Menno, seid ihr schnell
aber ich bin länger
was zuletzt geschah:
Kurzgeschichten: Geschichtenspiel Part 16
Und nun
Die Eisblumen-Prinzessin (14)
Unverhohlenes Erstaunen machte sich auf Kat'Ars Gesicht breit, doch er fasste sich rasch, improvisierte eine galante Verbeugung und reichte dem Mädchen seine Hand.
„Sei mir gegrüßt, Salamb'Esia, Milchschwester der Eisblumenprinzessin. Ich bin Kat'Ar, Sohn des Trap'Per. Meine Freunde und ich sind ausgezogen, um Deine Schwester zu suchen. Wir freuen uns sehr, dich kennenzulernen.“
Unsicher sah das Mädchen von einem zum anderen und zupfte verlegen an ihren Zöpfen. Ra'Ab krächzte verhalten in ihr Ohr, was ihr ein scheues Lächeln abrang. Mit leiser Stimme und stockender Stimme bemühte sie sich um eine Antwort.
„Kat'Ar. Ja. Der Vogel erzählte von dir. Ich bin sehr froh, dich zu sehen.“ Sie räusperte sich leise. „Und deine Freunde natürlich auch. Ich bin so froh, irgend jemand zu sehen!“ Verschämt wischte sie sich die Tränen ab.
Mauza'Ga sprang von Kat'Ars Schulter, schlich um des Mädchens Beine und streichelte dabei die Unterschenkel. Ra'Ab krächzte erneut,Tem'Bak fummelte ein halbwegs sauberes Taschentuch aus seiner Tasche und reichte es dem Mädchen. Tasch'Eneif stand mit offenem Mund da und schien die Sprache verloren zu haben.
„Ich kann verstehen, dass du froh bist, Lebende zu sehen“, sagte Kat'Ar mit einem freundlichen Lächeln. „Und du musst dich sicherlich ausruhen. Das will ich dir nicht verwehren. Aber bitte versteh, dass wir wissen müssen, was hier geschah. Meinst du, du kannst uns erzählen, was passierte?“ Mit sanftem Druck brachte er das Mädchen dazu, sich hinzusetzen.
„Sie hat bestimmt Hunger und Durst“, bemerkte Tasch'Eneif. „So lange, wie sie allein war.“
„Kennt ihr euch?“ fragte Kat'Ar, zögerte aber nicht, aus seinem Beutel belegte Brote und Milch hervorzuholen und an alle zu verteilen. Der Gnom wurde puterrot, sagte aber kein Wort.
Salamb'Esia griff mit einer Hast zu, die deutlicher als jedes Wort deutlich machte, dass sie lange gedarbt hatte. Sie kaute und schluckte, trank, kaute und schluckte, bis nichts mehr übrig war. Dann schien ihr bewusst zu werden, wie unverhohlen sie zugegriffen hatte. Verlegen putzte sie sich mit dem Handrücken über den Mund und schleckte sich davon die letzte Milch.
„Was willst du wissen?“ fragte sie schüchtern.
„Was du so allein hier machst, zum Beispiel. Und warum du nicht im Palast bist?“
Salamb'Esia spielte erneut mit ihren Zöpfen und begann, auf dem linken herumzukauen. Erneut schien sie in Tränen auszubrechen. Dann aber raffte sie sich auf und antwortete.
„Was soll es? Schlimmer als jetzt kann es nicht werden. Ich weiß nicht, warum ihr die Prinzessin sucht, aber ihr seid nett zu mir und gebt mir Essen. Ich erzähl euch einfach alles.“ Energisch schnäuzte sie sich und gab dann Tem'Bak das Taschentuch zurück.
„Die Prinzessin und ich, wir sind zusammen aufgewachsen. Es gab keinen Tag, an dem wir nicht zusammen waren. Tag und Nacht haben wir zusammen gelebt und gelernt. Nur um Mitternacht ging sie allein in den Garten. Ich weiß nicht, was sie da tat. Ich durfte sie nicht begleiten und auch nicht fragen. Weder Regen noch Sturm hielten sie ab. Meine Mutter war bei uns und sorgte für uns. Es war ein wundervolles Leben. Eines Tages, es war der siebzehnte Geburtstag der Prinzessin, erschien plötzlich ein fremder, dunkler Mann im Palast. Ich weiß nicht, welches Gift seine Worte enthielten, aber die Prinzessin zog sich von uns allen zurück. Sie lächelte nicht mehr und ihr Gesicht war wie versteinert. Es schien plötzlich asymmetisch zu sein.“ Sie stockte.
