Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Feuer und Eis - Freunde
2419 Mitglieder
zur Gruppe
ProNatura
103 Mitglieder
zum Thema
Nackte Haut im Wasser360
Zeigt mal eure Bilder vom Pool, See, Meer...Hauptsache Nackte Haut im…
zum Thema
Gedankenexperiment: Wie lange gelten Vereinbarungen?62
Folgender Beitrag enthält eine imaginäre Geschichte.
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Feuer, Erde, Wasser, Luft

Feuer, Erde, Wasser, Luft
Er fädelte das Auto in den dichten Samstagabendverkehr auf der Bundesstraße 321 ein. Kurz vor Schwerin, auf Höhe des Waldschlösschens, verdrängte ein schwarzer Kreis mit einem blinkenden roten Ausrufezeichen alle anderen Anzeigen auf dem Armaturenbrett. Das Programm, das dafür verantwortlich war, überwachte im Hintergrund mithilfe der Wagensensoren und der Kameras die Umgebung des Autos und wertete kontinuierlich die gefundenen Ergebnisse nach militärischen Standards aus. Stellte es eine mögliche Bedrohung fest, schaltete es sich aktiv in die Systeme des Wagens ein - wie eben jetzt. Wieder flutete ein Adrenalinschub seinen Kreislauf und er dachte, dass das irgendwann aufhören musste, sonst brannte er innerlich aus.

„Computer, Bedrohungsanalyse!“

„Videoauswertung. Vier Minuten, dreizehn Sekunden erkannte Verfolgung durch ein Fahrzeug. Marke Smart, Farbe weiß.“

„Aufzeichnung abspielen, Fahrzeug markieren!“

Er betrachtete den Wagen, der ihn verfolgte, auf dem Monitor und fragte sich, ob er Wielander unterschätzt hatte. Für einen Moment war er versucht, Seemann, den Chef seiner Firma, aus dem Bett zu klingeln und die Daten des Wagens durch ihn herausfinden zu lassen. Der hätte es gekonnt, doch wenn Wielander die Kommunikation überwachen ließ, erwies er Seemann damit einen Bärendienst.

Ohne zu blinken, wechselte Christian die Spur. Er verringerte die Geschwindigkeit, nicht so, dass es auffiel, aber doch genug, um sich sicher sein zu können. Nicht lange und sein Verfolger zog vorbei.

Ein wenig später erreichte er Zippendorf. Er verließ die Bundesstraße und stellte seinen Wagen auf dem großen Besucherparkplatz am Strand ab. Auch jetzt im September war er tagsüber meistens gefüllt mit den Autos der Touristen, die sich einen der schönsten Stadtstrände Europas nicht entgehen lassen wollten, doch jetzt war niemand mehr hier. Es war ihm Recht so, er wollte allein sein.

Sanft rauschten die Blätter in den Bäumen, die man auf dem Parkplatz hatte stehen lassen. Die Wellen des Schweriner Sees brachen sich am Sandstrand und hier und da zwitscherte ein Vogel im Geäst auf, wenn er sich näher an seine Gefährten kuschelte. Fledermäuse huschten auf der Jagd nach Insekten im wilden Zick-Zack durch die Lichtkegel der Straßenlaternen und der Geruch von feuchtem Sand und Meer durchtränkte die milde Nachtluft.

Bis zur Strandpromenade waren es nur wenige Schritte. Er setzte sich auf eine der vielen Bänke und blickte über den dunklen See. Halblinks von ihm strahlte die Stadt ihren Lichterglanz in den Himmel, der Nordic-Tower mit seinen vierzig erleuchteten Stockwerken am hellsten und nicht weit dahinter, aber viel kleiner, sah er die Lichter des Krankenhauses, das seit ein paar Jahren auch zu NordicSF gehörte. Vor sechsundfünfzig Jahren hatten es die Schweriner einfach nur Klinikum genannt und er war dort geboren worden, ein Baby wie Milliarden andere auf dieser Welt. Er hatte eine Mutter gehabt, einen Vater, und die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft. Wie alle Eltern hatten sie für ihren Sohn das Beste gewollt und gehofft, dass aus ihm etwas Besonderes wurde. Ihr Wunsch war in Erfüllung gegangen. Ihr Sohn war ein Mörder.

Langsam zog er sich aus, bis er nackt war. Sauber übereinandergestapelt legte er seine Sachen auf der Bank ab und ging zum Wasser. Einen Moment noch blickte er über den See, dann setzte er sich im Schneidersitz in den Sand, legte seine Arme auf die Knie, Daumen und Zeigefinger jeder Hand gegeneinander, so dass ein Kreis entstand, und schloss die Augen.

Die Erde unter seinem Po, das Wasser an seinen Füßen, die Luft auf seiner Haut und das Feuer in ihm selbst waren die vier Elemente, aus denen das Universum gemacht ist. Mit ihnen hatte einstmals alles Leben begonnen, und wenn es dereinst wieder erlosch, würden sie übrig bleiben - Feuer, Erde, Wasser und Luft. Dazwischen war ein wenig Denken, einen Wimpernschlag lang verglichen mit dem Alter des Universums. Doch das war es, was den Menschen ausmachte, welche Gestalt auch immer er annahm, ihn von diesen Vieren unterschied und etwas schuf, wozu das ganze Universum mit seinen gewaltigen Kräften nicht in der Lage war - die Seele. Wenn es denn einen Gott gab, so machte er nur Sinn, wenn er es war, der sie bewahrte bis ans Ende aller Zeiten.

Die Atlantiden mussten ihm begegnet sein. Sie waren den Strom der Zeit aufwärts gereist, hatten von der Vergangenheit geträumt und sich an die Zukunft erinnert. Wo hatte sie ihre Reise wohl jetzt hingeführt? Gab es eine Vergangenheit hinter der Vergangenheit und wenn, was nutzte sie? Er war ein Mensch, für ihn kam nach der Vergangenheit die Gegenwart, und wenn daraus eine Zukunft erwachsen sollte, musste er sich selbst um sie kümmern, und zwar genau jetzt.

Jeder ist seines Gottes Schmied, dachte er, öffnete die Augen und erhob sich wieder. Heinz Körner hieß der Mann, der das gesagt hatte und er hatte Recht gehabt.

Die Sterne am samtblauen Nachthimmel waren ein ganzes Stück weitergezogen, zwei Stunden mochten vergangen sein, doch Christian waren sie vorgekommen wie eine Sekunde. Er ging zurück zur Bank, zog sich an, dann warf er noch einen Blick zurück zum Wasser. Die Wellen überspülten die Abdrücke seiner Fersen im Sand, der leichte Wind ließ Sandkörner in die Kuhle rieseln, die sein Po geformt hatte. Nicht lange, dann würde jede Spur von ihm hier getilgt sein.

Doch nur hier. Er setzte sich in sein Auto, fuhr los und das sich, als er wieder auf die Bundesstraße einbog, ein anderer Wagen hinter ihn setzte, der scheinbar nur auf ihn gewartet hatte, ließ ihn lächeln.
Zweiter Teil
Nur wenige Autominuten entfernt vom Schweriner Stadtrand breitet sich Wittenförden, ein einstmals typisches mecklenburgisches Dorf aus. Vor zwanzig Jahren, einige Zeit nach der Wende, hatte der Bauboom begonnen und wie in vielen anderen Dörfern rund um die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern, waren auch in diesem kleinen Ort die Ein- und Zweifamilienhäuser wie die Pilze aus dem feuchten Waldboden geschossen und hatten den ländlichen Charakter der Dörfer verändert. Der Speckgürtel, Synonym für den Wohnort einer Mittelschicht, wie es ihn zu DDR-Zeiten nicht gegeben hatte, war entstanden. Nahe genug an der Stadt, um sie schnell erreichen zu können, doch weit genug entfernt, um in Ruhe vor ihrem Trubel den Feierabend und das Wochenende genießen zu können.

