Sister of Eldridge, Teil 6
Captain Smythe verbot angesichts der infernalisch Feuerspeienden Abwehrgeschütze das Betreten des Oberdecks. Niemand sollte sich einer Gefahr aussetzen. Weder der Gefahr einer Vergiftung, Verätzung oder vielleicht der Gefahr, dass noch eines dieser... Dinger vom Himmel fällt. Oder vielleicht, dass dieses... augenlose Wesen nicht ganz tot war und noch ein paar Matrosen mit sich nehmen wollte.
Smythe beorderte den Ersten mit seinem Stab in die OPZ, er selbst begab sich auf die Brücke. Er ordnete an, dass alle Kameras auf Rundumsicht laufen sollten. Smythe wollte soeben einen neuen Kurs eingeben, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung auf dem Vorschiff wahrnahm. Er ruckte herum und sah gerade noch, wie die große 114mm Maschinenkanone auf dem Vorschiff in den Reigen der Drachengleichen Feuerspeier eintrat. Bei jedem Schuß entstand eine Sonnenblume aus Feuer vor dem Lauf, dichter schwarzer Qualm wehte davon und durch die Druckwelle stob der Staub vom Deck in die Höhe.
„Großer Gott“ Dachte der Steuermann laut.
„Gott? Wir müssen den Begriff erweitern Steuermann. Das was unsere Geschütze bekämpfen gibt es, nein kann es gar nicht geben.“
Bevor der Steuermann etwas erwidern konnte, hörte die große Kanone auf, zu schießen. Keine 15 Meter an Backbord jedoch hörte man ein gigantisches Platschen und Smythe sah eine Wasserföntäne aufsteigen.
Und genauso schnell wie die Fontäne entstanden war, war sie auch schon wieder verschwunden.
Smythe ließ sich die Videoaufzeichnungen in die OPZ bringen und steig dann hinunter in den gepanzerten Bereich.
Baker, Smythe und der Rest der Offiziere starrten Fassungslos auf das seltsame Wesen, das dort, von mehreren großen Löchern durchsiebt, direkt neben dem Schiff in die braune Brühe fiel.
„Haben Sie es bemerkt?“ Fragte Smythe aufgeregt.
„Was denn Sir? Dass es potthässlich und größer war, als das, was auf dem Mittschiff liegt?“
„Nein. Sehen Sie genau hin“ Sagte Smythe und spulte das Band zurück bis zum Aufschlag auf das „Wasser“, dann schaltete er auf Zeitlupe.
„Es taucht ein!“
„Ganz genau, es taucht ein! Bislang war uns klar, dass die Wasseroberfläche eine Grenzschicht darstellt. Dringen wir hindurch, ist die Barriere tödlich. Aber das Wesen, das hier zuhause ist, taucht EIN. Das bedeutet, irgend etwas hier ist gänzlich anders. Nämlich wir. In dieser Welt, in dieser Dimension in diesem Kontinuum oder wie immer man das auch nennen mag, sind WIR der Fremdkörper. Und ich glaube, wir werden angegriffen. Nämlich von diesem Kontinuum selbst. Durch Barrieren, durch differierende Zeiten, durch Monster durch was weiß denn ich. Männer, wir gehören nicht hier hin. Also lasst uns jetzt langsam blitzartig dafür sorgen, dass wir nach Hause kommen. Bevor noch schlimmeres passiert.“
“Es gibt da ein Problem Sir“ Leach wieder.
„Welches denn?“
„Nun, ich würde gern Dworsky dazuholen, Captain, weil ehrlich gesagt hab ich nichts von dem verstanden, was er in seinen Bart gemurmelt hat“
Smythe ging ans Interkom und beorderte den Ersten Maschinenmaat Richard Dworsky in die OPZ.
Der untersetzte Mann mit einem typischen Seemannsbart und den breiten Schultern druckste sich in die OPZ. Alles Klötze hier, dachte er wohl, denn das drückte sein Gesicht aus. Er fühlte sich offensichtlich unbehaglich.
Smythe bedeutete ihm, sich zu setzen und zu berichten, welches Problem wir haben.
„Captain, also ich“
“Ganz ruhig Dworsky, ganz ruhig „ erklärte Smythe, als er sah, wie aufgeregt der Maschinenmaat war.