„Was meinst du mit asymmetrisch?“ fragte Kat'Ar sanft und streichelte über ihren Handrücken.
„Sie war so wunderschön, so ebenmäßig. Doch dann war ihr Gesicht so schief, eben asymmetrisch. Und sie benutzte schlimme Worte... Flüche. Wir haben sie alle gemieden, so gut es ging. Doch es brach mir fast das Herz. Ich fing an, den Fremden zu beobachten und eines Tages gelang es mir, sein Gepäck zu durchsuchen. Und ich fand,“ sie schluckte und senkte ihre Stimme noch weiter, „ich fand das Heptadekagon des Despoten, geschmiedet aus purem Silber.“
„Welches Despoten?“ unterbrach Kat'Ar sie.
„Usamb'Ala, der Herrscher der Unterwelt. Er hat seinen Boten geschickt, um sie zu holen. Ich bekam schreckliche Angst um sie. Aber ich wusste doch nicht, was ich tun sollte. Beim letzten Vollmond dann bin ich ihr gefolgt. Drachenreiter kamen und nahmen sie mit. Ich bin ihnen gefolgt. Ich bin gelaufen so schnell ich konnte, aber sie waren so schnell.“ Erneut fing sie an zu schluchzen.
Kat'Ar wartete geduldig, bis sie sich erneut beruhigt hatte. „Das alles war sicherlich sehr aufregend. Wann bist du hierher gekommen?“
„Nach Vulk'Ania? Vor drei Tagen. Ich bin gar nicht in die Stadt hineingegangen, weil da so viel Asche war. Ich bin außen herum gegangen, ohne Ziel und ohne Hoffnung. Und dann kam der Vogel und sprach mich an. Ich war noch nie in dieser Stadt. Ich schwöre!“
„Wir glauben dir das“, beschwichtigte Kat'Ar. „Alles was wir wollen ist, deine Schwester zu finden und diese Eisesstarre zu beseitigen, die das ganze Land lähmt. Es waren die Reiter des Plut'Uran, die sie geholt haben, nicht die Männer des Usamb'Ala. Da ist vieles unklar an diesem Teufelswerk. Nur von der Eisblumen-Prinzessin können wir die Zusammenhänge erfahren. Verstehst du das?“
Mit einem scheuen Lächeln nickte sie ihm zu. Es verschwand jedoch sehr schnell wieder, denn „ich kann euch doch nicht helfen“, schluchzte sie.
Kat'Ar stand auf und reckte sich. Sinnend blickte er in die vier Winde. Schließlich erhob er beide Arme, schloss die Augen und intonierte einen eigentümlichen Gesang.
„Tel'Ana ma Pat'Ark, Pun'Betja ma Wak. Tel'Ana ma Wik'Ram, Sel'Tunka ma Wak“.
Seine Stimme schwoll an und ab. Sie schien das gesamte Universum durchdringen zu wollen. Die anderen sahen ihm gebannt zu. Salam'Esia erhob den rechten Arm und legte ihn auf Kat'Ars rechte Schulter. Der weite Ärmel ihres Kleides rutschte über ihren Ellbogen zurück.
„Tel'Ana ma Pat'Ark, Pun'Betja ma Wak. Tel'Ana ma Wik'Ram, Sel'Tunka ma Wak“, wiederholte Kat'Ar, während er sich erneut den Winden zuwendete. Dabei fiel sein Blick auf den entblößten Ellbogen, an dem ein herzförmiges Mal sichtbar war. Er holte drei Mal tief Luft, dann ließ er seine Arme sinken. Er trat einen Schritt zurück. Ein fast überirdisches Lächeln zog über sein Gesicht. Dann beugte er das Knie.
„Lasst uns niederknien, meine Freunde,“ sagte er, „denn wir haben die Eisblumenprinzessin gefunden.“
© sylvie2day, 14.03.2010