Dass in der Straße einer solchen Siedlung Sonntagnacht gegen halb zwei ein großer schwarzer Geländewagen parkte, dessen Besitzer nicht hier wohnte, war eher ungewöhnlich und hätte, wäre noch jemand in den die kurze Straße säumenden hübschen Häuschen wach gewesen, Neugier geweckt. Doch alle schliefen und niemand sah den großen Mann mit den kurzgeschnittenen, blonden Haaren, die an seinen Schläfen bereits erstes Grau zeigten, und einer Nase, die wie ein Falkenschnabel gebogen war, der neben der geschlossenen Fahrertür lehnte. Die linke Hand hatte er leger in der Tasche seiner Anzughose verschwinden lassen, mit der anderen und dem eingeknickten Ellenbogen des rechten Arms stützte er sich am Chassis des Wagens ab. Unter dem maßgeschneiderten Sakko trug er ein Achselholster mit einer Tasertron-Elektroschockwaffe und seine ganze Haltung drückte Entspanntheit aus. Er blickte in den von Sternen funkelnden Himmel und schien einfach nur die laue Luft zu genießen.

Doch dieser Eindruck täuschte. Wie kaum jemand anders verstand es Major Ragnar Borg, Angespanntheit hinter einem nichtssagenden Gesichtsausdruck und einer lässigen Haltung zu verbergen. Vor wenigen Wochen hatte ihn Johannes Hakonsen gegen den erbitterten Widerstand Mikkelsens zum „Chief of external Operations“ befördert. Damit war Borg nicht nur zu Wielanders Stellvertreter geworden und von Oslo nach Schwerin gezogen, sondern ihm unterstanden auch weltweit die Sicherheitsinspektionsteams der Firma.

Vor wenigen Stunden hatte eines dieser Teams, das speziell als Antiterroreinheit ausgebildet worden war, unter der Führung von Major Thatcher richtig Mist gebaut. Jemand hatte auf dem firmeneigenen Flughafen Schwerin-Parchim versucht, Ryland Mikkelsen unmittelbar vor dem Start zu einem Vergnügungsflug entweder als Geisel zu nehmen oder ihn umzubringen und hatte dabei Perverdrin, eine geächtete Kampfdroge, eingesetzt. Thatcher hatte aus Angst um das Leben Mikkelsens nur tatenlos zugesehen; der Zivilist Christian Svensson hatte eingegriffen und Mikkelsen, einer Prostituierten und der Besatzung das Leben gerettet. Dabei war er höchstwahrscheinlich in den Besitz von Videoaufnahmen gelangt, die sowohl Ryland Mikkelsen in einer delikaten Position als auch den unter Perverdrin stehenden Attentäter zeigten. Damit hatte Svensson ein Druckmittel in der Hand, mit dem er Mikkelsen konnte und das durften Wielander und Borg auf gar keinen Fall zulassen.

Thatcher und ihre Leute hatten es zwar geschafft, die ganze Geschichte vor den Behörden geheim zu halten, doch das Eingreifen von Svensson hatte ein schlechtes Licht auf ihre Fähigkeiten, die ihres Teams und damit auf die Führungsqualitäten Borgs geworfen. Das war die offizielle Version und Borg hielt sie für wasserdicht genug, falls jemand fragen sollte, was er jetzt hier genau tat.

In Wirklichkeit war es ihm egal, ob Svensson den Speicherchip aus der Kamera genommen hatte oder nicht. Die Firma hatte ein ganz anderes Problem. In dem Moment, in dem Mannwald den ersten Schritt auf das Rollfeld gemacht hatte, war ein Mechanismus in Gang gesetzt worden, der die Führungsstruktur der Deutschlandsektion von NordicSF zerreißen musste und damit auch Johannes Hakonsen nicht gleichgültig sein konnte.

Wielander war viel zu früh für seinen Flug erschienen. Er hatte gesehen, wie Marianna Mettler zu Mikkelsen in den Jet gestiegen war. Wenn Mikkelsen herausfand, dass sein Stellvertreter dieser Frau verfallen war, musste er sich irgendwann die Frage stellen, ob es Wielander selbst gewesen war, der das Attentat organisiert hatte.

Wielander hingegen musste eine irre Wut auf Mikkelsen haben, weil der ihm sein Lieblingsspielzeug weggenommen hatte. Wenn er herausfand - und das würde er - dass es Mikkelsen nur getan hatte, um ihm zu schaden, würde Wielander ausrasten.

Außerdem war Perverdrin eingesetzt worden und das hätte nach Brüssel gemeldet und die Special Perverdrin Force informiert werden müssen. Doch die Firma hatte es vertuscht und das würde den Druck im Kessel zusätzlich erhöhen. Irgendwann musste das zu einer Explosion führen und Mikkelsen und Wielander würden sich gegenseitig an die Gurgel gehen, ihre Speichellecker würden in diesen Krieg mit einbezogen werden und dann brauchte die Deutschlandsektion von NordicSF ein komplett neues Top-Management. Wenn der Standort das überhaupt überlebte.

Ob das geschah, hing zum großen Teil von diesem Zivilisten Christian Svensson ab und deswegen war Borg hier. Ihn interessierte dieser Mann brennend. Allein und unbewaffnet hatte er ein Flugzeug gestürmt, einen Perverdrin-Attentäter getötet und dabei die Leute des SIT wie blutige Anfänger hatte aussehen lassen.

Während alle im Rechenzentrum unter dem Nordic-Tower wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Monitore gestarrt und die Befehle Thatchers ausgeführt hatten, war Borg mit dem Kern seines Teams schon auf dem Weg nach Parchim gewesen. Noch im Wagen hatte er von Deckland die Fallhöhe Svenssons, die Geschwindigkeit seines Sturmlaufs zum Flugzeug und die Länge der Strecke, die der Mann im Zick-Zack und geduckt gesprintet war, berechnen lassen. Das Ergebnis hatte Borg sehr nachdenklich gemacht. Svensson war schneller gewesen als ein Leistungssportler und das mit Jeans und Lederjacke. Er musste einen Adrenalinspiegel jenseits von Gut und Böse gehabt haben.

Schlimmer noch war, was er im Flugzeug angerichtet hatte. Obwohl angeschossen, war er mit Mannwald fertig geworden und das hätte unmöglich sein sollen. Das Perverdrin hätte dem Gepäckarbeiter eine Reaktionsfähigkeit verleihen müssen, die um mehr als einhundert Prozent über der eines normalen Menschen lag. Jede Bewegung Svensson musste er wie in Zeitlupe wahrgenommen haben und damit hätte er jeden Schlag abwehren können, zumal er auch über das Dreifache seiner normalen Körperkraft hätte verfügen müssen. Kein normaler Mensch wäre ohne Schusswaffe an Mannwald herangekommen. Jedenfalls keiner, den Borg sich vorstellen konnte.

Alle seine Instinkte hatten in höchsten Tönen Alarm geschlagen, als er gesehen hatte, wie Svensson nach dem Disput mit Wielander mit der lässigen Grazie eines Tigers zum Parkhaus gegangen. So bewegten sich nur Menschen, die im Bruchteil einer Sekunde von scheinbarer Passivität auf Aktion umschalten konnten und jedem Angriff in jedem Moment begegnen konnten. Das erlernte man nur durch jahrelanges, härtestes Training und durch Kampfeinsätze Mann gegen Mann. Solche Leute beschäftigten sich gewöhnlich mit anderen Dingen als damit, für ein mickriges Gehalt nach Taschendieben Ausschau zu halten.

