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Entfaltung

**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Entfaltung
Wie ich euch, glaube ich, schon mal erzählt habe, sind die Texte über Jorind Teile eines Romanprojekts, das weitgehend autobiegrafische Züge hat. Das Buch ist in drei Teilen konzipiert, der erste handelt von der Lehrerin bis zu ihrem Burnout, der zweite von der Swingerin mit dem Nickname Jalma001, der dritte von der Erzählerin und Poetin luccioladagosto.

Da ich den Roman in den Zeiten des Burnout begann, sind zunächst verschiedene Romanschlüsse entstanden. Denn das brannte mir vor allem auf der Seele: Wie sollte es mit mir, mit meinem Leben weitergehen?

Einen Romanschluss kennt ihr bereits ... Kurzgeschichten: Auf Messers Schneide

Hier nun eine weitere Variante, chronologisch gesehen die zuerst Geschriebene.

Romanschluss (1)

Dank der Hinweise in ihrem Abschiedsbrief zogen Taucher ihre Leiche drei Tage später aus dem zehn Kilometer entfernten Haselbacher See. Um die Knöchel waren mit Strohkordeln zwei große Bruchsteine gebunden, die aus dem Ufergeröll des Sees stammten. Der Spurenlage nach musste sie versucht haben, im letzten Augenblick die Knoten wieder zu lösen. Im Schilf etwas abseits hatten sie zuvor das orangerote Schlauchboot gefunden, mit dem Jorind auf den See hinausgerudert sein musste. Ihr Auto stand auf dem Parkplatz der Badestelle.

Als man noch dabei wr, den Fundort großräumig abzusichern, zog von Westen Sturm auf. Ein böiger Wind fegte Sand und abgebrochene Äste vor sich her. Riesige Regentropfen und rumpelnder Donner kündigten ein heftiges Gewitter an.

Der Polizeiobermeister aus der Kreisstadt drängte seine Leute zum Aufbruch und setzte sich in seinen Dienstwagen.

"Schon der zweite Selbstmord in diesem Jahr!" schrie er den zwei Polizeischülern zu, die an dem Einsatz teilnahmen. "Hier können wir heute nichts mehr machen."

Die jungen Männer banden hastig die letzten Zipfel des rotweißen Absperrbandes zusammen und schlangen es mehrfach um einen dünnen Eisenstab. Mit eingezogenen Köpfen rannten sie gegen den peitschenden Regen zum Wagen und ließen sich erleichtert auf den Rücksitz fallen. Ihr Chef startete den Wagen und fuhr vorsichtig durch den aufgeweichten Sand zum Fahrweg, an dem schwarzen Lieferwagen vorbei, den an beiden Längsseiten ein silberfarbenes Kranzemblem schmückte, und in dem die alte Lateinlehrerin in einem Aluminiumkasten lag.

In weitem Bogen umrundete das Polizeifahrzeug den aufgewühlten See, dicht gefolgt von dem Leichenwagen. Ein kreisender Mäusebussard hatte das Geschehen in seinem Revier aufmerksam verfolgt und verhielt einen Augenblick gegen den Sturm, bis die Autos hinter einem Erlenwäldchen verschwunden waren. In einer engen Wendung drehte er ab und hielt mit dem Wind im Rücken auf den nahen Uferwald zu. Sein rauer Schrei ging im Gewittergetöse unter.

Vier Monate späte zog Theo zu seiner letzten noch lebenden Schwester nach Hessen. Alle Häuser, mit Ausnahme der Ranch, waren verkauft, ebenso die Tiere. Nur die alte Hündin hatte er behalten. Das Gelände des Freizeithofes verwilderte allmählich. Junge Schwarzerlen und Pappeln wuchsen in der Pferdekoppel, im Kuhauslauf breiteten sich wilde Brombeeren aus.

Die alten Baracken verloren die letzten Holzschindeln der Außenwände, im Dachgeschoss des Beamtenhauses zog ein Uhu ein. Als die alte Frau Lohr gstorben war, zog ihr Sohn in eine Gemeindewohnung im Dorf. In dem verwahrlosten Haus, das sie vierzig Jahre ihr Heim genannt hatten, streiften verwilderte Katzen umher.

An der uralten Esche schien die Zeit spurlos vorüberzugehen. Jahr für Jahr trieb sie als Letzte im Juni aus, im Herbst, wenn die übrigen Laubbäume die Blätter längst abgeworfen hatten, blieb sie noch lange grün. Die schwarzen, zwiebelförmigen Knospen waren im Winter von weitem zu sehen, wie kleine Farbtupfer saßen sie am Ende oder seitlich an den grauen Zweigen. In ihnen waren die gefiederten Blätter - sie können bis zu vierzig Zentimeter lang werden - samt Stiel verborgen.

Als zwei Jahrzehnte später Jorinds Tochter Silvia den Vorruhestand erreicht hatte, richtete sie sich im Erdgeschoss des Beamtenhauses häuslich ein, und das stille Gelände erwachte zu neuer Betriebsamkeit. Wie in längst vergangenen Tagen, als die Esche noch ein schlanker junger Baum gewesen war, wurde ihr Laub wieder geerntet und getrocknet. So hatten die Tiere neben dem Heu in den Wintermonaten zusätzliches Futter.
****en Frau
18.178 Beiträge
Irgendwie ist das richtig schön. Sich unterschiedliche Möglichkeiten auszudenken, wie das Leben an einem Scheideweg weitergehen könnte. Einmal reinschmecken, wie sich das anfühlt, wenn man diese oder jene Variante wählt. Um danach eine bessere Wahl treffen zu können.

Ein spannender therapeutischer Ansatz, sehr kreativ und wohl auch heilsam - immerhin bist du noch hier, was mich sehr freut.

