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Zwischen Stühlen. Und die Frage, wer den Himmel fingert

******nyx Frau
1.322 Beiträge
Themenersteller 
Zwischen Stühlen. Und die Frage, wer den Himmel fingert
Initialzündung für dieses dreiteilige, kleine Miststück ist einmal wieder das pralle Leben und eine im Wortsinn „höchst” beachtliche globale Entwicklung mit nicht eben geringer sozialer Sprengkraft.

Außerdem geriet mir die Steilvorlage der acht vorgegebenen Begriffe in die Hände, die eigentlich in unser Geschichtenspiel gehört (https://www.joyclub.de/my/4014352.hyperica.html, sehr inspirierend, danke), die da sind: zartbitter, Fußball, Kaffeemaschine, Unterwäsche, Kaugummi, unabdingbar, Hottentotten und himmelrosa. Na, wenn das nicht eine Herausforderung ist!

Ohne dass ich es wirklich verhindern wollte, verselbständigten sie sich zu einer Episodengeschichte, die der Liebe an sich, der zur Architektur und vor allem der zum Schreiben gewidmet ist. Und eine Mixtur, die sich ganz nebenbei an dem vergreift, das sich am Himmel vergreift ...
*anmach*

(Nun würd’s mich natürlich freuen, wenn ihr es „bodenständig” oder gar „himmlisch” fändet und nicht sooo sehr „unterirdisch” ,-).

Herzlichen Dank auch fürs öffentliche Einstellen an Antaghar und unsere Mods.


*blumenschenk*
__


Zwischen Stühlen.
Und die Frage, wer den Himmel fingert


Teil 1


Zart diesseits

„Zart & Bitter”, schnarrt er in den Hörer, fischt sich den Biokaugummi vom Zahn, klebt ihn unter die Mahagonikante des Tisches und lehnt sich zurück. Er hört zu. Wippt vor, hält inne. Kippt doch wieder nach hinten. Ein unbewusstes Spiel zwischen seinem Gleichgewichtssinn und dem mechanischen Widerstand des Schreibtischstuhls beginnt, das sich in der Folge wiederholen wird. Nach kurzer Zeit streicht er sich durchs Haar bis es halsfern über dem Kragen liegt und zollt dem Anrufer mehr Aufmerksamkeit als üblicherweise an einem Freitagabend, wenn eigentlich schon alles gelaufen ist.

Er greift nach der Armlehne des in die Jahre gekommenen, schnörkellosen Bürostuhls, der aus einem der ehemaligen Hafenkontore an den Chelsea Piers stammt. Genaugenommen vom Pier 54, dem legendären, an dem am 20. April 1912 die Überlebenden der Titanic anlandeten. Im Ersten Weltkrieg wurden von hier aus die amerikanischen Eingreiftruppen gen Europa verschifft. Ebenso im Zweiten. Alle wichtigen Linien von und nach Europa bedienten Pier 54: Der Norddeutsche Lloyd mit seinem Stammsitz in Bremen, später Hamburg, und zahlreiche mehr. In jeden Stein dieser Quaimauern schrieb sich fast ein Jahrhundert menschliche Hoffnung ein und für nicht Wenige wurde dieses Pier zur Wendeplatte ihres Schicksals. Er nimmt die Schultern zurück, gibt dem Stuhl eine Vierteldrehung und hält, nachdem dieser sich halbwegs willig, nur mit einem Klackern der Kugellager seiner Rollen vor dem Fenster positionieren lässt, inne. Er sieht auf das Chaos der Kreuzung ohne es zu sehen. Kein Vor und Zurück mehr. Sein massiger Körper regungslos. Er ist ganz Ohr.


~
Zart jenseits

Eine Stunde später zieht er am 120 Sinatra Drive in Hoboken einen der Hocker zu sich, setzt sich an die Ecke des Tresens, die Uferpromenade wie die Einmündung der 2nd Street vor sich. Er will sehen, wenn er kommt. Er winkt Red Kapp, dem Bartender, ein Deutsch-Ire wie er, und ordert sein Bier, wie so oft. Das Sunset Red Ale stammt auch von dort drüben, von den Piers. Es ist sein Bevorzugtes der Chelsea Brewing Company, der einzigen traditionellen Brauerei im Herzen New Yorks. Der erste Schluck zischt erfrischend, rinnt ihm fast zu flott durch die Kehle. Er schiebt seinen Hintern nun ganz auf den Barhocker. Sein Blick schweift in die Ferne. Er sieht durch die spiegelverkehrten Goldlettern des Schriftzuges „Wicked Wolf” auf den Scheiben der Bar und Tavern hindurch auf den Hudson River und hinüber zur Isle of Manhattan.

Als er vor besagter Stunde ebendort, fast genau gegenüber, das Büro verließ, hatte das Himmelrosa über dem Fluss sich bereits im Blutorange des Sonnenuntergangs gelöst und dessen letzte Glut ergab sich just der Dämmerung, als er den „Bösen Wolf” betrat. Zac nennt diese Tageszeit insgeheim ‚die Stunde der Wahrheit’ und betrachtet mit Hingabe das tägliche Unterliegen des Lichts vor der Macht der Nacht. Zac, Zac. Er heißt nicht bloß Zac, natürlich nicht. Er heißt Zachary, weil seine irische Mutter es so wollte. Er sollte denselben Namen tragen wie sein Vater, Zacharias Zart, ein deutschstämmiger Jude. Dieser hatte stets betont, dass sie für die Christen immerhin nach einem der zwölf Propheten hießen und ihr Vorname im Hebräischen wie Arabischen „sich erinnern” bedeute. Zac mag diesen Namen und auch die vom Vater ererbten Einszweiundneunzig. Oh ja, er schätzt Größe durchaus, besonders in dieser Stadt, und er findet, Zac Zart habe gerade bei einem sportlichen und recht kräftigen Kerl einen guten Klang.