Vor allem jedoch musste Borg erfahren, warum der Mann das getan hatte. Der untere Rand des Fensters des Bistros befand sich fünf Meter und zwanzig Zentimeter über dem Beton des Bodens. Ein Profi hätte gewusst, dass ein Sprung durch die Scheibe nicht vollständig zu kontrollieren war, weil er nicht vorausberechnen konnte, wie das Sicherheitsglas riss. Blieb er nur eine Winzigkeit mit der Kleidung in einer Scherbe im Rahmen hängen, veränderte das die geplante Rotation des Körpers und seinen Fallwinkel. Damit wurde der Aufprall zu einem unkalkulierbaren Verletzungsrisiko. Trotzdem war Svensson es eingegangen und Borg fragte sich, ob der etwa doch bei der Vernehmung durch Major Thatcher die Wahrheit gesagt hatte, dass er eingegriffen hatte, um das Leben seiner Freundin zu retten.

Drei Frauen waren im Flugzeug gewesen, die Pilotin und die Flugbegleiterin waren Angestellte der Firma, und da sie in unmittelbarer Nähe des Sektionschefs arbeiteten, wurden sie genauestens überprüft. Wielander und damit auch Sylvie hätten gewusst, wenn eine der beiden mit Svensson etwas am Laufen gehabt hätte. Borg hatte die Vergangenheit Svenssons durchleuchtet, so weit es in der kurzen Zeit möglich gewesen war. Svensson hatte sexuelle Beziehungen zu Frauen gehabt und er war weder schwul noch impotent. Blieb also nur die Dritte, Marianna Mettler.

Die Bedienung im Flughafenbistro hatte ausgesagt, dass die Mettler und Svensson sich dort getroffen und ziemlich heftig miteinander geflirtet hatten, dass die Initiative dabei aber eindeutig von der Mettler ausgegangen war und Svensson eher zurückhaltend reagiert hatte. Aber sie hatte auch gesagt, dass es so ausgesehen hatte, als wenn sie sich nicht zum ersten Mal getroffen hatten. Konnte es sein, dass es eine Bindung zwischen den beiden gab, die so heftig war, dass Svensson wegen dieser Frau Kopf und Kragen riskierte?

„Er fährt los. Stevens ist an ihm dran.“ Captain Simmons riss Borg aus seinen Gedanken.

„Deckland, wie weit sind Sie?“ Borg ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. Sylvie saß dort, klappte die Sonnenblende herunter und prüfte ihr Make-up.

Der schmale IT-Profi von Borgs Team antwortete vom Rücksitz: „Unsere teure Ausrüstung hätten wir zu Hause lassen können. Unglaublich, aber wahr - der Mann hat in seiner Wohnung nicht einmal eine TV-Folie an der Wand. Keinerlei aktive Emissionen, nichts im Stand-by, keinen Computer mit WLAN-Modul, keine Außenkameras, gar nichts. Das ist Bodo Ballermann aus der Steinzeit.“

„Abgeschirmt?“

„Nein. Bei der Empfindlichkeit unserer Sensoren könnte das nur ein aktives Feld sein. Drahtnetze unter den Tapeten unter Schwachstrom oder so etwas. Dann würde ich aber wenigstens das messen können.“

„Er nimmt die Umgehungsstraße. Noch geschätzte zehn Minuten. Wir sollten verschwinden“, sagte Simmons und Borg nickte.
„Geben Sie Stevens durch, dass er die Verfolgung am Ortseingang einstellen und dort Position beziehen soll. Wir ziehen uns hinter die nächste Ecke außer Sicht zurück.“

Sylvie prüfte ein letztes Mal ihr Gesicht, ließ sich von Simmons den Arkotkey geben und stieg aus.
Borg setzte sich auf ihren Platz. „Mach keinen Fehler.“

Sie zischte ihm ins Ohr: „Ich heiße nicht Borg. Wage es ja nicht, mittendrin aufzukreuzen.“

Er verzichtete auf eine Antwort, schlug die Tür zu und sah ihr nach, wie sie zu Svenssons Haus hinüberging. Aggressiv schwenkte sie ihre Hüften unter dem hellen Mantel und der Klang ihrer High Heels drang durch das kugelsichere Glas des SUV. Eine Frau, einen Mann trunken vor Glück zu machen; eine Mutter, voller Liebe Kinder großzuziehen. Beides war sie gewesen, bis Mikkelsen und Borg aus der blauen Glut in ihren Augen Eis gemacht hatten. Nie wieder würde sie das Lachen ihres Kindes hören und niemals mehr bei einem Kuss die Augen schließen. Sie hätte Mitleid verdient, jemanden, der ihr über das Haar strich und flüsterte: „Es wird wieder alles gut.“ Doch diesen Menschen gab es nicht und wenn, so hätte sie ihn brüsk von sich gestoßen, denn in ihr war nur noch Platz für ein Gefühl: Hass.

Sie setzte den Arkotkey an. Es dauerte keine Minute, bis er den Code des elektronischen Schlosses geknackt hatte. Sie verschwand in der Tür, Captain Simmons ließ den Motor an und steuerte den Wagen um die nächste Ecke.

„Was machen wir, wenn sie Probleme bekommt?“

„Nichts“, erwiderte Borg.

„Und wenn er sie umbringt?“

„Schicken wir ihm ein Dankschreiben.“

Der Captain zog die Augenbrauen hoch und Borg lachte. „Entweder, sie erfährt, wo der Chip ist oder Svensson dreht ihr den Hals um. Wir gewinnen in jedem Fall.“
Irgendjemand muss immer sterben
Er war noch keine fünf Minuten unterwegs, da rief Nicole an. Er gab den Anruf frei und sie sagte ohne Gruß: „Mein Gott, Christian, was hast du getan?“

Ruhig antwortete er: „Nichts, dass irgendwelche Auswirkungen auf dich haben sollte.“

„Da irrst du dich. Sigrid hat mich vorhin angerufen. Sie ist von einer Sylvie Skagen zusammen mit zwei Typen von NordicSF so ausgequetscht worden, dass sie reif für die Klapse ist!“

„Was wollten sie wissen?“

„Sie haben nur nach dir gefragt. Sigrid musste jedes Wort wiederholen, dass sie mit dir gewechselt hat und vor allem waren sie interessiert daran, worüber du mit der schwarzhaarigen Frau gesprochen hast, doch davon hatte Sigrid kaum etwas mitbekommen. Wer war das, Christian?“

„Unwichtig.“

Nicole wurde lauter. „Unwichtig? Sie haben Sigrid gesagt, dass sie ihren Job verlieren wird. Die Arme weiß nicht einmal warum, aber das hat die Leute gar nicht interessiert. Ich hatte gerade das Telefon aufgelegt, da waren sie bei mir und haben mich genauso wie Sigrid über dich ausgequetscht. Die Skagen wollte alles hören, was ich von dir weiß; deine Gewohnheiten, deine Freunde, sogar, wie du es mit mir im Bett getrieben hast. Die Frau hat überhaupt keine Hemmungen. Ich soll dir von ihr ausrichten, dass ich auch meinen Job verliere, wenn du ihr nicht gibst, was sie haben will. Und wenn du dann immer noch zickig wärst, würden mich die beiden Männer wieder besuchen kommen. Alleine.“

Jetzt schrie sie: „Du hast gerade zwei Leben zerstört, dass von Sigrid und meines. Und ich dämliche Kuh hatte gedacht, dass du mich vielleicht ...“

Sie schluchzte einmal auf und sagte dann leise, mit etwas Endgültigem in der Stimme: “Ich wünschte, du wärst mir nie begegnet. Ruf mich nie wieder an, komm nie wieder in mein Bistro - falls ich da morgen noch arbeite - und scher dich aus meinem Leben raus. Ich hasse dich!“

Sie legte auf und er warf einen Blick in den Rückspiegel - der Wagen hinter ihm war noch da. Vor Nicoles Anruf hatte Christian noch geplant, durch die Stadt zu fahren und ihn abzuhängen. Der Plan hatte sich gerade geändert.

