Lorettes Lustigkeiten
Lorettes Lustigkeiten
Pünktlich um 18.30 Uhr, wenn andere Geschäfte bereits schlossen, öffnete Lorette die Pforten ihres kleinen aber feinen Lädchens, das in der Amüsiermeile der Großstadt lag. Die ersten Neonreklamen blinkten und im Kino nebenan bereitete man sich auf die Abendvorstellungen vor. Lorette hielt einen kleinen Plausch mit dem Besitzer, dem liebenswürdigen, alten Hinrich. Genau wie für Lorette war ihm sein Geschäft eine Leidenschaft, die mit der Leidenschaft der Kunden, die hierher kamen, konform war und nicht nur eine bloße Einnahmequelle darstellte. Leben ließ es sich davon nur mehr schlecht als recht, wie beide oftmals melancholisch feststellten.
Ein unauffällig wirkender Mann, der eben noch die Aushänge am Kino studiert hatte, drückte sich an den beiden Ladenbesitzern vorbei in Lorettes Geschäft. Sie folgte ihm mit der Begeisterung einen Willigen für ihr Verkaufstalent gefunden zu haben.
Der Kunde stand noch vorsichtig an dem Regal nahe der Türe, auf dem sich eine Fülle von Kunstblumen präsentierte. Sie hatte diesen hübschen Blickfang extra dort angebracht, denn Blumen zogen Kundschaft so magisch an, wie die Blüten die Bienen. Diese Parallele kam nicht von ungefähr und Lorette brachte sich in Postition für ihre Darbietung.
„Gefällt Ihnen die Blue-Man-Kollektion?“ Der Kunde schaute skeptisch, aber nicht uninteressiert. „Es sind Kunstblüten, die sukzessive einen betörenden Duft abgeben. Sie können einfach und unauffällig auf der nackten Haut angebracht werden. Eine völlig unschädliche, selbsthaftende Creme dient als Zaubermittel. Sie hält bis zu sechs Stunden, hat gleichzeitig einen pflegenden Effekt und lässt sich restlos und schmerzfrei wieder entfernen.“, startete sie ihre Verkaufsshow. Der Mann würde noch Augen machen. Lorette nahm zwei riesige Sonnenblumen zur Hand und war sich nicht zu schade, diese auf ihrem üppigen Busen zu platzieren. „Hier haben wir die Korbblütler. Auf der Rückseite sind elastische Cups aus einem Lycra-ähnlichen Material angebracht, passend für jede Körbchengröße. Ein schönes Geschenk für die Angebetete.“, schwärmte sie.
„Oder hier, wenn es für den Herrn sein soll,“, setzte sie begeistert ihre florale Präsentation fort, indem sie nach einer kleinen, zarten, fünfblättrigen Blüte griff. „Die Primmel! Ebenfalls mit einem elastischen Überzieher passend für alle Größen; in grün für den Stängel. Es soll ja nichts abrutschen oder abgedrückt werden.“ Sie zwinkerte ihn an.
„Frühlingshaft passend dazu die Oschwerglocken, nur im Doppelpack erhältlich und aus einer unkaputtbaren Keramik. Optional lassen sich auch Klammern statt der Haftcreme zum Befestigen nutzen. Sie werden aufgrund des Gewichts von Hersteller empfohlen.“ Sie schüttelte zwei miteinander verbundene Osterglockenblüten, die dabei klingelten. Der Kunde schien langsam aufzutauen. Lorette hatte noch Jeden für ein Schmuckstück aus ihrem Lädchen begeistern können.
„Und wofür sind die?“ Der Mann deutete auf mehrere Rosen mit Stiel.