Inzwischen macht sich auf der anderen Seite die Skyline von Lower Manhattan ausgehfein und wirft sich in den übertrieben gleißenden Lichterornat, der unweigerlich „Weltstadt” ruft. Zacs Blick schweift über den Hudson, hinüber zur Südspitze Manhattans und zum One World Trade Center, Welthandelszentrum oder kurz WTC 1. Erbaut kaum 200 Meter neben Ground Zero, auf dem psychologischen Schutt der jüngsten Geschichte und der zerstörten Zwillingstürme des ursprünglichen WTC. Erbaut auf dem Faktum jener gnadenlosen Aggression gegen die westliche Kultur und deren ikonischem Zeichen für Wirtschaftsmacht. Nun ragt dort ein Monolith gen Himmel, ein gläserner Demonstrant. Ein dreidimensionaler Spiegel eines glattgeschliffenen, reinen Willens zum Superlativ.

Mit seinen 541 Metern ist das World Trade One das offiziell höchste Gebäude in New York City, wobei die letzten 124 der Turmspitze und Antenne zuzurechnen sind. Zugleich ist es der höchste Wolkenkratzer der USA wie der westlichen Welt und derzeit auf Rang 6 der Gebäudegiganten der Welt. Ein in Materie gegossenes Versprechen einer silberglänzenden Zukunft.

Zac löst sich von dessen Anblick mit dem immer gleichen widerstreitenden Gefühl, das sich zu gleichen Teilen aus Staunen und einem Schauer speist, der ihn kühl überkommt und den er bis in den Magen spürt. Er zitiert in Gedanken seine Partnerin:

„Erdacht als Symbol eines prismatischen, alles überstrahlenden Futurismus und doch entlarvt es sich durch die Anmutung eines High-Tech-Donnerkeils.”

So hatte sie in ihrer Rezension zur Einweihung des WTC 1 geschrieben. Er erinnert sich, denn sie sprachen lange über die Bandbreite der möglichen Reaktionen und hatten nicht locker gelassen, bis die Schärfe ihrer Meinung nach noch vertretbar war und auf den Punkt passte. Es war der Schlußsatz ihres Artikels „Wenn eine Wirtschaftsmacht Zeichen setzt” oder hieß er am Ende doch „Wie man der Welt den ästhetischen Mittelfinger zeigt”?

Zac denkt an sie. Jetzt, in diesem Moment der Ruhe, die ihm notgedrungen das Warten beschert. Er sieht ihr Gesicht vor sich. Denkt an ihr langgezogenes, weich ausgesprochenes „.Z..ac”, dem unweigerlich „Hör dir das mal an bitte” folgt. Er sieht das Funkeln in ihren Augen, wenn er laut vorliest und sie zuhört. Ihr Lächeln und die kleinen Tanzeinlagen, wenn etwas so gelingt, wie sie es sich vorgestellt haben. Sie sind ein eingespieltes Team. Investigativer Journalismus ist genau ihr Ding. Oh ja, ein gutes Team sind sie! Er und seine Mitstreiterin ... im Geiste, im Büro „Zart & Bitter”. So ‚awesome’ wir beide!
Zac lacht laut auf. Stellt sich ihren vor Ironie triefenden Spruch vor, der daraufhin unweigerlich folgen würde. Sie, immer wieder sie.

Sie, die eigentlich längst viel mehr ist für ihn, wenn er es sich denn eingestünde.


~
Zart jenseits, mit dem Kopf diesseits

Sein Blick gleitet etwas weiter nördlich, Richtung Midtown Manhattan, und über das Spektakulum des in sich verschränkten Häusermeers. Da ragen sie empor, geballt, die Wolkenkratzer. Leuchtstab an Leuchtstab. Verdichtung auf engstem Raum. Er erkennt die Markanten, liest im Gesicht dieser unvergleichlichen Stadt. Er lässt es auf sich zu schwimmen, saugt es mit den Augen auf, das weithin sichtbare Irrlichtern ...

Die Nachtanzeige eines artifiziellen Bewuchses.

Zac konzentriert sich, sieht genau hin. Es ist seine Stadt, er kennt sie nur allzu gut. Bestimmt komme ich deshalb so gerne hierher, nach Hoboken, New Jersey, weil ich sie neu betrachte, distanzierter, wenn ich auf der „anderen Seite” bin und über den Hudson zurück oder auf sie schaue. So wie jetzt auf mein noch recht moderates, im Vergleich flaches Downtown, aus dem wie bei einem Lückengebiss lediglich einzelne Stümpfe ragen. Im Gegensatz zum „raffzähnigen” Midtown, das sich für den Nabel der Welt hält, was es ist oder auch nicht. Zacs Blick frisst sich fest an Midtown. Er nimmt Maß am Übermaß. Turm an Turm, ein jeder gekrönt von einem Positionslicht, das dem Flugverkehr deren absolute Höhe signalisiert. Diesem fernleuchtend roten Blinken, das wirkt, als seien sie konkurrierende, nach Beachtung gierende, göttliche Zitzen, die dem Himmel denselben auf Erden versprechen.

Am neuesten Laserpointer am Ostküstenhimmel, dem spitteldürren Herzeigestock New Yorks, dem „Condominium Tower”, flackert es an der architektonischen Eichel des aufgerichteten Recken allerdings nur müde. Rohrkrepierer, denkt Zac missgünstig, gleich hat es sich ausgeleuchtet und er schrumpft fürs Erste auf ein angemessenes Maß zurück.

