Stereotypisches Thekenmännergespräch (Part 31)
Ich habe den Hexenschuss nicht gehört
Die letzten Monate hatte mich eine tiefe Depression durch das Leben begleitet. Zuerst bemerkt man das nicht selbst, aber spätestens wenn man mit einem Hexenschuss vor Schmerz schreiend im Bett erwacht, sollte man erkennen, dass das Leben nicht rund läuft. Würde jemand mit mir in einem Haushalt leben, hätte er oder sie, sich oder mich, besorgt gefragt, was denn los sei. So aber verhallte mein Schmerzensschrei im leeren Nichts, als ich heute morgen versuchte, mich aus dem Bett zu erheben.
Durch eine Furt aus körperlichem Schmerz, der in völlig überraschenden Momenten zuschlug, quälte ich mich durch den Morgen. Schnell waren die Information gesammelt: Geh nicht in eine Schonhaltung. Arbeite gegen den Schmerz. Bewege Dich, auch wenn es weh tut. Lass dich nicht von schmerzhaften Stichen im Rückenmark erschüttern. Mit kurzen Schritten verließ ich also Bett, Arbeitsplatz und Wohnung und tatsächlich: Eine einstündige Wanderung machte mich wieder beweglich und beinahe schmerzfrei. Beinahe – eine halbe Stunde E-Mails checken danach brachte mich schon wieder an den Rand des körperlichen Wahnsinns. Der Weg vom Bürostuhl zur Kaffeemaschine erschien mir weiter als die lange Erfolgsleiter des TV-Redaktions-Volontärs zum Grimme-Preisträger.
Zwischendurch hatte ich seit dem schmutzigen November helle Momente. In einem Rausch von Mut griff ich zum Telefon, um mit Paula zu telefonieren. Mein Herz schlug immer noch für sie, als wäre es ein Pumpwerk zur Versorgung einer ganzen Stadt mit sauberem Trinkwasser. Das Gespräch verlief leider wenig zielführend. Sie fand meine Gartenparty-Aktion, die zum Absturz von Arno am Rande der Bierbank führte, nach wie vor unangemessen, wenn nicht sogar verletzend. Ich verlor im Telefongespräch schnell die Lust, mich zu rechtfertigen, denn nach wie vor fand ich es sehr geschickt, jemanden so abzuservieren, ohne die eigene, pazifistische Überzeugung verletzten zu müssen. Niemand musste sich prügeln. Trotzdem fiel der Konkurrent im Buhlen um Paulas Aufmerksamkeit ordentlich auf die Schnauze.
Eigentlich gab mir das Leben keinen Grund zu Depression und Rückenschmerzen. Ich hatte meine Arbeit, Einkommen und Freunde.
Freunde? Was sind Freunde eigentlich? Hätte ich heute morgen einen meiner Herrenrunden-Theken-Partner anrufen können, wenn ich es wirklich nicht aus dem Bett geschafft hätte? Oder wäre ich jämmerlich auf meiner Matratze verdurstet, während die Kameraden bei Helga an der Theke hockten und sich gelegentlich fragten, was eigentlich aus dem Peter wurde und wieso er sich nicht mehr blicken ließ? Was, wenn ich nicht mehr hoch komme? Würde sich meine Ex Silvia um mich kümmern?
Ich sollte das überprüfen. Ich war lange nicht in Helgas Kneipe. Vielleicht war mir das zu viel Veränderung und frischer Aufschwung der anderen, während ich sesselfurzend auf dem Sofa vergammelte, bis sich die lahmgelegte Muskulatur mit einem Hexenschuss rächte. Nur noch unter die Dusche, um die steifen Muskeln mit heißem Wasser zu lockern, um die paare Schritte zur Theke meistern zu können.
„Ceviche hab´ ich gegessen beim Präsidenten unserer Maklergruppe, komische Fischwürfel mit Zitronengeschmack. Eine echte Bratwurst wäre mir lieber gewesen ...“ erzählte der stumme Olli jovial in der Männerrunde. Ich trat von hinten ran und gab ihm einen Klaps auf die Schulter:
„Olli, Ceviche klingt klingt für mich eher wie ein fieses, orientalisches Zuckergebäck.“
Die Jungs drehten sich zu mir um und freuten sich aufrichtig:
„Schau mal an, der Peter, er lebt noch!“
„Hey, lange nicht gesehen, setzt dich zu uns!“
„Na, hast du deinen alten Arsch endlich mal wieder vom Sofa hochbekommen?“
„Ja, habe ich, und das war wegen Hexenschuss gar nicht so einfach“, freute ich mich mit ihnen, und es folgte ein langes Fachsimpeln über die Volkskrankheit mit ihrer scheinbar tausendjährigen Geschichte.
„Wie auch immer, so ein Barhocker ist genau das richtige für mich, da muss man so schön gerade sitzen und kann nicht in die Schonhaltung gehen“, erklärte ich und bestellte die nächste Runde für alle, was moralische Pflicht eines Säufers bleibt nach langer Abwesenheit an der Stamm-Theke.
Die nächste Runde spendierte Olli, der tatsächlich etwas zu feiern hatte: Er hatte als selbständiger Immobilien-Makler sein erstes Objekt verkauft.
„Wie hast du das nur geschafft?“, zog ihn Klaus auf, „hast du so lange bei der Besichtigung geschwiegen, bis die Käufer entnervt jeden Preis akzeptierten?“
Der stumme Olli grinste nur süffisant und erhob das Glas zum Anstoßen.
Ich fühlte mich wieder wohl in der Runde. Alle dunklen Wolken waren wie weggeblasen und die körperlichen Schmerzen vergessen. Es gab witzige Wortgefechte, herrliche Anekdoten und feucht-fröhliche Würfelspiele.
„Jungs, ich geh mal pinkeln“, flötete ich. Irre, fünf Bier und noch nicht einmal zur Toilette, das muss an den Schmerzmitteln liegen.
Der Schmerzensschrei hallte durch die gesamte Kneipe und Helga fiel ein Glas aus der Hand, als ich vom Barhocker abstieg und unvermittelt in die Knie ging.
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Für all die Neuen hier: Das ist endlich mal wieder ein weiterer Teil einer inzwischen langen Serie.
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