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Die Geschichte des Schildkrötenhändlers

****ra Frau
2.916 Beiträge
Themenersteller 
Die Geschichte des Schildkrötenhändlers
An einem heißen Tag im Sommer sollte sich für Abdel mit einem falschen Wort alles ändern. Das kleine Küstendorf seiner Heimat war für seinen regen Handel mit den vielen ausländischen Seefahrern bekannt. Für seine erlesenen Waren, wie die köstlichen Oliven, das einzigartige Öl, Weihrauch, feine Stoffe, kunstvolle Schmuckstücke und seltene Tiere.
Abdel, der hinter vorgehaltener Hand als Weiser bezeichnet wurde, führte den Handel seiner Vorfahren liebevoll weiter. Wundervoll gezeichnete Schildkröten züchteten sie seit ewigen Zeiten. Gezeichnet in dem Sinne, dass ihre Panzer vollkommen aus dem schimmernden Schildpatt bestanden. Je kleiner diese Tiere waren, umso feiner war die Maserung der winzigen Panzer. Abdel verkaufte jedoch nie die jungen Tiere, nur die alten, deren langes Leben in Kürze ein natürliches Ende finden würde. Er kannte das Alter eines jeden seiner Tiere, das jedes einen Namen trug. Sein Herz hing sehr an diesen Tieren, von denen bereits einige mehrere Generationen seiner Familie hatten kommen und gehen sehen. Traurig wurde ihm klar, dass als nächstes die uralte Yasemin verkauft werden würde. Yasemin war schon alt, als er noch ein kleiner Junge war, und nun, da Abdel bereits selbst viele Kinder sein eigen nennen konnte, spürte er das Ende der Schildkrötendame nahen. Sein eigener Vater erklärte ihm damals, dass Yasemin bereits über hundert Jahre alt sei. ‚Inzwischen muss sie fast zweihundert Jahre alt sein‘ dachte Abdel, als er sich seines eigenen Alters bewusst wurde. Niemand sah ihm dieses hohe Alter an, er wirkte noch immer wie ein Mann in den besten Jahren. Er vermutete, dass es damit zu tun hatte, dass sich die Zeit nicht für ihn interessierte, so lange er mit seinen Schildkröten zusammen lebte. Seine Haare waren voll und aus einem prachtvollen Schwarz. Seine Haut war gebräunt, doch ohne viele Falten, seine Augen klar und noch immer scharfen Blickes.
Er beobachtete Yasemin, die seine Gedanken zu spüren schien. Vorsichtig erhob sie sich von ihrem Strohlager, setzte einen Fuß vor den anderen und näherte sich mit einem Ausdruck der ewigen Geduld in ihrem Gang, Abdels Beinen. Wie sie so durch Abdels Hütte kroch, schien die Zeit einen kurzen Moment stillzustehen. Die Geräusche des Dorfes verstummten, die brütende Hitze ließ nach, einzig Yasemin und Abdel schienen zu existieren. Abdel erschrak aus diesen Gedanken, als Yasemin seine Wade berührte. Sanft drückte sie ihren kleinen harten Kopf gegen sein Bein. Als wollte sie ihn mit dieser Geste aufmuntern. Abdel lächelte und streichelte Yasemin über den Kopf. Warm war die alte, faltige Haut des Tieres, das diese Berührung genoss. Sie schloss die Augen und verharrte regungslos in dieser Haltung. Abdel kämpfte mit den Tränen, die sich in seine Augenwinkel stahlen. ‚Yasemin, meine liebe Yasemin, deine Zeit ist nun gekommen‘ dachte Abdel, während er ihren wunderschönen Panzer betrachtete. Heute wollte ein reicher Kaufmann in sein Haus kommen, um eines seiner berühmten Tiere zu kaufen. Abdel wusste, dass er sich von Yasemin nun für immer trennen musste. Das war das Los dieser Tiere seit ewigen Generationen. Die Schildkröten waren seine Familie. Sie waren ihm so nahe wie seine drei Söhne und die beiden Töchter, deren Schicksal unlösbar mit diesen Tieren verbunden war.
Noch während er gedankenversunken Yasemin streichelte, kündigten ein Tumult und eifrige Worte vor seiner Tür den Käufer an. Er warf einen letzten Blick in die neugierigen Augen des Tieres, das seinen Kopf langsam in Richtung der Türöffnung drehte. Der luftige Vorhang wurde zur Seite geschoben und schweren Schrittes näherte sich ein dicker Mann in einem kostbaren Kaftan. Sein rotes Gesicht war schweißgebadet und seine kleinen, misstrauisch blickenden Augen hefteten ihren Blick gierig auf Yasemin. Diese zog ihren Kopf tief in ihren Panzer zurück und ließ sich an der Stelle als uneinnehmbar nieder, an der sie eben noch stand.
„Ich grüße dich, Herr“ begann Abdel seinen Kunden anzusprechen. Ächzend erhob er sich, um auf den Kaufmann zuzugehen. Dieser wedelte heftig mit seinen dicken Händen vor seinem Gesicht herum und japste: „Halte mich nicht lange auf, Händler, zeig mir deine Tiere“ forderte er mit einer keifend, lispelnden Stimme.