Der Condominium Tower an der Park Avenue oder kurz Condo 432 Park, verzeichnet mit seinen 426 Metern knapp neun Meter mehr als der Baukörper des World Trade One. Damit ist er nun de facto der eigentliche vertikale Wolkenanschlag New Yorks und ohnehin der höchste Wohnturm der Welt. Er ist bleistiftdünn und setzt das erprobte Verhältnis von eins zu fünf der Grundfläche zur Gebäudehöhe mit beachtenswerten eins zu fünfzehn (!) außer Kraft. Seine Technik ist komplex, mehrere Geschossebenen sind gänzlich offen und lassen Windböen hindurch, um dem enormen Druck, der auf ein Bauvolumen in solch schwindelerregender Höhe wirkt, nicht nur Angriffsfläche zu bieten. 600 Tonnen schwere Pendel sowie reichlich Schwingungsdämpfer gleichen die Windlasten aus. Der Erbauer Harry Macklowe, Immobilienmogul wie Trump, allerdings weniger als dieser auf eine demonstrative Vergoldung des eigenen Egos aus, ist mächtig stolz auf seinen neuesten Coup, dem Himmel ein Stück näher zu kommen. Zumal die Finanzierung seines gleichförmig gerasterten Wolkenstechers mit dem Charme einer Exceltabelle auch nicht ohne ist: Sie fußt natürlich auf geliehenem Geld von Banken und Investoren, wobei arabische Vorfinanziers den größten Anteil stellten. Gerade bezugsfertig sind sie übrigens, die 104 Wohnungen auf 88 Stockwerken ... Da geht folglich noch was!

Die Penthouse-Wohnungen ganz oben für durchschnittlich 90 Millionen Dollar das Stück sind zwar schon alle weg, aber von den günstigen, den Dreizimmerwohnungen weit unten oder denen in Nordausrichtung sind noch welche zu haben. Für 17 Millionen.

Schnäppchen also in einer übergeschnappten Welt.

Zu allem Überfluss ist klar, dass die amerikanischen, arabischen, russischen, asiatischen, europäischen ... Käufer bzw. Investoren solcher Apartments nicht wirklich darin wohnen, sondern sie höchstens ab und an nutzen. Einen Großteil des Jahres stehen solche vertikalen Tresore als leere Hüllen der Eitelkeit und der finanziellen Potenz herum. Als Symbole eines außer Kontrolle geratenen Turbokapitalismus.

Wen wundert es nun, dass der Condominium Tower schon gleich zu Beginn seines Lebens als Hochmütiger umgetauft wurde? Sein erster zündender Name ist „Streichholz der Milliardäre”.

Und auch sein Zweiter ist ähnlich gelungen. Er lautet: „Längster Mülleimer der Welt”. Finanzmagnat und Baulöwe Macklowe hat nämlich eine ausgeprägte Vorliebe für die Schlichtheit der klassischen europäischen Moderne und nahm sich einen Entwurf der Wiener Werkstätten für seinen Wohnstengel zum ästhetischen Vorbild. Und zwar den berühmten Mülleimer von Josef Hoffmann aus dem Jahre 1905.

Und genau das sieht man auch.


~
Bitter diesseits

Auf der New Yorker Seite des Hudson springt zur selben Zeit Zacs Partnerin auf und umarmt einen „jungen Wilden”, wie sie ihn nennt. Er betritt gerade das „Spotted Pig” an der Greenwich Ecke 11th Street West im Village. Sie selbst war erst vor ein paar Minuten hereingestürmt, hatte ihr Laptop auf den Tresen gelegt, ihre Überlebenstasche aus Lastwagenplane auf den Dielenboden der Kneipe geknallt und „Matt, gib mir ein Ginger Ale, schnell bitte, ich dreh’ gleich durch vor Durst!” gerufen. Sie war den Weg dreifach gelaufen, musste noch einmal zurück zu Zacs und ihrem Büro in der Gansevoort Street, einige Blocks in nördlicher Richtung, ziemlich genau auf der Höhe des Piers 54 und im ehemaligen Meatpacking Distrikt. In der Aufregung hatte sie ganz vergessen, Sicherungskopien ihrer aktuellen Dateien zu machen. Sie glüht und wirft fast den mit Animal-Print Marke Tiger bezogenen Barhocker um.

Der junge Mann kommt ihr entgegen, federt lässig ihren Schwung ab, hebt sie hoch, als wiege sie nichts und stellt sie erst ab, als sie ihn „Hottentotten-Hipster” tituliert und an seinem Kopfputz zu ziehen droht.

„Bonnie Bitter! Hübsche. Meine erklärte Lieblingsinfluenza”, grinst er anzüglich und verstellt seine Stimme ins Theatralische. „Du eine Einzige mit deinen französisch-schottischen Wurzeln. Holde sommersprossige Dunkelziffer unter den Influenzern und spitzfindigen Schreibern – ja, wirf nur deine schwarzbraunen Locken und funkle mich an! Das ist keine Abwehr, die mich schreckt. Wo pfeift denn der steile Zahn?”

Zur Strafe lässt er sich grünäugig blitzen und seinen akkurat gestutzten Bart von frechen Fingern kraulen. Er reckt ihr sogar ein klein wenig sein Kinn entgegen. Dann lächelt er verschmitzt – oder beschwichtigend, wie er meint – und bestellt einen Darjeeling White Flush. Sie setzt sich endlich und vernichtet ihr Ginger Ale fast auf einen Zug.

Während Bonnie ihren Rechner hochfährt, sagt sie: „Gibt mir einen deiner Sticks bitte, Amin, Vertrauenswürdiger. Mir ist vor zwei Tagen mitten auf dem Washington Square und am hellichten Tag meine Festplatte gestohlen worden und ich übersehe noch nicht, ob das nur unangenehme oder gar erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen wird. Ich sollte sicherheitshalber einen Satz – und zu unser beider Schutz – verschlüsselter Dateien bei dir deponieren.

Ist das in Ordnung für dich?”


/ 2
12.2017©Nyx

.
****orn Mann
11.994 Beiträge
Donnerwetter, was für eine Geschichte! *wow*
Da kennt sich aber jemand gut aus in NYC und seinen Kneipen! *ggg* Zac Zart gefällt mir schon jetzt!

