Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Dirtytalk & Kopfkino
447 Mitglieder
zum Thema
Die Erlebnisse als Ehehure (Fantasie)2
Es war nun bereits eine Weile seit dem geilen Erlebnis im Club…
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Hurenpass und Bockschein

******nyx Frau
1.322 Beiträge
Themenersteller 
Hurenpass und Bockschein
3 Tage, 3 Städte, 3 Blickwinkel auf Sex als Ware.

Erzählt von einer Handvoll Personen: Einem Mann, der sich in ein Luxus-Callgirl verliebt, einer versierten Hure und Puffmutter, die aus dem Nähkästchen plaudert, Ladies-Lovern, die gegen die „tote Hose” in japanischen Ehen anarbeiten, einer Hure und alten Aktivistin ...

Anlass ist neben der Lust am Erzählen ein knallhartes sozialpolitisches Thema: das neue, sogenannte „ProstSchG”, das Prostitutions-Schutz-Gesetz. Man muss kein Freiheitskämpfer sein, kein Feminist, kein militanter Humanist, kein Anarchist, um diese politische Kehrtwende in Sachen sexueller Freizügigkeit so nachdenkenswert wie bedenklich zu finden.


Teil 1


Berlin-Charlottenburg. Freitag, 19:36

Zu früh, aber das ist gut. Er möchte sich akklimatisieren, die Atmosphäre der Bar in sich aufnehmen, einen Schluck trinken. Insgeheim gesteht er sich ein, eine leichte Nervosität zu verspüren.

Das Pochen seines Pulses am Hals verrät ihn und sein gewohnt souveränes Auftreten ist nicht ganz wie sonst. Er bestellt ein Tonic Water, nimmt dankend zur Kenntnis, dass es ohne es gesagt zu haben eines von Thomas Henry ist. Eine ortsansässige Manufaktur, deren Name auf den britischen Apotheker und Chemiker verweist, der unter anderem über die Konservierung von Trinkwasser im frühen 18. Jahrhundert forschte. Der herbe, bittere Geschmack, die Kälte, die seinen Gaumen reizt, der sachliche Gedanke an Kohlensäure und dessen Geschichte, lenken ihn von der Anspannung ab angesichts der Ungeheuerlichkeit, die zu tun er sich vorgenommen hat.

Die Bar ist angenehm bevölkert, er öffnet sein Jackett, dreht sich halb zur Eingangstüre hin. Betrachtet überrascht die Gravur eines Jugendstilmotivs, eine nackte Nymphe, die einen Hirsch reitet, die er beim Betreten der Bar überhaupt nicht wahrgenommen hat. Die großstädtische Geschäftigkeit hinter der Scheibe und in der Empfangshalle des ehrwürdigen Hotels, scheint durch die wie Milchglas weißlich schimmernden Linien seltsam entrückt. Wie aus der Zeit gefallen, wenngleich er den Livrierten an der Drehtüre zur Straße hin gut sehen kann. Sein Blick fällt auf das von vielen Händen über die Jahre polierte Messing der geschwungenen Türgriffe und verfängt sich wiederum in diesem eigenwillig schönen, reichlich erotischen Motiv der Glasgravur.

Noch sieben Minuten.


~

Kabukichō, Tokio. Zur selben Zeit, 02:36

Samstag, weit nach Mitternacht. Die Neonreklame am Gebäude gegenüber blinkt. Nicht schnell. Rhythmisch, unablässig. Eine Lichtzunge flamingofarbenen Scheins leckt mit interesseloser Dreistigkeit im selben Rhythmus über die Stirn der Gestalt, die konzentriert in einen Monitor sieht und schreibt.

Das Zimmer der Absteige unweit des Bahnhofes Shinjuku, kaum drei Blocks in östlicher Richtung, ist dunkel. Nur das bläuliche Licht des Computers und der neonfarbene Abglanz des berüchtigtsten Stadtteils Tokios erhellen die Gesichtszüge einer Frau Ende 30.

Sie hat sich mitten in Kabukichō einquartiert, dem größten Rotlichtviertels Japans. Es ist schrill, laut, umtriebig. Spielhöllen, Karaoke-Bars, Love-Hotels und Massagesalons über- und nebeneinander, dicht an dicht. Es ist das Revier der Mafia, der Yakuza wie der nigerianischen, die hier ebenfalls viel Geld macht inzwischen. Die Frau streicht mit einer unwirschen Bewegung eine Strähne lackschwarzen Haars zurück, schreibt mit fliegenden Fingern. Schließt für einen Moment die Augen, legt die Fingerspitzen an ihre Schläfen, massiert sie mit geübtem Griff und nachdrücklichen Kreisbewegungen. Einige Minuten vergehen. Das Flamingo-Licht unterlegt dem Nichts einen Rhythmus. Sie legt den Kopf in den Nacken. Öffnet langsam die Augen, liest die letzten Zeilen. Ihre Augen funkeln, fast meint man, ein diabolisches Grinsen zu erkennen, dann wird ihr Blick starrer, nachdenklicher. Sie zuckt zusammen, als der harte Klang der schnellen Tastenkombination des Speicherns in das Schlagen der Tür des Nachbarzimmers fällt und ein Mann sich mit garstigen Flüchen der ihren nähert.


~

Frankfurt, Bahnhofsviertel. Derselbe Tag, Stunden zuvor, 14:22

Es ist ruhiger nun, die Stoßzeit um Mittag ist durch. Sie streicht ihre sehr roten Haare zurück. Künstliche Wimpern flattern wie schwarze Vögel über den blaugrauen Augen, denen nichts entgeht. Fältchen begleiten synchron das Geflatter, hüpfen mit, wenn sie spricht oder lacht, so wie jetzt. Ein Mund, auf den man unwillkürlich starren muss. Ein lieber Mund, weich. Mit einem sehr grellen Überzug allerdings, einem Pink, das man für längst passé hielt, das Technicolor ruft und an amerikanische Filme der 50er-Jahre erinnert. Sie ist eine Institution, diese Dame. Abgebrüht, blitzgescheit. Sie hat hier im Bahnhofsviertel schon alles gesehen.

Sie schaut zu, dass alles läuft im größten „Laufhaus” Deutschlands mit seinen 180 Zimmern, allesamt eher schlicht, nur dezent verplüscht und voll ausgestattet fürs horizontale Gewerbe. Es sind Mietzimmer für Sexarbeiterinnen, die ihren Arbeitsplatz pro Tag und 8-Stunden-Schicht mit um die 150 € bezahlen – zehn Kondome, eine Küchenrolle, Softdrinks und Sicherheitsservice inklusive. Es gibt Panikknöpfe neben den Betten, die Flure sind videoüberwacht und im Büro des Betreibers des Etablissements lehnen zwei Baseballschläger an der Wand – wie im Film. Meist bleibt aber alles ruhig, sagt er. Wenn es mal Ärger gäbe, dann weil ein Kunde seine Extrawünsche nicht berappen oder Geschlechtsverkehr ohne Kondom durchsetzen will und das ist in der Szene längst verboten. Es riecht nach Nuttendiesel, wie nicht mehr nur zu starkes, zu billiges Parfüm genannt wird, sondern auch das Raumspray, das hier überall herumsteht.