An diesem Schluss glaube ich zu erkennen, wie wenig du dich selbst zu dem Zeitpunkt des Niederschreibens "gesehen" hast. Du beschreibst fast ausschliesslich die Natur, die Tiere und das Haus, wie sie ohne dich sein würden, was aus ihnen werden würde. Ich hoffe, dass du dir selbst wieder mehr in den Blick gekommen bist.

Fühl dich umarmt!
Jaaa!
Auch mir sind das Eintauchen in ursprünglicher Natur und der Kontakt zu Tieren eine große Hilfe bei der Verarbeitung von Trauer und auch beim Aushalten ansonsten für mich unerträglicher Zustände im Jetzt.

Danke auch von mir! *ja* laf
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Drei was
Samstagnachmittag. "Freies Training" mit den Reitkindern aus dem Dorf. Auch Denny war mitgekommen und lungerte in Jorinds Nähe herum. Die Mädels putzten die Pferde, lachten und schwatzten. In der Nacht war ein heftiger Sturm über die Ranch hinweggezogen. Unter den Pappeln lagen zahlreiche abgestorbene Äste, die von den schweren Windböen herabgefegt worden waren. Jorind begann, sie einzusammeln und neben dem Fahrweg in einem Haufen aufzustapeln. Denny half ihr dabei.

Als sie unter den Pappeln fertig waren, ging Jorind zu der alten Esche hinüber. Schon beim morgentlichen Füttern hatte sie einen riesigen Ast bemerkt, der in der Nacht abgebrochen sein musste. Sie bückte sich, klemmte sich das dicke Astende unter den Arm und zog daran. Denny war ihr gefolgt. Jetzt stand er dicht vor ihr und versperrte ihr den Weg.

"Jorind."

Sie musste dem Jungen mal den Kopf waschen. Sein Gesicht kam näher. Schnell drehte sie den Kopf zur Seite. Da half nur eine Schocktherapie.

"Ich muss dir was sagen", fing sie an.

"Was denn?"

"Eigentlich drei was."

"Drei was?"

"Plapper mir nicht nach wie ein Papagei", sagte sie grob.

"...?"

"Knutschen mag ich nicht."

"Ein was."

"Busengrapschen kann ich nicht vertragen."

"Du hast aber einen schönen Busen." Er hob den Arm. Sie schlug ihn zur Seite, ließ den Ast los und trat einen Schritt zurück. Er seufzte.

"Okay. Zwei was."

Sie startete von ihm weg, trabte rückwärts den Fahrweg entlang, trotz der schweren Wanderstiefel leichtfüßig wie ein Schiedsrichter der Bundesliga.

"Was noch?" schrie er hinter ihr her.

Sie lief immer noch rückwärts und war schon fast außer Rufweite. Jetzt hob sie den Arm und winkte ihm zu.

"Wenn ich ficke, muss ich kotzen!"

Denny blieb zurück, verletzt und wütend. Er hockte sich ins Gras und lehnte den Rücken an den rissigen Eschenstamm. Uralt, der Baum. Dreihundert Jahre? Wie alt mochte Jorind sein? Ende fünfzig? Schwer zu schätzen. Manchmal hüpfte sie herum wie ein Schulkind im Pausenhof, dann wieder kam sie mit hängenden Armen daher, wirkte bedrückt und - ja, uralt. Er selbst war sechzehn. Er begann, an den Fingern die Jahrzehnte abzuzählen. Vierzig Jahre konnten zwischen ihnen liegen, gut und gern. Zwei Generationen.

Er sprang auf und ging zu seinem klapprigen Rad, packte es am Lenker und schwang sich hinauf. Als er an Jorind vorbeifuhr, die gerade Livias Hufe auskratzte, schrie er:

"Du könntest meine Oma sein!"

Jorind richtete sich auf und schickte ihm eine Kusshand nach. Na also. Das wäre geschafft!
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Stream of Consciousness (1) Mit Dank an Virginia Woolf
Die ersten Gedanken zu meinem Romanprojekt habe ich in Tagebuchform aufgeschrieben. Zu der Zeit nahm ich an einem Schreibprojekt auf schreiberkstatt.de teil, bei dem über den Zeitraum eines Jahres hinweg täglich fünfhundert Wörter geschrieben werden sollten.


Heute will ich's mal mit dem "Stream of Consciousness" versuchen. Als ich gestern den ersten Entwurf eines Plots geschrieben habe, ist mir klar geworden, dass ich die Figuren des Romans viel mehr herausarbeiten muss, um mehr Plastizität zu erhalten. Die Geschichte von Jorind wird sonst zu flach, wenn es nur um sie und ihr Innenleben geht.

Ich brauche also mindestens noch einen Theo Buchner, der mehr ist als nur ihr Mann, dann zwei Lehrer(innen) und zwei Schüler(innen), diese eventuell in Personalunion mit den Reitmädels. Aber noch besser wäre es, wenn ein Schüler als Gegenspieler gezeichnet werden kann, z.B. der aus der zwölften Klasse, dem ich wegen Betrugsversuchs null Punkte geben wollte, der aber mit Hilfe seiner Kursleiterin eine Ersatzklausur durchgesetzt hat.

Auch bei Jorinds Kollegen wäre es gut, wenn es eine unterstützende und eine kritisierende Figur gäbe. Aus Gründen der Abwechslung vielleicht den "Mamei" (kurz für Manfred Meier) als Sympathisanten, und die Frau Lerche als Gegenpol.