„Hier, schaut her, dieses wundervolle Tier ist jenes, das zum Verkauf steht. Die anderen Tiere sind noch nicht soweit“ erklärte Abdel und machte eine einladende Handbewegung mit der er auf Yasemin deutete. „Ja, ja, ich habe sie bereits gesehen, Alter. Aber ich habe gehört, die jungen Tiere hätten viel schönere Panzer. Zeig sie mir“ verlangte er erneut. Abdel zögerte nur kurz, doch schon setzte sich der Dicke in Bewegung und lief in die Ecke des Raumes, die mit Stroh bedeckt war und somit verriet, dass sich hier die Schildkröten aufhielten. Vierzehn an der Zahl, kauerten sie zusammen, die kleinsten und neugierigsten hielten im Gegensatz zu den älteren, ihre kleinen Köpfchen hoch, um den Kaufmann direkt ansehen zu können. „Ich will diese da“ dröhnte die Stimme des Kaufmannes durch den Raum. Sein dicker Zeigefinger deutete auf die vier kleinsten Tiere. Abdel zuckte zusammen. „Nein, Herr, das geht nicht. Diese Tiere sind zu jung, ihre Panzer noch viel zu klein, das Schildpatt würde dir keine Freude bringen“ antwortete Abdel leise. „Dies solltest du mir überlassen, was mir Freude macht“ keifte der Kunde. „Nun? Ich bin es nicht gewohnt, dass man mir das abschlägt, was ich möchte. Wie viel verlangst du für diese vier Tiere?“ fragte er nun ungeduldiger. Abdel wurde nervös. „Bitte, habt Verständnis, ich kann euch diese Tiere nicht verkaufen. Sie werden erst in einigen Generationen so weit sein. Meine Kindeskinder werden sie noch hüten und pflegen, bis sie soweit sind. Doch diese hier, diese kann ich euch geben.“ Wieder deutete Abdel auf Yasemin, die noch immer stur in ihrem Panzer zurückgezogen verharrte. „Ja, ich nehme sie ja, doch will ich noch diese vier kleineren.“ Brüllte der jetzt erzürnte Kunde. „ich lasse dir Zeit, bis zum Morgengrauen, bis mein Schiff ablegt, das mich weiter meines Weges bringt. Doch ich werde nicht ohne diese Schildkröten gehen. Ich brauche sie für ein ganz besonderes Schmuckstück.“ drohte seine Stimme weiter. Abdel wurde schwindelig. ‚nein, nicht meine kleinen, die darf er nicht bekommen‘ schoss ihm durch den Kopf. Der Blick des Kaufmannes bohrte sich in Abdels Augen. Er wollte seinem Kunden bereits antworten, als dieser seine Augen zusammenkniff und ihm ins Wort fiel: „vielleicht kann ich Dir ja bei der Entscheidung ein wenig nachhelfen, alter Mann. Wenn ich morgen früh, diese vier Tiere nicht bekomme, werde ich deine jüngste Tochter mitnehmen. Sie ist ein hübsches Ding, das mir viel Geld in den Ländern einbringen wird, in die ich noch reisen werde. Und wage es nicht, den Wünschen deines Kunden zu widersprechen, sonst werde ich dich ruinieren!“ damit drehte sich der Kaufmann um und verließ mit wütenden Schritten Abdels Hütte.
Abdel war verzweifelt. Seine Tochter? Seine jüngste Tochter weggeben? Und wenn er nun diese kleinen Tiere verkaufen würde, verstieße er gegen das uralte geheime Familiengesetz, würde er sie nicht verkaufen, wäre sein Ruf als ehrlicher Geschäftsmann dahin. Traurig ließ er sich neben Yasemin auf dem Boden nieder. Im Schneidersitz hockte er vor dem Tier, das langsam seinen Kopf wieder aus dem Panzer schob. Yasemin legte ihren Kopf in seinen Schoß und blickte ihm tief in die Augen. „meine liebe Yasemin – was soll ich nur tun?“ fragte er das Tier, auch wenn er keine Antwort erwartete. Jetzt hob sich der kleine Kopf des Tieres, bis er fast in Blickhöhe mit Abdels Gesicht schwebte. Die schwarzen Augen des Tieres blickten tief in Abdel Seele. Abdel konnte nicht mehr blinzeln, so sehr bannte ihn der Blick. Er spürte den ruhigen Atem von Yasemin auf seiner Haut, langsam wehte jeder ihrer Atemzüge ihm entgegen. Abdel wurde müde und entspannte sich auf eine seltsame Weise. Alles wurde leicht, die Umgebung verschwand aus seinem Bewusstsein. Nur noch die Augen von Yasemin existierten. Abdel glaubte entfernte Worte zu hören, doch konnte er nichts verstehen. Die Stimmen sprachen schnell und alle durcheinander. Bevor Abdels schwere Lider sich senkten, nahm er noch wahr, dass alle seine Schildkröten ihn umkreist hatten. Er saß inmitten seiner geliebten Tiere. Abdel fiel in sich zusammen und bemerke nicht mehr, wie sich sein Körper veränderte. Die Haare durchzogen sich mit grauen Strähnen, sein Rücken begann sich langsam zu krümmen….