„20 Minuten Sexdienstleistung gibt’s für 25 €. Damit müssen die Frauen leben und für rund 400 anschaffen pro Arbeitstag, damit es rund läuft für sie und fürs Haus. Das sind 16 Freier im Schnitt” sagt sie und sieht mir mit festem Blick in die Augen.


~

Berlin-Charlottenburg. Jener Freitagabend, gleich darauf, 20:06

Er erkennt sie sofort, schon als sie die Straßenfront entlang geht. Zeit genug, ihr Profil, ihre Gestalt und ihre Beine zu betrachten. Er bewundert ihren elastischen Gang trotz der Vorsicht, die sie angesichts der kleinen Steine des typischen Granitpflasters auf dem breiten Bürgersteig walten lässt. Selbst ihren Schuhen gilt seine Aufmerksamkeit, klassische schwarze Heels, nicht sonderlich hoch, vielmehr die feine Eleganz. Sie erreicht das Portal, die Drehtüre ...

Ihm wird für Sekundenbruchteile flau im Magen, als sie aus seinem Gesichtsfeld verschwindet und sogleich wieder heiß. Zu spät für jeden Gedanken an Flucht, schon hält ihr ein Herr die Tür mit der bezaubernden Ätzzeichnung auf ... und sie steuert direkt auf ihn zu. Nicht zu langsam, zögerlich etwa, und nicht zu schnell, was ihn hätte zurückzucken lassen eventuell und einen Hauch in die Defensive hätte bringen können.

Nun steht sie vor ihm, mit offenem Gesicht, warmem Lächeln, weder zu nah noch zu viel.

Er nimmt ihre Hand, führt sie zur Begrüßung mit galanter Geste, nur angedeutet, in Richtung eines Handkusses und muss sie einfach ansehen dabei. Ihre Augen blitzen, er sieht einen winzigen Schalk darin baden.

„Ann-Kristin?”, eine vollkommen alberne Frage.

Sie nickt, lächelt und spricht im Gegenzug seinen Vornamen mit so viel Gefühl und natürlichem Timbre aus, dass er meint, ihn kaum je von einer angenehmeren Stimme gehört zu haben. Sie plaudern, er findet seine Sprache einigermaßen zügig wieder, bestellt – nachdem sie sich schon mitten in einem Gespräch über Jugendstil, Barkultur und ihren offenkundig beiderseitigen Sinn für künstlerische und flüssige Genüsse befinden – eine Empfehlung seinerseits und schließt sich selbstredend an. Während sie die Lider senkt und einen Schluck des Icône, einen trockenen Roten der Domaine de la Grange, im Gaumen behält, betrachtet er ihr Profil zum ersten Mal aus der Nähe. Die Wimpern, die ganz leicht vibrieren, denn sie schluckt just in diesem Moment und hat noch immer die Augen geschlossen. Die langen Haare am Hinterkopf zur Banane gedreht, hochgesteckt; ein helles Braun mit bernsteingoldenem Glanz.

So schön ist sie also! Real, leibhaftig, neben ihm in dieser Bar. Noch attraktiver als er vermutet hat, obwohl er sich die Fotos ihrer Sedcard immer wieder ansehen musste in den vergangenen drei Wochen, die es brauchte, bis er seinen über Jahre gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen beschloss. So charmant und locker in ihren Gesten, jetzt schon. Ausgesprochen stilsicher, ein Hauch Extravaganz, ein asymmetrischer Gürtel, fast ein Kunstwerk, sonst schlicht und zurückhaltend gekleidet. Und er, der Kosmopolit, erfahren, gebildet, 16 Jahre älter als sie, auch er musste sich nicht verstecken. Dennoch wirkt seine sonst so verlässliche Weltmännischkeit selbst auf ihn gerade ein wenig eckig. Mein Gott, dachte er, was für eine Frau!

Sie habe ich ausgesucht, sie wollte ich haben. Und nun steht sie vor und ich neben mir ...


~

Frankfurt, Bahnhofsviertel. Noch am Nachmittag desselben Tages, 14:46

„Die Frauen sind ausnahmslos ‚selbstständig Beschäftigte’, keine Angestellten natürlich, das macht kein Betreiber, egal wo. Sie müssen sich selbst versichern und so weiter, arbeiten auf eigene Rechnung und eigenes Risiko.

25 Euro pro Freier im 20er-Takt, das ist guter Durchschnitt. In Stuttgart zum Beispiel, im Bohnenviertel, sind es 30 für 30 Minuten, ebenfalls in Hamburg im Flat oder dem Geizhaus. Überall eigentlich, nur auf dem Land sind die Preise viel schlechter. Im Grenzgebiet im Osten, da sind sie ganz im Keller” sagt die Dame mit dem zu roten Haar.

„In einem Haus wie dem unsrigen, braucht eine Sexarbeiterin zum Glück nur 15,16 Kunden, um über die Runden zu kommen und muss sich nicht noch drunter verkaufen, wie auf dem Straßenstrich oder in all den sonstigen Grauzonen.” Das gelte auch für die anderen der 21 Bordelle der Amüsiermeile im Schmuddelbezirk zwischen dem Hauptbahnhof und dem ‚Main Tower’. Der Symbolturm Frankfurts, der alles überragt und direkt hinter der grünen Oase der Taunusanlage seine blaugläsern abweisende Eleganz gen Himmel reckt – selbstverständlich bereits auf der Sonnenseite der Stadt. Ein phallischer Architekturzylinder, der eine andere Geschichte erzählt, eine von aufstrebender Macht und finanzieller Potenz.

Sie springt von ihrem Drehstuhl auf, sieht aus dem Fenster auf die Elbestraße und macht eine wegwerfende Handbewegung. „Alle sind verunsichert, pures Chaos. Keiner weiß, wie die sich das vorstellen. Die haben doch selbst nicht die geringste Ahnung, wie sie das „ProstSchG”, das neue, sogenannte „Prostitutionsschutzgesetz” (im Oktober 2016 erlassen und seit 1. Juli 2017 rechtsverbindlich) nun umsetzen sollen. Dieses Gesetz ist Regulierungsscheiße und Behördenwillkür in Reinkultur, nichts weiter! Keiner hat einen Plan, was das in der Szene anrichten wird.

Und was das für die Frauen bedeutet unterm Strich.”


/ 2
8.2017©Nyx

_

Dank der positiven Entscheidung unseres Moderatorenteams kann dieses Thema nun – offen kommentierbar für jedermann* – im JOY gepostet werden und bekommt Asyl hier im Hauptbereich der Kurzgeschichten.

