Vom Himmel hoch …
»Es ist ein Wunder! Punkt!« rief der Bischhof der kleinen Gemeinde nahe Gießen und stampfte mit dem Fuß auf.
Nachdenklich und auch ein bischen betreten sahen die extra aus Rom angereisten Emissäre in die Runde. Ein schmuddeliger Parkplatz an der A45. Seltsame, teilweise schmierig aussehende Individuen umringten die kleine Gruppe vor den schweren, schwarzen Limousinen. Es dunkelte langsam und immer mehr unvorteilhaft gekleidete mittelalte Männer und ein paar Frauen mit ungünstigem BMI schienen aus dem Nichts aufzutauchen. Zunächst hatten sie sich um einige wenige Fahrzeuge gedrängt, in denen sich wohl Paare befanden, doch als die Limousinen auftauchten, hatte sich nach und nach ein loser, weiter Kreis um sie gebildet. Schließlich waren auch die Paare ausgestiegen und neugierig nähergekommen. Reißverschlüsse wurden geräuschvoll hochgezogen, Blusen bedächtig zugeknöpft.
»Wundert dich das nach den ganzen Schlagzeilen?« Die hämische Frage kam von einer drallen Frau in Leggings mit Leopardenmuster und einer über dem Bauchnabel verknoteten, synthetisch glänzenden Bluse. Ihr Begleiter grinste die schwarzgewandeten Kirchenmänner unverhohlen an.
Gerade waren sie aus den Büschen, die den Parkplatz umgaben, zurückgekommen. Sie hatten den Ort der unerklärlichen Begebenheit in Augenschein genommen, aber nur wenig neue Erkenntnisse sammeln können. Die Sache blieb nebulös.
Einer der römischen Emissäre, ein klein gewachsener, leicht korpulenter Italiener, zog mit angewiedertem Blick ein Papiertaschentuch aus seinem Gewand und entfernte ein Kondom von seinem glänzend polierten Schuh. Ein rotes. Mit Noppen. Trotz dieser … abstoßenden Umgebung musste er zugeben, dass die Umstände äußerst mysteriös waren – womöglich sogar wundersam.
Eines der Paare hatte anscheinend genug gesehen, und ging anzüglich schäkernd zu seinem Wagen. Einige der Männer blickten zunächst hilflos zwischen dem Paar und den Geistlichen hin und her, doch dann folgten sie eilig, immer eine Hand in der Hosentasche, dem Paar.
Vor nicht einmal ganz zwei Tagen war die Meldung im Vatikan eingegangen – fernmündlich, aufgeregt, nicht eimal an eine gesicherte Leitung hatte der Bischhof gedacht. Sogleich hatte man eine Kommission gebildet und die Emissäre ausgesandt – Seine Heiligkeit war schließlich ein Landsmann des Bischofs, da wollte man sich keine Blöße geben. Die Rede war von einem Paar, das während des … nun, während des Aktes eine Marienerscheinung gehabt hatte und danach in einem hellen, reinen, weißen Licht verschwunden war. Und nun stand er hier auf einem offensichtlich für sittenloses Vergnügen benutzten Parkplatz, und entfernte ein benutztes Kondom von seinem Schuh. Ein Kondom der Firma, die über die Banco Vaticano dem heiligen Stuhl gehörte, wie er mit Kennerblick feststellte.
Hinter dem Parkplatz war ein kleines, viereckiges Gemäuer mit weißgetünchten Wänden, ein Zugang zu einem Wasserspeicher. Die dem Parkplatz abgewandte Seite war von einer feinen, schwarzen Rußschicht bedeckt, in der die Umrisse eines kopulierenden Paares weiß leuchteten. Zeugen gab es genug, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel, wenn er sich umsah. Übereinstimmend hatten sie ausgesagt, der 32-jährige blonde Mann aus Norddeutschland, der auf diesem Parkplatz als ›der Piefke‹ bekannt war, und seine 28 Jahre alte, gutaussehende, vollbusige (diese Tatsache hatten die ausschließlich männlichen Zeugen besonders hervorgehoben), italienischstämmige Freundin hätten sich der körperlichen Liebe hingegeben, als plötzlich etwas Leuchtendes vom Himmel über die beiden gekommen sei. Man hatte noch ein lautes ›Madonna mia!‹ von der 28-jährigen gehört, dann war es zu einer lautlosen, gleißend hellen Explosion gekommen. Zurückgeblieben waren die Umrisse des Paares auf der Wand.