Dworsky atmete tief durch.
„Sir, das wird ein längerer Vortrag. Als Fähnrich Leach und ich all diese Dinge aufgeschnappt hatten, waren wir noch im äh Einstein also äh Universum. Bezeichnen wir einfach einmal so den Ort wo wir vor dem Experiment waren.“
“Gut weiter“ Blaffte Baker ungeduldig.
„Okay, also haben wir viele Dinge nachlesen können. In Einsteins Theorien, in Hawkings Büchern und im Netz ohnehin. Es kristallisierten sich folgende als annähernde glaubhafte Fakten heraus.
1. Das Experiment gründet sich auf den so genannten Schwarzschild- Radius. Eine errechenbare Grenze von Quantensingularitäten oder auch schwarzen Löchern. Die Grenze, also der Schwarzschild- Radius oder auch Ereignishorizont beschreibt eine Massenanziehung, die es ALLEM was wir kennen, unmöglich macht, aus dem Gravitationsfeld der Singularität zu entkommen. Nicht einmal den Photonen. Da also auch die Photonen in diese monströse Gravimetrische Störung gesogen werden, können diese Lichtteilchen von uns nicht wahrgenommen werden. Somit entsteht eine Zone der Unsichtbarkeit, die sich allein auf der Tatsache gründet, dass kein Licht da ist, welches man sehen könnte, weil es verschluckt wird. Daher das Wort: Schwarzes Loch.“
„Und woher kommt die Massenanziehung?“ Smythe konnte Dworsky´s Ausführungen folgen. Es hörte sich an, als ob der Maat sich sehr viele Gedanken gemacht hatte und die Recherche schien auch schlüssig.
„Nun die Massenanziehung entsteht in schwarzen Löchern durch das Kollabieren einer Sonne. Endet die kritische Masse einer Sonne, bläht sie sich zu einem so genannten roten Riesen auf. Und dann fällt diese gigantische Masse in sich zusammen und bildet einen weißen Zwergstern oder Neutronenstern. Alle Materie wird auf einen kleinen Raum konzentriert. Somit entstehen Massenkräfte Erster, Zweiter und Dritter Ordnung“
„Was?!“ Baker konnte nicht mehr folgen.
„Sehen Sie Sir, es ist so: Nehmen wir ein Wasserstoff – Atom. Ein Proton, ein Neutorn und ein Elektron. Entfernt man jetzt die Abstände zwischen Elektron und Kern, wird der gesamte Kern sehr viel kleiner, behält jedoch seine spezifische Masse.“
“Ich verstehe kein Wort, Leach“
„Okay. Nehmen wir einmal das Schlachtschiff Bismarck. 56ooo Tonnen Masse. Wenn wir jetzt hingingen, und würden die Freiräume zwischen allen Atomen entfernen, aus denen das Schiff besteht, ist es nur noch 9 cm lang. Wiegt aber immer noch 56ooo Tonnen. Verstehen Sie?“
„Ja, verstehe ich. Aber was wollen Sie uns sagen?“
„Ganz einfach Sir. Nehmen wir den Mond. Er hat eine Masse von 7,3 Mal 10hoch22 kg. Diese für uns enorme Masse beeinflusst unseren Planeten. Ebbe und Flut ist nur ein Beispiel. Nun stellen Sie sich vor, eine Masse vom Gewicht einer Sonne kollabiert und fällt in sich zusammen. Das Gewicht des Mondes ist dagegen ein Fliegenschiss, Sir. Denn wenn diese Sonnenmasse in sich zusammenfällt, bildet sie einen so genannten Zwergstern oder Neutronenstern. Ungeheure Masse auf einem kleinen Raum konzentriert. Die Anziehungskraft ist so groß, dass NICHTS entkommen kann, wie schon gesagt. Der Schwarzschild- Radius besagt, dass alles innerhalb des Radius von außen niemals gesehen werden kann, da ja die Photonen als leichte Teilchen ebenfalls nicht entkommen können.“
“Ja, aber das hieße ja, dass ein Schiff im Inneren ebenfalls nicht entkommen könnte“ Warf Smythe ein.