*herz*lichen Dank Euch Dreien für Euer Engagement!

*Damit verbindet sich allerdings die Hoffnung, dass wir uns sachgerecht und respektvoll zueinander wie zum Thema verhalten, auf bloße Klamauk-, Dissenzpflege- und Egoshow-Postings verzichten und nicht zu viel „Bereinigungs”- oder Besänftigungsaufwand für unsere Moderatoren entsteht dadurch. Aber das kriegen wir locker hin, nicht wahr?
*hackfresse* ,-)


.
faszinierend -
vor allem diese Kühle, die einem entgegenschlägt, wenn man solche Bereiche betritt.

Ich "musste", durfte mal jemanden aus dem Milieu portraitieren...

Da konnte ich ein bisschen teilhaben an den Ereignissen - "sie" war zwischendurch immer wieder in einem ihrer "Arbeitsräume" verschwunden. Dann kam sie nackt zurück und cremte sich ihre Muschi ein...

Das war ein raffiniertes Stück!
Das Portrait hat sie natürlich nicht bezahlt...
sowas hat eine attraktive Frau nicht nötig *zwinker*

Und sie war tatsächlich attraktiv!
*******ips Frau
2.602 Beiträge
Mir gefällt dein Erzählstil total. Sehr schön geschrieben. Jetzt habe ich eine Frage: kommt noch mehr? Das Ganze klingt wie eine Einleitung und man möchte wissen, was als nächstes passiert, welche Infos noch kommen. Im Moment bin ich noch auf der Suche nach der Metaebene.
******nyx Frau
1.322 Beiträge
Themenersteller 
Dankeschön! *rotwerd*

Es folgt noch ein weiterer, etwas längerer Teil, der die losen „Fäden” der drei beispielhaften Personen, Sprachrohre oder Aspekte aus der „Sexarbeitsszene” in einem Ereignis zusammenführt.

Dies könnte man als punktuelle Darstellung der Irritation der „Szene” auffassen, als Versuch, einige der wesentlichsten Aspekte des gegenwärtigen Stands der massiven Veränderungen durch das neue Gesetz etwas „begreif”bar(er) werden zu lassen.

Die „Metaebene” ist sozialpolitische Bedeutung dieser Gesetzesänderung für unseren Umgang mit sexueller, nicht normgerechter Freizügigkeit und Selbstbestimmung.

Und ich versuche, mit dem Mittel der atmosphärischen Ebene des Erzählerischen, die harten Fakten und nackten Tatsachen ein wenig lebendiger und anschaulicher machen.

(Hoffe ich zumindest).
It´s me!
*********ld63 Frau
8.132 Beiträge
Genauso ...
... sollte ein richtig guter Roman beginnen, anima_nyx! *top*

Ich mag die Struktur sehr, die du der Geschichte durch die unterschiedlichen Perspektiven gibst!

Das Thema ist hochaktuell und sehr brisant. Ich mag deinen eindringlichen, poetisch-farbigen Erzählstil, der die Geschichte ebenso spannend wie unterhaltsam macht. Toll recherchiert außerdem! *spitze*

Und ganz besonders mag ich solche Sequenzen, die einfach Lesegenuss pur sind - und ich beschränke mich jetzt auf zwei Zitate:

Die großstädtische Geschäftigkeit hinter der Scheibe und in der Empfangshalle des ehrwürdigen Hotels scheint durch die wie Milchglas weißlich schimmernden Linien seltsam entrückt.

Eine Lichtzunge flamingofarbenen Scheins leckt mit interesseloser Dreistigkeit im selben Rhythmus über die Stirn der Gestalt, die konzentriert in einen Monitor sieht und schreibt.

*roseschenk* Into
****orn Mann
11.994 Beiträge
******nyx:
Man muss kein Freiheitskämpfer sein, kein Feminist, kein militanter Humanist, kein Anarchist, um diese politische Kehrtwende in Sachen sexueller Freizügigkeit so nachdenkenswert wie bedenklich zu finden.

Ein äußerst brisantes Thema, eine Gesetzesänderung, die - so wie ich es in den Medien mitverfolge - bereits jetzt schon die ersten dramatischen Folgen für diesen Berufsstand bedeutet. Arbeitslose Prostituierte, weil ihre Wirkungsstätten "auf behördliche Anordnung" geschlossen werden, Tantramasseurinnen, die plötzlich zu Huren geworden sind und Bordelbetreiber, die ihre zumeist hohen Einrichtungsaufwendungen schwinden sehen.
Was legal geregelt war und für alle Beteiligten des Horizontalgewerbes eine gewisse "Sicherheit" bedeutete, wird kippen und zwar zurück in die Illegalität grauer Vorzeit.

Tote Hose nicht nur in japanischen Ehebetten, sondern jetzt auch in Deutschen Rotlichtvierteln?

Klasse geschrieben, liebe anima_nyx , *spitze* Spannend! Aufwühlend und dramatisch aktuell!
meine Liebe, das ich deine Wertigkeit in jeder Schreiberei fast süchtig verfolge, ist dir bekannt
hier hast du (meiner Meinung nach) wieder gezeigt, mit welcher Federgewalt du eindringlich die Nägel triffst, die den Nerv erfolgreich zum Bewußtsein bewegen

eine besondere Feder solltest du dafür erhalten, ich werd mich auf die Suche begeben, dir eine entsprechende überreichen zu können
*knicks*
Hurenpass....
Der Text ist phantastisch, eindrucksvoll formuliert und beinhaltet ein sehr brisantes Thema.
Es sagt viel über eine Gesellschaft aus, wie sie mit ihrer Lust umgeht und wie mit ihren Dienerinnen der Lust im Einzelnen und wie im Allgemeinen.
Auf die Fortsetzung bin ich extrem gespannt.

Dankeschön

Matamateo
*****har Paar
41.021 Beiträge
JOY-Team Gruppen-Mod 
Durch diesen Text werde ich unvermeidlich an ein lesenswertes Buch erinnert, in welchem das Thema bereits vor vielen Jahren angesprochen wurde, wenn natürlich auch ohne die neuen Gesetze:

"Schlangenkult und Tempelliebe. Sakrale Erotik in archaischen Gesellschaften" von Eluan Ghazal.

Schon da wurde beschrieben, wie geachtet und geschätzt Dienerinnen der Lust in alten Zeiten waren, Und wie schön es wäre, könnte das auch heute noch der Fall sein.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht ...

(Der Antaghar)
*******lnd Mann
159 Beiträge
wie fange ich an…?
nun denn - mit einer Einordnungsorientierung zu mir *zwinker*
ergänze - meine Wertschätzung zu anderen
und
bilde mein Empfinden in Meinungsform ab
*g*

ich bin hier - in einem der literarischen Foren - nicht verankert - (sozusagen) eher 'aliteratendend Gastkommentierend'
wurde gelockt durch https://www.joyclub.de/my/2254734.leahnah.html s gepinte VerLINKung hierher
und dann
vor allem von der gesellschaftspolitischen Facette

insofern:
*knicks* ggü. https://www.joyclub.de/my/2254734.leahnah.html - zur Verlockung *g*

schließe mich folgenden schon geäußerten Wertschätzungen inhaltlich an *herz*:
Sina_Trips
Mir gefällt dein Erzählstil total. Sehr schön geschrieben.