Dieses Gedanken-Aufschreiben ist genial! Es bringt die Sache in Fluss und verschafft mir auch mühelos die fünfhundert Wörter pro Tag (das Schreibprojekt auf schreibwerkstatt.de). Gut, dass mich die Virginia Woolf darauf gebracht hat. Jetzt weiß ich auch, wie ich das mit der Liebesgeschichte einflechten kann. Bisher wollte ich immer eine zarte Romanze mit einem der Mieter auf der Ranch kreieren, aber wie ich jetzt an Mamei denke, merke ich, dass hier in der schulischen Umgebung eine bessere Einbindung der Figur möglich ist, schon wegen der größeren Auswahl an Personen. Und von Mamei habe ich ja schon die Emails aus dem Burnout-Manuskript. Er ist eine sehr plastische Figur mit starken Charakterzügen, die sich auch noch leicht überzeichnen lassen.

Bei den Antagonisten im Kollegium werde ich mich auf die Lerche konzentrieren, sie brauche ich nicht zu überzeichnen, sie hat auch so genug Profil. Auch hier kann ich auf Email-Verkehr und die eine oder andere peinliche Begebenheit zurückgreifen.

Unter den Schülern werde ich entweder Kristin oder Eva Anna-Lena auswählen, sie sind die Sympathisanten und schaffen als Reitmädels eine Verbindung zur Ranch.Der Gegenspieler könnte, wie schon oben beschrieben, der Schüler aus der Zwölf sein. Einen wirklichen Bösie gibt es ja eigentlich nicht, höchstens den Nils aus der Fünften - mittlerweile der Sechsten - oder diesen anderen Schüler, den ich gar nicht persönlich kenne, der aber viel Wirbel verursacht hat, als er in seinem Blog der Lerche und mir die Ermordung angedroht hat, was dann auch zu seinem Rausschmiss aus der Schule geführt hat.

Somit wären wir bei folgenden Charakteren angekommen:
Jorind Steffens, ihr Mann Theo Hausner, die Freundin Susann Greiff-Besam, die Schülerin …, die gleichzeitig eines der Reitmädels ist, der Schüler …, Kollege Mamei und Kollegin Lerche. Sieben Hauptpersonen also, daneben natürlich noch viele andere Randfiguren.

Unter den Tieren sind die wichtigsten: Die Pferde Livia, Nabucco, eventuell noch Capira, natürlich Domena und, nicht zu vergessen, die Hündin Jamie. Über die Pferde habe ich schon Beschreibungen verfasst, Jamie folgt als nächste. Capiras Kauf und Training sind schon in einer Kurzgeschichte angelegt.

So schnell bin ich noch nie bei fünfhundert Wörtern angelangt!
Realität und Fiktion
Liebe Luccio,

vielen Dank, dass Du Deine Überlegungen zu deinem Roman teilst. Die Frage, welche Personen welche Rolle spielen, ist tatsächlich elementar, meiner Ansicht nach.

In meinem eigenen Roman, an dem ich gerade schreibe, hat sich bei meiner Recherche ein Problem heraus gestellt, das ich nun durch Überarbeitung gelöst habe:

Ein Roman wird per se als Fiktion angesehen. Natürlich können reale Personen als "Urbild" zur Charakterisierung her halten. Aber aus rechtlicher Sicht kann es schwierig werden. Wenn eine Person, vor Allem wenn sie negativ dargestellt wird, sich in dem Roman erkennt, und auch für andere erkennbar sind, kann sie vor Gericht gegen Dich klagen.

Daher ist es wichtig, so viel zu ändern, dass ein Erkennungseffekt nicht entsteht: der Name, das Äußere, der Beruf, die Lebensgeschichte etc.

Inzwischen stelle ich fest, dass die Umwandlung der realen Person in eine fiktive mir beim Schreiben sogar hilft. Ich kann viel freier der Fiktion folgen und bekomme zum real Erlebten einen besseren Abstand, trotzdem die eigenen Erlebnisse für den Plot maßgebend sind.