******nyx:
„Bonnie Bitter! Hübsche. Meine erklärte Lieblingsinfluenza”, grinst er anzüglich und verstellt seine Stimme ins Theatralische. „Du eine Einzige mit deinen französisch-schottischen Wurzeln. Holde sommersprossige Dunkelziffer unter den Influenzern und spitzfindigen Schreibern – ja, wirf nur deine schwarzbraunen Locken und funkle mich an! Das ist keine Abwehr, die mich schreckt. Wo pfeift denn der steile Zahn?”

Diese Zeilen aber hier, die lassen mich danhinschmelzen! *spitze* Ganz ganz großes und sehr spezielles Anima Nyx - Kino!
*top2*
Was für ein bebender und zuckender Absatz!

Ein Abfalleimer aus dem Jahre 1905, der als Vorlage für einen gigantischen Wolkenkratzer diente? *lol* Genial!
*******y42 Mann
1.027 Beiträge
Liebste Nyxe
Ich gebs unumwunden zu, habe es noch nicht geschafft, die ganze Geschichte zu lesen, da ich schon zu Beginn mit Zac in der glutigen Abenddämmerung dahingeschmolzen und schliesslich in der Bar versackt bin.
Ich habe es grade noch geschafft, mir die archtitektonischen Grundprinzipien moderner Architektur zu vergegenwärtigen, die Du nur aus der Zusammenstellung dieser wenigen Fotos großartig herausgearbeitet hast.
Später kese ich mehr und weiß schon jetzt, dass ich mich nach den weiteren Teilen sehnen werde...
It´s me!
*********ld63 Frau
8.132 Beiträge
Höchst beachtlich...
... ist nicht nur die globale Entwicklung mit all ihren Auswirkungen - sondern vor allem deine himmelstürmenden Geschichten, die aus solchen Themen entstehen, anima_nyx! *bravo*

Dieser hypnotische Mix aus lebendiger Hafenatmosphäre in N.Y., dem investigativem Journalismus eines Protagonistenpaares, die sich mir mit ihrem charmant-spleenigen Charakteren sofort in die Hirnrinde einbrennen! Und das alles inmitten der Hauptstadt der Superlative ... das muss ich mir ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen, sonst verpasse ich all die feinen, liebevoll gezeichneten Details, und das wäre zu schade! *love*

Mal ganz davon abgesehen, liebste Nyxe: Bisher ist es noch niemandem gelungen, mich für Architektur zu begeistern... bis eben wusste ich nicht, wie spannend das Thema sein kann:

Sein Blick gleitet etwas weiter nördlich, Richtung Midtown Manhattan, und über das Spektakulum des in sich verschränkten Häusermeers. Da ragen sie empor, geballt, die Wolkenkratzer. Leuchtstab an Leuchtstab. Verdichtung auf engstem Raum. Er erkennt die Markanten, liest im Gesicht dieser unvergleichlichen Stadt. Er lässt es auf sich zu schwimmen, saugt es mit den Augen auf, das weithin sichtbare Irrlichtern ... Die Nachtanzeige eines artifiziellen Bewuchses.

*spitze*

Ich fange an zu lesen und fühle mich plötzlich wie im Kino - und das ist ganz großes Kino in Slow-Motion und 3-D! *hypno* So lehne ich mich in den Sessel zurück und will nur noch, dass "dein Film" weiter geht!

*zugabe* *roseschenk*
**********henke Mann
9.638 Beiträge
Das ist ...
... einer der Momente, in denen ich dasitze und mir sage: So wirst Du nie schreiben können!

Allerdings dauert das nur einen Moment und dann nehme ich mir vor, dass eines Tages auch aus meiner Feder ... immerhin kenne ich ja auch einige Weltstädte...

Liebe Nyxe, das ist ganz großes Lesekino, und diesen Film werde ich mir noch einige Male anschauen.
Ich sehe das "Streichholz der Milliardäre" in ein weißes Tuch gehüllt.
Ein Tuch, das mit den Lettern deiner begeisternden Erzählung bedruckt ist.

Tom (the Sun)
*********2016 Mann
2.250 Beiträge
Anima
Eine wahnsinnig tolle Geschichte mit einer mitreißenden Persönlichkeit namens Zac Zart. Ein Protagonist der einen sofort gefangen nimmt.
Ganz großes Kino und ein aufregendes Lesevergnügen.
Und danke für deine, wie immer, hoch präzise Recherche. *hutab* *hutab* *danke*
Keine Beschreibung angegeben.
*******W49 Mann
754 Beiträge
Erste Sahne!
Das lässt sich ja wieder mal super an! Dein hervorragender Schreibstil fasziniert mich stets auf's Neue. Eine Gebäudebeschreibung wie: "den Charme einer Exceltabelle". Auf die Idee ist nicht leicht zu kommen. *lach* Bravo! *top*
****06 Frau
5.787 Beiträge
NY und Vorweihnachtszeit gehören bei mir zusammen.
Danke Nyxe, dass du uns lesend diese Reise hast machen lassen.
*roseschenk*
*****e_M Frau
8.365 Beiträge
*omm*

Nach der Schnelligkeit muss ich erstmal wieder die Füsse in den Boden krallen...

Was für eine Geschichte und was steckt da alles drin! Ich bin stark beeindruckt.

Danke anima_nyx für die Bilder und Einblicke, die toll modelierten Wortgebäude und den pulsierenden Soundtrack.

*omm*
WOW!!!
Deine verbale Potenz erreicht ähnlich schwindelnde Höhen wie die New Yorker Zeichen der finanziellen Potenz!

