Szenen - Bar
Nachdem ich jetzt schon einige Zeit mit Begeisterung eure Kurzgeschichten gelesen habe, würde ich gerne auch eine meiner eigenen hier einstellen.Kritik und Anregungen sind natürlich willkommen, Hinweise auf eventuelle Fehler auch.. man lernt schließlich aus ihnen!
Ansonsten wünsche ich viel Spaß beim Lesen!
Szenen - Bar
Sie sah in an, und für einen kurzen Moment schien es, als wäre sie ihm ganz nah; fast so, als müßte er sich nur etwas vorbeugen, damit ihr Haar seine Wange streift.
Dann wendete sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Glas zu, und die Szenerie glitt langsam zurück in die richtige Perspektive.
Die Frau saß ihm schräg gegenüber, an der kurzen Seite einer L-förmigen Bar. Ihre Haare waren dunkel, lang und leicht gelockt – und sie fielen ihr spielerisch ins Gesicht, als sie ihren Kopf neigte um ihren Drink zu betrachten.
Sie hielt das Glas mit beiden Händen umfaßt, beinahe so, als ob es ein Ankerstein wäre – das Einzige, was eine so schöne und flüchtige Gestalt wie sie an einen Ort wie diesen binden konnte.
Sie wirkte seltsam deplatziert. Ihr gut geschnittenes Kostüm paßte in die gehobene Atmosphäre der Hotelbar, ihre schlichte Handtasche aus teurem Leder deckte sich farblich fast mit dem Mahagoniholz, auf dem sie lag – aber die Frau, zu der beides gehörte, wollte sich einfach nicht in die Umgebung einfügen.
Je mehr er darüber nachdachte, desto weniger wollte ihm ein Ort einfallen, an den sie gepaßt hätte.
Er ertappte sich dabei wie er sie anstarrte. Die Augen von ihr zu nehmen kostete Überwindung. Den Blick senken, auf das eigene Glas schauen. Orangensaft. Er paßte genauso wenig hierher wie sie, wenn auch aus anderen Gründen. Er war hier, weil dieser Ort so gut oder schlecht war wie jeder andere.
Seine Augen wanderten zurück zu ihr. Vielleicht waren sie doch nicht so verschieden.
Als ihre Blicke sich kreuzten, erschrak er. Er hatte nicht einmal bemerkt, daß ihre Aufmerksamkeit nicht länger ihrem Drink galt. Zu anmutig, zu fließend ihre Bewegungen – sie hatte ihren Kopf gehoben, sie sah ihn an, sie lächelte – und er hatte es nicht bemerkt.
Er wollte wegsehen, so tun als ob er sie nicht beobachtet hätte, aber es war zu spät.
Ihr Lächeln nahm ihn gefangen. Es war nichts Fröhliches darin, keine Einladung, keine Aufmunterung.
Es war ein Lächeln voller Traurigkeit, voller Vertrautheit. Vertrautheit nicht mit ihm, sondern mit der Situation. Er war sich plötzlich schrecklich bewußt, daß auf irgendeinem Barhocker, irgendwo, jeden Abend ein Mann saß und sie ansah, genau wie er in diesem Moment.
Noch während ihm dieser Gedanke die Luft abschnürte, auf seiner Brust lag wie ein Stein, hatte sie ihr Glas ausgetrunken, ihre Handtasche genommen und war aufgestanden.
Wenn er noch vor einem Augenblick die Augen nicht von ihr lassen konnte, so konnte er ihren Anblick jetzt nicht mehr ertragen.
Sie war keinen Deut weniger schön, kein bisschen weniger reizvoll als noch Momente zuvor. Er verschloß seine Augen nicht vor ihr, sondern vor dem, was sie in ihm gesehen hatte.
Als sie auf die Tür zuging, an ihm vorbei, schaute er geradeaus. Er starrte auf eine Wand mit geschmackvoller Holzvertäfelung, an der Regale für Flaschen mit Spirituosen aller Couleur angebracht waren.
Aber er sah sie. Die zarten, geschwungenen Linien ihres Gesichtes, die perfekten Lippen, die ganz ohne Make-up auskamen, die großen Augen, in denen sich seine Sehnsucht, sein Verlangen und seine Hilflosigkeit spiegelten.
Er glaubte eine leichte Berührung am Rücken zu spüren als sie an ihm vorbeiging, atmete tief ein, um ihren Duft noch für einige Sekunden festzuhalten.
Dann war sie fort.
Ihr Bild vor seinem inneren Auge begann bereits zu verblassen, zu verschwimmen, und er wußte, bald würde es ganz verschwunden sein – zumindest für den Moment.
Er nickte dem Barmann zu und bestellte Whiskey. Sonst trank er nie, aber heute Nacht wollte er nicht träumen.
© Cu Roi, 2008