Soweit mein cent dazu
Liebe Grüße
Hyperica
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Schauplätze
Die Ranch
Von den Schauplätzen der Handlung habe ich möglichst genaue Beschreibungen entworfen.
Wer auf der Autobahn Frankfurt - Dresden unterwegs ist und die Ausfahrt Gera nimmt, müsste schon großes Glück haben, wollte er ohne Navigationshilfe das verschlafene Dörfchen aufspüren, in dem die Lehrerin Jorind Steffens und ihr Mann Theo Buchner ihren Freizeithof bewirtschaften.
Das ehemalige Bergbaugelände "Amalienschacht" erstreckt sich auf zwei Hektar entlang der stillgelegten Bahnstrecke Zeitz - Altenburg.
Eine stattliche Pappelallee grüßt den Besucher schon von weitem. Nähert er sich auf einem der beiden Feldwege, die vom Dorf zur Ranch führen, kann er zur Rechten zwei langgestreckte Baracken erkennen, die innerhalb des weitläufigen, mit alten Obstbäumen und Weißdorngestrüpp bewachsenen Kuhauslaufs liegen.
Linker Hand liegt die von Kohlestollen untergrabene Pferdekoppel, davor Häuschen und Gärtchen von Nachbar Bobitsch, dessen Gefühle für die Hobbybauern zwischen betontem Ignorieren und widerwilligem Respekt schwankten.
Waren Jorind und Theo anwesend, wurde der Besucher, lange ehe er das grüngestrichene Hoftor erreichte, von dem mächtigen Gebell der Altdeutschen Hütehündin empfangen, die ihre Hauptaufgabe darin sah, jedermann vom Betreten des Grundstücks abzuhalten.
Hatte der Ankömmling diese Hürde überwunden, war Jamie angebunden, eingesperrt, festgehalten oder mit ihm bekannt gemacht worden, ging es auf dem Fahrweg zwischen vorderer Baracke und Pferdekoppel an den imposanten Pappeln entlang am Putengehege vorbei zu dem Mischwald, der das Grundstück zur Bahnlinie hin begrenzte.
Davor gabelte sich der Weg. Rechts ging es zu den Kühen, den Puten und zum hinteren Torausgang. Folgte man dem Schwenk der Allee nach links, passierte man das verwahrloste Gebäude, in dem die alte Frau Lahr mit Sohn Achim hauste, und gelangte schließlich zu einer riesigen Esche, die über eine wellige Rasenfläche ihre gewaltige Krone ausbreitete. Dicht dahinter ragte das verlassene "Beamtenhaus" drei Stockwerke empor, mit verwildertem Garten, Wäscheplatz, Garagen, Holzschuppen und Waschhaus.
Das eindrucksvolle Bauwerk umfasste acht geräumige Wohnungen und darüber einen Trockenboden, der sich über die gesamte Grundfläche erstreckte. Von hier oben hatte man einen großartigen Ausblick über die weitläufigen Felder bis zu den Nachbardörfern.
Im Winter konnte man regelmäßig für einige Wochen eine Zusammenkunft von mehreren Tausend Wildgänsen aus Skandinavien beobachten, die inmitten der schmackhaften Wintergerstegräser rasteten, bevor sie nach Südspanien und Nordafrika weiterzogen.
Doch das Dach ließ das Regenwasser durch, und so waren die Mieter im Laufe der Jahre von oben nach unten umgezogen, bis die letzte Familie schließlich auch das Erdgeschoss verlassen hatte.
Der Amalienschacht hatte in den zwanziger Jahren einer jüdischen Familie aus Berlin gehört, die als erste mit dem Abbau der Braunkohle begonnen hatte. In der Nazizeit war sie zum Verkauf gezwungen worden und, bevor die Gestapo sie in das nahegelegene Konzentrationslager deportieren konnte, im letzten Augenblick in die Schweiz geflüchtet.
In den Bergwerksstollen war eine Wehrmachtsküche eingerichtet worden, die die Soldaten der Flakstellung im Nachbardorf mit Essen versorgte. Dort lag eine kriegswichtige Produktion von Benzin aus Kohle und eine Brikettfabrik.
Nach dem Krieg war das Gelände in Volkseigentum überführt und der Kohleabbau bis in die sechziger Jahre weitergeführt worden. Im Beamtenhaus und den Baracken waren schlesische Flüchtlinge und einheimische kinderreiche Familien einquartiert worden, die bis zum Ende der DDR Wohnungen und Gärten mit lärmendem Treiben erfüllt hatten.
Das Wesentliche
Liebe luccio,

ich finde die Überlegungen zu deinem Roman absolut kreativ. Aber ich frage mich: Willst du eine Geschichte schreiben, oder einen 600seitigen Schmöker?

Was ist die Prämisse Deiner Geschichte? Worum geht es? Kannst Du das in maximal drei Sätzen skizzieren?
Willst du in Nebenschauplätzen ausschweifen, oder dicht am Eigentlichen bleiben?

Meiner Meinung nach sollten die Hauptakteure eine Entwicklung durchschreiten, die die Prämisse der Geschichte stützt. Die Nebenplots sind mit dem Hauptplot verschränkt und treiben die Entwicklung der Protagonisten voran. Alles, was für die eigentliche Bedeutung der Geschichte nicht relevant ist, gehört nicht hinein.

Außer Du willst eine Saga schreiben ... das ist richtig, richtig viel Arbeit.

Liebe Grüße
Hyperica
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Du hast ...
... natürlich Recht, liebe https://www.joyclub.de/my/4014352.hyperica.html.

Die Beschreibung des Schauplatzes "Ranch" ist nicht dafür gedacht, im Roman zu erscheinen, sondern nur für mich, als Vorarbeit.

Genau so habe ich zu allen Personen, die im Buch auftreten sollen, eine detailierte Beschreibung angefertigt. Auch nur für mich, um jederzeit ein klares Bild der Figuren zu haben.

Darüber hinaus habe ich eine Liste zu den unterschiedlichen Motiven gemacht, die die Personen bewegen. Hierin, wie in den anderen Punkten auch, bin ich Elizabeth George gefolgt, die einen für mich sehr schlüssigen Ratgeber geschrieben hat, "Wort für Wort".

erklärt

Luccio
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Zum Thema "erotische Szenen" ...
Für die Darstellung des etwas komplexen und widersprüchlichen Verhältnisses von Jorind und ihrem "Lieblingskollegen" habe ich eine Reihe erotischer Szenen verfasst, die an geeigneten Stellen in den Roman eingestreut werden sollen.
Das hat mir beim Schreiben viel Spaß gemacht, und ich wollte auch einfach mal sehen, wie sich das anfühlt und ob ich es überhaupt kann.
Noch nicht entschieden ist, ob diese Szenen als Teil der Romanhandlung auftauchen sollen oder lediglich als Jorinds Träumereien und Fantasien. Hier wäre ich für eure Meinungen und Ratschläge dankbar. Hier mal ein Text als Beispiel.


Im Computerraum

Jorind saß in dem leeren Computerraum der Schule am Lehrerpult und checkte ihre Emails, als die Tür aufging und ihr Lieblingskollege auf der Schwelle erschien. Er grüßte kurz und kam näher, mit dem wiegenden Gang, der so typisch für ihn war, wie ein Seemann auf Landgang. Er stellte seine Tasche ab und blieb neben ihr stehen.

"Kann ich Sie kurz stören? Ich müsste ein Programm überprüfen, das ich gestern installiert habe. Wahrscheinlich wird es heute schon gebraucht."

"Klar." Sie sprang auf und stieß dabei ihren Stuhl zurück. Er rollte auf seinen Drehrädchen mit einem dumpfen Geräusch Richtung Tafel. Jorind trat zur Seite, er beugte sich über das Pult und begann, mit routinierten Klicks in rascher Folge verschiedene Seiten zu öffnen. Außer der Maus, die seine rechte Hand mit leichtem Wischen übers Pad bewegte, war nichts zu hören.