Man diskutierte noch ein wenig, bis man, um sich nicht noch weiter durch hämische Kommentare und anzügliche Blicke piesacken zu lassen, schließlich den Platz verließ.
»Nun haben Sie es selbst gesehen, meine Herren« sagte der Bischhof auf der Rückfahrt, »ist das nicht geradezu die Blaupause eines Wunders?«.
Die Emissäre schwiegen. Zu oft hatten sie erleben müssen, dass irgendein Provinzgeistlicher mit einem fingierten, bestenfalls übertrieben dargestellten Vorfall ein Wunder anerkannt haben wollte, um mit diesem Knüller seine Schäfchen wieder in die Kirche zu holen.
*
Ganz woanders. Fünf Lichtjahre entfernt.
Rikers Kopf dröhnte. Mit den Fingern öffnete er ein verklebtes Auge. Er sah seinen Wecker. Der machte Lärm. Er schlug ihn von der Ablage. Schwerer Fehler. Das an der Kabinenwand zerschellende Gerät machte noch mehr Lärm, so dass auch sein Magen wach wurde und ihm anklagend vorführte, was er am Abend zuvor verarbeiten musste.
Er schaffte es aufzustehen und ins Bad zu wanken. In seiner Dusche machte Data einen Handstand. Er drehte das Wasser ab.
»Guten Morgen, Sir. Wie geht es Ihnen? Kann ich den Handstand jetzt beenden?«
»Ja, Data« raspelte es über Rikers trockene Zunge, »Ziehen Sie Leine.«
Verwundert hob der Android die Brauen.
»Aber Sie haben ihre Defäkation noch gar nicht begonnen, Sir.«
Er hatte jetzt wirklich keinen Bock auf die Spitzfindigkeiten des Lt. Commanders und ranzte nur: »Raus. Brücke.«
Eine Ewigkeit in zeitlupenhaften Bewegungen später fühlte er sich einigermaßen wieder hergestellt. Hatte er wirklich die Toilettenbürste zum Zähneputzen … zumindest war ihm die Bürste sehr groß vorgekommen. Vielleicht lag es aber auch nur an seinen Kopfschmerzen. Dass die Begrüßungsfeiern für die neuen Besatzungsmitglieder immer so ausufern mussten. Ein Neuer im Maschinenraum war ein Enkel des legendären Lt. Commander Montgomery Scott und hatte zum Einstand eine Kiste Lafrosch, nein, Klappfrosch, ach war ja auch egal wie das Zeug hieß, jedenfalls hatte es sich nicht mit dem romulanischen Ale vertragen.
Er erinnerte sich dunkel daran, dass Beverly, auf Worfs Schoß sitzend, schwadroniert hatte, man müsse diesen ›ganzen psychotropischen Mist in der Krankenstation, der schon seit Ewigkeiten übers Verfallsdatum war‹ in die nächste Sonne, oder noch besser in der Zeit zurück beamen, bevor einem das instabile Zeug um die Ohren flog. Am Besten ging er gleich mal in die Krankenstation – doch Halt! Zuerst musste er nachsehen, ob Deanna wirklich mit Wesley Crusher abgerauscht war. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen – was auch teilweise an den Kopfschmerzen lag – er würde diesen Bengel die Deflektor-Schüssel putzen lassen und seiner Ex und Gelegenheits-Im-Zadi bei der nächsten Session mal wieder zeigen, wer hier der Chefe war …