Er nahm seinen gewohnten Weg nach Wittenförden über die Umgehungsstraße. Als er den Ortseingang erreichte, blieb der Wagen hinter ihm zurück und kurz darauf bog Christian in die kleine Seitenstraße zu seinem Haus ein. Licht schimmerte durch die Gardinen seines Wohnzimmers, ein weißer Smart parkte auf seinem Stellplatz und eine Frau stand in seiner geöffneten Haustür.

Weich ließ er den Wagen ausrollen, parkte ihn hinter dem Smart und stieg aus. Seine Haustür bestand aus stahlverstärktem, massivem Holz, die Zahlenkombination für sein elektronisches Schloss kannte nicht einmal Nicole und die Kombination wechselte er mindestens einmal im Monat. Es gab nicht viele Möglichkeiten, eine Tür mit einem solchen Schloss zu knacken, genau genommen nur drei: die richtige Zahlenkombination zusammen mit seinen Fingerabdrücken, eine Ramme oder einen Arkotkey.

„Sie sind spät dran“, sagte Sylvie Skagen und es klang, als würde eine Ehefrau ihren Mann fragen, wo er so lange gewesen war.

„Was lässt Sie glauben, dass ich nicht die Polizei rufe?“

„Die Intelligenz, die ich bei Ihnen vermute. Ich will mit Ihnen reden. Allein.“

Sie ging hinein, ließ die Haustür aber offen. Er warf einen Blick in ihren Zweisitzer. Niemand saß darin und das sollte dann wohl bedeuten, dass Wielanders Assistentin alleine hier war. Das Kribbeln in seinem Nacken sagte etwas anderes.

Er ging zum Briefkasten, klappte ihn auf und nahm wie jeder andere beim Nachhausekommen auch die Werbung heraus. Dass er dabei mit einem schnellen Handgriff den Speicherchip aus der kleinen Kamera im Inneren herauszog, konnte nur jemand bemerken, der von dem Versteck wusste. Gesteuert von einem Bewegungssensor nahm sie durch ein winziges Loch im Briefkasten alles auf, was sich nach Einbruch der Dunkelheit vor seiner Haustür abspielte und zweigte den Strom dazu tagsüber von der Klingelleitung ab.

Er tippte auf dem Kombinationsschloss neben der Tür seinen Zahlencode ein und legte den Daumen auf den Fingerabdruckscanner. Die grüne LED blinkte dreimal kurz auf - das System war in Ordnung. Er gab den Code für den Systemstatus ein und das Ergebnis fiel aus, wie er vermutet hatte. Vor zehn Minuten war die Tür geöffnet worden - mit seinem Code und mit seinem Daumenabdruck. Er gab einen weiteren Code ein. Wenn er jetzt die Tür von innen schloss, schaltete sich das System aus und dann war sein Haus eine Festung, die nur noch rein mechanisch von innen geöffnet werden konnte. Dann brauchten sie tatsächlich Sprengstoff oder eine Ramme, um hineinzukommen und er war sich sicher, dass sie beides nicht einsetzen würden. Nicht in dieser Nacht und nicht in dieser Wohnsiedlung. Die Presse wäre in spätestens zehn Minuten hier, die Polizei nicht viel später und beides konnte Wielander nicht gebrauchen.

Irgendwo jaulte eine Katze in der Dunkelheit und er blickte noch einmal die Straße entlang. Kein Wagen, der nicht hierher gehörte, parkte hier außer dem von Sylvie Skagen. Fast alle Häuser waren dunkel, nur aus ein paar wenigen Schlafzimmerfenstern schimmerte noch Licht. Eine friedliche Nacht, wie es schien.
Er ging hinein. Mit einem satten Geräusch fiel die Tür ins Schloss und mit leisem Summen fuhren die fünf drei Zentimeter dicken Edelstahlbolzen in ihrem Innern in die Verriegelungsposition.

Der helle Mantel, den die Skagen getragen hatte, hing an seiner Flurgarderobe. Er hängte seine Lederjacke daneben, ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank.

„Wollen Sie auch ein Bier?“, rief er durch die offene Tür und steckte den Speicherchip der Kamera in sein Smartphone. Im Schnelldurchlauf verfolgte er, was sie in den letzten dreißig Minuten aufgenommen hatte. Als der große Mann mit den blonden Haaren aus dem Wagen ausstieg und sich an das Chassis lehnte, stoppte Christian die Wiedergabe und betrachte ihn einen Moment. Dann sah er sich den Rest der Aufnahme an, nahm sein Bier, ging durch den Flur zur Wohnstube und lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen.

Wielanders Assistentin hatte nur die Stehlampe in seiner Sitzecke angemacht. Sie selbst stand vor einem seiner deckenhohen, bis zum letzten Platz gefüllten Regale und musterte die Aufschriften auf den Buchrücken. Ihre Kostümjacke hatte sie leger über die Seitenlehne der Couch fallen lassen. Perfekt setzte das nicht allzu helle Licht ihre Beine unter dem safrangelben Rock und das, was sich unter ihrer roten Seidenbluse verbarg, in Szene.

Er sagte: „Sie haben eine Freundin von mir bedroht und sind in mein Haus eingebrochen.“

„Ach kommen Sie. Das muss Ihnen doch klar gewesen sein. Auch, dass es erst der Anfang ist.“

Mit der Hand strich sie an den Buchrücken entlang und nahm hier und da eines heraus. „Interessante Sammlung. Kein Fernseher, kein Radio. Natürlich. Was Sie sehen und hören, wann Sie es tun - Sie wissen, dass alles gespeichert wird. Aber auch das Sie es nicht tun, wird gespeichert. Sie können sich nicht dagegen wehren. Schon die Tatsache, dass Sie es überhaupt versuchen, sagt etwas über Sie aus.“

Sie stellte das Buch, das sie in der Hand hatte, wieder zurück ins Regal und griff nach einem anderen. Mit schlanken, sehr gepflegten Fingern blätterte sie durch die Seiten. „Wir wissen alles über Sie, Svensson. PPSA. Schon mal gehört davon?“

Er nahm einen Schluck Bier. Die Prognostische Persöhnlichkeitsstrukturanalyse war eine Weiterentwicklung von Freuds Psychoanalyse. Michael Kosinski hatte sie zweitausenddreizehn aufgebohrt und auf das Nutzerverhalten in sozialen Netzwerken angewendet. Zehn Klicks und ein Computerprogramm konnte menschliches Verhalten besser voraussagen als die eigene Ehefrau. Cambridge Analytica hatte das für Trumps Wahlkampf eingesetzt, Millionen Nutzerprofile ausgespäht und mit den Ergebnissen dessen Leute Klinken bei amerikanischen Wählern putzen lassen. Anschließend hatten sie Nebelkerzen geworfen, es den Russen in die Schuhe geschoben und die Presse war freudig draufgesprungen. Es war der größte Wahlbetrug gewesen, den es je gegeben hatte. Heute war es Standardausrüstung jeder Personalabteilung, jedes Geheimdienstes und der Polizei. Es sprach nur keiner drüber. Täte er es, würde es in seiner PPSA erscheinen und er würde nie wieder einen Job bekommen. Nirgendwo auf der Welt.

Nur vergaßen diese Computerfetischisten, dass es nicht nur darauf ankam, was die Menschen taten, sondern auch, wie sie es machten und vor allem warum. Schnell, langsam, zögerlich, entschlossen - wenn es hart auf hart kam, waren diese Informationen unbezahlbar und nur Intuition und Erfahrung brachten sie ans Licht - etwas, was kein Computerprogramm der Welt besaß. Es dürfte der Grund sein, weswegen Wielanders Assistentin hier war. Sie wollte etwas wissen. Es war auch der Grund, warum er sie nicht hinauswarf. Er musste auch etwas wissen. Über sie.