Sie stand hinter ihm und sah auf seinen Rücken. Einem unwiderstehlichen Impuls folgend atmete sie tief ein und blies ihm sacht auf sein Hemd, in das Tal zwischen den langgestreckten Rückenmuskeln.

Er zog scharf die Luft ein und hielt den Atem an. Dann drehte er sich mit einer dieser fließenden Bewegungen, die sie so an ihm mochte, nach ihr um. Einen Augenblick dachte sie, er würde sie wegschubsen, aber er ließ sich auf den Stuhl gleiten und zog sie mit sich. Sie verlor das Gleichgewicht und landete mit Schwung auf seinem Schoß.

Ein paar Atemzüge lang verhielt sie wie erstarrt. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und schob die Hand zwischen seine Beine. Sie konnte seine wachsende Erregung spüren. Mit jedem Pulsschlag wurde die Hand ein wenig weiter gedrängt.

"Ein Wunder der Natur", flüsterte Jorind, und es war nicht ganz klar, ob sie es ernst oder spaßig meinte. Ein rascher Blick zur Uhr über der Tür. Gleich war ihre Freistunde zu Ende. Ein fröhlicher Schwarm Elfjähriger würde den Raum stürmen.

Sein Blick war ihrem gefolgt. Er schnaubte unwillig, und sie merkte, dass auch er aus dem Konzept gebracht war.

Ein schrilles Klingeln kündigte die Pause an.

"Hier wird einem aber auch gar nichts gegönnt", stellte sie sachlich fest, mehr belustigt als verärgert. Es klang sogar ein wenig erleichtert. Sie tauchte unter das Pult und angelte nach ihrer Tasche. Als sie die Tür öffnete, blickte ihr ein kleiner Blondschopf erwartungsvoll entgegen.

"Frau Steffens, haben wir heute bei Ihnen Medienkunde?"

"Leider nein. Vielleicht ein andermal." Sie zwinkerte ihm zu und ging beschwingten Schritts davon.
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Nebenhandlungen
Bisher habe ich zwei Nebenhandlungen entworfen, in denen jeweils eine Personengruppe auftritt. Die eine nenne ich die "Mausergang", die andere die "Schatzsucher".

Die Mausergang besteht aus drei Brüdern, Achim und Marko Lahr, ihrem Halbbruder Paul Dahm, und ihrem Kumpel Manuel Schneeberg.

Achim wohnt auf der Ranch in einem baufälligen Nebengebäude, zusammen mit seiner Mutter Charlotte Lahr. Beide sind Alkoholiker. Achim ist eine gutmütige Seele und ein heimlicher Verehrer von Jorind. Mit seiner alten Mutter dagegen ist nicht gut Kirschen essen, vor allem, wenn sie "am Feiern" ist.

Marko wohnt in der Kreisstadt und kommt nur ab und an zu Besuch auf die Ranch. Dort sorgt er meist für ziemlichen Wirbel, da er kein Kind von Traurigkeit ist.

Paul Dahm ist, wie Achim und Charlotte, ein Mieter von Jorind und Theo und wohnt in deren Haus in der Hauptstraße. Er haust allein in seiner Dreizimmerwohnung, will aber seinen Sohn bei sich aufnehmen, sobald dieser aus dem Knast entlassen ist, wo er wegen Drogendelikten einsitzt.

Manuel Schneeberg wohnt ebenfalls in dem Haus in der Hauptstraße, zusammen mit seiner Freundin Claudia Kaufmann. Claudia hat schon mal bei der Heuernte geholfen und sich dabei als tatkräftig und ausdauernd erwiesen. Dadurch hat sie sich Jorinds Anerkennung erworben, die nichts so sehr schätzt wie persönliche Tüchtigkeit.

Alle Mitglieder der Mausergang sind Hartz-IV-Empfänger und bessern von Zeit zu Zeit ihr mageres Einkommen mit Aushilfsjobs und dubiosen Geschäften auf. Damit sind wir bei der Namensgebung der Gruppe angekommen. "Mausergang" nenne ich sie, weil sie auf der Ranch dafür sorgen, dass Dinge verschwinden, die im Moment nicht gebraucht werden, und deren Abwesenheit daher erst einige Zeit später bemerkt wird.

Handlungsverlauf

Anläßlich ihrer gelegentlichen Saufgelage versuchen die Männer, Werkzeug oder Maschinen auszubaldowern, deren Verschwinden nicht sofort auffällt, und für die sie schon im Voraus einen Abnehmer suchen. Das könnte z.B. eine Mähmaschine sein, die im Winter "gemaust" und erst im folgenden Frühsommer vermisst wird.

Als die Schatzsucher bezeichne ich eine Gruppe von drei Jugendlichen, bestehend aus zwei Mädels und einem Jungen. Tonangebend ist Anna-Lena, die wir schon als eine der Hauptfiguren kennengelernt haben (vgl. "Capira" in "Tiergeschichten").

Die anderen beiden sind Aileen, eine Hauptschülerin aus dem Nachbardorf, und ihr Freund Denny, der mit ihr in die selbe Klasse geht (vgl. "Drei was"). Anna-Lena hat in einer Runde am Lagerfeuer von Theo gehört, die Ranch habe früher einer jüdischen Familie gehört, die im Zweiten Weltkrieg vor den Nazis fliehen musste.

Sie erzählt Aileen und Denny davon, die von Zeit zur Zeit zur Ranch kommen, um ihr beim Reiten zuzusehen und die Tiere zu besuchen. Aileen ist vor allem fasziniert von den Kühen, hat aber auch ein wenig Angst vor ihnen.

