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Ich wollte immer nur einen Liebesroman schreiben

Ich wollte immer nur einen Liebesroman schreiben
Ich denke, dass ein Roman etwas von einem guten Wein hat. Eigentlich ist er fertig, doch er muss noch ein paar Monate reifen. Dann stellst sich heraus, dass so etwas wie eine Gärung stattgefunden hat. Die schlechten Teile sinken auf den Boden, das Gute steigt klar und deutlich nach oben. So geschehen bei mir, und als ich nach Monaten die Flasche schüttelte, sah ich jede Menge Rückblenden auf dem Boden herumliegen. Rückblenden, die erst dafür sorgen, dass sich das volle Bukett entfalten kann.
Doch sie sind wie tote Quallen, stören den Fluss. So passiert das Seltsame - ich arbeite mich von hinten wieder nach vorne, fische die Quallen heraus und hauche ihnen Leben ein. So passiert es dann, dass ein neues erstes Kapitel entsteht und auch, dass ich Monate dafür benötige. Kostenlos enthalten war die Erkenntnis, dass ich ehrlich zu mir selbst sein muss und egal, wie kitschig es sich anhört: Ich wollte immer nur einen Liebesroman schreiben.


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Triggerwarnung
Wenn Sie mit Freude und Leid, Liebe und Tod und der schmerzvollen Hoffnung auf ein glückliches Ende - also dem Leben - nicht umgehen können, wird Ihnen dieser Roman weh tun.


Dass der trockenste Fleck auf der Erde nicht in der Wüste Kalahari oder irgendwo sonst unter glühend heißer Sonne liegt, sondern ausgerechnet in der Antarktis, dem kältesteten Ort des Planeten, galt in den achtziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts als gesicherte Erkenntnis. Dass eben wegen dieser Trockenheit der Mount Kirkpatrick, der höchste Berg in dieser Eiswüste, trotz der Tiefsttemperaturen in der Nähe des Südpols zu allen Jahreszeiten schnee- und eisfrei bleibt, war hingegen nur eine Vermutung. Doch jede große Katastrophe beginnt mit nichts weiter als einer beschissenen Vermutung.

Seit Monaten sammelte Thore Wejndahl Daten über das Klima im Transatlantischen Gebirge, nahm Bodenproben und errechnete Klimamodelle, doch nichts passte zusammen. Alle Strapazen schienen umsonst gewesen zu sein, der Mount Kirkpatrick lachte sie aus, und wenn kein Wunder geschah, würde Thore mit seiner Antarktisexpedition ohne Ergebnisse nach Hause zurückkehren müssen.

Das Wunder blieb aus und so kam der Tag, an dem sie mit hängenden Köpfen ihre Ausrüstung zusammenpackten und sich auf den langen Weg zurück zur Küste von Antarktika vorbereiteten. Wie zum Hohn hatte es in der Nacht kräftig geschneit, das erste Mal, seit dem sie hier waren, und, wenn sie ihren Messungen glauben konnten, auch das erste Mal seit über fünfzig Jahren.

Thore hatte schlecht geschlafen. Er packte seine Schneeschuhe aus, die er hier noch nie benötigt hatte, und machte sich zu einem letzten Rendezvous mit „seinem“ Berg auf den Weg. Bereits nach wenigen einhundert Metern ärgerte er sich, seine eigene Vorschrift, dass niemand sich unbegleitet vom Lager entfernen durfte, ignoriert zu haben. Es wimmelte hier von scharfkantigen Felsbrocken und Klüften, in denen ein Mann schnell auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnte, wenn er allein und nicht angeseilt war.

Der Zorn darüber, ohne Ergebnis aufbrechen zu müssen, machte seine Schritte länger, als gut war und er warf immer wieder missmutige Blicke auf die Spitze des Berges, statt auf seinen Weg zu achten. Er wurde das Gefühl nicht los, dass mit dem Mount Kirkpatrick etwas nicht stimmte. Etwas, das ganz und gar nichts mit dem Wetter zu tun hatte und wütend drohte er dem Berg mit der Faust.