„Das stimmt nur bei natürlichen schwarzen Löchern Sir. Hier wollten die Ingenieure offensichtlich mittels einer synthetischen Singularität eine künstliches Schwerefeld erzeugen, um Photonen nicht abzulenken sondern um das Schiff herum zu lenken. Irgend etwas muss aber schief gelaufen sein, denn das Schwerefeld sollte in sich zusammen fallen, wenn die Kraftquelle erlischt, Sir. Fähnrich Leach und ich vermuten einen einfachen Rechenfehler. Dieser muss irgendwie bewirkt haben, dass das Schiff nicht von Photonen umströmt wird sondern ganz aus unserer Raumzeit verschwindet. Wir hörten das Wort Abberative Verifikation. Das bezog sich ganz offensichtlich auf den Schlüsselfakt, nämlich eine Art Gravitationslinse, die das Schiff einhüllen sollte.“
„Das ist alles gut und schön, Dworsky, aber wie hilft uns das weiter?“ Smythe drängte auf eine Antwort.
„Nun ja Sir, es ist so, Sir, wir äh können äh den Reaktor nicht in Gang setzen Sir.“
„Warum nicht? Haben sie keinen Schalter mit der Aufschrift: Einschalten gefunden?“ Der Versuch dieses aus der Not geborenen Witzes ließ Dworsky´s Mine entgleisen wie unter Qualen.
„Sir, das eben ist das Problem. Es gibt gar keinen Einschalter oder etwas in der Art. Es gibt lediglich einen Funkempfänger. Das Einschalten wurde von den Eierköpfen per Fernsteuerung vorgenommen und wir haben nichts ausser der Frequenz“
„Verd... und nun? Wir sind verdammt, hier zu bleiben?“
“Es sieht wohl so aus Sir. Fähnrich Leach und ich bekommen den Reaktor auf gar keinen Fall in Gang, Sir.“
Nach weiteren 4 Stunden der Diskussion, der Ideenfindung und wieder verwerfens, der Planerschaffung aufgrund der Tatsachen, war nicht mehr viel an Möglichkeiten gegeben.
Captain Smythe und seine Offiziere hatten beschlossen, die Radarpeilung dahin gehend zu unterstützen, dass die HMS Odyssee in konzentrischen Kreisen fahren sollte. So war der Weg zwar länger, aber es stellte sicher, dass etwaige Landmassen nicht einfach übersehen wurden, denn ein Ende des Nebels war auch nach 20 Tagen nicht abzusehen.
Nach dem Entschluss, Land zu suchen, begannen die Offiziere, Szenarien zu erfinden, was die Mannschaft dort erwarten würde. Ob es trinkbares Wasser gäbe, ob es Lebensmittel oder jagbares Wild gäbe. Immerhin müsste man zunächst das Schiff ausschlachten, bevor das aggressive „Wasser“ den Rumpf auflöste. Zeitgleich müssten Behausungen für über 800 Besatzungemitglieder geschaffen werden. Landetrupps, Erkundungstrupps und Jagdtrupps mussten ausgesandt werden. Es gab so unheimlich viel zu tun. Doch zuallererst musste man Land finden.....
Kurz bevor Captain Smythe das denkwürdige Meeting auflösen wollte, begab sich Doktor Benning zu der illustren Truppe. Doc „Frankenstein“ Benning war der Ranghöchste Mediziner an Bord und war im Grunde unsichtbar. Selbst Smythe sah ihn selten, daher wusste Smythe, dass es enorm wichtig sein musste, wenn Benning selbst herabkam.
Und Bennings Beitrag war vernichtend. Er teilte mit seiner für den schmalen Körper viel zu tiefen Stimme mit, dass er von dem Wesen, das aufs Mittelschiff gefallen war, Analysen vorgenommen hätte. DNA – Analysen waren hier nicht in der Eile erwartbar, aber dennoch könnte er jetzt schon behaupten, dass rein gar nichts von dem,was dieses chimärenhafte Ding wäre, für Menschen verwertbar war. Die Haut, Federn und die Schuppen würden bei Kontakt mit unserer Sphäre rasend schnell verwesen. Für die Innereien gilt das Gleiche. Die Knochenstruktur wäre innerhalb kurzer Zeit brüchig. Es sah aus, als ob das Wesen rasend schnell verwesen würde. Und auf die Frage, ob in dieser nebligen Welt für alle heimischen Wesen das gleiche gälte, neigte der Doc den Kopf ein wenig und stimmte zu.
