Soll ja keiner sagen...
...ich wäre faul
Sylvie, mit den Herausforderungen wachsend
Die Eisblumenprinzessin (23)
Er musste nicht weit gehen, dann sah er die ermattete Kreatur. Im verglimmenden Schein des verkohlten Stachelzwingers mühte sie sich vergebens, mit dem verbliebenen Kopf die sechzehn blutenden Stümpfe zu erreichen und ihre Wunden zu lecken. Kat'Ar blies die Kerze aus und verstaute sie behutsam in seinem Beutel. Seine jugendlichen Züge verwandelten sich zu einer fast ehernen Maske. Entschlossen ergriff er den Dolch, seine Gestalt reckte sich, mit einer eleganten Armbewegung warf er die vorderen Teile seines Umhangs nach hinten.
„Hellba'Ma Lam'Wei“, stieg es in ihm auf, dann trat er vor und mit einem einzigen Stoß traf sein Dolch das Herz des Ungeheuers. Ihr wilder Schrei war schlimmer als alles, was er jemals zu hören bekommen hatte. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er die Waffe heraus, setzte seinen linken Fuß auf ihre Schulter, aus deren sechzehn Wunden noch immer das Blut schoss. Sein rechter Arm holte erneut aus, ein Schnitt und der letzte Kopf rollte zu Boden. Er sprang zurück. Das Wesen zuckte unkontrolliert um sich, seine Bewegungen verlangsamten sich und schließlich lag es da. Zerber'Rusia hatte aufgehört zu existieren-
„Hellba'Ma Ta'Rei“, stieg es in Kat'Ar auf. Er atmete drei Mal tief ein und aus, dann machte er sich an die Arbeit und schälte dem Wesen die Haut ab. Sorgfältig kratzte er die Innenseite sauber und faltete die Haut zu einem kleinen Päckchen zusammen, das er in seinem Beutel verstaute. Anschließend zerrte er den Leichnam zum Feuer und schob ihn hinein. Der Gestank machte ihn würgen, doch unverdrossen warf er auch den Kopf dazu. Dann wandte er sich zurück und erreichte die Freunde gerade, als sie sich hustend und prustend wieder erhoben.
„Wir müssen die Köpfe verbrennen“, sagte er knapp, ergriff zwei von ihnen und schleppte sie zum Feuer.
Tem'Bak tat es ihm nach, Salamb'Esia ergriff einen, an dem noch ein langes Stück Hals hing und Tasch'Eneif bemühte sich, es ihr gleichzutun. Mit seinem kürzeren Bein kam er kaum nach, aber humpelnd und zerrend tat er sein Bestes. Er zerrte ihn erst hinter sich her, dann wendete er sich und schleppte den Kopf, während er rückwärts stolperte. Nachdem er sein Werk erfolgreich getan hatte, hob er erstaunt seinen eigenen Kopf. Lauschend entfernte er sich unbemerkt vom Feuer und entschwand ins tiefe Schwarz. „Wald'Ana“, flüsterte er.
Tem'Bak, Salamb'Esia und Kat'Ar hatten keine Zeit, auf ihn zu achten. Sie schleiften, einen nach dem anderen, die restlichen zehn Köpfe zum Feuer, das inzwischen hell loderte. Rundum schmolz das Eis und der Boden wurde staubtrocken.
„Bald wird diese Fläche wieder sonnen durchflutet sein!“, sagte Kat'Ar, nachdem sie ihre Arbeit beendet hatten.
„Das war wohl kaum die letzte Prüfung!“, entgegnete Salamb'Esia.
„Sicher nicht“, antwortete der junge Magier. „Aber wir kommen dem Zentrum des Bösen immer näher. Ich wünschte, wir könnten frische Kräfte sammeln, aber dazu haben wir keine Zeit. Wir müssen zusehen, dass wir im Scheine dieses Feuers möglichst weit vorankommen.“ Er beugte sich nieder und nahm die immer noch halb ohnmächtige Mauza'Ga auf den Arm. „Du hast tapfer gekämpft, kleine Freundin“, murmelte er und kraulte sanft ihren Nacken. Verhalten schnurrend öffnete sie die Augen. „Meinst du, du kannst dich auf meiner Schulter halten?“, fragte er mit einem zärtlichen Kichern. Sie blinzelte, umschmeichelte seinen Arm mit ihrem Schwanz, schnurrte lustvoll auf und sprang mit einem Satz auf ihren angestammten Platz. Ra'Ab krächzte, schüttelte das schwarze Köpfchen, spreizte die Flügel, schlug sie kräftig auf und ab und tat es seiner Freundin nach.