Er sah weder den unter dem Schnee verborgenen Stein noch den Felsspalt dahinter. Wild mit den Armen rudernd und verzweifelt nach einem Halt suchend, stürzte er hinein. Er hatte Glück, denn die Wände waren schräg genug, dass es mehr ein Rutschen als ein Fallen wurde und der Schnee tat ein Übriges, den Sturz zu dämpfen.

Dämmriges Licht fiel durch den Spalt über ihm und es war erstaunlich warm in der Höhle. Er schlug die Kapuze zurück und schob die bei dem Sturz zerschlagene Brille hoch, sortierte seine Knochen und vergewisserte sich, dass alles an ihm noch heil war. Die Höhle war eher ein zehn Meter tiefes Loch mit nicht sehr steilen Wänden und sie hatten es bereits vor Monaten gefunden und untersucht.

Er rappelte sich wieder auf, dann erstarrte er. Durch den Schnee, direkt vor ihm, zogen sich Fußspuren. Menschen waren hier gegangen, und zwar erst nach dem nächtlichen Schneefall, sonst wären die Spuren nicht mehr zu sehen gewesen. Doch wer? Alle seine Leute waren im Lager geblieben - der Sturm heute Nacht hatte dafür gesorgt und eine andere Expedition gab es hier nicht. Selbst wenn - niemand spazierte bei Temperaturen, die innerhalb von Minuten das Blut unter der Haut zu klumpigem Eis gefrieren lassen konnten, so einfach durch das Transatlantische Gebirge. Es sei denn, er hieß Thore Wejndahl und hatte noch eine Rechnung mit einem Berg offen.

Er musste nicht weit gehen. Nur zwanzig Schritt entfernt, hinter einem Felsknick am Boden des Loches, blieb er stehen. Vor ihm lagen die reglosen Körper von zwei Menschen.

*

Thore war, so schnell er konnte, zurück ins Lager gerannt und es war ein Wunder, dass er dabei nicht noch mehrmals stürzte und sich das Genick brach. Genau so ein Wunder war es auch, dass die Rettungsmannschaft noch rechtzeitig genug eintraf, um die beiden Menschen in dem Felsspalt vor dem endgültigen Erfrieren zu retten.

Beide standen unter einem schweren Schock und waren nicht einmal in der Lage, zu sprechen. Thore blieb nichts anderes übrig, als den Aufbruch zu verschieben und mit seinen Leuten bei minus vierzig Grad Celsius auf die Suche nach weiteren Überlebenden einer Expedition zu gehen, von der er nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab. Doch sie fanden nirgendwo auch nur die geringsten Spuren menschlicher Anwesenheit außer denen, die sie selbst hinterlassen hatten. Nach fünf Tagen gingen die Vorräte zur Neige, er wollte nicht riskieren, dass sie alle auf dem Rückweg zum Ross-Shelf verhungerten, und brach die Suche ab.

Vier Wochen später erreichten sie die Küste. Noch vom Schiff aus jagte er über Funk Anfragen hinaus, um herauszubekommen, welches Land in den letzten Monaten eine Expedition zum Südpol geschickt hatte, doch er wartete vergebens auf eine positive Antwort. Weiter kam er mit seinen Nachforschungen bis zur Rückkehr der Expedition nach Oslo im Januar 1982 nicht. Die beiden Geretteten, ein junges, mit ihren roten Haaren und dem bleichen Gesicht sehr schönes Mädchen und ein Mann, der dem Aussehen nach gut ihr älterer Bruder sein konnte, erinnerten sich noch immer nicht, nicht einmal an ihre Namen. Sie erhielten norwegische Pässe auf die Namen Johanna und Johannes Hakonsen und Thore wurde als Held gefeiert.

Drei Tage später starb er an einem plötzlichen Herzversagen.

Die Welt drehte sich weiter, auch ohne Thore Wejndahl und andere Ereignisse verdrängten in jenem Jahr schnell seine Antarktisexpedition aus den Schlagzeilen. Der italienische Bankier Roberto Calvi erhängte sich unter der Londoner Blackfriars Bridge; im Universitätsklinikum Erlangen stieß das erste deutsche Retortenbaby einen Schrei aus und ein elektronisches Virus, Elk Cloner von Rich Skrenta, zog eine Schneise der Verwüstung durch fast jedes Computernetz der Erde.

