Endlich
Ich dachte schon, mir flutscht gar nichts mehr aus den Fingern. Und gleich werde ich lesen, was Euch so zu den richtig geilen 8 Wörtern eingefallen ist.
Ich saß im Schneidersitz auf dem Boden, heulte Rotz und Wasser und kaute auf einer Karotte herum. Doch, das geht gleichzeitig! Sieht nur völlig bescheuert aus. Aber das war mir egal. Ich hatte den Blues. Ich fragte mich wohl zum tausendsten Mal, warum Adrian mich betrogen hatte und sich dabei auch noch von mir erwischen ließ, als das Telefon klingelte.
„Billy, hast Du schon von dem neuen Laden gehört?“ polterte meine Freundin Sina sofort los, ohne auf mein Schniefen einzugehen. „Man muss wochenlang vorbestellen, um einen Tisch zu ergattern. Aber – halt Dich fest – die Tussi aus unserer Marketingabteilung hat sich ein Bein gebrochen und gab mir ihre Reservierungsnummer! Geil, was? Es ist ein Tisch für zwei und Du kommst natürlich mit. Keine Widerrede! Zieh was Schräges an, ich hole Dich um Acht ab.“ Klick.
So drückte Sina ihr Mitgefühl aus. Keine tröstenden Umarmungen, sondern Ablenkungen waren ihre Strategie, um mich aus meinem Kummer zu befreien und diese Erniedrigung vergessen zu können. Schon damals in der Schule, als mich einige Idioten ständig wegen meines Namens hänselten, ‚ Sibylle, Sibylle, trägt ne fette Brille!’ nannte sie mich beharrlich Billy und dieser Name setzte sich schnell durch. Später riet sie mir zu Kontaktlinsen, und meine „Verwandlung“ war perfekt. Ich wurde immer selbstsicherer und wir waren das Spaßduo schlechthin.
Ich wählte das Maximum an Schrägheit aus meinem Kleiderschrank und ließ auch beim Make up meiner Fantasie freien Lauf. Ich war sehr gespannt auf diesen neuen Laden. Man sagte ihm ausgefallene Küche, famoses Ambiente und total verrücktes Personal nach. Nun, heute würde ich erfahren, ob es nur Gerüchte waren oder der Realität entsprach.
Mit quietschenden Reifen stoppten wir vor dem Restaurant, weil ein ausgewachsener Gorilla vor das Auto sprang. Nach dem ersten Schreck erkannten wir die Verkleidung und der Affe entpuppte sich als charmant klingender Mann, der den Wagen für uns parken würde.
Das alte Herrenhaus am Stadtrand, welches von einem unbekannten Investor vor dem Verfall gerettet und zu einem Restaurant umgebaut wurde, erstrahlte in neuem Glanz. Ein Portier öffnete uns die Flügeltüre und geleitete uns zu einem gläsernen Pult. Statt eines Gästebuches war eine Art Bildschirm in die Schräge eingelassen und eine hoch gewachsene Frau hinter dem Glasgebilde sah uns freundlich an. Wir bestaunten ihr außergewöhnliches Outfit – schwarze Corsage, Latexrock, feinste Netzstrümpfe und die mörderischsten High-Heels, die ich je gesehen hatte, dazu ein filmreifes Make up – da begrüßte sie uns mit einem tiefen Timbre. „Guten Abend, die Damen, ich heiße Victor und freue mich, sie begrüßen zu dürfen. Sie sehen einfach hinreissend aus!“ Nachdem sie, oder besser gesagt er, unsere Reservierungsnummer eingetippt hatte, wurden uns von zwei Frauen im Elfenkostüm die Mäntel abgenommen.
Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Die Einrichtung des Restaurants war kühl und stylish. Wir wurden zu einem Tisch geführt und nahmen Platz. Vergnügt betrachteten wir die anderen Gäste. Raffinierte Hochsteckfrisuren, extravagante Kleidung von frech-frivol bis super elegant und rundweg fröhliche Gesichter waren zu sehen.