Ich geselle mich zu Zac an die Bar und folge den eindrucksvollen Bildern, die Du an die Skyline malst *top2*
****orn Mann
11.994 Beiträge
Genau, liebe Oralia, und ich geselle mich zu Bonnie Bitter und bestelle einen Manhattan, mit viel Angostura.
*cocktail*
*****169 Frau
6.114 Beiträge
Mit spitzer Feder
skizzierst du die archetektonische Welt aus Streichholz und Mülleimer und servierst uns dafür ein grandioses verbales Kunstwerk der Extra-Klasse!
*hutab* liebe Anima *spitze*

Welch ein exquisiter zart-bitterer Genuß!

*bravo*
Nyxchen,
mich hast Du gerade auf dem falschen Fuß erwischt.
Zuviel Info in langen Sätzen in zu kurzer Zeit in zu kleines Gehirn.
Ich werde mir das köstliche Pralinée in einer ruhigeren Minute zu Gemüte führen. Nicht so zwischen Tür und Angel. *ja*
**********u_Mad Paar
1.216 Beiträge
Getroffen
Du weißt ja, warum ich die Geschichte sehr mag!
****orn Mann
11.994 Beiträge
Lasst uns den Himmel fingern!

*sabber*

*walk*
******nyx Frau
1.322 Beiträge
Themenersteller 
Finde auch, dass das Thema Architektur sehr „sexy” sein kann. Und bei Stadtplanung und deren sozialen Auswirkungen geht es sogar richtig unter die Haut.
*anmach*

Vögeln scheint ebenfalls ein besonders anzügliches Verhältnis zu manch speziellem „Baukörper” gegeben zu sein ,-)

.
Schmacht!
nun beim zweiten Lesen konnte ich mir jedes Bild, jede metaphorische Beschreibung auf der Zunge (oder im Ohr ... im Herz?) zergehen lassen! Wow!
Wenn
ich nur mehr Zeit hätte, diesen wortverursachten Rausch besser zu würdigen *rotwerd*

Wird es eine lange Geschichte? Egal - ich bin eh mittendrin. Gefangen zwischen höchst höchsten Bauwerken und Schicksalen und der puren Lust am Wort. An jedem Einzelnen *g*

Wow *bravo* *g*
******nyx Frau
1.322 Beiträge
Themenersteller 
Ihr Lieben, habt ein frohes und inspirierendes Neues, wenn ich das nicht schon persönlich gesagt habe.
*bussi*


Allerliebsten Dank! So viel Himmelsblau und Spiegelglanz ist in Euren bezaubernden Kommentaren zum Teil 1 – Ihr macht mich ganz verlegen ...
*rotwerd*


Es ist reichlich Zeit vergangen nun bis zum zweiten Teil, aber das macht ja nichts. Das Adventsspiel, der Jahreswechsel, das Jubiläum und Abwesenheiten hier und da, beanspruchten auch ihr Recht. Ich denke, den Schluss der ersten Episode brauche ich dennoch nicht hier eingangs noch einmal einzublenden – man könnte ja eine Seite zurückblättern, wenn der Anschluss in Erinnerung gebracht werden soll.

Zum Kernthema Architektur, Finanzpolitik und Stadtplanung gab es einige Nachfragen, daher so viel: Die markanten Inhalte, die erwähnten politischen Zusammenhänge, die Daten, Fakten, Zahlen, Namen und selbst die Kneipenadressen für dieses „dreiteilige, kleine Miststück” zur sozialen Sprengkraft der Strukturpolitik in Großstädten, sind aus dem echten Leben New Yorks gegriffen und stimmen, sofern mir nicht irgendwo ein Fehler unterlaufen ist. Sowohl der allgemeine Kontext der Vertreibung der eigentlichen Bevölkerung und des ortsansässigen Handels aus den Zentren sind sehr real. Auch der Fall des Immobilienrtycoons Macklowe, des Investors unter anderem des Condominiums 432 Park, geht derzeit in NYC in die nächste Runde.

Wünsche Euch trotz des im Kern sozial bitteren Anteils des Inhaltes ein eher zartes Lesevergnügen ...
*anmach*

__

Zwischen Stühlen.
Und die Frage, wer den Himmel fingert


Teil 2


Zart seinerseits jenseits

Zac erkennt ihn sofort und nichts anderes hatte er erwartet. Er entsteigt einer Stretch-Limo im üblichen Unauffälligkeitsschwarz, ein Lincoln Town Car, Signature Series. Nicht sonderlich neu oder lang, nur eine der vielen Limousinen, in denen Chauffeure unablässig durch Manhattan zirkulieren und die zur Grundausstattung der sogenannten „Entscheider” in Wirtschaft und Politik unabdingbar dazugehören. Zac scannt ihn auf den wenigen Metern von der Drehtüre des Wicked Wolf bis zu ihm an die Bar: Gediegene Kleidung, smarte Erscheinung, knappe 40 wie er, einen guten Kopf kleiner. Ein Leichtgewicht, aber agil.

Zac hört lange zu, betrachtet ungläubig die Fotos, lässt sich die Papiere erläutern. Er zwingt sich, cool zu bleiben. Stellt einige Rückfragen. Schließlich zieht der Smarte einen Umschlag aus dem Jackett, lässt ihn hineinschauen und steckt ihn wieder weg. Er legt eine 20-Dollarnote neben die Kaffeemaschine auf den Tresen, schiebt ihm die Mappe mit den Unterlagen herüber. Dann fixiert er Zacs Blick mit graublauen Augen, sagt leise und in einer Tonlage, die keinen Widerspruch wünscht: „Wir setzen auf ihrer beider Kooperation.”

Keine Minute später fährt sein Fahrer vor und er verschwindet so unaufdringlich wie er kam.