Vierzehn Jahre später, 1996, sorgte die Antarktis erneut für Aufsehen, denn ein Millionen Jahre alter Süßwassersee war unter ihr entdeckt worden - der Lake Wostok. Zweihundertvierzig Kilometer lang, neunhundert Meter tief und in ewiger Dunkelheit ist er der größte Hohlraum unter der Erde, der je gefunden wurde. Man vermutete uraltes Protoleben in ihm, konnte das jedoch nicht beweisen, denn er befindet sich vier Kilometer unter dem ewigen Eis in tiefster Dunkelheit und damit weit außerhalb der damaligen technischen Möglichkeiten. Nur eines glaubte man zu wissen - welcher Art das Leben darin auch war - es musste viel älter sein als die Menschheit.

Jedes dieser Ereignisse geschah mit Notwendigkeit zu seinem vorherbestimmten Zeitpunkt und sie schienen nichts miteinander zu tun zu haben. Doch die Nornen knüpfen das Netz des Schicksals aus vielen Fäden und nur die wenigsten davon verstehen wir. Das nennen wir „Leben“ und wir glauben zu wissen, dass uns an seinem Ende nichts anderes erwartet als das Erlöschen von Körper, Geist und Seele - der Tod.

Glauben ist menschlich. Irren auch.

*

An diesem Freitagabend im Mai 1993 dachte Sven Oldenburg an alles Mögliche, wenn er Johanna Hakonsen ansah, nur nicht an das Schicksal. Nach ihrem Pass war sie achtundzwanzig, doch ihr schmales Gesicht und der tizianrote Lockenzopf über ihrer linken Schulter ließen sie wie einen Teenager aussehen. Vor einer Woche war die zierliche Norwegerin zusammen mit seinem Vater Robert aus Oslo gekommen und schlief in Svens Zimmer. Er hatte auf die Couch in der Wohnstube ausweichen müssen, und da weder Robert noch Johanna Erklärungen lieferten, hatte Sven mehr als genug Stoff zum Grübeln.

Robert sah Svens Blick und brummte: „Verlier deine Hausarbeit nicht ganz aus den Augen, Junge.“
Sven wurde rot und es ärgerte ihn. Er war dreiundzwanzig, studierte Nautik in Wismar und war die letzten Jahre ganz gut ohne die Ermahnungen seines Vaters ausgekommen. Auf dem Klingelschild an der Tür stand „Sven Oldenburg“, auch wenn Robert die Miete bezahlte und die wenigen Tage im Jahr, die er seinen Sohn in Schwerin besuchen kam, hier wohnte.

Sven kaute zu Ende, dann erwiderte er: „Ich bin kein Junge mehr.“

„Sicher? Der ‚Einfluss von Legenden über Seeungeheuer auf die Kartographie der Schifffahrtswege im Mittelalter‘ ist etwas für Erwachsene? Du willst Kapitän werden, Junge, und kein Märchenerzähler.“
Robert nahm sich den letzten Eierkuchen vom Teller in der Tischmitte.

Den hatte Sven gewollt und schon den Mund geöffnet, um es zu sagen. Jetzt schloss er ihn wieder und schüttelte frustriert den Kopf. Nichts hatte sich geändert in den letzten Jahren, noch immer machte sein Vater die Regeln. Er bat nicht, er nahm.

Sven funkelte seinen Vater an: „Manchmal ist es ganz gut, über die Vergangenheit Bescheid zu wissen. Zum Beispiel, was der eigene Vater eigentlich so macht, der genau darüber aber nie redet."

Robert fixierte das Gesicht seines Sohnes. Es war so anders als seines, lang und schmal, wie auch die Schultern und es war wieder einer der Momente, in denen Robert sich darüber ärgerte, dass Sven nach seiner Mutter kam. Robert Oldenburg war ein Macher, einer, der nicht lange zögerte, sondern zupackte, wenn es etwas zum Zupacken gab und Wände riss er lieber ein, statt sie zu umgehen. Er hatte seinen Sohn zu ernähren, und das ging in der Welt, in der sie seit der Wende lebten, nicht mit einem freundlichen „Bitte“. Noch immer hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass auch Sven das irgendwann begriff. Doch dazu musste er endlich aufhören, sich hinter seinen Büchern vor dem Leben zu verstecken. Zumindest nach Roberts Meinung.

