Das achte Türchen
Höllische Himmelsreform
Im Jenseits war es ziemlich langweilig geworden seit JC (Jesus Christus) mit geradezu revolutionären Ideen von seinem Sabbatical auf der Erde zurückgekommen war. Die kleine Luftveränderung hatte ihm sichtlich gutgetan, schließlich war sein letzter Urlaub über zweitausend Jahre her und es war seinerzeit nicht gerade sehr erholsam gewesen. Nur nicht wieder nach Jerusalem - diesmal nicht! Auch wenn das Kreuzigen mittlerweile abgeschafft war – wie man ihm glaubhaft versichert hatte. Seine arme Mutter litt noch immer unter Albträumen deswegen und hatte mit aller Macht darauf bestanden. Er entschied sich deshalb für die Stadt der Engel. Diese lag idyllisch (laut Prospekt) zwischen sanften Hügeln an einem Ozean und im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Eseleien inklusive.
Das klang vielversprechend – sowohl in urlaubstechnischer Sicht als auch in seelsorgerischer Mission. Schließlich hatte er beim gestrengen Herrn Papa Bildungsurlaub plus einreichen müssen, denn einfach nur Liegestuhl, Palmen und mit den alten Fischerkumpels abhängen – das ging für Gottvater gar nicht, immer musste man sich irgendwie nützlich machen, sein Fleisch in Brot verwandeln, die Menschheit erlösen, die Welt retten etc. pp. Auch wenn JC bereits im Hintergrund das Universum betriebswirtschaftlich führte, so kam sich der Seniorchef dennoch unverzichtbar vor und war noch nicht bereit, die Fäden aus der Hand zu geben und mit den Göttern aus den anderen Dimensionen Planetengolf zu spielen.
JC reiste - gemäß Gottes Wort - politisch korrekt. Lediglich mit dem Fetzen Stoff um die Lenden, der noch vom letzten Erdenbesuch im recht übersichtlichen Schrank lag, den abgetragenen Jesuslatschen und selbstverständlich inkognito. Nicht einmal sein selbsternannter Stellvertreter in Rom erfuhr etwas von der Visite. Allerdings hatte sich die Menschheit in Bezug auf die Verehrung des schnöden Mammons seit Zeiten seiner irdischen Geburt nicht wirklich geändert und so war es für den Erben des Himmels auch diesmal nicht möglich, Unterkunft in einer Herberge zu finden. Nicht einmal einen Platz in einem Stall gab es für ihn, vor allem auch, weil die Einwohner der riesigen Stadt auf die Haltung von größeren Nutztieren verzichteten. Eigentlich gut so, denn der Ort glich einer Betonwüste.
Ebenfalls kein Obdach fand Gottes Sohn bei den sogenannten guten Christen in ihren prächtig ausgestatteten Kirchen, die sich sonst so gern – vor allem in der Adventszeit - auf ihn beriefen. Immerhin schenkte ihm ein Bettler einen halbleeren Tetrapack-Rotwein und eine im Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufene Tafel Zartbitter-Schokolade. Dafür werde er nach seinem Tod reich entlohnt werden, dankte ihm JC. Doch der Angesprochene winkte nur ab, er wollte den Verrückten schnell von seiner Platte haben.
Wie JC trinkend und knabbernd durch die hektischen Straßen lief, wurde ihm ganz übel, nicht nur von dem ungewohnten billigen Fusel. An jeder Ecke ertönte ohrenbetäubendes Hohoho- Gedudel, dazu wackelten fettleibige Weihnachtsmänner in rot-weiß unschön mit ihren Hüften, es klingelten die Registrierkassen lauter als die Glocken und grellbunte Lichter auf Plastiktannen blinkten über Hightech-Krippen. Es dauerte einen Moment bis er verstand, dass es hierbei um die Feier seines bevorstehenden Geburtstags ging. Wehmütig kam in ihm die Erinnerung an damals hoch – nach dem würzigen Geruch von Heu und dem strengeren der Tiere im Stall von Bethlehem, dem einschläfernden Mahlen ihrer Zähne beim Fressen, dem wohltuenden Schein einer kleinen Öllampe und nach der Stille, die über dem Ganzen lag – Friede auf Erden. Wie er so träumend vor sich hin wankte, stieß er mit jemanden hart zusammen. Es war kein Geringerer als sein alter Widersacher Luzifer Morgenstern.