Am nächsten Morgen waren Abdel und seine Kinder verschwunden. Freunde drangen aufgrund des lautstarken Gezeters des Kaufmannes in das verlassene Haus, um sie zu suchen. Nichts war von Abdel oder seinen Kindern zu entdecken. Einzig die Schildkröten kauerten ruhig in der mit Stroh ausgelegten Ecke des Raumes. Einige der faltigen Augenpaare blickten in Richtung der ungebetenen Gäste.
Eine uralte Schildkröte, die größte, erhob sich langsam und gemächlich, richtete sich hoch auf ihre kräftigen Beine, starrte unverwandt die Eindringlinge an und schien mit ihrem grau-schwarz gestreiften Panzer seine Artgenossen zu beschützen. Laut und wütend fauchend vertrieb das Tier die Menschen. Man zählte im Nachhinein zwanzig dieser geheimnisvollen Tiere.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Es liest sich wie ein Märchen aus 1001 Nacht.

Interessante Wendung ... gefällt mir. *top*

Heute darf wohl ich *liegestuhl* und *cocktail* schlürfen *fiesgrins*


Liebe Grüße
Herta
****ra Frau
2.916 Beiträge
Themenersteller 
*cocktail* schüttel und *liegestuhl* polstere für Dich, liebe Herta

*kuss* *gg*
*****har Paar
41.021 Beiträge
JOY-Team Gruppen-Mod 
So langsam wird mir das unheimlich: Ihr übertrefft Euch hier selbst, wie ich finde.

Oder bin ich gerade in besonders märchenhafter Stimmung?

Jedenfalls bin ich als alter Märchenonkel, Märchenerzähler und Märchenschreiber total begeistert ...

(Der Antaghar)
****ra Frau
2.916 Beiträge
Themenersteller 
danke Dir, Antaghar, ich glaube auch, diese Stimmung ist ansteckend.
*top* *kuss2*
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