Penibel tupfte er sich die Lippen mit der Papierserviette ab und erwiderte: „Warum zeigst du Johanna morgen nicht Schwerin? Es sollen fünfundzwanzig Grad werden und Sonnenschein.“

Sven warf sein Besteck auf den Tisch, dass es klirrte. Mit einem Ruck schob er seinen Stuhl zurück, stand auf und wollte seinem Vater eine scharfe Antwort geben, da legte Johanna ihm ihre Hand auf den Arm. „Ihr beiden! Müsst ihr euch jeden Abend streiten? Sven, bitte! Gibst du mir noch etwas Wein?“

Doch auch Robert stand auf. „Danke für das Abendbrot. Ich habe noch zu arbeiten, wie du auch. Und falls du das vergessen hast, Junge - wir hatten eine Abmachung. Also frag mich nicht und auch nicht Johanna. Sie ist nicht hier, um mit dir zu flirten.“

Er nickte Johanna zu. „Rede du einmal mit dem Jungen darüber.“

Ihre Augen funkelten amüsiert und er ging, seinen hünenhaften Körper wie ein Bär hin und her schaukelnd, ins Arbeitszimmer.

Sven wusste nicht, warum er auf einmal einen Kloß im Hals hatte, der jedes Wort erstickte. Er schaute Johanna aus dem Augenwinkel an, Hitze schoss in ihm hoch und mit Mühe rief er seine Gedanken wieder zur Ordnung. Dass er mit Johanna flirtete, stimmte nicht. Das würde er sich nicht trauen. Gerade, weil sie so schön war. Es war auch nicht wahr, was sein Vater gesagt hatte. Sie hatten nie eine Abmachung getroffen, sie hatte sich nur so eingebürgert. Robert Oldenburg hatte in der Aufklärungsabteilung des Ministeriums für Staatssicherheit gearbeitet, war schon damals viel unterwegs gewesen und hatte nicht darüber reden dürfen. Nach der Wende hatte sich daran nichts geändert, obwohl die DDR und das MfS nicht mehr existierten und Sven vermutete, dass sein Vater noch immer Dingen nachging, die mit damals zu tun hatten.

Sven ließ sich wieder auf Stuhl fallen, schluckte seine Wut hinunter und fragte: „Wie bist du an ihn geraten?“

Das amüsierte Funkeln war noch immer in ihren Augen. „Bei einer Antarktisexpedition.“

„Was?“

Sie schmunzelte und schwieg. Auch sie nahm ihn also nicht ernst und Sven überlgte, ob es nicht besser wäre, wenn er jetzt aufstand und ging. „Ich habe schon kapiert. Behandel mich nicht wie einen kleinen Jungen. Ein ‚nein‘ hätte genügt.“

Sie erhob sich mit einer grazilen Bewegung und löschte alle Lampen, bis nur noch die drei Kerzen auf dem Tisch die Küche in ein warmes Halbdunkel tauchten. Dann schenkte sie sich und Sven Rotwein nach, bis die Gläser randvoll waren, setzte sich wieder hin und verschränkte ihre Hände hinter dem Kopf. „Erzähl mir, warum er dich mit dem Thema deiner Hausarbeit aufzieht.“

Ihre Brüste spannten die Seide der ärmellosen, safrangelben Rüschenbluse, er schluckte und Johanna nahm lächelnd die Arme wieder herunter.

Er räusperte sich. „Als ich noch ein Kind war, las ich ein Buch über Adolf Erik Nordenskiöld. Er hat mit seiner ‚Vega‘ als Erster den nördlichen Seeweg ohne Zwischenhalt durchquert. Er hat nie aufgegeben. Es war hart damals, unglaublich kalt und schmerzvoll für jeden und keiner wusste, ob sie das je erreichen, was sie wollten. Doch er hatte seine Träume, und auch wenn keiner ihm geglaubt hat - er hat an ihnen festgehalten. Damals träumte ich davon, wie Adolf Erik mit einem Segelschiff durch die Nordpassage zu segeln. Mein Vater mag keine Träumer.“