IntoTheWild63
(bis auf den Einstiegssatz, da ich eine solche 'fachliche' Einschätzung schlicht nicht treffen kann :()

Walhorn
Klasse geschrieben, liebe anima_nyx , *spitze* Spannend! Aufwühlend und dramatisch aktuell!

https://www.joyclub.de/my/2254734.leahnah.html
(wenn auch respektvoll nicht in dieser kennenden persönlichen Note - womit ich auch ausschließlich Leahnah das Federn belasse ;))

https://www.joyclub.de/my/4399301.matamateo.html
Der Text ist phantastisch, eindrucksvoll formuliert und beinhaltet ein sehr brisantes Thema.

und
will dir @anima_nyx (als Kommentierende) gern vermitteln, dass ich dein
(Hoffe ich zumindest).
-> uneingeschränkt nähre!


zusammenfassend mein Respekt für dein literat gekleidetes - gesellschaftlich-relevanten Thema *anbet*

das sogenannte „ProstSchG” ist schlicht gesagt eine Katastrophe, da es weder dem (unterstelltem) Schutzanliegen - von tatsächlich in ausbeutenden Strukturen Tätigen hilft, noch in irgendeiner Weise respektiert, dass Menschen sich für diese Arbeit - selbstbestimmt - entscheiden.
es ist ein weiterer Beweis dafür, was in einer *cis*-*zivilisierten* Mehrheitsgesellschaft unter „Hilfe“ verstanden wird. wir wissen ja was gut ist! *wuerg* - und ist letztlich lediglich der Missbrauch von gesetzlichen Manifestationen, um die eigene (christlich-geprägte) moralische Keule zum Einsatz zubringen…
und
Ja, was hier bisher auch schon an Auswirkungen skizziert ist, war vor Beschluss dieses Gesetzes durch umfangreiche - fachlich qualifizierte - Stellungnahmen (u. a. von Juristinn*en) offensichtlich.
insofern lohnt es auch weiterhin gegen dieses Gesetz vorzugehen, was ein weiter thematisieren erforderlich macht…
AUCH durch publizieren - z.B.: in dieser hier wundervoll beginnenden literarischen Form! *herz*
Keine Beschreibung angegeben.
*******W49 Mann
754 Beiträge
Ich weiß, ich wiederhole mich ...
... und das sehr gerne, in meiner Behauptung, dass Dein Stil einfach brilliant ist, liebe anima_nyx! Die Szenen entstehen vor meinem geistigen Auge in seltener Klarheit. Unter dem Wort "ProstSchG" hätte ich eher einen hippsten Trinkspruch vermutet, oder ein neues Medikament gegen Prostatavergrößerung. Das Metathema ist mir also ziemlich fremd. Aber Du wirst mir das sicherlich in den nächsten Folgen für mich verständlich machen. *zugabe* Ich warte gespannt wie Ares Kriegsbogen, meine Textgöttin! *anbet*
******nyx Frau
1.322 Beiträge
Themenersteller 
Ihr wunderbaren Freigeister!
Ihr seid ja verrückt ... einfach unbeschreiblich ... *rotwerd*.
Danke Euch vielmals.

Auch all denjenigen, die mich in Nachrichten bisher schon wissen ließen, was sie davon halten, wie sehr sie dieses wichtige Thema beschäftigt und wie sie darüber denken.

Unbedingt ist es mein erklärtes Ziel, das „ProstSchG” von der Adelung zu befreien, es könne sich gar um einen der „hippsten Trinksprüche” handeln oder um eine Arzenei gegen „Prost!-atavergrößerung” (Roland_W49, Du Schelm. Da hab' ich mich teil-inkontinent gelacht!).
*haumichwech*

Bin auch recht froh, dass ich mich nicht noch mehr verhebe und entschieden habe, die ganzen Welten des globalen Altertums der Geschichte der Prostitution mit einzubeziehen, denn sonst müsste ich vermutlich auf 1001 Teile erhöhen ,-).

Wobei ... Tempeltänzerinnen, Hohepriesterinnen und deren hohe Kunst, Hure und Heilige, Göttin und Geliebte, da würde mir durchaus das eine oder andere einfallen *anmach* (Danke für den Buchtipp, Antaghar, das kenne ich sogar, lohnt sich.) Diese Themen müssen dennoch ein wenig warten, jetzt geht es mir um ganz aktuell in Selbstbestimmungsrechte Einschneidendes.

Denn wie https://www.joyclub.de/my/4399301.matamateo.html ausführen: „Es sagt viel über eine Gesellschaft aus, wie sie mit ihrer Lust umgeht und wie mit ihren Dienerinnen der Lust im Einzelnen und wie im Allgemeinen.”

Und wer ist die Gesellschaft? (Rhetorische Frage *mrgreen*) Auch wir natürlich! Wir tragen (Mit)Verantwortung für solche folgenreichen Entscheidungen und jede Zurücknahme von Freiheit(en).

Es ist in keinster Weise Schwarzmalerei, wenn Walhorn sagt: „Was legal geregelt war und für alle Beteiligten des Horizontalgewerbes eine gewisse 'Sicherheit' bedeutete, wird kippen und zwar zurück in die Illegalität grauer Vorzeit.”

Das sehe ich leider ebenso und werde es im zweiten Teil auch noch mit einigen Fakten versuchen zu präzisieren und darzustellen.

„Das sogenannte „ProstSchG” ist schlicht gesagt eine Katastrophe, da es weder dem (unterstelltem) Schutzanliegen - von tatsächlich in ausbeutenden Strukturen Tätigen hilft, noch in irgendeiner Weise respektiert, dass Menschen sich für diese Arbeit - selbstbestimmt - entscheiden.”

Kommentiert menschelnd (Was für eine Hammer-Stellungnahme, danke!)
und: „Es ist ein weiterer Beweis dafür, was in einer zivilisierten Mehrheitsgesellschaft unter 'Hilfe' verstanden wird. Wir wissen ja was gut ist!”

Einer der zentralsten Sätze, auch für mich:

Es „ist letztlich lediglich der Missbrauch von gesetzlichen Manifestationen, um die eigene (christlich-geprägte) moralische Keule zum Einsatz zu bringen.

Und ich schließe mich auch hier mit Nachdruck und dankend an:

„Insofern lohnt es auch weiterhin gegen dieses Gesetz vorzugehen, was ein weiteres Thematisieren erforderlich macht.”