Denny zieht es mehr zu den Katzen, und er hat auch schon mal ein Kätzchen von Jorind geschenkt bekommen und nach Hause genommen. Dort hat aber der Hund der Familie Einspruch erhoben, und er musste es wieder zurückbringen.

Handlungsverlauf

Die drei fangen nun an, Vermutungen darüber anzustellen, ob diese jüdische Familie vielleicht vor ihrer Flucht etwas Wertvolles vergraben oder versteckt haben könnte. Schließlich einigen sie sich auf zwei Schwerpunkte, denen sie nachgehen wollen.

Da ist einmal der Keller im Beamtenhaus, wo sie den Boden aufgraben wollen, der nicht betoniert, sondern lediglich mit Backsteinen gepflastert ist, und zum anderen der Bergwerksstollen, dessen Eingang im Pferdeauslauf liegt und nur teilweise mit Bauschutt verfüllt ist.

Auf dies beiden Örtlichkeiten sind sie gekommen, weil sie in konspirativen Zusammenkünften versucht haben, sich in die damalige Situation hineinzuversetzen und zu überlegen, wo sie selbst etwas verstecken oder vergraben würden, wenn sie in einer solchen Lage wären und die Hoffnung hätten, irgendwann zurückkehren und ihren Besitz wieder an sich nehmen zu können.
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Das Gelage
Der Himmel an diesem späten Winterabend war sternenklar. Es schien kein Mond. Die Luft war frisch und roch nach Schnee.

Die Tiere auf der Ranch richteten sich allmählich auf ihre Nachtruhe ein. Das Abendfutter war längst gefressen, die Pferde suchten noch schnobernd die letzten Halme zusammen. Die Kühe hatten sich auf ihrem Lieblingsschlafplatz zur Ruhe begeben, die beiden Hennen Braune und Weiße und der Gockel mit dem schlichten Namen Hahn saßen auf den geöffneten Fensterflügeln ihres Hühnerhauses und schliefen bereits. Auch aus dem Putenstall war kein Laut mehr zu vernehmen. Das Gekollere und die "Puit-puit"-Rufe seiner Bewohner, bei Tage eine vertraute Geräuschkulisse, waren verstummt.

In Lahrs Privatkneipe, halb Gartenhäuschen, halb Holzschober, ging es umso geräuschvoller zu. Hier saßen Achim, seine Brüder Marko und Paul und ihr Kumpel Manuel inmitten chaotisch aufgetürmten Gerümpels rund um einen rostigen Grill, auf dem sich Speckscheiben krümmten und Würstchen zischend ihren Saft in die glühende Holzkohle tropfen ließen.

Auf einem wackligen Tischchen standen zwei Flaschen "Brauner" und ein paar Gläser, darunter eine Kiste Cola und zwei Kasten Bier. Ein bullernder Kanonenofen verströmte gemütliche Wärme, aus dem Radio, das auf einer staubigen Anrichte thronte, dröhnte Johnny Cash sein "I walk the Line".

Achim stand auf und drehte mit bloßen Fingern die Würstchen um. Seine hochgewachsene Gestalt mit den strähnigen Haaren wurde von einer schmuddeligen Pudelmütze gekrönt.

"Wiss ihr eigentlich, dass Theo unter falschem Namen lebt?" fragte er leicht nuschelnd, zog dabei hastig die Hand zurück und blies sich auf die Fingerspitzen. "Sein richtiger Name is Egon."

Er sah die anderen der Reihe nach an, um zu sehen, wie die Nachricht auf sie wirkte.

"Woher willsdu das wissen? Hasdu seinen Pass gesehen?" Markos Sprechweise war schon etwas verwischt. Skeptisch blickte er von seinem dreibeinigen Hocker zu seinem Bruder hoch.

"Nein, aber ich hab selber gehört, wie Jorind sich mit ihrer Freundin unterhalten hat. Sie hat gesagt: 'Er is mein alter Egon'."

"Warum sollte er seinen Namen gewechselt haben?" ließ sich Paul aus seinem dämmrigen Winkel vernehmen. Das schwache Licht der mit Spinnweben behangenen Lampe drang kaum bis zu ihm. Die kleine Gestalt mit dem runden Schädel und dem gewaltigen Kugelbauch war gerade noch zu erkennen.

"Er hat mir erzählt, dass er früher eine eigene Kneipe gehabt und Pizzas gebacken hat", gab Achim Auskunft. "Vielleich hat er mit gepanschtem Öl gehandelt un musse untertauchen."

"Aber warum 'alter Egon'?" Paul blieb hartnäckig.

"Sie denkt bestimmt, dass er bald den Löffel abgibt. Einen Herzinfarkt hat er ja schon gehabt. Dann helf ich ihr bei allem un darf ihr ab un zu an die Wäsche gehen." Er seufzte voller Vorfreude. Seit Jahren schon war Jorind die Königin seines Herzens, und noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass aus seiner heimlichen Verehrung eines Tages mehr werden könnte.

"Das kannsdu dir abschminken. Zu mir hat sie gesagt, sie kann Alkohol nich riechen", meldete sich Marko wieder zu Wort. "Außerdem issie kalt wie eine Hundeschnauze."

"Das glaubsdu." Achim fuchtelte seinem Bruder mit dem Zeigefinger vor der Nase herum. "Wetten, wenn du sie im richtigen Moment erwischst, geht sie ab wie eine Rakete."

Marko war nicht überzeugt. "Ich würde mir lieber ihre Freundin zur Brust nehmen."

"Die Dicke willst du flachlegen?" Paul schlug sich wiehernd auf die Schenkel. "Dicke - flach!"

Er verschluckte sich, kippte hustend nach hinten und blieb stöhnend liegen. Die anderen achteten nicht auf ihn.

"Sie is nich dick", protestierte Marko. "Sie is -" Er stand auf und beschrieb mit ausholendem Armschwung die Umrisse eines übergroßen Buddha. "- einfach göttlich."