Er griff nach dem Weinglas, trank einen langen Schluck und schaute über den Rand zu Johanna. Ihre Augen glitzerten wie Smaragde, doch ihr Gesichtsausdruck verriet nichts von dem, was sie dachte und er setzte fort: „Die Helden von damals hatten gar nichts, keine Computer, kein GPS, alles war gegen sie, ihre Schiffe waren schwach und trotzdem fanden sie ihren Kurs nach manchmal uralten Karten. Und die bergen viele Geheimnisse, selbst heute noch. Hast du schon einmal etwas von Piri Reis gehört?“

Sie hielt ihr Weinglas vor die Kerzenflammen, drehte es in der Hand und verbarg dahinter ihr Gesicht. „Erzähl weiter.“

„Das war ein Osmanischer General und Seefahrer im Mittelalter. 1513 hat er eine Karte der antarktischen Nordküste gezeichnet, wie sie vor sechstausend Jahren ausgesehen hatte. Im Mittelalter! Offiziell wurde die Antarktis aber erst im neunzehnten Jahrhundert entdeckt! Selbst die NASA hat 1960 bestätigen müssen, dass die Karte unglaublich genau ist.“

Johanna stellte das Glas wieder auf den Tisch, stand auf, ging zum Küchenfenster und blickte auf die Straße hinunter. So, mit dem Rücken zu Sven, sagte sie: „Vielleicht hat er tatsächlich die Antarktis gefunden?“

„Das ist nicht der springende Punkt. Verstehst du nicht? Es ist eine Karte, die die Antarktis zeigt, wie sie vor sechstausend Jahren ausgesehen hat, danach ist die Küstenlinie unter Schnee und Eis kilometerhoch begraben worden. Und warum weißt die Karte eine Verzerrung auf, die nur zustande kommt, wenn man eine Aufnahme aus dem Erdorbit macht? Wenn man heute Karten auf der Grundlage von Fotos zeichnet, rechnet man die Erdkrümmung heraus. Irgendjemand hat im Mittelalter dem General Satellitenfotos gegeben, auf der die Antarktis von vor sechstausend Jahren abgebildet war und Piri Reis muss sie für gut gemalte Bilder gehalten haben. Alle, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen, stellen die falsch Frage, nämlich wie er hat die Karte zeichnen können, wo er doch noch nichts von der Antarktis wusste.“

„Was wäre denn die richtige Frage?“

„Wer hat im Mittelalter Piri Reis Fotos von der Erde gezeigt, die viertausendfünfhundert Jahre vor der Geburt Christi aus dem Weltall aufgenommen wurden? Wer?!“

Sie hob die Arme, öffnete langsam Strähne für Strähne ihren Zopf und fasziniert schaute er ihr zu. Es hielt sie nicht davon ab, leise zu lachen. Doch es war kein Spott darin. „Du hast sicher eine Erklärung?"

Er hatte sich heiß geredet, dass letzte „Wer“ hatte er fast geschrien. Er holte Luft und setzte ruhiger fort: „Was, wenn eine der frühen Hochkulturen, wie die Inkas, die Phönizier oder die sagenhaften Atlantiden überlebt hätte? Wenn es Atlantis wirklich gegeben hätte und es nicht durch eine Katastrophe versunken ist, sondern durch seine Bewohner im Ozean versteckt worden wäre? Wenn die alten Ägypter oder die Mayas sich in dem gleichen Tempo wie wir weiterentwickelt hätten, wären sie uns heute himmelhoch überlegen. Immerhin haben sie ein paar tausend Jahre früher damit angefangen. Ein paar tausend Jahre! Das ist für uns die Zeit vom Eisenschwert bis zur Atombombe. Es gibt zwei Orte auf der Erde, von denen wir weniger wissen als von der Mondoberfläche - die Tiefsee und die Antarktis. Seit vierzig Jahren vermutet man, dass es riesige Höhlen unter der russischen Wostok-Station in der Antarktis gibt.“

„Nehmen dich die Professoren in deiner Hochschule ernst?“

„Natürlich nicht. Dabei beschränkt sich meine Theorie auf das, was wir wissen. Aber genau wie mein Vater mögen sie keine Träumer.“

Sven wurde rot und schaute auf seine Füße. Er hatte Johanna mehr erzählt, als selbst seinem Vater und er war sich nicht sicher, ob er es nicht hätte besser lassen sollen.

