Sklave XX
Montagmorgen auf der obersten Etage eines großen Konzerns. Ein Mann mittleren Alters stürmt mit hochrotem Kopf den Flur entlang zu den Herrentoiletten, stürzt blindlings in eine der Kabinen und knallt die Tür hinter sich zu. Sein Blutdruck ist viel zu hoch, geschätzt auf über 180, und ihm ist ganz flau im Kopf. Schon jetzt, am frühen Vormittag, ist sein erstes Hemd komplett durchgeschwitzt.
Der Mann mit Namen Manfred Biller lehnt rücklings an der Toilettentür, lässt jetzt Contenance und Arme sinken und zählt langsam bis zehn. Gerade eben hat ihn dieses kleine, schmierige Aas von der Kreditabteilung seiner Bank auf dem Handy angerufen und ihm die Daumenschrauben angesetzt: Sie würden ihm die Kredite kürzen oder ganz kündigen, wenn er weiterhin mit den Raten im Verzug sei. Wie konnte es dieses inkompetente Milchgesicht wagen, so mit ihm zu sprechen? Er war ein gestandener Mann in den besten Jahren, ein Alphatier, das es bis an die Spitze seiner Firma gebracht hat, ein Lichtbringer mit todsicherem Instinkt! Und nun sollte dieser letzte riskante Aktiendeal ihm letztendlich das Genick brechen? Nein, doch nicht ihm!
Biller zerrt an seiner Krawatte, das Blut pocht hart und schmerzhaft in seinen Schläfen. Ihm ist nach Schreien zu Mute, nach Zeter und Mordio! Nur mühsam hält er an sich. Während sein Puls sich langsam entschleunigt, dämmert ihm, dass er nun endgültig zum Supersklaven seines Lebens geworden ist. Sein Blut und sein Schweiß, ja, seine ganze Manneskraft fließen seit Jahren nur noch in die Abzahlung der Kredite, werden verschleudert durch die kostspieligen Wochend- und Einkaufstrips seiner Ehefrau und finanzieren nicht zuletzt seit Jahren das sorglose Studentenleben seiner mittlerweile erwachsenen Kinder. Seine Frau hatte er in den letzten Monaten nur noch selten gesehen, was sicher nicht nur daran lag, dass er viel beruflich unterwegs war. Vermutlich hatte sie schon längst eine Affäre mit ihrem Yogalehrer, doch das ist ihm mittlerweile auch gleichgültig.
Es fühlt sich an wie ein Alptraum, er ist gefangen in einer grottenschlechten Seifenoper! Er ist umgeben von Vampiren und jetzt ist es genug. Er hat schon zu lange seine Lebensenergie an Menschen verschwendet, die sich einen feuchten Dreck um ihn scheren! Er würde dem ein Ende setzen, oh ja, schon sehr bald.
Zurück in seinem Büro wirft Biller einen Blick auf die Agenda der kommenden Tage: Eine Aufsichtsratssitzung, danach ein Treffen mit den Investoren. Es ist gerade jetzt immens wichtig für ihn, überzeugend zu argumentieren, schließlich geht es um große Summen. Ihm fehlen noch die aktuellen Zahlen und die Präsentation für die Sitzung, die seine Sekretärin für ihm vorbereiten sollte. Ungeduldig bestellt er sie zu sich: „Lisa, kommen Sie in mein Büro. Und bringen Sie die Unterlagen mit.“
Ein Klopfen an der Tür kündet von ihrem Eintreten. Ohne von den Zahlen aufzusehen, winkt er sie zu sich an den Schreibtisch. Doch irgendetwas ist heute anders, schon olfaktorisch. Statt lieblichem Blumenparfum weht ihm heute ein schwerer Duft aus Amber und Sandelholz entgegen. Verwirrt sieht er hoch und betrachtet die Person, die nun kerzengerade vor seinem Schreibtisch steht. War das die Lisa Müller mit dem magentafarbenen Lippenstift, die nun schon seit drei Jahren für ihn arbeitete, stets aufgehübscht bis zum Anschlag mit knappen Kleidchen, die ihre Wespentaille und den runden Busen betonten, den sie mit ermüdender Freizügigkeit in tief ausgeschnittenen Tops darbot?
Natürlich ist sie es, daran besteht kein Zweifel. Doch offensichtlich hat sie eine tiefgehende Wandlung durchlebt, Biller erkennt sie kaum wieder. Sie trägt ein konservatives, graues Kostüm, dessen Bleistiftrock züchtig bis über die Knie reicht. Die weiße Bluse ist hochgeschlossen, die dunklen Haare sind zu einem straffen Knoten hochgesteckt. Seit wann trägt sie diese Brille?
Biller kneift die Augen zusammen. Und sie wirkt fast ungeschminkt, auch das ein absolutes Novum. Ungläubig mustert er seine Sekretärin von Kopf bis Fuß. Lisa Müller hat offensichtlich Geschmack daran gefunden, sich in den Prototyp einer klassischen Sekretärin zu verwandeln.
Lisa quittiert seinen Gesichtsausdruck mit dem Anheben einer Augenbraue. Zieht seelenruhig einen Stuhl heran und setzt sich ihm gegenüber.