Dworsky nickte ebenfalls, was von allen anwesenden Offizieren bemerkt wurde. Und urplötzlich sah sich der Erste Maschinenmaat Dworsky im Zentrum des Interesses.
„Nun Dworsky? „ Forderte Smythe ihn auf.
„Das alles macht Sinn Sir.“
“Dworsky, raus damit, verdammt noch Mal kein Schwein hier versteht etwas und sie nicken nur, WAS macht Sinn?“
„Na die Inkompatibilität, Sir. Die Abberative Verifikation. Das linsenförmige Gravitationsfeld. Ich verstehe es jetzt, Sir. Als das Experiment gestartet wurde, schuf der Reaktor ein Linsenförmiges Kraftfeld um das Schiff herum, das dafür gesorgt hat, dass wir da sind, wo wir nun sind! Eine Art Blase, Sir“
„Klar, Dworsky, die Warp- Blase aus Kirks Raumschiff!“ Baker war nicht anzusehen, ob er es ernst meinte oder versuchte, einen Witz auf Dworsky´s Kosten zu machen.
„Nein, ja. Nicht ganz Sir, Warpfelder kenne ich nicht. Aber das Feld des Generators! Ich glaube, es ist gar nicht abgeschaltet worden Sir! Die Fernbedienung! Der Einschaltimpuls ist gekommen, aber der Ausschaltimpuls nicht. Ich vermute, dass die Blase um das Schiff nach wie vor existiert. Daher werden die Wesen hier transmutiert, wenn sie in unsere Blase eindringen und wir werden getötet, wenn wir versuchen, die Blase zu verlassen, Sir!“
Fassungsloses Schweigen. Niemand wollte die Stille durchdringen und das erste Wort sagen.
„Dworsky, was meinen sie mit: Transmutiert?“
“Ich äh meine, dass alles, was innerhalb oder ausserhalb der Blase existiert, eine Art Eigenstruktur hat. Und diese ändert sich schlagartig, wenn diese Struktur in ein anderes Kontinuum fällt, fährt, kriecht oder humpelt. Daher auch das permanente Dauerfeuer der Abwehrgeschütze Sir. Wer weiß, was die verschießen?“
„30mm Projektile aus abgereichertem Uran natürlich, was sonst?“
„Das ist klar Captain, aber aus was bestehen die Projektile, wenn sie die Blase verlassen? Wäre doch möglich, dass wir ausserhalb mit Apfelsinen oder Silberringen werfen, Sir.“
Smythe atmete tief durch. Das alles brachte nichts. Selbst die Suche nach Landmassen war sinnlos geworden. Wenn alles außerhalb der beschriebenen Blase tödlich war, waren alle verloren. Dann gellte der Alarm durch die OPZ.
Smythe flog zum blinkenden Interkom. Es war Monaghan im Ausguck. Er hatte ein Schiff gesichtet. Die Kennung des Schiffes war DE 173, ein Zerstörer der Cannon Klasse. Es war die USS Eldridge. Ein Schiff, das in seltsame Verwicklungen verstrickt war. Allerdings war das lange her. Nämlich im Oktober 1943. Vor 66 Jahren.
„1O, gehen Sie längsseits“ Sagte Smythe tonlos und seine aufkeimende Hoffnung verdrängte die Trauer. Smythe grinste, denn die DE 173 war seit über 60 Jahren hier, ohne dass der Rumpf zerfressen war! Das bedeutete Zweierlei. Nämlich, dass seine Sehnsucht was die Heimkehr anging, nicht begraben war und gleichzeitig schien die alte Eldridge die Fahrkarte nach Hause zu sein. Smythe´s Spannung wuchs ins Unermessliche.
90 Minuten später lag die HMS Odyssee fest vertäut neben der USS Eldridge. Smythe stand neben Baker und den anderen Offizieren auf dem Vorschiff, weil der stinkende Kadaver auf dem Mittelschiff jedem, der sich zu nahe wagte, die Tränen in die Augen trieb. Und auch auf die Entfernung sah der graue zerschossene Körper des Wesens aus, als wäre es aus Knete.
Smythe starrte auf den Geleitzerstörer. Er fragte sich wie alle anderen, ob sie es wagen konnten, an Bord zu gehen. Was würde dort auf sie warten?