Die Kerzen flackerten, ein Lufthauch streifte seine Wange, brachte den Duft eines kühlen Morgens am Meer mit sich und er schaute hoch. Johanna stand vor ihm, ohne dass er gehört hatte, wie sie sich bewegt hatte, und sagte leise: „Dein Vater hat nichts gegen Träumer, er wollte sie immer nur beschützen. Manche Träume sind gefährlich.“

Sie griff sich in den Nacken, löste ihre Haare und eine Lockenflut ergoss sich über ihre Schultern bis hinab zur Hüfte. Dann griff sie nach seiner Hand. „Und jetzt komm!“

Er riß die Augen auf, ohne zu verstehen. „Wohin?“

Mit einem Lächeln, so zart, wie er es noch nie bei ihr gesehen hatte, flüsterte sie: „Einen Traum erfüllen.“

*

Stunden später glitzerten die ersten Sterne am Himmel. Er lag auf dem Rücken und blickte durch das große Schlafzimmerfenster. Johanna hatte sich in seinen Arm gekuschelt, atmete ruhig und gleichmäßig und ihr Haar kitzelte seine Wange.

„Schläfst du?“ Sie flüsterte.

„Nein.“

Ihm schien, als könnte jedes laute Wort zerstören, was zwischen ihnen war. Das Schlafzimmer war angefüllt mit dem Moschusduft ihrer Haut und seiner Hoffnung, dass Johanna nie mehr fortgehen würde. Die Hormone in seinem Blut ließen ihn Dinge sehen und fühlen, nur weil er sie sich wünschte. Niemand kann in die Zukunft schauen, nicht einmal, wenn er wissen möchte, ob seine heutigen Wünsche morgen noch immer dieselben sind.

Sie richtete sich auf und küsste ihn just in dem Moment, in dem die Spiegelung eines Autoscheinwerfers auf der anderen Seite des Sees ins Zimmer leuchtete. Zwischen ihren nackten Brüsten blitzte etwas, er drehte den Kopf und sah die filigrane Kette zwischen ihren Brüsten. Ein kleiner Stein hing daran und er pulsierte träge in einem warmen Rot.

Er streckte die Hand danach aus, doch sie schob sie beiseite. „Tss, tss, nur schauen, nicht anfassen. Das ist ein Sternenherz und es ist uralt. Meine Vorfahren waren Nenzen, sie erhielten die Kette als Geschenk von einem Gott, der in einer Höhle unter dem Südpol wohnt. Wenn ich sterbe, musst du diesen Gott finden und ihn um mich bitten. Wenn deine Liebe stark genug ist, wird er mich wieder zu dir zurückkehren lassen.“

Eigentlich hätte er ihr jetzt böse sein müssen. Erst entlockte sie ihm seine tiefsten Geheimnisse und tat so, als ob sie ihn ernst nahm. Nun verspottete sie ihn doch, indem sie daraus eine Geschichte für ihn machte, aber so lieb durch die Blume, dass er ihr deswegen nicht einmal böse sein konnte.

Er tippte ihr mit dem Finger auf die Nasenspitze. „Und der Mond ist aus grünem Käse. Ich bin Nautiker, was bedeutet, dass ich mich ein bisschen in Geographie auskenne. Die Nenzen leben, wenn ich mich recht erinnere, auf der Taimyrhalbinsel. Die liegt auf der Nordhalbkugel an der Nordostpassage, und wenn deine Legende so alt ist, dann können deine Vorfahren noch gar nichts vom Südpol gewusst haben. Denk dir etwas Besseres aus. Aber jetzt weiß ich wenigstens, woher du deine schönen Katzenaugen hast.“

Sie rieb sich die Nasenspitze und er schmunzelte: „Du meinst wirklich, ich würde zu Fuß zum Südpol latschen, deinen Gott suchen und ihn auf Knien um dich bitten?“

Langsam ließ sie ihren Kopf auf seine Brust sinken, aber sah ihn dabei unverwandt an. Ihre Augen waren wirklich groß und grün und in der linken Iris hatte sie einen winzigen, weißen Pigmentfehler. Er glaubte schon, sie würde auf seinen Scherz nicht antworten, da sagte sie: „Nein, nicht auf Knien. Aber du wirst es tun.“

Es klang sehr ernst, wie sie es sagte. Er wollte etwas erwidern, doch sie legte ihm einen Finger auf die Lippen und flüsterte: „Bitte.“ Dann verschloss sie seinen Mund mit einem Kuss.