Er fragte: „Wie sind sie hereingekommen?“

„Das war einfach. Arkot-Schlüssel, falls Ihnen das etwas sagt.“

„Scannt die Fettspuren auf den Sensorfeldern und errechnet über Wahrscheinlichkeiten die Kombination. Die Papillarmuster auf dem Fingerabdrucksensor werden analysiert, kopiert und nachgebildet. Schon der Besitz bringt sie ins Gefängnis. Ich kannte das Computergenie, das ihn entwickelt hat. Borg hieß er. Er hat es dann an beide Seiten verkauft.“

Ihr Gesicht lag im Schatten der Stehlampe und so sah er ihre Reaktion nicht. Aber das sie das Buch in ihrer Hand mit einem Knall zuklappte, war eine Information und er war nicht der Mann, sie zu übersehen.

Sie stellte den dicken Wälzer ins Regal zurück und kam zu ihm herüber. Einen halben Schritt vor ihm blieb sie stehen, nah genug, dass er ihren schweren Duft roch. Veilchen oder irgend so etwas. „Sie wirken ein wenig gestresst, mein Lieber. Kommen Sie herunter davon. Ich will Ihnen nichts tun. Oder vielleicht doch - kommt darauf an.“

„Worauf?“

„Wie gerne Sie spielen.“

Lächelnd fuhr sie ihm mit einem rotlackierten Fingernagel über die Wange, fest genug, dass er eine feurige Spur auf seiner Haut hinterlassen musste. Er griff nach ihrem Handgelenk und drückte es weg. „Falls es auf das hinausläuft was ich denke - kein Interesse. Das war alles schon einmal da. Schöne schlechte Frau verführt den Helden, er wird weich und gibt ihr, was der große Boss will.“

„Dann gibt es kein Happyend? Ich bin enttäuscht.“

„Nein. Irgendjemand muss immer sterben. Die Schöne oder die Hoffnung. Meistens beide.“

„Also kein Lichtblick?“

„Nicht in dieser Welt.“

Er zögerte, dann setzte er hinzu: „Vielleicht in der Nächsten. Wenn Sie an ein Leben nach dem Tod glauben.“

„Tue ich nicht. Was zu erledigen ist, müssen wir in diesem Leben machen. Deswegen bin ich hier.“

„Sie wollen den Chip.“

„Der ist nur Nebensache. Ich will dich.“

Lachend fuhr sie ihm wieder mit dem Finger über die Wange. „Ich bin es gewohnt, das Männer anfangen, zu sabbern, wenn sie mich sehen. Du tust so, als würde ich dich kalt lassen und das reizt mich. Du kneifst vor Wielander nicht den Schwanz ein und was dabei herauskommt, will ich mir von einem Logenplatz aus ansehen.“

Sie drehte sich um und ging zur Couch. „Dieser hier wäre gar nicht schlecht dafür.“

„Was ist mit der Kavallerie da draußen?“

„Ich bin alleine. Nicht einmal Wielander weiß, dass ich hier bin. Der Wagen hinter dir war nur dazu da, mich zu informieren, wo du bist. Er ist wieder weg. Ich bin also ganz in deiner Hand.“

Sie ließ ihr Handy auf das kleine Tischchen vor der Couch poltern, klappte die Rückwand auf und nahm den Akku heraus. „Damit du mir glaubst. Möchtest du mich noch durchsuchen und herausfinden, ob ich verwanzt bin?“

„Möchten Sie?“

„Vielleicht später. Erst müssen wir reden über Dinge, die dir wahrscheinlich nicht klar sind. Das Video nutzt Wielander gar nichts. Er weiß genug über den Dreck, den Mikkelsen am Stecken hat. Dir nutzt es auch nichts, weil du es nirgendwo veröffentlichen kannst. Es sieht also aus wie eine Pattsituation, doch lass dich davon nicht täuschen. Das, was Wielander mit dir gemacht hat, war nur ein Test, um dich einschätzen zu können. Du musst dir darüber im Klaren sein, dass er ein Problem hat, so lange noch zwei Menschen leben, die wissen, was auf dem Flughafen wirklich passiert ist und die er nicht kontrollieren kann - du und die Mettler. Er wäre der falsche Mann auf seinem Stuhl, wenn er das so einfach hinnehmen würde. Sie liegt im Moment in der Psychiatrie am Schweriner See, es gibt da einen wunderschönen Park rundherum und malerische Wege, die direkt am Wasser entlang führen. Sie wird hineinfallen und nicht wieder auftauchen. Keine Untersuchungen, denn schließlich war sie ja nicht umsonst in der Nervenklinik. Was er sich für dich ausdenkt, weiß ich nicht. Nur, dass er es tun wird und du es nicht kommen sehen wirst. Doch er wird es mit mir vorher besprechen und vielleicht werde ich es sogar sein, die dich dann ein zweites Mal besucht.“

Sie schlug die Beine übereinander. Nicht provozierend langsam, aber deutlich genug, dass er es nicht übersehen konnte.

„Du würdest zwischen meinen Beinen sterben, in dem Moment, in dem du deinen Orgasmus hinausschreist. Es würde dir bestimmt gefallen. Sie schreien alle bei mir.“

Mit den Händen prüfte sie den Sitz eines Strumpfes an einem endlos langen Bein. Dann zog sie einen Schuh aus, stellte den Fuß auf den Rand der Couch, schlang die Arme um das Knie und sagte mit viel Rauch in der Stimme: „Brauchst du den Türrahmen eigentlich zum Festhalten oder musst du dir Mut antrinken? Setzt dich zu mir.“

„Der Preis?“

Ihr Lächeln vertiefte sich. „Das Video, damit ich Wielander beruhigen kann und vielleicht noch die eine oder andere kleine Gefälligkeit. Du kannst so gut mit bösen Jungs umgehen und mir klebt gerade einer an den Hacken, den ich gerne loswerden würde.“

Er schüttelte die Flasche. Sie war leer. „Sie sind in mein Haus eingebrochen, haben einen Menschen bedroht, der mir etwas bedeutet, und reden so locker über Mord wie ich über das Essen von gestern in der Flughafenkantine. Sie können nicht glauben, dass ich mich auf Sie einlasse.“

„Warum hast du dann in zwei Schlucken dein Bier ausgetrunken? Deine Blicke brennen mir Löcher in die Strümpfe und deine Zunge ist ständig auf deinen Lippen unterwegs. Es sind deine Hormone und ich bin es, die sie in dir zum Kochen bringen. Wehr dich nicht dagegen, komm lieber zu mir.“

Sie klopfte leicht mit der flachen Hand auf den Bezug seiner Couch und es war ein so übles Klischee, das sie selbst es wissen musste. Nicht nur das, sie spielte es auch noch so miserabel, dass es eine Beleidigung für die Intelligenz jedes Kleinstadtganoven gewesen wäre.

Sie schaute ihn an, den Mund halb geöffnet und fuhr mit der Zungenspitze über ihre Lippen. Dann richtete sie ihren Blick auf etwas neben seiner linken Schulter, dann wieder auf ihn und noch einmal an ihm vorbei. Da, wo sie hinschaute, war nur ein Stück schmucklose Wand und das Fenster …

Plötzlich begriff er. Wenn Wielander so gut war - und davon war auszugehen nach allem, was Christian bis jetzt wusste - dann wusste er auch über die Vergangenheit des Hause Bescheid. Vor Christian hatte es einem hohen Beamten aus dem Betrugsdezernat gehört. Der Mann hatte sich mit Korruption in den eigenen Reihen herumgeschlagen und eine Festung daraus gemacht. Mit der Hand tastete Christian hinter sich nach dem Schalter, drückte ihn und die Stahllamellenjalousien ratterten herab. Ab jetzt war sein Haus ein überwachungstechnisches schwarzes Loch.