„Oh ja, die Gürtelrosen! Die sind immer gern genommen von Männern wie Frauen gleichermaßen, und sie sind der Verkaufsschlager der Blue-Man-Kollektion.“, rief Lorette begeistert. „Warum muss es immer eine Rose im Knopfloch des Jackets sein? Wo doch auch Hosen und Gürtel Löcher haben. Einfach einstecken und schon ist auch die untere Körperhälfte in einen lieblichen Duft gehüllt. Sie lassen sich aber auch in einer Vase beim romantischen Dinner drappieren. So kommen einerseits der optische und andererseits der aphrodisierende Effekt gelungen zum Einsatz. Und so unauffällig, wenn man sich beim Dinner nicht nur auf die Künste des Koches verlassen möchte.“, pries Lorette die Einsatzmöglichkeiten.
„Falls Sie eher an etwas derberen Scherzhaftigkeiten interessiert sind, haben wir hier etwas ganz Ausgefallenes.“ Lorette wandte sich dem Ladeninneren zu. Sie zog einen gelbgrünen, unförmigen Gummisack aus dem Regal. Der Vorstoß war gewagt, da sich der Kunde wegen seiner zurückhaltenden Art nur schwer einschätzen ließ. Aber stille Wasser waren ja bekanntlich tief und so lockte sie ihn weiter in ihren Laden.
„Der Großkotzstopper.“, sagte sie mit begeisterter Stimme und breitete das Ungetüm vor ihrem Oberkörper aus. „Ebenfalls multifunktional. Die Kunden heute wünschen das so.“
„Ja, schön.“, meinte der Kunde etwas trocken und leicht angewidert. „Was soll das denn können?“
Lorette war bereits klar, dass der Mann das Teil nicht kaufen würde, aber bei ihr war jeder Kunde König und so antwortete sie ihm:
„Der Großkotzstopper ist aus einem robusten, wasserfesten, gummiähnlichen Material und kann auch in der Waschmaschine oder dem Geschirrspüler ganz leicht gereinigt werden. Denn, wie der Name schon sagt, ist es durchaus möglich, darin unappetitliche Ausscheidungen aufzufangen. Für unterwegs gibt es, in etwas handlicherem Format und daher äußerst platzsparend in jeder Tasche zu verstauen, den Kleinkotzstopper; für die kleinen Ferkeleien. Aber der Großkotzstopper kann noch mehr! Kennen sie einen diktatorischen Menschen in ihrem Umfeld, der alle erniedrigen muss und immer das letzte Wort haben will? Na kommen Sie, so einen kennt doch jeder. Breiten sie einfach in einem günstigen Moment den Großkotzstopper vor seiner Tür aus und genießen Sie seine Reaktion. Sie müssen schon zugeben das Dekor und die Haptik sind erschreckend gut gelungen. Es ist auch möglich als Zubehör den passenden Geruch zu erwerben, der sich einfach aufsprühen und genauso einfach mit einem Waschgang entfernen lässt. Und das sind nur zwei seiner Vorzüge, die hervorragend im Alltag genutzt werden können. Aber ich sagte ja, dass der Großkotzstopper multifunktional ist. Natürlich kommt auch der lustvolle Aspekt nicht zu kurz. Zugegeben, nur etwas für waschechte Fetischisten.“ Sie kicherte über ihren eigenen Scherz. „Aufgrund der Flexibilität des Materials lässt sich der Großkotzstopper entweder zusammen knüllen und in den Mund eines aufmüpfigen Großschnabels stopfen oder, nicht ganz so effektiv aber auch reizvoll, mit Hilfe der Öffnung über den Kopf eines Begünstigten ziehen. Natürlich sind beim Einsatz der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Erlaubt ist, was gefällt, sag ich immer.“, beendete Lorette mit geröteten Wangen ihre Präsentation.
Der Kunde war während ihrer Ausführungen ein wenig errötet und hüstelte nun geziert. Sollte sie da etwa einen wunden Punkt berührt haben? Das ließe sich leicht herausfinden, denn sie wollte jedem Kunden seine Wünsche erfüllen, auch seine geheimsten.