Kurz darauf wurden ihre Atemzüge tiefer, er glaubte schon, dass sie eingeschlafen war, da murmelte sie: „Pass auf, wem du von deinen Ideen erzählst.“

Dann schlief sie tatsächlich ein und Sven wagte nicht, sich zu rühren, aus Angst, sie zu wecken. Lange lag er noch wach und grübelte. „Du wirst es tun,“ hatte Johanna gesagt, nicht: „Du würdest es tun.“

*

Svens gab sein Studentenzimmer in Wismar auf. Er kaufte sich eine Monatskarte und fuhr jeden Tag nach Hause. Johanna war geblieben, sein Vater hatte sich eine Arbeit in Schwerin gesucht und am Abend des dreiundzwanzigsten Dezember stand Sven vor seiner Wohnungstür. Er war noch in der Mecklenburgstraße gewesen, auf dem Weihnachtsmarkt. Er mochte die Gerüche und die Atmosphäre dort, die vielen glücklichen Menschen, die sich auf das Fest freuten. Ein letztes Mal sah er auf sein altes Klingelschild. Er hatte ein neues in seinem Rucksack, aus gebürstetem Aluminium mit einer schönen Gravur: „Fam. Oldenburg.“ Es war ein Geschenk für Johanna und seinen Vater und er freute sich auf ihre Gesichter, wenn Johanna es auspackte. Er kramte in der Hosentasche nach dem Schlüssel, da wurde die Wohnungstür geöffnet und Sven lächelte. Johanna hatte ihn erwartet.

Dann fror sein Lächeln ein. In der Tür stand ein Mann, so breit, dass sein Körper die Öffnung füllte. Er trug eine Lederjacke mit Pelzkragen und eine tief in die Stirn gezogene schwarz-weiß-karierte Schiebermütze verdeckte seine Augen.

„Wer sind Sie?“ Sven hatte ihn noch nie gesehen.

Ansatzlos schlug der Mann zu. Seine Faust traf mit brutaler Gewalt Svens Oberbauch an der Stelle, unter der die Leber sitzt und der Schmerz riss den Schrei von Svens Lippen. Er sackte zusammen, wurde gepackt, in die Küche geschleift und da wie ein Sack Kartoffeln auf die Fliesen geknallt.

Eine Hand in einem weißen Gummihandschuh erschien in seinem Gesichtsfeld, ließ eine offene Packung Papiertaschentücher auf die Fliesen fallen, dann verschwand sie wieder und Sven drehte sich auf die Seite. Tränen rannen ihm die Wangen herab, er griff nach der Packung, zog ein Taschentuch heraus und wischte sich mit zitternden Händen das Gesicht ab. Er quälte sich auf die Knie, verbiss den Schmerz in seinem Bauch und richtete sich auf.

Johanna und Robert waren mit Handschellen an die Heizkörper gefesselt. Beiden hatte man Lappen in den Mund gestopft und Roberts Handgelenke bluteten. Ein schlanker Mann mit einer Stirnglatze, einem gepflegten Henri-Quattre-Bart und weißen Gummihandschuhen saß rittlings auf einem Küchenstuhl. Er hatte die kältesten blauen Augen, die Sven je gesehen hatte.

„Wer sind sie?“ Wieder fragte Sven, seine Stimme zitterte unter dem Nachhall des Schmerzes und jedes Wort tat ihm weh.

Wieder bekam er keine Antwort. Auf dem Tisch stand eine silbergraue kleine Metallkiste, der Mann mit dem Bart öffnete sie, weißer Dampf stieg auf und ein eisiger Hauch zog durch die Küche.