Das schmetternden Krachen ließ Sylvie zusammenzucken. Doch sie fing sich schnell wieder und sagte: „Ich hatte fast befürchtet, dass ich deine Intelligenz doch überschätzt habe. Was hier gesprochen wird, kann man mit einem guten Richtmikrophon über mehr als einhundert Meter hören. Deswegen konnte ich es dir nicht sagen, du musstest schon selbst darauf kommen.“

Sie blickte nach unten auf ihre Füße, und als sie wieder aufschaute, war der Ausdruck kühler Überlegenheit aus ihren Gesicht verschwunden. Es war jetzt weich, fast verlegen.

„Ich hatte so gehofft, dass du es verstehst. Wenn so ein Alphatier wie du auf Wielander trifft, muss ich hinterher immer das Blut aufwischen. Es ist nie seines und ich will nicht, dass auch deins dazukommt.“

Sie stützte ihren Kopf in die Hände, verbarg ihr Gesicht vor ihm und sagte durch die Finger so leise, dass er es fast nicht verstand: „Ich möchte nur eine Frau sein. Eine Mutter mit lachenden Kindern und einem Mann, an den ich mich anlehnen kann. Der für mich da ist und mich nicht als Werkzeug benutzt. Ist das so schwer zu verstehen?“

Sie hob wieder den Kopf und sah ihn an. Etwas Bittendes war in ihrem Blick und sie sprach schnell, fast Stakkato. „Ich bin müde, unglaublich müde. Ich will nicht mehr sein Spielzeug sein. Mein Kontrakt bei NordicSF gilt auf Lebenszeit. Wie bei jedem anderen. Eine Kündigungsfrist ist nicht vorgesehen. Es gibt nicht mal Vordrucke im Office dafür. Du kannst es schaffen. Du kannst mit ihm fertig werden. Du bist der Erste, dem ich das zutraue. Aber du brauchst mich dafür. Das alles ist nur der Anfang. Er vergisst niemals, egal wie gut du bist, irgendwann wird er dich kriegen, wenn ich dir nicht helfe und das werde ich tun. Du hast ihm gegenübergestanden und ich habe es gefühlt. Du bist meine Fahrkarte in ein normales Leben. In die Freiheit. Bitte. Ich mache alles, was du willst dafür. Stoß mich nicht weg.“

Heftig hoben und senkten sich ihre Brüste unter der roten Seidenbluse. Sie senkte den Kopf. „Bitte setz dich wenigstens zu mir. Ich bin ein fühlender Mensch, kein Stück Holz.“

Er stieß sich mit den Schultern vom Türrahmen ab und ließ sich in den Sessel neben sie fallen.

Sie griff nach seiner Hand. „Du glaubst mir nicht.“

„Nein.“

Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände, blickte ihm einen Moment ins Gesicht, dann schloss sie die Augen und küsste ihn fest auf den Mund. Ihre Zunge strich zart über seine zusammengepressten Lippen und schob sich, als sein Widerstand erlahmte, zwischen sie. Mit einer Hand in seinem Nacken presste sie ihn an sich, zog sich daran von der Couch hoch und ließ sich in seinen Schoss fallen.

Erst jetzt gab sie seinen Mund frei und sagte: „Wielander benutzt mich, um Verträge abzuschließen, wenn er es mit Druck und Geld nicht schafft. Ich mache jetzt einen Vertrag mit dir. Ohne Druck, ohne Geld. Nur ich. Küss mich und dann sag mir, dass du es nicht willst.“

Tief schaute sie ihm in die Augen und als er nicht antwortete, küsste sie ihn wieder voller Leidenschaft. Schließlich musste sie Luft holen, er nutzte den Moment und fragte: „Warum ich?“

Sie kuschelte sich an seine Brust und ihre Haare kitzelten sein Kinn. Frisch wie ein Frühlingsmorgen am Meer rochen sie und so war auch ihre Stimme - jedes Wort eine Welle, die sanft an den Strand lief. „Ich habe mir das Video von der Schlägerei in der Straßenbahn angesehen. Du hattest Mitleid mit der Kleinen. Du wolltest ihr helfen, obwohl du es nicht hättest tun müssen und du hättest die beiden getötet, wenn das Mädchen dich nicht im letzten Moment aufgehalten hätte. Das ist der Grund. Weil du ein wirklicher Mann bist. Weil du so stark bist, dass ich mich bei dir geborgen fühlen kann. Weil du ein Killer bist, der voll mit Gefühlen ist und die will ich haben. Für mich.“

So leise, dass er es fast nicht verstand, flüsterte sie an seinem Ohr: „Ich würde alles tun dafür. Und für dich.“

Er räusperte sich. „Du hast Nicole gedroht, sie vergewaltigen zu lassen.“

Sie knabberte zärtlich an seinem Ohr. „Du Dummerchen, ich bin Wielanders bestes Pferd im Stall. Seine Leute waren dabei und ich durfte mich nicht verraten. Ich habe dir gesagt, dass ich auf dich aufpassen werde. Ihr wird nichts geschehen. Nicht, wenn ich es verhindern kann, das verspreche ich dir.“

Sanft sagte er: „Aber du brauchst das Video dafür.“

„Später. Jetzt brauche ich deine Arme. Halt mich fest. Einfach nur fest.“

Ihr Atem strich über seine Haut und ihre Finger streichelten seinen Nacken. Sein Tag war hart gewesen, er war angeschossen und bedroht worden. Nichts mehr wünschte er sich, als sich fallen lassen zu können; nicht mehr denken zu müssen; nicht mehr hinter jeder Ecke einen Feind zu sehen. In seinen Armen lagen gut sechzig Kilogramm pure Weiblichkeit, warm, anschmiegsam und schutzlos. Mit einer einzigen Muskelkontraktion seiner Arme hätte er sie töten können und sie musste das wissen. Trotzdem schmiegte sie sich an ihn und es machte, dass etwas in ihm ihr glauben wollte. Doch der Feind des Glaubens ist Wissen und deshalb war genau jetzt einer der Momente, in denen er das Leben zum Kotzen fand.

Er strich ihr sanft über das Haar, dann löste er sie von seinem Hals und schaute ihr ganz nah in die Augen. Groß und blau waren sie und eigentlich wunderschön und voller Wärme für ihn.

„Hey, was ist?“, fragte sie.

Vorsichtig schob er eine Hand unter ihren Po, mit dem anderen stützte er ihren Rücken und stand mit ihr in den Armen auf. Lächelnd flüsterte sie: „Ich hatte es dir versprochen.“

Er setzte sie auf der Couch ab und schüttelte den Kopf. „Ich hole erst den Speicherchip. Ich will nicht, dass irgendetwas zwischen uns steht. Wie viel Zeit haben wir?“

Es war die letzte Chance, die er ihr gab und wenn er sich etwas wünschte, dann, dass sie sie ergriff.

Doch sie zog ihn nur noch fester an sich heran. „Wir haben alle Zeit der Welt. Niemand wartet irgendwo auf mich. Niemand weiß, dass ich hier bin. Mach schnell, ich will dich spüren.“

Er machte sich los und ging viel ruhiger, als es in ihm aussah, in die Küche. Irgendjemand muss immer sterben, dachte er. Entweder die Schöne oder die Hoffnung.
**********henke Mann
9.630 Beiträge
Wow!
Ich lese es nachher nochmal genauer - bin eben nur durch durchgeflogen und sitze da und merke, dass ich mal wieder schreiben sollte *g*
Ganz sicher
Sylvie lag auf der Seite auf der Couch, schaute ihm zuckersüß lächelnd entgegen und rieb die bestrumpften Beine langsam gegeneinander. Er setzte den Akku in ihr Handy ein, schob den Speicherchip in den dafür vorgesehenen Slot und reichte es ihr.

