Redaktionell
Die Stimme ihres Chefs riss sie aus ihren Träumereien. Er stürmte in ihr Büro.
Frau Rech, wie weit sind Sie mit Ihren Recherchen und den Artikeln?
Sein feistes Gesicht glänzte hochrot, seine gegelten strähnigen Haare troffen vor Pomade.
Angelika hatte sich seit Stunden eingeigelt und beugte sich nun noch tiefer über ihren Schreibtisch.
Ich brauche noch ein wenig Zeit, dann gehe ich erst mal in die Mittagspause.
Der Artikel über die
Talentwässerung des Kälberalpelbaches machte ihr zu schaffen. Dauernd meldeten sich Leute, die von den Staubecken überhaupt nicht betroffen waren, da sie talentfernt wohnen.
Das hier muss auch noch rein, der Typ, der sich für die Reinkarnation von Michael Jackson hält. Das ist noch frisch, das ist noch aktuell.
Er fegte wieder hinaus. Sie seufzte laut, voller Selbstmitleid.
Jede Menge ungeheuer spannende Felder, die sie beackerte: der Streik im Kernkraftwerk, bei dem das Streikende nicht abzusehen war.
Die Artikel über alle möglichen Kommunalanliegen, besonders der aufdringliche Fotograf, der sie ständig mit seiner verblödeten Kommunalalbumserie bedrängte.
Überregionale Meldungen über die Tagung der Visagistinnen und die Änderung der
Visagebühren sollten in die morgige Ausgabe einfließen.
Sie war zur Zeit die einzige Redakteurin in der Lokalredaktion dieses Käseblattes und hatte nun auch noch den Feuilletonteil übernehmen müssen. Ihre Kollegin hatte bei der Tombola des örtlichen Gesangsvereines einen Kurztrip nach Barcelona gewonnen und sie in diesem Elend allein gelassen.
Schweinelende im Speckmantel auf Salatbett mit Pommes dauphine.
Es klang auf der Speisekarte der Kantine immer besser, als es später aussah und schmeckte.
Sie schlang die Mahlzeit hinunter, ohne den Geschmack zu registieren. Sie kam noch nicht einmal dazu, ihren Nachtischweincreme zu verspeisen, als ihr Handy klingelte.
Es war ihre Kollegin Erika, die von ihrer Reise schwärmte. Vor allem von dem "süßen
Buschauffeur" der sie in ihr Urlaubsdomizil kutschiert hatte und seither persönlich betreute.
Nach Hause nehme ich den Nachteilzug, dann bin ich morgen früh wieder in der Redaktion.
Nach ihrer Pause nahm Angelika noch den Kulturteil in Angriff, mit dem Bericht über die hochinteressante Preisverleihung des Reimar-Lüst-Preises an die Politikwissenschaftlerin Elinor
Ostrom.
Als ob das irgendein Schwein interessiert.
Im Klatsch- und Tratschteil beleuchtete sie die tragische Geschichte vom Aufstieg und Fall eines bekannten und beliebten (oder musste es heißen beleibten) Kommunalpolitikers, der in seinem Urlaubsdomizil aufgrund einer schadhaften
Verandabrüstung mehrere Meter in die Tiefe stürzte.
Ich bin unersättlich aber nicht unersätzlich.
Mit diesem prägnanten
Politikersatz hatte er sich unsterblich gemacht, obwohl er aufgrund des Aufpralls verstarb.
Zuletzt noch der reißerische Artikel über einen entlaufenen Hund:
Böser Häscher reißt harmlose Häschen.
Blödsinnige Schlagzeile!
Ihr Chef grinste zufrieden, als sie ihm ihre Entwürfe präsentierte und gab die Artikel zum Druck frei.
Endlich Feierabend.
Für heute hatte sie genug von Recherchearbeit und Wortakrobatik!
Sie wunderte sich, dass ihr heute die Staubecken ins Auge stachen, als sie ihre Wohnung betrat.
Ich müsste mal wieder Staub wischen!
Als sie sich in ihrer Wanne ausstrecken konnte, war sie heilfroh. Ein Hauch von wohlduftenden Badeessenzen hüllte sie ein.
Es war Balsam für ihre Seele, ihr Plastikseeleopard plätscherte neben der Kunststofffledermaus im Badeschaum.
Nun freute sie sich diebisch auf das
Presseessen im
Schulzentrum : Seeigeleieromelette mit Wasabimeerrettichsenfpaste, Lammmedaillons mit Spargeltagliatelleauflauf, Lachssautée in Dilllake, Flusskrebsschwänze mit Eismeergarnelenschaum...