Robert schrie, stemmte die Füße gegen die Wand und zerrte mit aller Gewalt an seinen Fesseln. Der Mann mit der Schiebermütze löste sich blitzschnell vom Türrahmen hinter Sven, machte drei schnelle Schritte, griff nach der Pistole in seinem Achselholster und schlug Robert den Kolben gegen die Schläfe.
Svens Vater sackte zusammen. Der Mann schlug noch einmal zu, und noch einmal, mit brutaler Kraft, bis Robert sich nicht mehr rührte. Dann ging er wieder zur Küchentür, lehnte sich gegen den Rahmen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Der Mann mit dem Bart griff vorsichtig in die Metallkiste, holte einen bleistiftdünnen, von der Kälte beschlagenen Kupferzylinder heraus und spritzte Sven seinen Inhalt ins Gesicht. Dann setzte er sich wieder rittlings auf seinen Stuhl. Wilder Schmerz flammte in Svens Kopf auf, doch er konnte nicht schreien. Nicht einmal bewegen konnte er sich. Nichts konnte er mehr außer denken.

Johanna sah Sven an, Tränen liefen ihr aus den Augen, doch sie blieb still.

Zwei Stunden lang geschah nichts weiter, dann rann ein Blutstropfen aus Svens Augenwinkel. Der Mann mit dem Bart stand auf, stellte den Stuhl ordentlich wieder an den Küchentisch, klopfte Sven auf die Schulter und ging. Der Mann mit der Schiebermütze folgte ihm und eine Sekunde darauf hatten sie die Wohnung verlassen.

Johanna beugte sich vor, bis die filigrane Kette mit dem Stein, den sie „Sternenherz“ genannt hatte, aus ihrem Ausschnitt rutschte. Sie fing Svens Augen mit ihrem Blick, schaute dann auf den hektisch in hellem rotem Licht pulsierenden Anhänger zwischen ihren Brüsten, dann wieder Sven in die Augen. Immer wieder. Selbst dann noch, als Sven aus seiner Erstarrung erwachte und sie ihren Tod in seinen Augen sah.


(C) RHCSo 2017
Ich bin
in der vierten Zeile ausgestiegen:

*******jan:
galt in den achtziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts als gesicherte Erkenntnis.

Spätestens da war mein Interesse völlig erloschen. Was in den Achtzigern als "gesicherte Erkenntnis" galt, ist in der heutigen Welt eine Lachnummer. Das weiß jeder. Wie kann man nur glauben, einen Roman auf diese Weise anzuteasern? Ein Roman will, dass man Seiten um Seiten durchackert... das muss es jemanden geben, dem zu Folgen bereit ist.

Naja, man kann es auch anders versuchen. Hat bei mir nicht geklappt.
Wie immer - Ansichtssache
Danke für die Rückmeldung. Was ich hier eingestellt habe, ist kein Teaser, sondern ein normaler Text. Das erste Kapitel in der hoffentlich vorletzten Version, um genau zu sein. Auch wenn die übrigen dreiundzwanzig schon fertig sind. Ein Roman ist keine Kurzgeschichte und wenn der spannende Knaller auf den ersten zwei Seiten kommt - was kommt in den restlichen sechshundert Seiten?
Für mich passt es schon so, für meine Frau auch und mittlerweile bin ich auf dem Trip, dass das die einzigen beiden Personen sind, auf die es ankommt und für die ich schreibe. Das befreit von ziemlich viel Zwängen. Nicht vom Zwang zur Sorgfalt und das mir Bestmögliche zu schreiben, natürlich. Es wird Leser geben, denen es gefällt und Leser, denen es nicht gefällt. Das ist der Gang der Dinge.
It´s me!
*********ld63 Frau
8.132 Beiträge
Wahrscheinlich...
.. gerade off Topic hier. Dennoch, lieber https://www.joyclub.de/my/2300647.cchristjan.html, ich hatte mir vor Monaten dein Kurzgeschichtenbuch (Glückkekse sind eine Mogelpackung) gekauft, und erst jetzt angefangen zu lesen.

Und ich bin begeistert! *wow*

Vor allem von der dritten Geschichte, deren Inhalte ich jetzt gern zitieren würde, aber leider nicht kann. *spitze*

Verneige mich an der Stelle! *anbet*
Ich war sehr überrascht, wie breit dein Repertoire mittlerweile ist!
*blume* Into
****en Frau
18.188 Beiträge
Wow.
Gefällt mir sehr.

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