"Was weißt du schon von Gott!" Das war Manuels erster Satz an diesem Abend. Der hünenhafte Mann mit dem rasierten Schädel war hörbar schlechter Laune. "Du bist ja noch nicht mal getauft." Manuel stammte aus christlichem Elternhaus, und seit mit der Wende der Glaube wieder an Ansehen gewonnen hatte, prahlte er manchmal damit.

"Mann, bisdu heute schlecht drauf. Was'n los?"

"Theo vermisst seine Motorsäge. Du musst sie zurückgeben. Er macht ganz schön Druck."

"Das kann ich nich. Ich hab sie nich mehr."

"Du musst. Willst du, dass wir alle auffliegen?"

"Kann mir mal einer aufhelfen?" Paul wimmerte vor Schmerzen. Manuel wuchtete sich hoch, schwankte leicht und beugte sich über ihn. Er packte ihn unter den Achseln und versuchte, ihn auf die Beine zu stellen. Paul schrie auf. Manuel ließ ihn los und wurde auf einen Schlag fast nüchtern.

"Er kommt nich hoch", stellte er fest. "Wir müssen ihn liegen lassen." Sie deckten ihn mit ein paar alten Jacken zu, die innen an der Tür gehangen hatten.

Irgendwie war ihnen die Lust zum Feiern abhanden gekommen. Manuel machte sich bedächtig auf den Heimweg, die anderen suchten sich jeder ein Plätzchen zum Schlafen. Johnny Cash war lange verstummt. Nun ging das Licht aus und nächtlicher Friede kehrte ein.

Als Paul am nächsten Nachmittag immer noch nicht stehen konnte, riefen die Brüder den Rettungswagen an. Die Sanitäter stellten einen Beckenbruch fest und fuhren den Mann mit Blaulicht und Sirene in die Klinik.
It´s me!
*********ld63 Frau
8.118 Beiträge
Authentische Szene, liebe Luccio, flüssig und lebendig geschrieben. Gefällt mir sehr gut!

Die erotische Szene im Computerraum würde ich noch ein wenig ausbauen,die Spannung mehr aufbauen.

Ein paar Atemzüge lang verhielt sie (sich) wie erstarrt. (war sie wie erstarrt) Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und schob die Hand zwischen seine Beine. Sie konnte seine wachsende Erregung spüren. Mit jedem Pulsschlag wurde die Hand ein wenig weiter gedrängt.

In dem du die Protagonisten so schnell "zur Sache" kommen lässt, verschenkst du Potential, finde ich.
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Hospitation
Ihr Lieben! Heute habe ich mich zum ersten Mal daran gewagt, eine Schulstunde zu beschreiben. Davor hatte ich mich bisher gedrückt, weil die Erinnerungen zuviele Emotionen auslösten. Hier also der erste Versuch. Kritik und Ratschläge sind ausdrücklich erwünscht!

Die Schulleiterin hatte sich in Jorinds neunter Lateinklasse zur Hospitation anmeldet. Jorind entschied sich (aus Trotz?), keine "Schaustunde" zu veranstalten, also alles unter der Fragestellung zu planen: Was will sie gerne sehen? Stattdessen wollte sie die Lerneinheit nach ihren eigenen Vorstellungen zu Ende bringen:

Zu Anfang eine Leistungskontrolle zum Stoff der Lektion, danach eine kreative Ausgestaltung des Lektionsthemas "Europa und der Stier", verbunden mit der Einführung in "Scratch", einem vom MIT (Massachusetts Institute of Technology) speziell für Schüler entwickelten Programmierprogramm, mit dem man kleine Szenen und Spiele gestalten konnte. Scratch also anstelle eines Posters oder einer Powerpoint-Präsentation.

Es war ihr klar, dass Frau Stadelmann in den Krümeln suchen würde. Wie sehr aber schon durch die Anwesenheit einer stirnrunzelnden, kopfschüttelnden Beobachterin sich die Atmosphäre in einem Raum ändern kann, hätte sie sich nicht im Traum vorstellen können.

Zu Beginn fragte sie also in einem schriftlichen Test den Vokabel- und Grammatikstoff der Lektion ab. Zwei Mädels kamen verspätet zum Unterricht, weil sie nicht gewusst hatten, dass sie zum Computerraum kommen sollten. Damit auch sie genügend Zeit für den Test hätten, ließ Jorind sie zehn Minuten länger schreiben. Ob das schon ein schlechtes Omen war?

Vor einiger Zeit hatte "Mamei", wie der Informatiklehrer Martin Meier von den Schülern genannt wurde, Jorind mit Scratch bekanntgemacht. Es schärfte das logische Denken und die Kreativität, so Jorinds Überzeugung, und machte außerdem enorm viel Spaß.

Die Schüler stürzten sich, immer zu zweit, in das neue Metier, wählten Hintergründe aus, entschieden sich für Figuren, stellten die Blöcke der Programmiersprache zu Abläufen zusammen, ließen sie versuchsweise ablaufen, verbesserten, fragten um Rat, berieten sich untereinander. Es hätte eine coole Zeit sein können…

Wenn nicht die Schulleiterin alles mit verkniffener Miene beobachtet und ihnen die Laune verdorben hätte. Durfte der Unterricht nicht auch mal Spaß machen? Offenbar nicht. Trotz der spannenden Aufgabenstellung blieb die Stimmung gedämpft, verstohlene Blicke zur Chefin machten ihnen klar, dass zumindest ihre Lateinlehrerin es mal wieder bei ihr verschissen hatte.