„Schau es dir gleich an, es ist nicht viel drauf. Danach sehen wir, wie es weitergeht.“

„Das weiß ich doch schon längst, du Dummerchen.“

Er ließ sich wieder in den Sessel neben sie fallen und Sylvie richtete sich auf. Dass sie in Unterwäsche, mit Strümpfen und ohne Slip vor ihm saß, schien sie nicht zu stören.

Sie sah auf den kleinen Bildschirm des Gerätes. „Das ist nicht der Flughafen.“

„Aber fast so viel los.“

Wie er zuvor ließ sie das Video schnell vorlaufen. Als der große schwarze Geländewagen vor seinem Haus auftauchte, schaltete sie auf normale Geschwindigkeit um. Eine Weile starrte sie auf das Geschehen, dann legte sie das Gerät so vorsichtig auf den Tisch, als wäre es aus Porzellan. Sie griff nach ihrem Rock, streifte ihn mit eckigen Bewegungen über, knöpfte ihre Bluse zu und erst jetzt sah sie ihn an. In ihren Augen war nur noch Kälte.

„Du hast mit mir gespielt.“

„Nein. Ich will, dass du eine Botschaft verstehst und ausrichtest. Das ist mein Haus, mein Leben und es sind meine Freunde. Lasst die Finger von mir und kümmert euch um euren eigenen Dreck. In eurer ganzen Firma habt ihr nicht genug Intelligenz, um mich zu schlagen und nicht genug Waffen, um mich zu töten. Was immer ihr tut - ich werde es vor euch wissen.“

„Du bist verrückt.“

Er stand auf und lehnte sich wieder an den Durchgang zum Flur. „Ja. Und jetzt raus.“

„Ich gehe, wenn ich fertig bin.“

Sie holte eine Puderdose aus ihrer Handtasche und brachte ihr Make-up in Ordnung. Es dauerte ein wenig, sie arbeitete präzise und ihre Hände zitterten keinen Millimeter dabei. Seine Botschaft war nicht angekommen.

Mit einer entschlossenen Bewegung klappte sie das Schminkutensil zu und griff stattdessen nach ihrem Handy. Mit dem Daumen wischte sie über das Display und sagte: „Es hätte mir zwar nichts ausgemacht, dich zu ficken, aber viel Spaß hätte ich mit dir wohl nicht gehabt. Also die harte Tour. Sigrid und Nicole Weiß haben gestern ihren letzten Arbeitstag gehabt. Die Kündigungen habe ich soeben abgeschickt. Die Firma, für die du arbeitest, wird von einem Ulf Seemann geführt und hat einundzwanzig Angestellte. Er hat über eine Bank, an der wir Anteile haben, drei Kredite laufen für zwei Geldtransporter. Die Kredite werden am Montag gekündigt werden ebenso wie seine Verträge mit der Stadtverwaltung für seine Transportaufträge. Er wird nirgendwo mehr welche bekommen, am Monatsende die Löhne nicht mehr zahlen können, seine Firma muss Insolvenz anmelden und alle Leute stehen auf der Straße. Ein Druck mit dem Finger von mir und das wird geschehen. Noch ein Druck, und alle diese Leute kommen auf eine schwarze Liste und werden nie wieder Arbeit finden. PPSA, die du Idiot glaubst, fälschen zu können. Und sie alle werden wissen, dass du die Ursache bist.“

Sie ließ das Smartphone in ihre Tasche fallen, stand auf und ging zum Ausgang. Vor ihm blieb sie stehen. „Du kannst nichts dagegen tun, denn selbst wenn du auf die Idee kämst, mich jetzt vor Wut zu erwürgen, würden andere das fortsetzen. Ich will das Video und du deine Ruhe. Wie lautet deine Antwort?“

Er betrachtete sie aus halbgeschlossenen Augen. Hinter ihr stand ein riesiges Unternehmen, das in Waffen und Öl machte und alles, was sie eben gesagt hatte, waren für eine solche Firma nur einen Knopfdruck oder einen Telefonanruf weit entfernt.

„Wie kann man nur so kalt sein.“

„Kalt? Du nennst mich kalt? Ich war einmal die heißeste Frau, der du jemals begegnet bist, Svensson. Glaubst du wirklich, ich musste das eben spielen? Ich habe einmal gewusst, was Liebe ist und ich sehe sie, wenn sie mir begegnet. Was ich jetzt bin, haben Männer wie du aus mir gemacht und das bekommst du ins Gesicht. Du ganz allein.“

Der Ausdruck in ihrem Gesicht änderte sich und es wurde zu einer Fratze voller Hass. „Deshalb habe ich mir auch das Beste für den Schluss aufgehoben. Ich habe mir jedes Wort, das du mit der Nutte gewechselt hast, von Sigrid erzählen lassen. Ich bin nicht so dämlich wie die Thatcher. Ich kann eins und eins zusammenzählen. Kein Mann startet eine solche Kamikazeaktion wie du, wenn er nicht rettungslos in eine Frau verknallt ist. Mit ihr werde ich dich kriegen. Das Video und die Firma sind die eine Sache, aber wir beide sind noch lange nicht fertig!“

Jetzt schrie sie: „Du hast mich zurückgestoßen! Das macht kein Mann mit mir! Du kriegst ein neues Video, von ihr, und du wirst darauf sehen, wie ich sei zum Schreien bringe!“

Blitzschnell packte er zu. Mit einer Hand wirbelte er sie an der Schulter herum, mit der anderen presste er ihr beide Arme an den Leib und hob sie hoch, presste ihr die rechte Hand auf Mund und Nase und achtete sorgsam darauf, ihr dabei weder den Kiefer noch die Nase zu brechen. Wie in einem Schraubstock gefangen, zappelte sie in seinen Armen.

Er näherte seinen Mund ihrem Ohr und flüsterte: „Es gibt immer eine Grenze, hinter der ein Mensch zum Tier wird. Nur wenige wissen, dass es dahinter noch eine gibt. Wenn man auch die überschreitet, wird aus dem Tier ein Monster. Das liegt bei mir dreißig Jahre zurück und Sie haben es gerade wieder geweckt. Das, was ich jetzt mit Ihnen mache, nennt man ‚Burking‘. Sie werden in wenigen Minuten feststellen, dass ich ein Experte darin bin.“

Als er das Wort aussprach, verdoppelte Sylvie ihre Anstrengungen, sich zu befreien, doch er presste ihren schlanken Körper nur um so fester gegen seine Brust. So fest, dass er auch die Muskulatur, die sie zum Atmen brauchte, blockierte.

Sylvies Bewegungen wurden schwächer und er gab ihr wieder etwas Luft. „Durch die beklemmende Situation wird Adrenalin in ihrem Körper freigesetzt, was wiederum dazu führt, dass Ihr Gehirn mehr Sauerstoff braucht. Den bekommt es aber nicht und so spüren sie das, was Sie anderen antun: wirkliche Todesangst.“

Sylvie wurde schlaff in seinem Armen und er nahm die Hand von ihrem Gesicht. Pfeifend sog sie Luft ein, Krämpfe schüttelten ihren Körper und er packte erneut zu. „Ich kann das beliebig oft wiederholen. Sie werden nie wissen, ob es Folter ist oder der Tod und irgendwann werden Sie daran wahnsinnig werden. Sie spielen mit dem Leben anderer, ich spiele jetzt mit Ihrem.“

Sylvie hörte auf mit Zappeln. Wie einen nassen Sack ließ er sie fallen, zog im Flur den Gürtel aus ihrem Mantel und fesselte ihr damit die Hände auf den Rücken. Ruhig, aber schnell nahm er die Stufen zu seinem Arbeitszimmer. Er öffnete einen Wandschrank, nahm aus einer Schublade seine alte Makarow und überprüfte sie mit wenigen Handgriffen. Sie war vor über siebzig Jahren konstruiert worden, zu einer Zeit, in der es nur auf eines ankam: Vernichtung. Ihre Geschosse waren langsam und ab fünfundzwanzig Meter nicht mehr genau, aber bis dahin fetzten sie Löcher, durch die man eine Faust stecken konnte. Und ein Treffer riss einen Mann um, egal, ob er eine Schutzweste trug oder nicht. Sie war keine Pistole, sie war ein Steinzeithammer.