„Dann können wir ja weiter“, sagte Kat'Ar und blickte sich um. „Wo ist Tasch'Eneif?“
„Eben war er noch da“, knurrte Tem'Bak. „Schleppte sich mit einem der Köpfe ab. Wahrscheinlich hat er sich übernommen und schläft jetzt neben dem Feuer, bis seine Birne weichgekocht ist.
„Suchen wir ihn“, entschied Kat'Ar. „Weit kann er ja nicht sein.“
Sie umschritten das Feuer, doch der Gnom blieb verschwunden. Missmutig stampfte Tem'Bak auf. „Er weiß doch, dass er sich nicht herumtreiben soll. Was machen wir denn jetzt?“
Kat'Ar schloss die Augen und reckte beide Hände auf Brusthöhe von sich weg. Vor ihm erschien das Bild eines wandernden Waldes und versank wieder. Ruhe breitete sich in ihm aus. Er öffnete die Augen und sah seine Freunde an. „Wir gehen ohne ihn weiter. Es darf so sein.“
„Aber...“, mit einer fast harschen Handbewegung unterbrach er Salamb'Esia. Dann schritt er zügig aus. Die beiden anderen folgten ihm zwangsläufig nach.
Kat'Ar beschritt eine schiefe Ebene, die beständig abwärts führte. In gewundenen Bahnen ging es an einem verdorrten Waldsaum entlang. Sie mussten sehr vorsichtig auftreten, denn die Gluthitze hatte die oberen Zentimeter der Eisbahn in eine zähe Schlammfläche verwandelt. Ein um das andere Mal rutschte einer von ihnen aus und wurde von den beiden anderen mühsam gehalten. Doch schnell genug verlor das Feuer Kraft und Helligkeit. Erneut standen sie im tiefsten Dunkel der Nacht auf eisglatter Fläche.
„Und nun?“, knurrte Tem'Bak.
„Nun“, entgegnete Kat'Ar, „müssen wir uns anderweitig orientieren. Hast du vergessen, dass wir wochenlang ohne Licht unterwegs waren?“
„Da mussten wir auch nicht kämpfen“, murrte der Alte.
„Hier war ich schon einmal“, warf Salamb'Esia ein. „Ich bin ganz sicher. Ich weiß nur nicht, wann und warum.“
Kat'Ar legte seine Hand auf ihre rechte Schulter. „Bist du sicher?“
„Ja, ganz sicher. Aber frag mich nicht, woher ich es weiß.“ Vor Aufregung begann sie erneut, an ihren Zöpfen zu kauen. „Ich weiß es einfach!“
„Das ist in Ordung“, sagte der Magier beschwichtigend. Und mit einem leisen Lächeln fügte er hinzu, „das geht mir auch öfter so. Grübel nicht darüber nach. Lass einfach den Bildern Zeit, empor zu steigen, und sage uns, was du weißt.“
„'Manak'At hawan'ta, Suri'Wa pell'num, Hika'Sa uw'tan', so heißt es in den alten Liedern. Ich bin ganz sicher, dass diese drei Dämonen hinter jener Lichtung lauern“, sie wies in den verdorrten Wald. „Sie leben im Feuer, im Wasser und in der Luft und bewachen den Eingang zur Hauptstadt des Plut'Uran. Nur wer sich mit den Bewohnern des Untergrunds zu verbünden vermag, hat eine Chance, sie zu besiegen und den Eingang zu erzwingen!“ Schaudernd zog sie sich in sich zusammen. „Ich weiß einfach, dass es die Lichtung dort drüben ist.“
„Ich habe keinen Zweifel, dass du Recht hast“, sagte Kat'Ar. „Ich habe bei mir selbst erfahren, dass dieses Wissen vorhanden ist, ohne je erworben worden zu sein.“ Er nahm seine Hand von ihrer Schulter. „Wir sind drei. Sie sind drei. Das ist keine so schlechte Ausgangsbasis. Also los, tun wir es!“
Bevor er sich in Bewegung setzten konnte, raschelte es um sie herum. Instinktiv griffen sie zu ihren Waffen, doch die Geräusche ließen sich nicht zuordnen. Sie stellen sich Rücken neben Rücken im Dreieck auf.
„Wer da?“, rief Kat'Ar mit drohender Stimme.
„Ich bin es nur“, antwortete eine wohl bekannte Stimme.
„Tasch'Eneif?!“, fragte Kat'Ar ungläubig nach.
„Ja. Und ich möchte euch meine Vettern vorstellen. Kel'Sup, Er'Mank, Ostü'Mar. Und mit ihnen sind jeweils tausend Krieger. Wir werden die Dämonen besiegen!“
(c)sylvie2day, 29.08.2010