Kater Heinrich 4
Kater Heinrich 4.1Es war ein ruhiger Abend und Heinrich war froh, endlich wieder einmal auf Simones Schoß entspannen zu können.
Die vergangenen Tage waren ein wenig turbulent gewesen. Unter anderem hatte er Missy
Elliott erklären müssen, warum er mit seinem Problem nicht gleich zu ihr gekommen war. Simone war seitdem irgendwie nachdenklich, er erklärte sich das aber mit der Enttäuschung, die sie empfunden haben musste, als sie verstand, dass sie nie wirklich die einzige in seinem Leben sein würde. Was sollte er tun? Er war ein Kater. Irgendwann würde sie das verstehen. Und dann würde sie Andreas, diesen Menschen, fallen lassen, um nur noch mit ihm zusammen sein. Er malte sich bereits aus, wie sie ihm, mit nichts als ihrem transparenten Hello-Kitty-Negligée bekleidet, seinen Thunfisch servierte, wie sie sich bückte, um den Napf an seinen Lieblingsplatz auf der Heizdecke am Fenster abzustellen. Sie würde sich neben ihm niederlassen, ihm beim Speisen zusehen und ihm dabei den Trinknapf mit Perrier auffüllen…
Das Wetter war eher ungemütlich, Nieselregen verfinsterte den Himmel, deshalb hatten sie es sich vor dem Fernseher bequem gemacht.
Es lief irgendeine hanebüchene Geschichte, in der ein Weibchen und ein Männchen sich aus haarsträubenden Gründen nicht paaren konnten. Simone fieberte wie so oft mit der Hauptdarstellerin und war mehrmals den Tränen nahe. Ab und zu versuchte sie Heinrich zum Zusehen zu überreden. Vergeblich.
»Typisch Mann«, murmelte sie ein wenig enttäuscht, kraulte ihren genüßlich schnurrenden Kater aber weiter.
Werbepause.
Simone stand auf, ging kurz zur Toilette. Zurück auf dem Sofa goss sie Tee in ihre Tasse.
Durch die viele Bewegung fiel Heinrichs Blick wieder auf den Fernseher. Ein Werbespot war zu sehen, in dem eine attraktive Frau einer ebenso attraktiven Siamkatze Dosenfutter zubereitete. Die grazile Siamkatze leckte sich gerade das Maul und ihre Besitzerin hob sie in die Höhe. Die Siamesin leckte der Frau über die Nase und tapste ihr mit den Pfoten auf Hals und Wange.
»Jaah, du Luder, leck’ ihr die Nase« murmelte Heinrich und schnurrte noch etwas heftiger unter Simones Hand.
»Sowas siehst du gerne, nicht wahr, mein süßer kleiner Schnucki-Putzi-Mieze-Kater.«
»Oh ja, du ahnst nicht wie, meine Große.«
Simone verstand natürlich kein Wort, sie hörte nur »Rrrrrrrrraauuuurrrrrrww«.
»Aber du hattest heute schon Fresschen, mein Kleiner.«
»Typisch Mensch. Wie kann man bei so einem scharfen Anblick nur ans Essen denken.«
Katze und Frau auf dem Bildschirm sahen in die Kamera. Die Frau sagte etwas über das das Dosenfutter, als ob sie sich damit jeden Morgen ein Müsli mischen würde, während sie die Katze an sich drückte.
»Leck' ihr die Nase, leg' deine Pfoten auf ihre…« schnurrte Heinrich, da sah er erstaunt auf – die Katze sprach! Nicht dass das etwas besonderes wäre, alle Katzen in Werbespots sprachen, meist sagten sie etwas wie ›Schmeckt nach Hund, kann ich nicht wirklich empfehlen‹, oder ›Echt nicht übel, schmeckt tatsächlich nach Ratte. Ihr müsst euren Menschen dazu bringen, das zu kaufen‹.
Diese Siamesin aber sagte: »Kater Heinrich, sobald Ihr Mensch schläft, erwarten wir Sie vor diesem Televisionsempfänger.«
Er sprang von Simones Schoß, sah hinter dem Fernseher nach, spähte durch die Dunkelheit in den Garten, doch da war nichts.