Wie aus dem Nichts erschien ein Kellner neben uns. „Darf ich den Damen unser Menü des Tages anbieten?“ Wir nickten kichernd, denn seine Stimme schien durch das Einatmen von Helium verzerrt zu sein und passte so gar nicht zu seiner eleganten Erscheinung. Mit piepsiger Stimme fuhr er fort: „’Perlentauchers Paradise’ ist unser heutiger Auftakt. Eine Kreation von gratinierten Austern an Tomaten-Chili-Confit.“ Er nahm einen Zug aus einem dünnen Röhrchen, welches wie ein Mini-Mikrofon hinter seinem Ohr befestigt war und vor seinem Mund endete. Wieder einige Oktaven höher erklärte er uns den Hauptgang: „’King Kobe’. Hauchzartes Filet des Kobe-Rindes mit einem Traum von Spargelspitzen-Tarte und peruanischen Ofenkartöffelchen auf einem Mango-Hollandaise-Spiegel. Als Dessert erwartet sie unser ‚Koks and Fruits’. Bitte vertrauen sie unserer Weinauswahl. Sie ist perfekt auf das Menü abgestimmt.“
Er entfernte sich und ließ uns mit offenen Mündern zurück. „Ist das abgefahren!“ meinte Sina. „Unglaublich. Ich bin sowas von gespannt!“ erwiderte ich. „Aber zumindest hätte er uns etwas zu trinken servieren können, oder?“ Ich hatte den Satz kaum ausgesprochen, da summte es im Tisch, die Mitte senkte sich und wurde durch eine Glasplatte ersetzt, die von unten hochgefahren kam. Darauf standen zwei Gläser Champagner und eine Karte, auf der das Menü nachzulesen war. Ganz unten stand handschriftlich „Ich weiß, Sie werden es lieben! Ergebenst, Ihr Koch A. Tom Pilz“
„Wie funktioniert das nur?“ staunte ich. „Die müssen irgendein Tunnel-System im Boden eingebaut haben. Eine Art Umlaufbahn für Getränke und Speisen. Cool!“ meinte Sina.
Da surrte es wieder und auf der erneut hochfahrenden Platte standen unsere Vorspeisen und zwei Weingläser. Einfach köstlich! Wir aßen, plauderten und mein Kummer war fast vergessen. Der Hauptgang war phänomenal und auch der dazu gereichte Wein passte perfekt. Das Dessert war statt auf einem Teller auf einem Spiegel angerichtet. Eine glänzende, große Erdbeere, ein Mangoschnitz, eine Sternfruchtscheibe und einige Himbeeren spiegelten sich auf der einen Seite der Unterlage. Davor lag, fein säuberlich gezogen, eine Linie weißen Pulvers mit einem dunkelbraunen, dicken Strohhalm daneben.
„Das gibt’s doch nicht! Die werden doch nicht Kokain…“ Ich unterbrach Sina mit einem Lachen. Ich hatte erkannt, dass der „Strohhalm“ aus Schokolade bestand und intuitiv blies ich damit den Puderzucker auf die Früchte. Lachend verspeisten wir das leichte Dessert und waren überglücklich wegen des Beinbruchs von Sinas Kollegin.
„Fahr zur Hölle, Du Idiot!“ übertönte Zappas Version von Ravels Bolero. Wir sahen in die Richtung, aus der die Stimme kam und ich traute meinen Augen nicht. In einer Nische saß Adrian mit seiner neuen Eroberung. Sie zischte ihm zu, dass er es vergessen könne, den heimlichen Beobachter zu spielen, während sie seine Exfreundin verführen solle. Sie stand auf, schüttete ihm ein Glas Wein ins Gesicht und verließ das Lokal.
Was soll ich sagen, der Abend war die reinste Befriedigung für meine Sinne, mein Ego und mein Selbstwertgefühl. An Adrian dachte ich nie wieder.