*bravo*

Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen und es zeigt mir, wie unverständlich und unsinnig es ist, dass solche Themen hier im JOY nicht breiter, rauf und runter (Auch im Forum!) diskutiert werden „dürfen/sollen”, denn den JOY als Unternehmen und uns als JOY-Mitglieder geht gerade dieses Thema unbestreitbar viel an.

Wie auch immer, Eure Reaktionen und Eure Aufmerksamkeit motivieren mich umso mehr, Teil 2 in die Zielgerade zu treiben.


*blumenschenk* | Nyxe
Ein literarischer Mix aus Roman und journalistischer Reportage zu einem heißen, harten gesellschaftlichem Thema, das genau so angemessen und am besten angepackt wird - und dann hoffentlich auch sowohl nüchtern als auch leidenschaftlich in der Lesereaktion diskutiert wird. So liebe ich "Joy" - und so soll auch das Thema "Prostitution" und „ProstSchG” behandelt werden, persönlich zwingend und gesellschaftlich relevant.

Herzlichen Dank dafür, anima_nyx!!!

Ich bin gespannt, wie Du die Linien der "Fallbeschreibungen" weiter ausziehst, was sich da entwickelt, vielleicht bis zur Schmerzgrenze, welche Dilemmata, Konflikte, gesellschaftliche und dann auch politischen Spannungsfelder aufscheinen; der Glanz und das Elend eines Milieus, das nur eine Randexistenz kulturell und ordnungspolitisch führen darf in dunklen Winkeln des Konsums und sexueller Realität; das Nachtgesicht der Postmodernen, deren Hipster zu cool sind für das Authentische der Gefühle.
Ich...
... muss ganz ehrlich zugeben, dass ich bisher nix von diesem "ProstSchG" (FrostSchutzGesetz?) gehört hatte. Für mich war bis eben dieses Land das Land mit der besten, tolerantesten und vernünftigsten Schutzgesetzgebung für aktive Sexarbeiter/Innen. Und nun offenbar doch nicht, Rückfall in die Steinzeit droht. Die Anderen werden ultranational, wir werden ultramoralisch. Nun denn...

anima_nyx, ein Riesenkompliment: Deine Anwendung der Sprache greift mitten in die Eingeweide und lässt einen nicht mehr los *g* , reißt mit, läßt den Atem anhalten. Selbst wenn mich das Thema nicht interessieren würde (was nicht der Fall ist) würde ich weiterlesen, allein, weil es spannend und vortrefflich geschrieben ist.

Vorm inneren Auge werden Szenarien wach, die an den guten alten Blade-Runner erinnern... und wenn ein Text Bilder erschaffen kann, ist er einfach gut. Klasse, weiter so, ich freue mich auf die Fortsetzung. Punkt.

(und jenseits der verdienten Anerkennung dieses außerordentlichen Talentes will ich die Hoffnung äußern, dass es dereinst eine Gesellschaft geben wird, in der niemand, aber auch niemand mehr vor jemand oder etwas anderem geschützt werden muss. Auch nicht vom Gesetz.)
******nyx Frau
1.322 Beiträge
Themenersteller 
Hurenpass und Bockschein | 2
3 Tage, 3 Städte, 3 Blickwinkel auf Sex als Ware.

Verzeiht mir bitte, ich habe mich grob verschätzt. Dachte tatsächlich, ich bekäme diese Konstruktion meines verhurten Mammutgeschichtchens halbwegs sauber in einem zweiten Teil unter. Habe ich zwar, aber er wäre pervers (*mrgreen* also unverzeihlich, mein’ ick) lang. Viel zu viel, um es hier „mal eben nebenbei” zum Lesen zuzumuten.

Habe also eine Fassung gekürzt, gekürzt und nochmal gekürzt, halb Japan und einen Teil Berlins wieder rausgeschmissen. Dabei fallen allerdings so viele, eigentlich recht nette randständige Infos und Scharmützel unter den Tisch, dass ich mich entschieden habe, die Geschichte doch in 3 packbare Stücke zu gliedern. (Sorry! Schlechte Planung und die @**s best *liebguck*). Einen Part habe ich dabei natürlich auch aus Versehen ganz gelöscht, aber den darf ich nun „mal eben” neu schreiben (schluck).

Der dritte (und ganz sicher letzte ,-) Teil folgt zum Wochenende. Trotz und dem: Viel Vergnügen mit ...


Teil 2


Kabukichō, Tokio. 24 Tage später, 9:44

Ein Dienstag. Dieselbe unwirsche Handbewegung. Ryu Watanabe streicht die immer gleiche widerspenstige Strähne schwarzen Haars zurück. Klemmt sie sich hinter das linke Ohr an dem ihr einziger, allerdings auffälliger Schmuck nun latent zornig schaukelt. Vor ihr nimmt die Misosuppe in ihrer Schale den Impuls auf, schwappt von Ryu weg, hinüber zu einem Mann, der mit ihr an einem der kaum handtuchbreiten Tische sitzt und schwappt wieder zu ihr zurück.

Sie starrt in die Suppe. Ihre Augen folgen drei ganzen Shiitakepilzen, die deutlich mehr Schwung haben als die Tofuwürfel oder gar die fein geschnittene Frühlingszwiebel. Sie hebt den Kopf, ihre kohlendunklen Augen funkeln. Sie antwortet. Kurz angebunden, aber angesichts der Stichhaltigkeit ihres Gedankens mit einem Lächeln auf den Lippen. Ihr Chefredakteur überlegt. Versenkt sich in seine Suppe und Ryu hört lange nichts weiter von ihm als das leise Geräusch, mit dem er die Glasnudeln seiner Hühnersuppe ansaugt, um den aromatischen Sud mit Sherry, Ingwer, Nelken, Piment und Sellerie erst dann vom Porzellanlöffel zu schlürfen und den Nudeln folgen zu lassen. Sie isst gerne mit ihm. Sie sind ein eingespieltes Team, arbeiten gut zusammen. Nur heute stellt er sich quer und das ausgerechnet bei dieser Sache.

Es ist schon ein großes Entgegenkommen, dass er sich bereit erklärt hatte, sie inmitten des Neondschungels des Milieus zu treffen und als sie gestern telefonierten und sie ihm die Navigationsadresse des Nudelrestaurants mit Tōkyō-to, Shinjuku-ku, Kabukichō, 2 Chome−2−28−16 1F durchgegeben hatte, konnte sie geradezu „hören”, wie er die Augen einmal im Kreis verdrehte und sich im Geiste ein Taxi rief. Ihr allerdings ist wichtig, ihm vor Ort zu zeigen, dass der Aufwand des – zugegeben – teuren Fotoshootings mit Portrait- und Nachtaufnahmen in einem der einschlägigen Clubs in diesem Fall gerechtfertigt ist.

Und zwar hier, im „Club Ai”. Genau gegenüber.