„Haben Sie schon unsere Handy-Cuffs gesehen?“ leitete sie zu einem unverfänglicheren Scherzartikel über, der mittlerweile so gut wie in jedem Haushalt Einzug gehalten hatte. „Wenn ihr Liebling immer für sie erreichbar sein soll, können Sie hieran,“ damit zückte sie einen kleinen Metallanhänger, den sie ihm vor die Augen hielt, „ein Handy befestigen und mit der praktischen Handschelle an der anderen Seite,“ bei diesen Worten schob sie ihm die einzelne Handschelle unter die Nase, „am Handgelenk ihres Schätzchens befestigen. Tolle Sache, oder?“ Lorettes Busen wippte. Sie war, wie so oft beim Vorführen ihrer Kostbarkeiten, etwas sehr überschwänglich geworden. Aber meistens übertrug sich ihr Enthusiasmus auf die Kundschaft und das war der entscheidende Schritt zum Verkaufserfolg. So glaubte Lorette nun auch deutlich ein Glänzen in den Augen des Mannes zu erkennen. „Übrigens auch sehr hilfreich für die vergesslichen Exemplare unter uns. Es bleibt natürlich Ihnen überlassen, was sie an dem Anhänger befestigen. Es gibt verschiedene Adapter. Ach ja, falls es doch etwas Handfesteres sein soll,“ sie kicherte wieder, „haben wir natürlich auch die Originale im Sortiment.“ Lorette hielt zwei verschiedene Paar Handschellen in die Höhe.
„Also, eigentlich bin ich doch mehr an etwas Sportlichem interessiert.“, kam nun der Kunde ganz unerwartet aus seinem Schneckenhaus.
„Ja, aber das ist doch gar kein Problem. Da haben wir Einiges zu bieten. Zum einen sind da die Poolverfasser. Die künstlichen Arme, gibt es behaart und unbehaart. Sie sind täuschend echt, der Hersteller arbeitet mit Prothesenmachern zusammen. Beim Schwimmbadbesuch einfach mit dem Klettband unterhalb der Brust und der Wasserlinie befestigen und die Kunstarme auf dem Beckenrand ablegen. Die echten Arme hat man so für andere Dinge frei. Zu beachten ist hierbei, dass die Poolverfasser entsprechend der Anatomie ausgerichtet sein sollten.“ Lorette legte die Arme zurück und kramte in einem der unteren Fächer. „Zum anderen, wenn es ein Gruppensport sein soll, gibt es auch noch die Pluggieyardswerfer. Sie verbinden die aerodynamische Form eines Plugs mit sportlichem Spielspaß. Es kann damit Pluggieyardsvorwurf, -weitwurf oder –zielwurf gespielt werden. Für letzteres ist der Saugnapf am hinteren Ende angebracht. Haftet auf handelsüblichen Dartscheiben genauso wie auf Raufasertapete.“ Sie warf das Ding haarscharf am Kopf des verdatterten Kunden vorbei an die Fensterscheibe. Lorette war ganz außer Atem geraten bei diesen sportlichen Ausführungen.
„Haben Sie denn schon einen Favoriten?“
„Äh, ja, die Handschellen bitte.“, murmelte der Kunde. Hatte sie ihn also doch richtig eingeschätzt! Auf ihre Menschenkenntnis war doch immer Verlass.
„Aber selbstverständlich, gerne.“ Lorette schwebte zum Regal mit den Handschellen hinüber.
„Soll ich sie Ihnen als Geschenk einpacken?“
„Nein, danke. Die gehen so. Was macht das?“
„Fünfzehnachtzig für mich und eine Menge Spaß für Sie!“ Lorette gab das Wechselgeld raus und begleitete den Mann noch bis zur Tür. „Empfehlen Sie uns gerne weiter!“ winkte sie dem Mann vom Ladeninneren nach und seufzte zufrieden.
Wieder hatte sie einen Menschen glücklich gemacht und das Liebesleben dieses ach so kühlen Bevölkerungsstriches bereichert. Der Abend hatte gut begonnen.