»Nicht zu fassen,« sagte Simone in völliger Fehlinterpretation von Heinrichs Aufregung, »ihr Viecher habt echt nichts anderes im Kopf als Fressen und schlafen.«
Er kam wieder auf Simones Schoß, ließ aber den Fernseher für den Rest des Abends nicht mehr aus den Augen. Die mysteriöse Nachricht wiederholte sich in den folgenden Werbeblöcken nicht mehr und er fragte sich, ob er das wirklich gesehen hatte.
Schließlich ging Simone ins Bett und er blieb allein im Wohnzimmer zurück, zusamengekauert vor dem dunklen Fernseher.
Bald darauf ließ ihn ein heftiges Niesen hochfahren. Er war eingenickt, dabei war sein Kopf nach vorne gesunken bis seine Nase den Teppich berührte.
Da schaltete sich der Fernseher ein. Er sah sich um, ob da nicht Simone mit der Fernbedienung wäre, doch er war immer noch allein.
Die Siamkatze aus dem Werbespot erschien überlebensgroß auf dem Bildschirm, die hellblauen Augen in dem schmalen schwarzen Gesicht schienen ihn anzusehen.
»Bitte legen Sie eine Pfote auf eine der Sensortasten des Televisionsempfängers, um sich zu identifizieren«, sagte sie.
Verwundert berührte er eine der Tasten. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr ihn.
»Danke, Kater Heinrich, Sie wurden durch Ihre Hautspannung und ihre individuellen elektrostatischen Werte identifiziert.«
»Und was soll…«
»Das Gerät besitzt keinerlei Möglichkeit zur direkten Kommunikation, wir können nur elektrische Spannung abfangen und einige Werte messen. Wir wenden uns an Sie, weil wir Ihre Hilfe bei einem sehr spezellen Problem benötigen. Wenn sie uns helfen möchten, legen Sie noch einmal eine Pfote auf die Sensortaste.«
Er war immer noch völlig verblüfft und dachte kurz nach.
»Süße, wenn ich dir damit einen Gefallen tun kann…«, sagte er schließlich und legte die Pfote auf den Sensorknopf.
»Vielen Dank. Ein A.R.C.R. wird Sie in Kürze abholen. Bitte begeben Sie sich in die Grünanlagen hinter Ihrer Behausung.«
Der Bildschirm wurde schwarz.
Er lief zur Terrassentür, doch Simone hatte sie wegen des Nieselregens so weit zugezogen, dass nur ein wenige Zentimeter breiter Spalt für Frischluft offen war. Sogar für eine Katze zu schmal. Und daran, die schwere Schiebetür aus Aluminium zu bewegen, brauchte er nicht einmal zu denken.
Lautlos eilte er in den ersten Stock. Wenn das Badezimmerfenster offen war, konnte er von dort aus…
Aber das war nur gekippt wegen dem Regen.
Vielleicht würden sie sich wieder melden wenn er nicht im Garten auftauchte, dachte er und ging frustriert die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Er würde wahnsinnig vor Neugier, wenn er nicht erfuhr wer »sie« eigentlich waren und was sie von ihm wollten.
Von der Treppe aus fiel sein Blick auf die Terrassentür. Im Nu sträubte sich sein Fell und Wut packte ihn. Da saß ein fremder Kater vor der Glasscheibe! Was fiel diesem hergelaufenen Streuner ein hier, mitten in seinem Revier aufzutauchen!
»Au warte, Freundchen!«
Er spang die Stufen hinunter – dem würde er eine Lektion erteilen…
Der Fremde rührte sich nicht.
Unverschämtheit!
Moment mal – der bewegte sich überhaupt nicht. Nicht einmal ein Blinzeln…
Und der Kerl kam ihm bekannt vor!
Auf den wenigen Metern von der Treppe bis zur Terrassentür hatte sich Heinrichs Temperament merklich abgekühlt. Losgesprungen mit gesträubtem Fell, in wilder Entschlossenheit, sein Revier, seinen Fressnapf und nicht zuletzt Simone bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, stand er nun staunend an der Glasscheibe.