Rechtzeitig genug war er wieder unten, um zu sehen, wie Sylvie mit flatternden Augenlidern wieder zu sich kam. Eine feuchte Spur zog sich über den Nylonstrumpf an ihrem linken Bein und im Wohnzimmer roch es nach Urin. Er ließ die Stahljalousien wieder hochfahren, griff nach seinem Smartphone und wählte. Es dauerte einen Moment, bis abgenommen wurde.

„Klinikum Schwerin, Zentrale. Was kann ich für sie tun?“ Die Stimme der Frau klang ein wenig müde.

„Ich suche eine Freundin von mir, Marianna Mettler. Ich habe gehört, dass sie einen Unfall hatte.“

„Einen Augenblick bitte.“

Jetzt klang die Stimme fast erfreut, als wäre die Frau froh, mitten in der Nacht etwas zu tun zu haben. Es war so still in der Leitung, dass er sogar ein leises Klicken hören konnte. Wahrscheinlich waren das die Tasten der Maus, mit denen sie im Computersystem nach Mariannas Namen suchte. Dann sagte sie: „Ich stelle sie durch.“

Zwei Klingeltöne später war eine andere Frauenstimme in der Leitung: „Psychiatrische Privatklinik, Station 5. Guten Abend.“

„Guten Morgen. Wie geht es Frau Mettler?“

„Warum wollen Sie das wissen?“

„Ich bin ein Freund von ihr.“

Die Antwort der Schwester klang nachdenklich. „Ein Freund, der nachts um halb zwei anruft? Hätte das nicht bis morgen warten können?“

„Nein, kann es nicht. Also, wie geht es ihr?“

„Den Umständen entsprechend gut. Sie schläft und es besteht kein Grund, sich Sorgen zu machen.“

„Das sagen alle Ärzte.“

„Ich bin kein Arzt. Ich bin die Nachtschwester in einer psychiatrischen Klinik, in der gerade ein Mann zu einer Zeit anruft, in der normale Menschen schlafen, und sich nach einem Neuzugang erkundigt. Kommen Sie am Vormittag vorbei und überzeugen Sie sich selbst.“

Einen Moment war Stille in der Leitung, und er wollte schon auflegen, da fragte die Schwester: „Heißen Sie Svensson?“

„Ja.“

Sie lachte leise. „Der Patientin geht es wirklich gut. Zumindest gut genug, dass sie uns, bevor sie ihre Medikamente genommen hat und eingeschlafen ist, sagen konnte: ‚Falls jemand anruft, der Svensson heißt, richten Sie ihm aus, dass er seinen Hintern hierherbewegen soll, und zwar schnell. Alle anderen sollen sich zum Teufel scheren!‘“

Wieder lachte sie. „Also Herr Svensson, so ab zehn sollte Ihre Marianna wieder ansprechbar sein. Dann bewegen Sie mal Ihren Hintern hierher. Hoffentlich ist er es auch wert.“

Sylvies Augen waren wieder klar. Unter ihren Blicken nahm er die Makarow in die rechte Hand, entsicherte sie und zog mit der Linken das Verschlussstück nach hinten. Deutlich hörbar ließ er es wieder vorschnellen und sicherte die Waffe mit dem rechten Daumen.

„Das Telefongespräch hat Ihnen gerade das Leben gerettet“, sagte er. „Es hätte mir keine schlaflosen Nächte bereitet, Sie zu töten. Nicht mehr. Auf dem Flughafen ist eines der schlimmsten Gifte eingesetzt worden, das die Menschen jemals erfunden haben. Doch statt alles zu tun, um die Hintermänner zu finden und zu verhindern, dass es noch einmal passiert, versuchen Sie und Ihr famoser Wielander, daraus Kapital zu schlagen. Sie bilden sich wirklich ein, Sie könnten es für Ihre Machtspielchen nutzen. Dazu brauchen Sie mich, und deshalb setzen Sie mich unter Druck. Wenn Marianna etwas geschieht, werden Sie merken, dass Sie jemanden geweckt haben, der Erfahrung darin hat, wie man einen Konzern Stück für Stück auseinandernimmt, bis kein Stein mehr auf dem anderen ist und jeder, der etwas zu sagen hat, tot ist. Ganz sicher.“

Er lächelte sie an und etwas musste dabei in seinem Gesicht sein, dass sie vor Schreck die Augen aufreißen ließ. Er steckte sich die Makarow hinter dem Rücken in den Hosenbund.

„Ich benötige keine Sekunde, um von da, wo die Waffe jetzt ist, den ersten Schuss abzugeben. Und dieser Schuss trifft. Immer. Du hast nicht die geringste Ahnung, du schöne, kalte und dumme Frau, mit wem du dich da gerade anlegst. Du und dein Wielander, ihr werdet eure Finger von den Menschen lassen, die mir etwas bedeuten. Wenn nicht, gibt es ein Blutbad. Hast du das verstanden?“

Er starrte ihr in die Augen, bis sie nickte. "Ganz sicher?"

Er hätte es nicht fragen müssen, er sah es an ihrem Blick. Doch diese beiden Worte waren eine Botschaft und er war sich sicher, dass der Empfänger sie verstehen würde.

„Ja“, röchelte sie.

„Gut. Und jetzt machen wir eine Spazierfahrt. Aufstehen!“

Sie drehte sich auf die Seite und stemmte sich hoch, doch sie stand nur einen Augenblick, dann knickten ihr die Beine ein und sie fiel wieder auf den Fußboden. Ungerührt schaute er ihren Anstrengungen zu. Es gab nichts in ihm, was von ihm verlangt hätte, ihr zu helfen. Auch ein zweiter Versuch endete nicht anders und sie wollte etwas sagen, doch aus ihrem Hals kam nur ein undefinierbares Krächzen. Schließlich, als sie schwer atmend am Boden lag und keinen weiteren Versuch mehr machte, auf die Beine zu kommen, zerrte er sie hoch und klemmte sie sich wie einen Sack Kartoffeln unter den Arm. Im Vorbeigehen bückte er sich nach ihrer Handtasche und nahm auch ihren Mantel vom Haken im Flur.

Vor dem Hauseingang stellte er sie wieder auf die Füße, öffnete mit einer Hand die Tür und schubste Sylvie hinaus. Dabei achtete er darauf, dass er sich direkt hinter ihr befand und ihr Körper seinen deckte, doch seine Vorsicht war schien unnötig. Er trug sie zu ihrem Wagen, setzte sie auf den Beifahrersitz und sich selbst ans Steuer.

Ein paar Augenblicke wartete er noch, dann fuhr er los und schlug den Weg zum Klinikum ein. Auf halber Strecke, am Bürgermeister-Bade-Platz hielt er an, machte ihr die Fesseln los und sagte: „Ich mache jetzt noch einen kleinen Spaziergang zum Krankenhaus. Falls Sie mich in den nächsten Tagen suchen, werden Sie mich dort finden. Und was den Speicherchip betrifft - den habe ich Ryland Mikkelsen im Flugzeug zugesteckt.“

„Du ...“

„Ja, ich. Entweder, er hat seine Taschen nicht durchsucht oder er hat seinem Stellvertreter nichts gesagt. Ich an Ihrer Stelle würde beten, dass die erste Möglichkeit zutrifft.“

Er stieg aus und sagte dabei: „Denn die Zweite bedeutet, dass tatsächlich jemand mit Ihnen gespielt hat. Aber das war nicht ich. Ganz sicher.“
*****ree Frau
21.371 Beiträge
Ich hoffe, das hier geht noch weiter *top*
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.