Zum Abschluss sollte jedes Team sein Ergebnis - eine Strandszene mit dem Mädchen Europa und Zeus als Stier, gekrönt von Sprechblasen auf Latein - auf Moodle hochladen. Dass auch dies nicht bei allen klappen wollte und einige ihre Datei auf Jorinds Stick hochladen mussten, schien nur das Tüpfelchen auf dem i einer verkorksten Stunde zu sein.

Als die Schüler sich erleichtert an Jorind und der Direktorin vorbeigeschoben hatten, wurde Jorind noch von Frau Stadelmann zurechtgewiesen, weil sie die verspäteten Schülerinnen nicht zusammengestaucht, sondern mit einem Lächeln begrüßt hatte. 'Stadelmann - Tadelmann', dachte Jorind wütend, und 'blöde Kuh!' Ein Kommentar ihrerseits erübrigte sich, er hätte ohnehin nichts gebracht.
It´s me!
*********ld63 Frau
8.118 Beiträge
Sehr kreativ, diese Unterrichtsstunde! *top*

Ich empfand diese Episode eher wie eine Zusammenfassung, einen Bericht, den man einer Freundin erzählen würde, weil schon nach wenigen Absätzen eine Wertung miteinfloß, die den Erzählfluss unweigerlich beeinflusst:
Es war ihr klar, dass Frau Stadelmann in den Krüm(m)eln suchen würde. Wie sehr aber schon durch die Anwesenheit einer stirnrunzelnden, kopfschüttelnden Beobachterin sich die Atmosphäre in einem Raum ändern kann, hätte sie sich nicht im Traum vorstellen können. (...)

Durfte der Unterricht nicht auch mal Spaß machen? Offenbar nicht.


Insgesamt mag ich deinen Erzählstil, der auch bei schweren Themen immer eine gewisse Leichtigkeit und Lebendigkeit hat.
**********gosto Frau
16.048 Beiträge
Themenersteller 
Nach meinem ...
Zusammenbruch - Burnout, mittelschwere Depression mit Selbstmordgefährdung, wie auch immer - habe ich in der Psychiatrischen Klinik Tagebuch geführt.

Teile daraus möchte ich in die Geschichte von Jorind übernehmen. Hier ein Beispiel ...


Auszug aus dem Kliniktagebuch 14.12.2011


Den inneren Frieden zu finden und sich selbst genug zu sein ist nicht einfach, wenn man sich nach geliebten Menschen und Tieren sehnt.

Heute, genauer gesagt vor ein paar Minuten, habe ich zum ersten Mal seit langer Zeit daran gedacht, wie es wäre, doch wieder in die Schule zurückzukehren. Die Arbeit dort und vor allem die Menschen, mit denen ich täglich zu tun hatte, bedeuten mir mehr als ich dachte. Und während ich hier in der kleinen Patientenküche am Tisch sitze und das Gluckern und Rauschen der Spülmaschine und vereinzelt die Stimmen der Mitbewohner im Ohr habe, stelle ich mir die Kinder und Jugendlichen vor, die Kollegen, den Hausmeister, die Putzfrauen, den Schulhof, die Geräusche und Gerüche, das Pausenklingeln, das Lachen und Lärmen.

Alles Schwierige, Aufreibende, kaum zu Bewältigende wird blass und fern. Gab es jemals Probleme, Konflikte, unwillige Schüler, Unterrichten am Rande des Chaos? Fragen und Antworten gab es, Aha-Erlebnisse und spontanes Lob, scherzhafte Reden und viel Gelächter. Ernsthaft-konzentrierte Gesichter beim Beschriften der Vokabelkärtchen, gedämpfte Stimmen beim gemeinsamen Übersetzen, unterbrochen von Flüstern und Kichern. Wie sehr diese jungen Menschen noch im Hier und Jetzt leben, völlig konzentriert auf den Augenblick! Und wie oft habe ich gedacht: 'Genau hier will ich sein und nirgends sonst, genau das will ich tun und nichts Anderes!'

Ich will doch versuchen, mit dem Schulamt zu verhandeln, nehme ich mir vor, vielleicht gehen sie auf mich ein. Lateinlehrer sind so rar gesät, möglicherweise kommen sie den Wünschen einer schrulligen alten Frau entgegen. Eine reduzierte Stundenzahl wünsche ich mir und keine schwierigen Klassen. Ich weiß, das ist nicht üblich, wo kämen wir hin, wenn die Lehrer sich ihre Klassen aussuchen könnten? Dann gäbe es in jeder Schule ein paar lehrerlose Klassen! Aber immerhin ist es einen Versuch wert, und wenn sie ablehnen, müssen sie ohne mich auskommen. Take me or leave me!

Und was wird aus dem Buch, meinem Erstlingsroman? Muss ich mich schon wieder zwischen zwei begehrenswerten Dingen, begehenswerten Wegen entscheiden?

Wenn ich nur noch 50% arbeiten müsste, wäre es denkbar, dass der Roman dennoch vorankäme, langsamer als ursprünglich geplant, aber die Texte und Szenen, die bisher entstanden sind, gehen ja nicht verloren, werden nicht schlecht und/oder unbrauchbar. Diese Lösung, ein Sowohl-als-auch, entspricht ziemlich genau dem, was ich in der Reha letztes Jahr zu erreichen beabsichtigt habe. Und nichts wäre vergeblich gewesen oder verlorene Zeit und Mühe, die Krankheit nicht und nicht mein Aufenthalt hier in der Klinik.

Theo war am Telefon nicht so begeistert wie ich, als ich ihm gerade eben von meinen Ideen erzählt habe. Aber immerhin hat er versichert, ich hätte das Sagen und er würde mich nur beraten. Das hatte ich zwar bisher anders in Erinnerung, aber ich betrachte diese Zusicherung als gutes Zeichen, dass er mir wenigstens ein Mitspracherecht einräumt, bevor er über meine Zukunft entscheidet (kleiner Scherz, Theo, wenn du das liest!).
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