwang sofort auf.

Er hielt seinen Blick gesenkt, hatte er doch noch ein wenig Angst davor, was sich ihm zeigen könnte. Leises Vogelzwitschern drang zu ihm. Eine Frauenstimme und Kinderlachen schwang hinterher. Er hob seinen Kopf und erblickte eine Wiese, auf der eine riesige Eiche stand. Darunter saß eine Frau im Schneidersitz und auf ihren Beinen saß ein kleiner Junge an sie geschmiegt, mit einem Buch auf dem Schoß. Die Stimme der Frau klang gleichmäßig, so dass er erkannte, dass sie dem Jungen vorlas.
Mit dem Wissen, dass er nicht zu sehen war, entschloss er sich, auf die beiden zuzugehen. Noch immer waren die beiden in das Buch vertieft. Er hörte die Vögel zwitschern, roch das frische Gras und hörte von weitem Maschinenbrummen, das vielleicht von einem Traktor oder ähnlichem stammen konnte. Der Geruch von Landleben, der ihm nur zu vertraut war, erfasste ihn. Seine Hand strich über einen langen Gras-Stängel, den er aus dem Boden riss und in seiner Hand schwang. Als er an sich herabblickte, bemerkte er erstaunt, dass er eine bequeme Hose, ein Leinenhemd und leichte Stoffschuhe trug.
Kaum hatte er dies realisiert, als die Frau ihm zuwinkte und rief: „Nun komm schon. Dein Sohn wartet. Er möchte, dass Du ihm vorliest. Ich kann es anscheinend nicht gut genug“ lachte sie, als das Kind auf ihrem Schoß versuchte, ihr seine kleine Hand auf den Mund zu legen. Die Frau griff dem Kind unter die Arme und stellte es auf seine Füße, gab ihm einen Klaps auf dem Po und schickte es zu seinem Vater. Das große Buch stolz zwischen den kleinen Händen festgeklemmt rannte es auf seinen Vater zu.
Der Gast verspürte ein krampfhaftes Zerren in seiner Brust, als er den Einband des Buches erkannte: Sein Buch der Erde…..

Die Tür schlug erneut zu, doch diesmal wusste er, er würde keine neue Tür öffnen. Das was er jetzt gesehen hatte, sollte das letzte sein, was er aus dem Schneckenturm mitnehmen würde. Dies war mehr wert, als all das, was er sich jemals für Geld kaufen könnte.

Er tat zwei Schritte und stand am Ende der Treppe. Vor ihm erschien die letzte Tür, die er durchschreiten musste.
Sie trug ein schlichtes Schild auf dem in fein geschwungen Lettern stand:
Vergiss nie und lebe.


© Lys 04/2011
*******Mae Frau
789 Beiträge
Wahnsinn. Das war das Erste,was ich gedacht habe, als ich diese unglaublich tolle, intensive, schöne und nachdenklichmachende Geschichte gelesen habe. Eine Geschichte wie ein Traum.
*blumenschenk*
Ganz toll.
Danke

Bettie
*****har Paar
41.021 Beiträge
JOY-Team Gruppen-Mod 
Ach, liebe Lysira, was soll ich da noch schreiben? Es ist doch immer das Gleiche mit Deinen Geschichten:

Wieder mal sehr lesenswert!

(Der Antaghar)
Es ist genauso faszinierend, wie "Die Wiege der Zeit"!

Einmal begonnen zu lesen, kann man einfach nicht mehr aufhören.

Ich hätte allerdings gerne noch einige Türen mit ihm geöffnet!

Luna
Danke

*roseschenk* Ev
****ra Frau
2.916 Beiträge
Themenersteller 
*danke* Euch

*rotwerd* ich merke, dass mich das Thema "Zeit" total fasziniert und immer wieder in den Windungen umherschwirrt, die für die Geschichten zuständig sind, die aus meinen Fingern fließen.

*blume*

Lys
Dann lass sie fließen, Lys!

Lass sie fließen! *ja*

Luna
Aber
hektoliter-weise!
Traumhaft, was da aus Dir herausfliesst!
*******an_m Mann
3.834 Beiträge
Ja, toll! Wie auch die Wiege der Zeit *top*

Du könntest es vielleicht noch ein bischen pimpen, wenn du die Beschreibungen von Größe und Zeit irgendwie intensivierst. Das ist es, was diese Geschichten so unverwechselbar und beeindruckend macht.
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.