Sein Gegenüber hatte sich immer noch nicht bewegt. Er war exakt genau so groß wie Heinrich, ebenso gestreift, seine Augen hatten das selbe Grün…
Natürlich hatte er Geschwister, welche Katze hatte die nicht, aber an einen eineiigen Zwilling konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. Und immer noch keine Regung, nicht das geringste Zucken.
Was war das? Eine Statue? Das Spielzeug eines Menschenkindes?
»Äh, Hallo? Wer bist du?« fragte er durch den Spalt.
hallo
ich_bin_dein_a.r.c.r.
»A.R.C.R.? Und warum redest du so komisch?«
autonomous_robotic_cat_replacement
ich_habe_noch_nicht_genug_daten_um_deine_sprechweise_nachzubilden
»Du bist ein Roboter?«
updating_FunnyResponseDataBase
processing
…
nein_ich_bin_ein_toaster_du_kannst_gerne_mal_deine_pfote_in_meinen…
»Schon gut, schon gut. Dauert das immer so lange, bis du einen Spruch am Start hast?«
nur_wenn_ich_versuche_dich_nicht_wie_einen_deppen_dastehen_zu_lassen
»… Themenwechsel – Du solltest mich abholen?«
ja
du_solltest_mich_in_den_zu_deiner_behausung_gehoerenden_gruenanlagen_erwarten
»Ich kann nicht raus, Simone hat die Terrassentür wegen dem Regen so weit zugezogen, dass ich nicht durch kann und auch kein Fenster offengelassen.«
Der Roboter sah sich kurz die Tür an. Dann hob er eine Pfote und schob sie auf.
+folge_mir+, sagte er und wandte sich zum Garten.
Heinrich schluckte als er daran dachte dass er eben noch einen Kampf beginnen wollte. Selbst Simone hatte manchmal Probleme mit dieser schweren Schiebetür.
Er ging hinter seiner Kopie durch das nasse Gras.
»Moment mal!« rief er, »Was wollt ihr von mir? Und wo ist die scharfe Siamesin?«
du_hast_wichtige_informationen
agentin_ka-tse_befindet_sich_in_ihrem_buero
sie_ist_zur_zeit_nicht_rollig
»Ka-Tse? Im Ernst?« er grinste.
ja
Im hinteren Teil von Simones Garten, an einer Stelle zwischen ein paar Büschen, unter einem Apfelbaum, die vom Haus aus nicht einsehbar war, blieb der Roboter stehen.
»Wir sind da. Hier ist der Transferpunkt.«
»Hey! Du hörst dich an wie ich! Wieso redest du jetzt auf einmal normal?«
»Die Analyse deiner sprachlichen Eigenheiten ist komplett, man wird keinen Unterschied erkennen.«
Heinrich zuckte zusammen und blieb stehen. Ihm kam ein grauenvoller Gedanke…
Autonomous Robotic Cat Replacement! Und er hatte nicht geschaltet! Wegrennen? Wenn der Roboter ebenso schnell wie stark war, war das sein Ende. Andererseits hatte er zusammen mit Simone und Andreas genug Action-Filme gesehen, um zu wissen, dass er eine Chance hatte.
Er musste nur schnell einen Sprengsatz zusammenbauen.
»Hör' mal, du… du bringst mich doch nicht um oder sowas?«
»Nein.«
Heinrich atmete tief durch. Uff!
»Ich brauche noch ein paar Proben, damit ich dich vertreten kann.«
Ehe er sich's versah, leckte seine Kopie ihm über Nase und Stirn. Die Zunge fühlte sich beinahe echt an – und sehr sinnlich.
»Mmmh, Du bist richtig gut…« sagte er mit geschlossenen Augen. Im nächsten Moment schnappte er nach Luft und riss die Augen auf, als die synthetische Zunge zwischen seinen Hinterbeinen entlangfuhr.