~

Berlin-Mitte. Zur selben Zeit, 2:44

Es ist einer ihrer Montage. Aus Ann-Kristins Engagement für vier Stunden vom frühen Abend an ist längst eines für die ganze Nacht geworden. Gleich zu Beginn, an ihrem ersten Montag, hatte es sich schon so ergeben, kaum drei Tage nach jenem Freitag, als sie sich in besagter Bar kennenlernt hatten. Damals war sie ohne viele Worte darauf eingegangen, als er es von sich aus ansprach, nachdem sie bereits sieben Stunden gemeinsam verbracht hatten und sie ihn mit keinem Wort an eine zeitliche Begrenzung ihres Einsatzes für ihn erinnerte. Sie hatte gelächelt, „ja, gerne” gesagt und lediglich ein kurzes Telefonat geführt.

Mindestens Sympathie scheint auch sie für mich zu hegen, denkt er nicht zum ersten Mal.

Sie haben aber auch viel zu lachen! Selbst wenn sie bloß über ihre nächste Verabredung sprechen, übertölpeln sie sich mit schöner Regelmäßigkeit gegenseitig mit Vorschlägen, was denn zu unternehmen sei. Ganz abgesehen davon, dass er mit ihr den Sex seines Lebens hat, wie er findet.

Natürlich ist das eine unfaire Wahrnehmung und noch dazu nicht einmal richtig, er weiß es, aber es stört ihn nicht. Ich lebe noch, verdammt! Lieben, Kinder, Scheidung, Konkurs, Krankheit, Verluste, Ängste. So viele Träume, Sehnsüchte! Ich lebe, bin. Im Hier und Jetzt. Sie ist es, die hier bei mir ist und ich denke jetzt, in diesem Moment, dass ich glücklich bin. Wen wundert es, dass ich dieses schöne Geschöpf mit seiner Intelligenz, seinem Lachen, seiner Lebendigkeit in allem Tun, als Geschenk empfinde? Ein Geschenk für mich. Auch wenn es respektive sie – würde man es kalt und kalkulatorisch betrachten – ein verdammt teurer Spaß ist.

Aber nichtsdestotrotz ein Geschenk. Eines, das ich mir selbst mache nebenbei. Darüber schmunzelt er. Wenngleich ich es nicht so sehe, denn sie ist es, die mir so viel schenkt: Lebensfreude, das Gefühl der Männlichkeit, des Begehrens, ihren traumhaften Körper mit Formen, die meine Augen, meine Hände immerzu suchen müssen, nachzeichnen wollen, begreifen, vor denen ich andächtig innehalte und kaum atmen möchte.

Nur dieses glückselige, zeitvergessene Staunen auskosten.


~

Kabukichō, Tokio. Wenig später, 9:53

Ryu sieht auf die Straßenkreuzung. Die Fassaden, die Gesichter. So viel Leben! Umtriebig, bunt, vielgestaltig, anstrengend. Sie sieht das Schäbige, das Abgelebte. Die Kälte, die große Sehnsucht. Sie lässt ihre Gedanken lose treiben und die Ereignisse Revue passieren. Sie hat so viel gesehen, gehört, erlebt, seit sie hier ist in Kabukichō. Ihr kommt die Schlagzeile in den Sinn, mit der das Alles begonnen hat für sie:

„In den Schlafzimmern im Land der aufgehenden Sonne herrscht tote Hose!”
Und dann das. Was hier los ist!

Okay, wir haben verstanden: Die Hälfte der Japaner hat kein Sexleben mehr. Doch zugleich brummt die Sexindustrie wie verrückt?! Und Pornos und Sex in den Medien haben Hochkonjunktur?! Wer will, watet hier wie dort bis zur Halskrause durch einen sabbernden Sumpf ... Wenn das mal kein Paradoxon ist!

Mit dem sexlosen Leben, dem „Fuck.totum”, wie Ryu es nennt, hatte alles begonnen. Sie hatte sich von Institut zu Institut gegraben und zunächst die harten Fakten eingetütet: Vor gut 10 Jahren hatten ein Drittel der unter 50-Jährigen schon über einen Monat keinen Sex mehr. Aktuell ist die Zahl der Sexlosen auf fast die Hälfte angestiegen. Die Hälfte! Keinen Sex, wochenlang! Kaum zu fassen, aber Ryu fand dieses ernüchternde Ergebnis doppelt untersucht und kreuz und quer bestätigt. In einer Ehe ohne jeden Sex lebten vor knapp 20 Jahren um 30% (der unter 40-Jährigen), heute sind es knapp 60%, mehr als die Hälfte! Bei den Älteren, den über 50-Jährigen, ist der Ofen fast ganz aus: 80 Prozent! Also hat nur jeder fünfte Mensch über 50 heutzutage noch Sex im heimisch-japanischen Bett. (*Zahlen im Detail)

Kein Wunder also, dass auch immer mehr Frauen richtig viel Geld ausgeben für anderweitige Zuwendungen und für Sexdienstleistungen, sich ebenfalls außerhalb einer Partnerschaft bedienen und bedienen lassen. Deren Sicht interessierte Ryu besonders, denn ‚sowas hätte es bei meiner Mutter nicht gegeben’, dachte sie und feixte.

Inzwischen sind beide mit ihren Suppen fertig, der Chefredakteur lehnt sich zurück und lässt sich den aktuellen Stand ihrer Recherche zusammenfassen. Er wird zunehmend wacher, das Thema beginnt ihn zu packen. Ryu entgeht dies keineswegs. Sie sieht ihn an, hält kurz inne, zupft einen Fussel von ihrem zurückhaltend schwarzen Shirt und spricht weiter:

„Sage und schreibe 260 Clubs für Frauen gibt es alleine in Tokio, in denen sich ausschließlich männliche Unterhalter und Sexarbeiter um vernachlässigte (Ehe-)Frauen jeden Alters kümmern. Direkt gegenüber, der „Club Ai” ist so ein typischer Vertreter, ich kenne den Boss inzwischen und einige seiner Jungs. Dort und in den Läden rund um diese Kreuzung hier, habe ich vor, meine Interviewpartner zu portraitieren. Fünf ganz unterschiedliche Kundinnen und drei der Boys: einen Newcomer, einen alten Hasen und meinen „Guide”, der mir hier viele Türen, auch diese, öffnete.” Ryu zeigt über die Straße auf ein mehrgeschossiges Gebäude, an dessen Fassade die üblichen riesenhaft plakatierten Gesichter der jungen Männer hängen, die im letzten Monat den höchsten Umsatz gemacht haben.

„Sie sind die Lockvögel. Die Boys, denen es am besten gelingt, die oft in Grüppchen schnatternden und nach getaner Arbeit hier flanierenden Kundinnen hinter die gleißenden Fassaden zu lotsen. Und sind die vergnügungswilligen Damen erst mal im Club, gilt es, sie zu umgarnen, sie zu Trinkspielen mit Getränken zu sagenhaften (wahrlich horrenden!) Preisen zu verführen – und bei Bedarf natürlich auch zu mehr.

