Er räusperte sich. Das viele Reden hatte seine Kehle trocken werden lassen.
»Noch Tee?« fragte das riesige Wesen vor ihm.
»Mit Freuden« erwiderte er. Der Ingwer-Tee war so ziemlich der Beste, den er seit langem getrunken hatte. Allerdings fragte er sich wie diese Kreatur es schaffte, ihn zuzubereiten.
Er hob die rosafarbene Plastiktasse vor den Mund und blies ein paar Mal. Noch einmal würde er sich nicht zum Narren machen, wie zu Beginn der Verhandlungen, als er die erste Tasse zum Munde geführt hatte. Durch seinen schweren eisernen Handschuh hatte er nicht bemerkt wie heiß das Getränk war und sich die Zunge verbrannt. Zu allem Überfluss hatte er sich den restlichen heißen Tee vor Schreck auf den Schoß gegossen.
Er sah auf. Die großen, grünen Augen waren auf ihn geheftet, regungslos, unergründlich, ohne zu blinzeln.
Wäre er nicht als Unterhändler hier, er hätte sich zu Tode gefürchtet. Bei den wenigen Malen als sie gegen diese Wesen in den Kampf gezogen waren, hatten sie fürchterliche Verluste erlitten. Es brauchte an die zwanzig Mann um ein einziges von ihnen zur Strecke zu bringen. So große Kampfverbände konnten die Gnome schon lange nicht mehr aufstellen.
»Nun, Meister…«
»Heinrich.«
»Meister Heinrich – werdet ihr uns im Kampfe beistehen? Werdet ihr uns helfen, die Menschen zu verjagen damit die Gnome wieder den Platz einnehmen können, der ihnen gebührt? Bedenket, dass immer noch sehr viel Territorium für Euer Volk bleibt. Wie Ihr wisst, beanspruchen wir nur die Gestade des Rheins an denen einst Alberich, unser Ahnherr als König herrschte.«
Ein wohlbekannter Rhythmus ließ das Wesen aufhorchen.
»Tschuldigung,« sagte es und war auch schon verschwunden.
Simone stieg die kurze Treppe hinauf, ihre Absätze klackten auf dem Stein, und öffnete die Haustür. Im Flur warf sie den Schlüssel auf die Ablage. Als sie in ihre Hausschuhe schlüpfte wurde die Tür zum Wohnzimmer aufgedrückt.
»Hallo, mein Stubentiger« begrüßte sie ihren Kater. Sie stellte ihre Tasche ab und nahm ihn auf den Arm.
»Naa, was hat mein Katzi-Batzi denn den ganzen Tag getrieben? Hast du wieder vor Annas Puppenhaus Wache gelegen?«
»Ich habe mit den Gnomen verhandelt ob wir ihnen helfen euch aus dem Land zu jagen« antwortete er – »Mjaauuurrrr« hörte Simone.
»Jaa, mein Schnurri-Purri jetzt bin ich ja wieder da, jetzt kriegst du auch feines Fresschen.«
»Wurde auch Zeit, ist ganz schön anstrengend diese Diskutiererei.«
Nachdem sie Heinrich einen kleinen Teller mit Futter hingestellt hatte füllte sie den Wasserkocher und holte den Ingwertee aus dem Schrank.
»Hab ich schon so viel davon getrunken?« fragte sie sich als sie die Dose öffnete.
»Oh, Tschuldigung, nein, das war ich« sagte Heinrich, sah kurz von seinem Hühnerpaté auf und grinste »Die Typen stehen auf das Zeug«.
»Jaa Miezi-Piezi, das schmeckt feiin, nicht wahr?«
Simone bereitete ihren Tee zu, mit viel Honig. Dann schlüpfte sie in ihre bequemen Hausklamotten und setzte sich vor den Fernseher. Heinrich kam dazu und sprang auf ihren Schoß. Gedankenverloren sah sie auf den Bildschirm und kraulte ihren Kater, der sich räkelte und wohlig schnurrte.
»Jaaah, genau da weiterkraulen. Oh, das machst du so gut…«
»Komisch das mit dem Tee« murmelte sie, »Ich hab doch gestern erst eine neue Packung gekauft«.
