Das blecherne
»Mwääk-mwääk« des Interkoms riss ihn aus seinen Träumen. Langsam, wie ferngesteuert, hob er die Hand und ließ sie auf die Annahme-Taste fallen.
»Hm?«
»Wir kommen gleich aus dem Hyperraum, Captain. Das Ziel ist bereits in Sicht«
»Bin unterwegs« antwortete er und gähnte noch einmal herzhaft. Dann schüttelte er den Schlaf ab und zog die Uniform an.
Kurz darauf stand er auf der Brücke und alle Müdigkeit war verschwunden. Auf dem großen Hauptschirm funkelte ein Planet wie ein Diamant im Licht der Sonne dieses Systems. Gewaltige Ozeane blinkten, Wolken zauberten wunderschöne Muster in die Atmosphäre.
»Alle Frequenzen offen?«
»Ja, Sie können sprechen, Captain.«
Er räusperte sich.
»Mahlzeit da unten!« grüßte er zackig, »Hier spricht Captain Horst vom schweren Kreuzer ›Wilhelm Brezel‹. Es ist mal wieder Zeit für die 3000-jährliche Zivilisationsinspektion.«
…
Keine Antwort.
»Keine Antwort?«
»Nein Captain, nichts. Tote Hose auf den üblichen Parallelraumfrequenzen. Nada. Rien. Nix…«
»Ich habs kapiert«
»Tschuldigung. Moment mal… da gibts Audio und Video auf den antiquierten Radiobändern!«
»Was? Die verwendet doch kein Schwein mehr.«
»Hier sind sie aktiv, und – mein lieber Herr Gesangsverein – da ist ganz schön was los.«
»Auf den Schirm damit.«
»Ich hab erst mal nur Audio auf kurzwelligen, gepulsten Frequenzen. Sieht aus wie individuelle Kommunikationsgeräte.«
»Ist Okay, her damit.«
»… und so kriegen wir das an der Steuer vorbei. By the way sacken wir noch die staatliche Förderung aus dem Bildungsfonds ein. Machen sie sich keine Sorgen wegen der Kids, Herr Ministerialdirektor, es gibt so viele lehrreiche Sendungen im TV…«
»Captain Horst hier, vom schweren Kreuzer ›Wilhelm Brezel‹. Wir sind zur 3000-jährlichen Zivilisationsinspektion hier. Stellen Sie mich umgehend zu ihrem höchsten Repräsentanten durch.«
»Was? Was soll das? Wer sind Sie? Das ist ein abhörsicheres Handy! Ich verklage Sie bis sie Hundefutter essen, wenn Sie…«
»Verbindung beenden.«
»Verbindung beendet. Nochn Versuch?«
»Nein, danke. Gibts inzwischen Video?«
»Ja, sollte jetzt klappen, Moment.«
Auf dem großen Hauptschirm waren in weißem Rauschen undeutliche Figuren zu erkennen. Dann war das Bild klar. Drei Lebewesen des Planeten bewegten sich mehr oder weniger synchron zu Musik. Es schien sich um junge, unerfahrene Vertreter der Spezies zu handeln.
»Hmm, Kulturkanal« brummte Captain Horst, »mach ma' weiter.«
Das Bild wechselte.
»Und was soll das jetzt sein?«
»Sieht aus, wie die Zubereitung von Nahrung, wenn sie mich fragen.«
»Warum in aller Welt sollte man die Zubereitung von Speisen öffentlich übertragen? Nächste Frequenz.«
Wieder die drei jungen Wesen. Sie standen heftig atmend vor einem Tisch, hinter dem drei größere, anscheinend ältere Wesen saßen. Eines dieser älteren, ein Wesen mit einer seltsamen Farbe, der sich von den anderen beiden unterschied, begann zu sprechen: »Wer hat euch drei Schnepfen eigentlich erzählt, ihr könntet tanzen? Meine Ex, die Naddel, kocht besser, als ihr drei eure Teenie-Ärsche bewegt…«
»Weiter«
»…dieser formschöne WC-Stein der nächsten Generation kommt in drei betörenden Duftnoten…«
»Weiter«
»…eine Arabeske ist: A) eine Putzfrau, B) ein Ornament. Rufen Sie kostenfrei an und gewinnen Sie…«
»Weiter.«
So ging das eine ganze Weile. Schließlich saßen sie zusammen und besprachen, was sie gesehen hatten.
»Habe ich das richtig verstanden, dass sie Sauerstoff atmen, aber die Pflanzen vernichten, die den Sauerstoff erzeugen?«
»Sie beklagen sich, dass ihr Nachwuchs verblödet, kürzen aber die Ressourcen für deren Bildung?«
»Jemand wird für vogelfrei erklärt, weil er an alten Geschichten zweifelt?«
»Unglaublich«, sagte Captain Horst entgeistert »Was war denn bei den Langstreckenscans zu sehen?«
»Eigentlich das, was man erwarten sollte – höher organisierte Zivilisationsformen seit über 5000 lokalen Sonnenzyklen, Spuren von Reisen zum nächsten Trabanten, Satelliten, eine Raumstation…«
»Und dann das…«
»Traurig, nicht wahr? Könnte es sein, dass der Planet ein Kollateralschaden des letzten interstellaren Krieges ist?«
»Sie meinen die Verblödungsbombe? Wäre möglich, wie soll man das sonst erklären?«
»Seh' ich auch so«, sagte Captain Horst, »also Standardprozedere – putzt sie vom Planeten, desinfiziert die Oberfläche, stellt ein Warnschild auf, etceterapepe…«
Er stand auf »Ich bin wieder in meiner Kajüte. Weckt mich, wenn der nächste Planet dran ist.«
»Okay, Captain.«
Ein Gedanke durchzuckte ihn kurz darauf. Er riss die Augen auf und starrte ins Dunkel. Dann schob er einen Finger in die Nase, aktivierte das bionische Computer-Interface. Er sah sich Karten des letzten interstellaren Krieges an.
ACH. DU. SCHEISSE. dachte er. In diesem Sektor hatte es gar keine Kampfhandlungen gegeben!
Offiziell zumindest.
Er durchforstete die Daten der Langstreckenscans. Atmosphäre – nichts. Wasser – nichts. Boden – auch nichts. Flora und Fauna – ebenfalls negativ. Ihm fiel das kurze Telefongespräch ein. Captain Horst fahndete im Sensorenlog, das während des Gesprächs automatisch aufgezeichnet wurde, nach Reststrahlung, nach Zerfallsprodukten der Verblödungsbombe, die sich wie ein Wasserzeichen in die Zellkerne einprägten und noch nach Generationen nachweisbar waren.
Nichts.
Aber… konnte es denn sein, dass sie sich tatsächlich aus eigenem Antrieb selbst schadeten? Unbegreiflich, doch die Daten ließen keinen anderen Schluss zu.
Wenn sie nicht infiziert waren, bedeutete das allerdings, dass er sie nicht einfach so auslöschen durfte. Schnell setzte er sich auf, zog seine Pantoffeln über und eilte im Schlafanzug auf die Brücke.
»Habt ihr schon angefangen?« fragte er.
»Wir sind gerade fertig, Captain. Warum?«
»Ach, nichts. Weitermachen.«
Vielleicht besser so, dachte er. Wenn er versuchte sich vorzustellen was passieren würde, wenn sie in den Weltraum aufbrachen – allein schon die Zumutung ihres Fernsehprogramms. Grauenhaft.