Zac starrt auf einen der Monitore im Hintergrund der Bar. Fußball, Major League. Der FC New York führt gegen Chicago Fire. Das Bild wechselt. Nachrichten-unterbrechung. Er sieht Trumps maisfeldgelben Schopf und in sein von hektischen Flecken gerötetes Gesicht. Zac liest die Headlines mit: Trump will die Beseitigung der von Obama geschaffenen Verordnung zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Nahaufnahme. Trump fordert die Streichung von Obamas Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels. Überblendung, Werbung. Nur ein Spot: Walmart. Schnitt. Zurück zum Newsticker: Der Maisgelbe verkündet, dass Profit und Wirtschaftinteressen auch die Leitlinien für Investitionen des Bundes sind (Also private Interessen! ruft Zac verärgert, aber tonlos dazwischen. Blabla, als wüsste das nicht jeder längst). Und schon bleckt der Gelbe die Zähne, sein Schlußmantra ist an der Reihe: „America first!”, dröhnt er und reißt die Faust empor. Schnitt. Walnut-Muffins, Immobilienversicherung, Starbucks. Schnitt. Kurzwetter: Hochnebel, Inversionswetterlage (Das passt). Schnitt. Investment-Banking (Im Hintergrund erkennt Zac die allzu gerne strapazierte Fassade der Wallstreet 1). Schnitt. Sitcom-Vorschau. Schnitt. Super-Size-Irgendwas, Vegane Hotdogs, Herztabletten. Himmel!

Zac dreht sich weg. Schaut hinüber.
Zum Himmel über Manhattan.


~
Bitter diesseits, im Kopf abseits

Unterdessen pfeift Amin ebendort, genaugenommen im Spotted Pig, durch die Zähne. Er legt die Stirn ein wenig kraus, greift kommentarlos in die Tasche, klinkt einen Speicherstick vom Schlüsselring und reicht ihn Bonnie. Er sieht sie an. Bonnie schüttelt nur kurz den Kopf, steckt den Stick in die Buchse ihres Laptops, wartet einige Sekunden bis dessen Anzeige auf dem Desktop erscheint, wählt drei Ordner aus, die mit Chiffren benamt sind und zieht die Dateien herüber. Nun wendet sie sich Amin zu, hält ihn mit den Augen fest: „Du weißt, woran ich gerade arbeite?”

Er nickt: „Macklowe und Konsorten.”

Statt des Daumens nimmt Bonnie den Mittelfinger hoch und macht die gleiche Geste der Bestätigung, wie sie für den Daumen gebräuchlich ist. Eine durchaus herbe Geste, vollführte nicht der Schabernack in ihren Pupillen dazu ein paar diabolische Sit-ups. „Exakt!”, sagt sie und verstärkt damit den zustimmenden Charakter ihres hintergründigen Handzeichens, kontrolliert mit einem Seitenblick den Kopiervorgang und spricht weiter:

„Wir sind ganz nah dran an Macklowe und ein paar anderen der Freibeuter-Gattung. Aber nicht nur. Im großen Bild geht es um den Totalausverkauf sozialverträglicher Lebensumstände. Der Boom auf dem Superluxusmarkt ist völlig entgrenzt inzwischen. Kapitalleuchttürme wie das Condo 432 Park, die Luxusläden, das Massensterben der kleinen, inhabergeführten Geschäfte durch die Seuche der Ketten. All diese finanzstarken Stadtkosmetik- und Ertragsoptimierungsprojekte ... Sie breiten sich ungehemmt über ganz New York aus. Wir wissen es. Das treibt die Grundstückspreise in die Höhe und macht die Stadt bald für uns alle jenseits von auch nur irgendwie noch bezahlbar. Den Kleinen, den Betrieben, den Handwerkern geht schon seit Jahrzehnten sukzessive die Luft aus. Wir verzeichnen Rekordzahlen bei Zwangsversteigerungen, die Obdachlosigkeit steigt und steigt. Die Polarisierung unserer Gesellschaft beschleunigt sich und zwar dramatisch. Gut jeder Fünfte lebt jetzt schon unter der Armutsgrenze. Nirgends in den USA ist das Einkommensgefälle größer als hier bei uns in New York City.”

Bonnie sieht aus dem Fenster, eine Gruppe jugendlicher Touristen zieht lachend vorüber. Sie schaut ernst.

„Wusstest du, dass Macklowe bei Nacht und Nebel am Times Square zwei SROs (Single Room Occupancies) – billige Notunterkünfte für gestrandete Existenzen – abreißen ließ? Nur wenige Stunden später trat ein Gesetz in Kraft, das den Abriss verboten hätte.”

Bonnies Augen werden dunkel. Sie wirft ihre Locken über die Schulter, wendet sich Amin frontal zu:

„Und ich, stell dir vor”, sie tippt auf das Stück gerade noch sichtbarer nackter Haut über ihrem Brustbein, die auch das warmweiße Licht über der Bar just in diesem Moment entdeckt zu haben scheint und genau auf jene Stelle, die einen Hauch mehr zeigt, als nur die Andeutung einer Wölbung, „ausgerechnet ich – und das ist schon fast abrissig gut – halte den Beweis in der Hand, dass er es war, der das Gesetz mit reichlich „Benjamins” * geschmiert und vorsätzlich verzögert hat.” (Mit 100-Dollar-Noten, die das Portrait Benjamin Franklins zeigen).

„Dumm nur, dass ich, um diese Sprengbombe wirklich nutzen zu können, dafür erst eine zweite verlässliche Quelle bräuchte oder einen weiteren Beleg in bestechendem Schwarz-auf-Weiß. Du, sag mal ... Kannst du kluges Köpfchen da nicht vielleicht eine gerissene Idee aus dem Kellergeschoss deiner umtriebigen Existenz zaubern? Amin, mhm?”


~
Zart jenseits, seinerseits abseits

Zac muss nachdenken. Dringend! Das ist ihm klar. Er muss erst einmal begreifen, was eben passiert ist und was das für sie beide bedeutet. Und ich muss mit Bonnie reden, unbedingt.