Weißt du, ich muss immerzu an eine der Frauen denken, Ende vierzig, vielleicht ein wenig älter sogar, eine aparte Erscheinung, Augenärztin in einer Großpraxis. Sie hat mir freimütig gestanden, was sie sich wünscht: Herzklopfen, Hingabe, Leidenschaft. Japanische Männer zeigen keine Gefühle, sagt sie, seien nicht sehr aufmerksam. Was sich unter dem zunehmenden Leistungsdruck eher noch verstärke. Die käuflichen Männer hingegen würden sie wie eine Prinzessin behandeln. Und sie, die viel arbeite, wolle auch mal verwöhnt werden. Es sei ihr egal dann, was sie das koste.”

Sie schweigen beide. Sehen hinüber auf die Plakatgesichter. Bizarr, diese 50-fache Vergrößerung. Noch halbe Jungs.

Ihre Münder so groß wie Spülbecken.


~

Berlin-Mitte. Kurz darauf, 2:53

Er wendet sich ab, tritt ans Fenster und sieht über die Häuserschluchten seiner Stadt. Die sich wie alle Großstädte nie ganz der Nacht anvertraut und mit dem quietschenden Ende eines abrupten Verkehrsmanövers, einem Geschrei, dem das Potenzial zur Schlägerei unterschwellig schon eingeschrieben ist oder einer Einsatzsirene aufwartet, nur um sich keine Stunde der völligen Ruhe hinzugeben. Er neigt keineswegs zu Rührseligkeit und Pathos, im Gegenteil, der Naturwissenschaftler in ihm verlangt Präzision, Nüchternheit.
Dennoch ...

Er dreht sich um. Betrachtet sie, wie sie da liegt auf seinem Bett in einem der oberen Geschosse. Durch das bodentiefe Fenster dringt genug Licht, um ihren nackten Körper mit dieser Melange aus Mondlicht und großstädtisch-künstlichem Nachtgeflimmer zu überziehen. Er lächelt und denkt daran, wie sie heute quer über die Linienstraße zu ihm herübergelaufen kam, ihm schon von weitem voller Freude zuwinkte. Strahlend, mädchenhaft in diesem Moment. So jung, so gänzlich unbeschwert.

Sie hatten sich in der ifa-Galerie im Institut für Auslandsbeziehungen getroffen, um „Untie to Tie” zu sehen, eine Ausstellung über „koloniale Vermächtnisse” aus vier Perspektiven. Sie waren Hand in Hand durch die Stationen „Globale Verbundenheit, Urbane Kultur, Formen des Feminismus” und zuletzt „Aufstand und Widerstand” gegangen, hatten diskutiert, waren sich über manche Aspekte einig und über andere uneins, knutschten herum und wiesen sich gegenseitig auf Bemerkenswertes hin. Er hatte in einer Ecke beim dritten Thema, den „Formen des Feminismus”, unter ihren Rock gegriffen und ihren prachtvollen Hintern befühlt, worauf sie ihn mit dem Begleitheft schlug, was seiner Brille weniger gut bekam. Beim Essen später las sie ihm die Karte vor und machte sich einen Spaß daraus, dass er sich nicht konzentrieren kann – noch nicht einmal bei kaum beherrschbarem Hunger auf die Wahl möglicher Speisen – wenn sie mit ihrem Fuß unter dem Tisch seinen Schwanz durch den Anzugsstoff hindurch massiert und auch noch den Hosenverschluss als reißzähniges Druckmittel einsetzt.

Da hat sie mich das erste Mal „mein Silberfisch” genannt, fällt ihm ein.


/ 3
8.2017©Nyx

_
* Japan | Fakten, Quellen im Detail:

Umfragen und Ergebnisse der Japan Family Planning Association sowie der Japan Society of Sexual Science, die sie ebenfalls erhob und bestätigte:

Japan Family Planning Association:
2004 | hatten 31,9% der unter 50-Jährigen über einen Monat keinen Sex
2016 | 47,2%

Japan Society of Sexual Science:
2000 | unter 40-Jährige in einer sexlosen Ehe: 24% Männer, 30% Frauen
2012 | unter 40-Jährige in einer sexlosen Ehe: 59% Männer, 54% Frauen

2012 | über 50-Jährige in einer sexlosen Ehe: 86% Männer, 79% Frauen

Trend zur Sexlosigkeit / Trend zur Beziehungslosigkeit:
2015, National Institute of Population and Social Security Research:

Nur 20% der Männer und 30% der Frauen unter den unverheirateten 18- bis 34-Jährigen leben in einer Beziehung und davon gerade mal 1,8% in einer gemeinsamen Wohnung

47% der Männer und Frauen unter 25 Jahren hatten noch nie Sex (Eine drastische Zunahme, 2002: waren es noch 34% der Männer und 36% der Frauen).

einerseits erhofft, andererseits mußt du jetzt auf die meinige ZauberPFLeder eben noch warten *zwinker*

mennoooo

und wenn du noch Teil 4, 5 und 6 nach*tipp*
ich werde dir folgen *genau*

Recherche, Schreibe, grandios

da bleibt einfach nur

*spitze**zugabe*
****orn Mann
11.994 Beiträge
Sie starrt in die Suppe. Ihre Augen folgen drei ganzen Shiitakepilzen, die deutlich mehr Schwung haben als die Tofuwürfel oder gar die fein geschnittene Frühlingszwiebel.

Ein wundervoller, herrlich-herzlicher anima_nyx - Satz, wie ich ihn schätze und liebe, und an dem ich dich immer sofort erkennen werde. *spitze* Und dabei ist er nur einer von vielen. *kuss2* Die Szene in Kabukicho kann ich 1:1 so bestätigen, bezeichnend für deine wundervollen Details sind z.B. die unterschiedlichen Uhrzeiten "zur selben Zeit", die Zeitzonen, und vieles mehr, was ich in mich aufschlürfe, auch ohne Nudel- oder Pilzbeilage. Die Preise für nur einen einzigen Drink in dieser doch recht interessanten, neonstrahlend bunten Gegend sind unvorstellbar hoch für einen Normaleuropäer.

Dramatisch und frustierend indes die Zahlen zum sexlosen Leben der Japaner, wie sehr sich der extrem hohe Arbeits- und Erfolgsstress auf Liebeslust und Partnerschaft niederschlägt, sie wahrlich nieder schlägt. Dazu kommen die alttraditionellen MANN ...... frau - Wertvorstellungen, wo ein Sex-Versagen verrmutlich doppelt "schlimm" zählt und noch mehr zum Liebsfrust beiträgt, als je ein japanisches Magazin untersucht hat.
It´s me!
*********ld63 Frau
8.132 Beiträge
Einen derart ...
... kontroversen, diskussionswürdigen Stoff so facettenreich und feinsinnig zu präsentieren, ist wirklich eine Kunst, anima_nyx! *spitze*

Und wieder gibt es diese Sätze von dir, die sich mir einbrennen:

Er dreht sich um. Betrachtet sie, wie sie da liegt auf seinem Bett in einem der oberen Geschosse. Durch das bodentiefe Fenster dringt genug Licht, um ihren nackten Körper mit dieser Melange aus Mondlicht und großstädtisch-künstlichem Nachtgeflimmer zu überziehen.