Sie sah hinunter und lächelte »Warst du das etwa, du unartiges Kätzchen-Schätzchen?«
Heinrich schrak auf »Ääh, um ehrlich zu sein…«
Simone lachte. »Aber wie solltest du das denn machen.«
Sie hielt inne. »Obwohl – in letzter Zeit ist hier einiges ein bischen seltsam.«
›Scheiße!‹ durchzuckte es Heinrich, ›sie hat die Bierflaschen durchgezählt!‹
»Dauernd meine ich aus den Augenwinkeln etwas flitzen zu sehen…«
»Puh« dachte Heinrich und entspannte sich wieder.
»Drück' ein bischen fester, Baby« schnurrte er. »Genauuu sooo…« Er verdrehte die Augen hinter den geschlossenen Lidern und gab sich Simones Fingern hin. Er schnurrte jetzt so laut er konnte, sein Verstand weilte nicht mehr auf diesem Planeten.
»…sowas kleines, dunkles wie eine Maus oder eine dieser ekelhaften großen Spinnen. Versprichst du mir, das zu fangen, mein Mutzi-Putzi?«
»Jaah sicherrr« schnurrte er »hör jetzt nur nicht auf zu kraulen…«
Der Unterhändler der Gnome stand gerade vor einer rosafarbenen Nachbildung dessen, was die Menschen eine ›Toilette‹ nannten und erleichterte sich.
»Wisst Ihr,« begann er, das Plätschern übertönend, »ich habe ein gutes Gefühl was diese Verhandlungen angeht. Diese Wesen sind weniger ruchlos als vielmehr von ihren Instinkten getrieben. Womöglich haben wir bald wieder ein Reich wie es unserem Volke gebührt. Nur für uns, ohne Menschen. Dann werden wir mit der Zucht einer neuen Generation Krieger beginnen. Bald darauf werden wir wie mit einem flammenden Besen ans Werk gehen können diese Welt zu reinigen. Und nicht einmal die Feliden werden uns dann noch aufhalten können, meine Getreuen! Ich fühle bereits den Odem einer neuen Ära!«
Einer seiner Begleiter rief: »Herr, der Felide ist zurückgekehrt!«
»Das wurde aber auch Zeit« sagte er und schüttelte ab.
In Heinrichs Kopf arbeitete es, als er auf die Gnome zuging, die ihn erwartungsvoll näherkommen sahen. Es hatte schon was, diese Vorstellung von einer Welt ohne Menschen. Mit den Gnomen konnte man auskommen, ihre Interessen waren so verschieden von denen der Feliden, dass sie einander nicht in die Quere kommen würden.
›Ach was solls,‹ dachte er und legte die Ohren an, ›die können ja nicht mal kraulen, mit diesen winzigen Vorderpfoten.‹
Er sprang.
Ein plötzlicher Lärm ließ Simone zusammenzucken. Das kam aus dem Kinderzimmer! Sie sprang auf. Anna war bei ihrem Vater – also was zum Teufel…
Sie riss die Tür auf – da saß Heinrich neben dem verwüsteten Puppenhaus inmitten von verstreuten Püppchen, Plastikmöbeln, Stoffetzen und Spielzeuggeschirr und putzte sich als wäre er allein, sonnenbeschienen, von Schmetterlingen und zwitschernden Vögeln umgeben auf einer riesigen Blumenwiese. Er sah auf, mit einem Blick, als wäre ihm die Existenz menschlicher Wesen bis zu diesem Augenblick gar nicht bewusst gewesen. Simones Gefühle waren gerade dabei vom Aggregatzustand perplexen Erstaunens in Wut überzugehen, da kam er auf sie zu, schmiegte sich an ihre Beine und schnurrte. Ihre Wut schmolz dahin wie ein grimmiger Schneemann in der Sahara. Sie hob ihren Kater hoch, sah in die großen, grünen Augen und sagte langsam: »Heinrich, Heinrich, manchmal würde ich echt gerne wissen was in euren kleinen Schädeln vorgeht. Ich hoffe mal das war die Maus, die du da gejagt hast.«
»Mjaoouuuwrrr« antwortete Heinrich, wohl wissend, dass er mit dieser Antwort bei niemand anderem als bei einem Menschen durchkommen würde.
›Ein Glück dass Menschen Gnome nicht sehen können‹ dachte er, ›also auch das Blut und die Eingeweide nicht, sonst müßte ich die Sauerei hier womöglich noch wegmachen‹