Nach dem ersten heftigen Schreck und einer befreienden Kotzattacke auf den tadellosen Armani-Anzug des Teufels, nahm dieser den völlig erledigten JC bei den Schultern. Nach der Begrüßung (Was geht ab, Alter, und was machst du hier, sowie eines erfolglosen Versuchs seitens JC, Luzifer mit einem bösen Blick zu bannen, was misslang, da er aufgrund des höheren Promillegehalts im Blut auf fast nüchternem Magen kaum die Lider offenhalten konnte) beschlossen beide erstmal einen Liter Espresso trinken zu gehen und dabei nicht wieder in alte Abneigungsmuster zu verfallen. Schließlich war man mittlerweile dem Sturm und Drang entwachsen und dieser ständige Kampf zwischen Gut und Böse, himmlisch und satanisch war auf Dauer einfach so ermüdend und auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus, nicht besonders sinnvoll.
Kostete es doch auf der einen Seite zu viele Menschenleben und ließ in der Folge davon, das Vertrauen der Überlebenden in göttliche Anwesenheit rapide sinken, was unerwünschte Gottlosigkeit bewirkte.
Auf der anderen Seite wurde die Hölle bei der Dämonenanwerbung auch nicht attraktiver, seit die Menschheit die finsteren Gestalten nicht mehr zur Ausübung ihrer schamlosen Gelüste brauchte. Das war heutzutage alles nur einen Mausklick entfernt und langatmige blutige Zeremonien mit zungenbrecherischen Beschwörungen überflüssig. Selbst die Reiter der Apokalypse waren aufgrund besserer medizinischer Versorgung, höherer Intelligenz und mehr diplomatischen Geschicks der Zielpersonen zu zahnlosen Tigern verkommen. Und immer mehr entzogen sich der wohlverdienten ewigen Verdammnis mittels eines schnellen, aber intensiven Bereuens kurz vor Schluss.
Die Verluste der Hölle waren gewaltig und die dämonischen Folterknechte hatten weniger Seelenmasse, um die Kessel der Unterwelt zu befeuern, was bewirkte, dass es in einigen Teilen bereits zu frieren begann. Außerdem schoben die Schergen unstillbaren Hunger, da es viel weniger zarte Seelen zum Verschlingen gab. Die Gefahr einer unkontrollierten Revolte im Höllenreich drohte.
Man teilte oben und unten also durchaus dieselben Sorgen und war sich im Grunde einig, dass es so nicht weiterging. So kam es, dass Luzi und JC übereinkamen, eine Art übersinnliche GroKo für die Dauer ihres Aufenthalts in Los Angeles zu gründen und in einer WG miteinander zu leben. Über ihre Probleme gemeinsam nachzudenken und dabei auch das Chillen nicht zu vergessen. Kreative Lösungen waren nun gefragt. Das Zusammenleben verlief erstaunlich gut. JC wurde durch Luzis sehr freien Lebensstil etwas lockerer. Im Grunde rebellierte er schon ewig gegen die Dominanz seines Vaters, der immer neue Opfer von ihm verlangte und stets mit dem Argument, dass schließlich mal alles ihm gehören würde.
Derweil stellte Luzi überraschenderweise fest, dass die richtigen Regeln zur richtigen Zeit zelebriert, durchaus etwas Reizvolles hatten. Sie wurden Freunde. Bei Ziegenmilch und Whiskey am Tag vor Heiligabend gelang der Durchbruch. Es wurde die wirklich revolutionäre Idee geboren, sowohl den Himmel als auch die Hölle für die verstorbenen Seelen einfach abzuschaffen.