»Woah! Mach das nochmal!«
»Das ist nicht notwendig. Die Proben sind vollständig.«
»Darüber müssen wir uns unbedingt nochmal unterhalten wenn ich zurück bin!«
»Die Geruchsproben werden analysiert und können in 2,9 Minuten verwendet werden.«
»Du meinst, dann riechst du sogar wie ich?«
»Ja.«
Er betrachtete seinen Doppelgänger. »Wenn du jetzt noch cool wärst, könnte man fast drauf 'reinfallen« bemerkte Heinrich.
»Der Durchgang wird sich in wenigen Sekunden öffnen.«
»Wo?«
»Hier.«
Heinrich sah sich um, konnte aber nichts entdecken. Dann merkte er, dass die Luft sich veränderte. Es roch wie vor einem Gewitter und sein Fell knisterte leise.
»Das ist der Durchgang. Agentin Ka-Tse wird dich auf der anderen Seite empfangen.«
In einem Bereich, vielleicht so groß wie ein Sessel schien die Luft sich zu verdichten und ein milchiges Licht erstrahlte, als würde man in einen langen Korridor voller Nebel blicken, an dessen Ende eine Tür zu einem erleuchteten Raum geöffnet war. Heinrich ging um das Phänomen herum. Er schnupperte daran, seine Schnurrhaare wurden elektrisch davon angezogen.
»Hast du Anweisungen oder Ratschläge für mich, die ich befolgen sollte, um nicht aufzufallen?« fragte das A.R.C.R.
Heinrich dachte kurz nach.
»Pass auf die Kaninchen hier in der Gegend auf, und auf Chantal, die Füchsin.«
»Anweisung gespeichert.«
»Kümmer' dich ein bischen um Angela.«
»Spezifiziere ›ein bischen kümmern‹.«
»Kümmern halt. Sei nett zu ihr.«
»Anweisung gespeichert.«
»Ach ja – geh Missy Elliott und Simone aus dem Weg, die merken sofort dass mit dir was nicht stimmt. Simone macht sich aber erst Sorgen wenn du länger als zwei Tage weg bleibst.« Er grinste. »Soweit habe ich sie immerhin schon erzogen.«
»Anweisung gespeichert. Frage: Sonst noch was?«
»Benimm dich einigermaßen normal.«
»Spezifiziere ›normal‹.«
»Halt so, dass du nicht auffällst – wie eine normale Katze eben. Keine schweren Türen aufschieben, zum Beispiel.«
»Anweisung gespeichert.«
»Und mach' mir keine Schande.«
»Spezifiziere ›keine Schande machen‹.«
»Mann! Von welchem Planeten kommst du eigentlich? Muss man dir alles erklären?«
»Erde. Nur was in meinen Datenbanken nicht gespeichert ist. Nur was durch Extrapolation aus Fakten nicht zu erklären ist.«
»Das heißt, du sollst nicht zulassen, dass ich mit etwas Schlechtem in Verbindung gebracht werde.«
»Anweisung gespeichert. Gehe auf das Licht zu.«
Heinrich hielt inne, er hatte schon eine Pfote erhoben um vorsichtig in die wabernde Luft zu treten. Nun sah er das A.R.C.R. misstrauisch an.
»…auf das Licht zu…?Du bist sicher, dass du mich nicht umbringen sollst?«
»Ja. Der Übergang kann nur noch 34 Sekunden gehalten werden. Agentin Ka-Tse erwartet dich.«
Da war ein Schatten im diffusen Leuchten zu erkennen, der eben noch nicht da gewesen war.
Heinrich wog ab. Ein fremder Ort, an dem Roboter in Katzengestalt herumliefen, die stark genug waren schwere metallene Schiebetüren mit einer Pfote zu öffnen, eine unheimliche, neblige Passage, die sein Fell elektrisch knistern ließ…
Alles konnte ihn dort erwarten, alles. Schäferhunde, schlechtes Dosenfutter, mordlüsterne Autos…
›Ich bin eine Katze!‹ rief er sich zur Ordnung, ›Ich bin neugierig! Ich habe einen Ruf zu verteidigen! Und, verdammt nochmal, ich will wissen was das alles zu bedeuten hat!‹
Er riss sich zusammen.
›Außerdem sieht diese Ka-Tse richtig lecker aus‹.
Dann trat er in den Nebel.
© christian_m 200909