Verdammt, Selbstgespräche machen das Durcheinander nun auch nicht besser!


Er winkt ab, verzichtet dankend auf das zweite Chelsea Bier, das Red Kapp, der Bartender des Wicked Wolf, ein wahrer Freund seit Jahren schon, vor ihn stellen will. Ein besorgt fragender Blick, aber Red ist zu diskret, um etwas zu sagen. Er hat schon an der Fahrigkeit von Zacs Gesten gespürt, dass dieser im Moment nicht in der Verfassung ist, sich mitzuteilen.

Stattdessen starrt Zac auf die Mappe, die der Smarte ihm keine halbe Stunde zuvor wie eine Stinkmorchel serviert hat. Er will erst zugreifen, schubst sie dann doch ein Stück von sich weg. Sein Blick verirrt sich an die Decke, folgt für ein paar Umdrehungen dem Ventilator, der seinen trägen Dauerdienst mit einem kaum wahrnehmbaren Surren verrichtet. Nun schnappt er die Plastikglänzende und öffnet sie. Zuoberst eine Kopie eines ihrer neueren Artikel.

Einer vom 11-9-2017:

„Es darf nicht dazu kommen, dass all jene Menschen, die nicht zu den Gewinnern im Kapitalismus gehören in ihrer Stadt keinen Platz mehr finden. In einer Stadt wie New York, deren vorletzter Bürgermeister Michael R. Bloomberg zwölf lange Jahre das Ziel verfolgte, ihren Lebensraum in ein Glitzerparadies für Investoren aus aller Welt zu verwandeln. Der ausschließlich auf Wirtschaft und Wall Street schielte und die Verdrängung der sozial Schwachen an die Ränder der Stadt und an den Rand der Gesellschaft durch die „Gentrifizierung” genannte Luxussanierung nicht nur in Kauf nahm, sondern forcierte. Nun ist der Demokrat Bill de Blasio, der als ‚Anti-Bloomberg’ gewählt wurde und zuvor als New York City Public Advocate, als Ombudsmann der Öffentlichkeit das Handeln des Bürgermeisters und der Verwaltung überwachte, eben für eine zweite Amtszeit bestätigt worden. Trump, der präsidiale Bullshitter der Vereinigten Staaten twitterte daraufhin: „Der schlechteste Bürgermeister der USA.” (Das kommt de facto einer Auszeichnung gleich).

Es kann und darf nicht sein, dass breite Schichten der Bevölkerung nur noch als staunende Zuschauer in ihr eigenes Stadtzentrum kommen, als besuchten sie eine Art Disney World – allerdings ohne sich die Eintrittskarte dafür leisten zu können. Bloomberg und seinesgleichen in den Großstädten rund um den Globus, die alle ganz ähnlich agieren, bauen sich einen Plastillin-Spielplatz für ausschließlich die finanzstarken Eliten. Sie heben jetzt die tiefen Gräben aus, die über das Maß eines zukünftigen Extremismus auf der Grundlage massiver sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit entscheiden.”

Zac nimmt sich das zweite Blatt vor. Es ist einer der Artikel, die Bonnie in ihrer Kolumne „Lost, not found” über das Verschwinden des New Yorks der New Yorker schreibt:

„Wo einst unter vollem Einsatz Einwanderer, Minderheiten, Radikale, Queers, einfache Arbeiter und Handwerker, Menschen mit der alltäglichen Hoffnung auf eine Zukunft, diese Insel mit ihrem Mut, ihrer Toleranz und ihrem Einfallsreichtum schufen, applaudieren nun der Größenwahn, die Schamlosigkeit (und die Touristen) den Investoren und Superreichen der Welt, die ohne Nachzulassen die baufällige Festung des Konsums besetzen und ausschlachten. Setzt sich diese Entwicklung fort, werden Minderheiten, die über geringere Einkommen verfügen als die überwiegend ‚weiße’ Majorität, keinen Zugang mehr haben. Was für eine Ironie angesichts einer Stadt, die so stolz auf ihre Diversität ist!”

Zac feixt, als er sich des Tauziehens mit Bonnie um die Frage, wie genau die Touristen hier ebenfalls ihren Teil des Fetts abbekommen sollten, erinnert. Der Begriff „Schamlosigkeit” war der umzingelte und sie hatten einen ganz schönen verbalen Tanz aufgeführt, bis der Text in ihrer beider Augen stand wie ein Marterpfahl. Zacs Stimmung hat sich während des Lesens deutlich aufgehellt, er merkt es selbst. Noch ein Paar Minuten und dann starte ich durch. Downtown is waiting, dude! Er zerrt noch ein Blatt Papier vom Stapel: Ah, das Maßnahmen-Manifest. Daran arbeiten sie gerade, es ist kaum eine Woche alt und eine ihrer noch unveröffentlichten Rohskizzen:

„Einige europäische Großstädte sind mit ihren Maßnahmen gegen die Goldverchromung ihres Stadtzentrums schon etwas weiter. Oder hinken sie dieser extremen, amerikanischen Entwicklung gegenwärtig nur hinterher?

Es hilft nichts, man muss politisch Farbe bekennen und der Ausblutung eines heterogenen, bunt gemischten Zusammenlebens bewusst entgegensteuern. Es ist notwendig, der sozialen wie wirtschaftlichen Monokultur Einhalt zu gebieten. Das heißt: bezahlbaren Wohnraum erhalten, Sozialwohnungen ausweisen und bauen, Mietpreisbindungen durchsetzen, Leerstand (auch von Wohneigentum) besteuern, die Verbreitung von Ketten beschränken und heuschreckenartigen Tourismus eindämmen. Außerdem ist unabdingbar, die Gemeinden und Bürger mit echten Befugnissen in die strukturellen Entscheidungen mit einzubeziehen: Ein gutes Miteinander setzt nun einmal Mitsprache voraus.”