Warum nicht beide Welten in einer gigantischen WG zusammenlegen? Eine klassische Win/Win-Situation für beide Seiten. Sicherlich knallhart und schwer zu ertragen, vor allem für die rückständigen Erbsenzähler in ihren Parteien: keine himmlischen Freuden mehr, aber auch keine marternde Hölle. So eine Art neutrale Zone - wie bei Raumschiff Enterprise. Klar, dass Aufsichtsrat, Belegschaft und das soldatische Heer beiderseits nach Rückkehr der Revoluzzer in ihr Heim nicht sonderlich begeistert waren. Dem Allmächtigen entlockte es aber ein ungläubiges Staunen, waren doch auch die dunklen Kreaturen seine Kinder und die Chance auf eine Wiedervereinigung in greifbarer Nähe. Maria war misstrauisch und hatte nicht die Fantasie, sich das Ganze konkret vorzustellen. Sie konnte sich aber nicht durchsetzen. Der Senior gab seinen Segen zu dem außergewöhnlichen Experiment, welches allerdings ungeahnte Folgen mit sich brachte.
Da es nun kein Paradies mehr mit traumhaften Wandelgärten und ewiger Freude gab, schwebten die vereinten Seelen nun in einer riesigen und zugigen Wartehalle umher und warteten auf den nächsten Urknall, der das Universum neu sortieren würde. Dieser kühle Kompromiss zwischen kochender Verdammnis und Garten Eden war für beide Seiten schmerzhaft. Zu Beginn dachten die neuen Seelen noch, sie wären in einem temporären Fegefeuer gelandet und hätten es bald hinter sich. Doch die Erfahrenen erklärten ihnen die Situation. Wehmütig erzählten diese von den „guten alten Zeiten“, in denen noch Disziplin und Unzucht allerorten herrschte. Überall tuschelten, diskutierten und jammerten die Seelen. So ätzend hatten sie sich das Jenseits nicht vorgestellt. Es wurde immer lauter. Nichts mit Frieden und Stille, schon gar nicht zur heiligsten Zeit des Jahres! Die reichlich anwesenden Ex-Anwälte formulierten deftige Sammelklageschriften gegen Gottvater und die Ex-Agitatoren puschten die Massen gehörig auf.
Die ehemals Frommen fühlten sich betrogen. Schließlich hatten sie gottgefällig gelebt (zumindest wie sie dachten, dass Gott es gefällt!), sich alles, was Spaß machte, verkniffen und sich selbst zum Teil sogar in die Luft gesprengt, nur um sich dann in ihren Einzelteilen und gemeinsam mit ihren angepissten Opfern im gleichen Raum anzuöden. Kein Ausweg, keine Hoffnung und keine Kalaschnikow oder Bombe zur Hand, um die verfahrene Situation zu verändern. Dumm gelaufen! Auch, dass weder der Allmächtige mit all seinen Namen noch JC diese Liebesbekundungen der irren Art überhaupt zur Kenntnis nahmen, da sie sich durch die vielen Beschwerdeakten arbeiten mussten.
Die Sünder wiederum lachten sich erst einmal über die „klerikalen Deppen“ kaputt, schwelgten noch in schöner Erinnerung an ihre moralisch verwerflichen Taten, um dann irgendwann nach einer lethargischen Phase aufzubegehren. An Nahrung zumindest mangelte es nicht, doch anstatt Ambrosia bzw. auf den Punkt geröstete Seelen, gab es durchgeistigten Haferschleim und das für alle Ewigkeit Amen, morgens, mittags und abends.
Linientreue Ex-Dämonen und Ex-Engel hatten die Ehre, den jämmerlichen Seelenhaufen mit ihren Schwertern und Reißzähnen zusammenzuhalten und als Hassobjekte zu dienen. Das war schlimmer als Hölle – fanden irgendwann alle, ohne Ausnahme, und ein Aufstand stand unmittelbar bevor.
Luzi, der sich insgeheim ins Fäustchen lachte, weil er den Himmel mit JCs Hilfe in eine subsidiäre Hölle verwandelt hatte, ersann einen Plan, um die Massen zu befrieden. Eine zweite himmlische Rebellion brauchte schließlich keiner, zumal er inzwischen neben JC-Superstar als Gottes Stellvertreter aufgestiegen war. Zur Feier des Geburtstags seines nunmehr besten Kumpels, denn schon wieder stand Weihnachten vor der Türe - wie jedes Jahr völlig überraschend - sollten vom ersten Advent bis zum Heiligabend Kampfspiele zwischen mehreren vorab bestimmten Gruppen stattfinden. Dem Sieger, also dem, der nach dem Gemetzel noch die meisten Federn an seinen Flügeln besaß, winkte als Belohnung die Wiedergeburt auf der Erde in eine Person seiner Wahl. Dass es dabei ruppig zugehen würde, war durchaus gewünscht - als Therapeutikum gegen die aufgestauten Aggressionen.