Du hast wirklich eine ganz besondere Art, die Welt zu betrachten! *top*

Auch gefällt mir sehr, dass du das Thema Prostitution mal von einer ganz anderen Seite aufziehst, über die selten diskutiert wird:

Weißt du, ich muss immerzu an eine der Frauen denken, Ende vierzig, vielleicht ein wenig älter sogar, eine aparte Erscheinung, Augenärztin in einer Großpraxis. Sie hat mir freimütig gestanden, was sie sich wünscht: Herzklopfen, Hingabe, Leidenschaft. Japanische Männer zeigen keine Gefühle, sagt sie, seien nicht sehr aufmerksam. Was sich unter dem zunehmenden Leistungsdruck eher noch verstärke. Die käuflichen Männer hingegen würden sie wie eine Prinzessin behandeln. Und sie, die viel arbeite, wolle auch mal verwöhnt werden. Es sei ihr egal dann, was sie das koste.”

Wunderbar erzählt! Ich freue mich schon auf den dritten Teil!
*blume* Into
*********ynter Frau
9.559 Beiträge
Großartig!
was sie sich wünscht: Herzklopfen, Hingabe, Leidenschaft. Japanische Männer zeigen keine Gefühle, sagt sie, seien nicht sehr aufmerksam. Was sich unter dem zunehmenden Leistungsdruck eher noch verstärke. Die käuflichen Männer hingegen würden sie wie eine Prinzessin behandeln.

Wie wahr!
Ich denke, dass diese Gefühlskälte nicht nur ein Problem japanischer Männer ist. Oder warum sind so viele Damen hier im Joy?
****orn Mann
11.994 Beiträge
So viele Damen sind es nun auch nicht!

*haumichwech*
weil vielen Damen der Mut fehlt....🙄
*****169 Frau
6.114 Beiträge
außerordentlich (und) kritisch
Wenngleich ich es nicht so sehe, denn sie ist es, die mir so viel schenkt: Lebensfreude, das Gefühl der Männlichkeit, des Begehrens, ihren traumhaften Körper mit Formen, die meine Augen, meine Hände immerzu suchen müssen, nachzeichnen wollen, begreifen, vor denen ich andächtig innehalte und kaum atmen möchte.
...
Ein Geschenk für mich. Auch wenn es respektive sie – würde man es kalt und kalkulatorisch betrachten – ein verdammt teurer Spaß ist.

... eine aparte Erscheinung, Augenärztin in einer Großpraxis. Sie hat mir freimütig gestanden, was sie sich wünscht: Herzklopfen, Hingabe, Leidenschaft. Japanische Männer zeigen keine Gefühle, sagt sie, seien nicht sehr aufmerksam.
...
Die käuflichen Männer hingegen würden sie wie eine Prinzessin behandeln. Und sie, die viel arbeite, wolle auch mal verwöhnt werden. Es sei ihr egal dann, was sie das koste.

Für mich die Kernaussage, denn unabhängig, ob Mann, Frau, homo oder hetero:
gesucht wird das Lebensgefühl, das Begehren, die Leidenschaft, auch Nähe und Geborgenheit.

Ein Gefühl, welches am Anfang in jeder Beziehung (welcher Art auch immer) vorherrscht und dann leider allzuoft dem Alltag geopfert wird / werden muss.

Wer es sich leisten kann, gönnt sich ab und an dieses 'kleine' Geschenk und macht sich nicht mehr auf die mühselige Suche, es anderenorts zu finden.
Auch wenn diese Facette der Prostitution sicherlich für viele unerreichbarer Luxus ist, so ist sie nicht verwerflich, sondern essentiell.

Hochbrisante Thematik!
Gesellschaftskritisch!

Brillant recherchiert!
Hervorragend und in bewährt-süchtig-machender Manier geschrieben!

*anbet* Chapeau, liebe Anima *hutab*

*spitze* *zugabe*
Respekt!!! *anbet**anbet**anbet*

Vor Recherche (Wahnsinn *hypno*), anima.l.scher Ausdrucksweise und -stärke, der Idee der verschiedenen Blickwinkel und den kleinen Feinheiten, die all Deine Stories so bunt, lebendig und authentisch machen!

Versenkt sich in seine Suppe und Ryu hört lange nichts weiter von ihm als das leise Geräusch, mit dem er die Glasnudeln seiner Hühnersuppe ansaugt, um den aromatischen Sud mit Sherry, Ingwer, Nelken, Piment und Sellerie erst dann vom Porzellanlöffel zu schlürfen und den Nudeln folgen zu lassen

Um nur ein Beispiel zu nennen, bei dem man glaubt, das süßllich-scharfe Aroma auf der Zunge zu spüren und man versucht ist, sich eine verirrte Glasnudel von den Lippen zu lecken.

Doch die ernsthafte Thematik tritt dadurch keineswegs in den Hintergrund, im Gegenteil: sie wird greifbarer, nachvollziehbarer, findet in menschlichen Schicksalen statt, an denen Du uns teilhaben lässt.

Gespannt auf Teil 3 wartend, bestelle ich mir noch eins von diesen Süppchen *essen**schleck*
diese Geschichte
fußt offensichtlich tatsächlich auf sehr genauen Recherchen.

Sie fasziniert mich!

Daß es "käufliche Männer" gibt, die Frauen wie Prinzessinnen behandeln, finde ich ebenfalls direkt aus dem Leben gegriffen *zwinker*

Insgesamt also *anbet*
****ha Frau
6.274 Beiträge
Ist das ein Witz?



Wann muss ich mich anmelden?

Sofort (ab dem 01. Juli 2017) bevor du mit der Tätigkeit anfängst.
Ohne Anmeldebescheinigung und gesundheitliche Beratung darfst du nicht arbeiten.

Wo muss ich mich anmelden?

Das steht bislang für die meisten Bundesländer noch nicht fest, denn die hierfür zuständige Behörde wird durch das Gesetz nicht geregelt.



Aha, ich müsste mich also SOFORT anmelden, aber niemand kann mir sagen wo. Spannend.
......


§ 38 Evaluation

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend evaluiert die Auswirkungen dieses Gesetzes auf wissenschaftlicher Grundlage unter Einbeziehung der Erfahrungen der Anwendungspraxis



Ich frag mich spontan, woher das Bundesministerium wohl die Erfahrungen aus der Anwendungspraxis hat...



Quelle: https://www.prostituiertensc … infos-fuer-sexarbeiterinnen/
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.