Zac blättert weiter, ein paar Auszüge jeweils nur. Drei Kopien von halblegalen oder illegalen Interna diverser Behörden, fünf Fotos, die sie mit drei echten und zwei eingebildeten Informanten zeigen, eine davon ist Grace, Zacs jüngste Schwester, die er gerne „gracy Küken” nennt und ein Typ, den Zac kaum kennt, vermutlich einer von Bonnies Freunden aus dem Yoga-Studio. Zuunterst liegen die Ausdrucke der Register der Bloomberg-, der Macklowe- und der Trump-Akte, letztere amüsanterweise in einer völlig veralteten Version.

Bonnie!
Wir müssen reden.
Sofort!


Mit dem Zug der Port Authority Trans-Hudson, der die Strecke „New Jersey – Downtown Manhattan” bedient, braucht er um diese Zeit kaum 20 Minuten. Die vier Blocks zu Fuß bis ins Village von der Christopher Street Station an der 33. Straße schon eingerechnet.

Kaum an der frischen Luft, geht Zac zügigen Schrittes den Sinatra Drive am Ufer entlang Richtung Fährhafen und Bahnhof Hoboken. Das World Trade One gegenüber fest im Blick, atmet er durch. Die Kühle der Nacht tut gut. Auf der Höhe ihres Büros in der Gansevoort – er erkennt es blind an der charakteristischen Erscheinung des Piers 54 – greift er zum Mobile Phone ...



~
Bitter diesseits, ihrerseits abseits

Sie schweigen beide und hängen ihren Gedanken nach. Bonnie starrt vor sich hin, bis sie schließlich ihre Hand auf Amins Unterarm legt, mit dem dieser sich locker auf dem Tresen abstützt. Ihr Blick verliert sich in seinem japanischen Rundum-Manga-Comicmix und Ihre Finger zeichnen das zentrale Tattoo eines vielgliedrigen, geflügelten Fabelwesens nach. Hinter ihrer Stirn arbeitet es. Ohne sich dessen bewusst zu sein, fährt sie jede Tentakel des knallbunt in Menschenhaut gestochenen Phantasiegeschöpfes nach. Amin scheint diese vertrauliche Geste nicht zu stören. Er sieht der Wanderung ihrer Fingerspitzen zu und wartet ab.

Inzwischen ist es brechend voll im Spotted Pig. Eine junge Frau zwängt sich mitsamt Rucksack durch das gemischte Volk an der Bar und versucht, unbeschadet an ihnen vorbeizukommen. Bonnie zuckt zusammen und braucht ein wenig, bis sie sich Amins und überhaupt der Gegenwart erinnert.

Amin streicht ihr eine Strähne ihres im Licht wie lackiert glänzenden Haars aus dem Gesicht und bestellt erstmal Kaffee und Wasser. Ein Mann mit wirrem Schopf beugt sich herüber. Er lächelt freundlich. Bonnie erwacht angesichts der Lebensklugheit in seinen Augen.

„Auf New York, auf das Leben!”, sagt der alte Herr und prostet ihnen zu.

Sie schauen sich an, prusten los. „Yep, auf das Leben!”, kommt es wie aus einem Mund und alle drei lachen eine Runde miteinander, strahlen sich reihum an, verschmitzt und eingeschworen wie Geheimbündler.


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01.2018©Nyx

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****orn Mann
11.994 Beiträge
Großes Literaturspektakel
Teil ll deiner Story, wer den Himmel fingert, reißt mich gleichermaßen vom Hocker, wie er mich an sich bindet. Dermaßen fasziniert von deiner Wortgewalt und auch dem Schrecken, den du aufzeigst, kann ich mich nicht lösen und muss mir deine Sätze direkt noch einmal hineinziehen, *anbet* jetzt allerdings mit echter Wonne und Genuss!

*spitze*

*top2*

Grandioso e bellissimo!
Keine Beschreibung angegeben.
*******W49 Mann
754 Beiträge
WHOUH!
Intensive und Bildgewaltige Story! *spitze* Dein Schreibstil reißt mich immer wieder wie ein Alpenwildbach im Frühling mit und die Fakten tun weh wie das Geröll darin. Klasse!

Nun, diese Welt hat die Dinosaurierplage sich auf clevere Weise vom Hals geschafft, dutzende von Eiszeiten überstanden und Trump wird auch eines Tages nur eine winzige Episode in ihrer langen Leidensgeschichte sein. Ob ihr das mit einer GroKo gelingen wird, steht aber noch in den Sternen.
It´s me!
*********ld63 Frau
8.132 Beiträge
Und wieder...
... ganz großes Kino, anima_nyx!! *top*

Bestückt mit vielen, wundervollen Perlen wie zum Beispiel diese:
Statt des Daumens nimmt Bonnie den Mittelfinger hoch und macht die gleiche Geste der Bestätigung, wie sie für den Daumen gebräuchlich ist. Eine durchaus herbe Geste, vollführte nicht der Schabernack in ihren Pupillen dazu ein paar diabolische Sit-ups. „Exakt!”, sagt sie und verstärkt damit den zustimmenden Charakter ihres hintergründigen Handzeichens

So dicht und intensiv geschrieben, so nah dran am Puls der Zeit! *spitze*
Ich möchte nicht mehr aufhören zu lesen.... *bravo*
Wenn ich Dich lese,
werde ich ganz neidisch! Deine Schreibe ist für mich genauso unerreichbar wie der Kondomkratzer ... *anbet*
*****e_M Frau
8.365 Beiträge
Auf NY, auf das Leben!

Anima_nyx, Du unerreichbare Wort-, Stil- und Phantasieakrobatin!

Als ich heute von einer Einladung nach NY erfuhr wusste ich, Deine Geschichte muss ich nochmal lesen.

Danke dafür und ein schillerndes Kompliment.

LG, Odette *blume*
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