Man schuf also einen freien Platz inmitten der großen Halle und ließ als erstes die wenigen ehrenwerten Politiker gegen eine Übermacht von Teufelsadvokaten sowie grausame Diktatoren gegen Hosianna singende Pazifisten in zahlreichen Kategorien antreten. Für die zuschauenden Seelen war es eine willkommene Abwechslung und erinnerte an die „Panem et Circensis“-Spiele im alten Rom. Dabei zeigte sich: Alle, selbst die ehemals Anständigen, waren bereit, alles, wirklich alles, zu unternehmen um diesen begehrten Preis des Erdenparadieses zu gewinnen. Es gab keinerlei Hemmungen oder Zurückhaltung mehr. Überraschend war jedoch, dass gerade die größten Schlächter der Menschheitsgeschichte ohne ihre ausführenden Helferlein und auf sich allein gestellt, eher feige Gesellen waren, die beim ersten Schubs wie kleine Kinder nach ihrer Mama plärrten und rumheulten.
Zurück ins Leben – ein Traum - dafür wurde mit harten und unfairen Bandagen gekämpft. Doch fast am Ende des perversen Spiels - es waren nur noch zwei fast zerfetzte Kandidaten übrig - sah Gott Senior herbeigeeilt, sein Lebenswerk den Bach heruntergehen. Er erzwang eine Unterbrechung und befahl sowohl seinen Sohnemann als auch den ehemals gefallenen Lichtbringer in sein Büro. Mit seiner donnernden Faust auf der Tischplatte, erklärte er das gewagte Experiment für gescheitert und auf der Stelle beendet. Alles wieder retour. Doch wie sollten nun beide Parteien vor ihren Anhängern die Gesichter wahren?
Man überlegte und diskutierte einige Äonen hin und her. Luzi und JC hatten sich nicht übermäßig gegen das Machtwort des Schöpfers gewehrt, zu groß war die Sehnsucht nach dem ehemaligen Zuhause, der neue Lebensstil für die eine Seite zu gewagt und zu bieder für die andere Seite. Viele Streitpunkte wurden in Arbeitsgruppen verlegt und das dauerte eben.
Doch rechtzeitig zu den Feierlichkeiten zu JCs rundem Geburtstag waren die anstrengenden Verhandlungen abgeschlossen. Man einigte sich zurück zu einer fiesen Hölle für die richtig Bösen dieser Welt, und zwar mit erweiterten Standdarts in Sachen Seelenpein. Zur Not dürfte die Sonne für die nötige Hitze angezapft werden, so stünde mehr Futter für die Dämonen zur Verfügung. Allerdings streng lichtgefiltert, was die Unterhändler der Vampire durchgesetzt hatten. Auch die ausgekackten Seelenreste der Verdammten sollten nunmehr recycelbar und so immer wieder aufs Neue für das satanische Heer als Nahrung verfügbar sein.
Der Himmel würde künftig den Lebenswandel und die Reue ihrer Anwärter strenger prüfen. Ein einfaches „Sorry Leute!“ mit spitzbübischem Grinsen oder einem Schulterzucken für das mutwillige Zerstören der Schöpfung, insbesondere dem Zünden einer Atombombe oder dem Abschlachten auch nur eines einzigen Menschen, galt dann nicht mehr. Bei denjenigen, die nur mäßig sündigten (überwiegend Jedermann und –frau), sollte die Entscheidung wohin, in einer paritätisch besetzten Anhörung fallen und zwar in den neu einzurichtenden diplomatischen Vertretungen in beiden Dimensionen.
Als erste Botschafter des Himmels wurden übrigens Dean und Sam Winchester in die Hölle berufen, da sie mit den Gegebenheiten vor Ort bereits bestens vertraut waren.
Konstruktiver Dialog statt Bruderkrieg, wenn das nicht endlich Fortschritt ist!
Möge es so sein. (Gilt im übertragenen Sinn auch für die Feiertage mit der Verwandtschaft). Ein friedliches Fest – euch allen!