Mittlerweile hat Biller seine Sprache wieder gefunden: „Haben Sie einen neuen Look, Frau Müller?“
Er zwinkert ihr zu und lächelt. Ein kleines Spiel zwischen ihnen, das er etabliert hat, seine ganz persönliche Verneigung an die unübersehbaren Attribute ihrer Weiblichkeit.
Heute jedoch verzieht Lisa keine Miene, übergeht seine Frage, ja, sie erwidert nicht einmal sein Lächeln. Statt dessen nickt sie nur und breitet mit knappen Bewegungen die vorbereiteten Unterlagen vor ihm aus. Sie kommt sofort zur Sache. Während sie ihm die Details der Präsentation darlegt, beobachtete er sie aufmerksam. Ihr Verhalten lässt jede Servilität vermissen. Mit viel Wohlwollen könnte er es noch als korrekt bezeichnen. Wann hat sie sich so sehr verändert? Und wie kann es sein, dass das komplett an ihm vorbeigegangen ist?
Ein einziges Mal hat Lisa ihn auf eine Geschäftsreise begleitet, und das würde er sicher niemals vergessen. Nach einer ausgedehnten Inhouse-Veranstaltung bei einem Großkunden lud er sie auf einen abschließenden Cocktail an der Hotelbar ein. Es war ein langer Tag gewesen und es blieb natürlich nicht bei einem Glas. Der Alkohol löste erst ihre Zungen und entfesselte dann mehr und mehr seine Phantasie, überwand am Ende schließlich mühelos die vernünftigen Grenzen ihrer Arbeitsbeziehung. Schon im Aufzug nach oben war ihr Fleisch nur allzu willig und seine Hände schnell überall. Ihr Hotelzimmer lag neben seinem, und er zog sie schneller aus, als sie die Tür hinter sich schließen konnte. Die Gelegenheit, so ein Prachtstück von Weib zu vergenusswurzeln, konnte er sich einfach nicht entgehen lassen. Er wollte es, er brauchte es so dringend an jenem Abend!
Die Ernüchterung kam schnell und präkoital. Sein bestes Stück versagte ihm den Dienst. Auch Lisas orale Kunstfertigkeit konnte daran nicht das Geringste ändern.
Was für ihn ein herber Schlag für sein Ego war, nahm Lisa mit großer Gelassenheit auf. Sie ging mit einer Eloquenz über den Vorfall hinweg, die ihn wider Willen beeindruckte. Frauen wie sie hatte er bisher als leichte Beute eingestuft. Lisa Müller jedoch schien eine Ausnahme zu sein. Biller war mehr als erleichtert, dass es trotz dieses peinlichen Intermezzos möglich war, weiterhin so reibungslos zusammen zu arbeiten.
Die Besprechung ist zu Ende. Lisa wünscht ihm viel Erfolg und zieht sich in ihr Arbeitszimmer zurück. Allein mit sich, öffnete er das Fenster und zündete sich eine Zigarette an.
Die Vorzeichen haben sich nun geändert, soviel hat er verstanden. Lisas professionelles Auftreten nötigt ihm Respekt ab. Gleichzeitig verunsichert es ihn, stellt ihn und seine Rolle als Chef in Frage.
Während des Gesprächs mit ihr hat sich eine erotische Spannung in ihm aufgebaut, die ihn zutiefst verwirrt. Er brauchte jetzt eine Pause, vor allem aber braucht er dringend Entspannung.
Biller ruft die Erotikseite auf, bei der er sich vor einiger Zeit angemeldet hat. Stöbert eine Weile im vielfältigen Angebot der Nacktfotos, blättert dann weiter zu den Veranstaltungen. Kommenden Samstag wird eine Erotik-Party in seiner Nähe angekündigt, ein FemDom-Ball mit Sklavenversteigerung. Biller ist sich nicht sicher, ob er das richtig versteht und öffnet zögernd die Veranstaltungsseite. Die Gästeliste ist schon gut gefüllt. Er nimmt sich Zeit, die Profile der angemeldeten Singles und Paare zu studieren. Ein weibliches Profil mit Namen „Erinnya“ macht ihn besonders neugierig. Auf den eingestellten Fotos liegt ihr Gesicht im Schatten, und doch scheint sie ihm seltsam vertraut. Die grazile Dunkelhaarige umgibt eine Aura von unterkühlter Erotik. Kurzentschlossen meldet er sich an, um ja nicht länger darüber nachzudenken. Instinktiv tastet er nach der Packung mit den blauen Wunderpillen in seiner Anzugjacke. Es wird Zeit für ihn, endlich mal wieder richtig etwas zu erleben.
Zur selben Zeit im Zimmer nebenan lehnt sich Lisa Müller in ihren Bürostuhl zurück. Ein breites, zufriedenes Grinsen erleuchtet das aparte Gesicht. Schon länger hatte sie ihn unter Beobachtung, und nun hat sich ihr Verdacht bestätigt. Soeben hat sich der User mit Namen „HammerXX“ zum FemDom-Ball angemeldet. Und Lisa alias Erynnia kann es kaum erwarten, ihn dort gebührend in Empfang zu nehmen.