Sprache im Web – die „Arte povera” der Social Media
Diesmal brachte mich die Neuauflage der Dudenredaktion, die sich nicht entblödet, einen Super-Size-Sack voller Angliszismen ins Referenzwerk der deutschen Sprache mit aufzunehmen sowie natürlich ghostfaces Auswahl besonders hochwertiger Wortspezies (alles unverzichtbare Neuerwerbungen des Duden: verpeilen, rumeiern, abgezockt, futschikato, Tüddelkram, runterwürgen, Honk und Ramschniveau) dazu, einen Schweinsgalopp durch unsere Sprache in Web und Social Media, die „arte povera”, „armselige Kunst” ,-), herauszublasen.
Herr F. hat das Drop-Down-Syndrom
Auf dem Berg Futschikato im Lande der Teutonen stand einst Herr F. als einsamer Rufer und reklamierte auch für seine Heimat einen überirdisch schönen Schichtvulkan. Hierzulande solle sich ebenfalls ein nachgerade perfekt symmetrischer Kegel mit über 3000 majestätischen Metern erheben. Sich in die Wolken bohren wie der Fudschijama, das Sinnbild einer Lava und Glut spuckenden Schönheit schlechthin.
Er sah sich als Krieger des sanften Weges, einen Krieger der Worte und des Geistes. Er rief seine Botschaft in die Landschaft als ungehörte Unvollendete. Noch weniger wahrgenommen, als spräche Herr F. in
Speakers’ Corner am nordöstlichen Ende des Londoner Hyde Parks in die amorphe Masse der Hastigen.
Weitblick täte Not, schien ihm. Gedankentiefe, Breite, Vielfalt! Gespeist aus einem überreichen Erbe. Aus der unerschöpflichen Quelle der Geschichte, der Kultur! Aus der Vergangenheit, die ihre zahlreichen Wirrungen, Einflüsse und Einflüsterungen Schicht für Schicht übereinanderlegt. Eines aufs andere fügt. Die den Boden der Gegenwart bereitet, wächst. Heiß glüht manches Mal. Schwere Brocken auswirft, die zu fruchtbarer Masse erkalten und zu festem Boden werden, auf dem man gerade sein und stehen kann.
Überkommenes, Mitgeschlepptes, Zurechtgelebtes ... Das Material jeder Identität. Sein Blick schweifte zum Horizont, glitt über die Hügel. Er sah seine Heimat schwinden, die Verwurzelung – auch in der eigenen Sprache. Fortgeweht vom mittelmäßigen Gebläse des ganze Welten niederbügelnden
Mainstreams, der vormals
Zeitgeist hieß. Er sah die Anbiederung, sah die vielgestaltige Beredtheit zu einem zahnlos zu schluckenden, angloamerikanisch dominierten Einheitsbrei verkommen.
Herr F. zwang sich, diesen Gedanken niederzuhalten, suchte ihn runterzuwürgen, wie man es mit einem Cheese-Würger von MacDünnpfiff gemeinhin macht. ‚Buchstabensalat an Wortragout’ durchzuckte es ihn. ,Auf Bessermehlsauce!’ – er hatte wohl Hunger. ‚Scrollen statt grollen.’ Eindeutig, Herr F. fiel aus der Rolle, wurde gegenwärtig und verzog das Gesicht. Sein Bild von sich selbst, seine Phantasie, wie er da stand auf dem Trümmerberg der Kultur, dem Monte Futschikato, zerbarst. Dabei mochte er sich gerne sehen als einen Rufer von einst, als sei er ein ewig Gestriger, ein nietzscheanischer Zarathustra, der dort oben mit einer Laterne stünde im taghellen Licht und sich und der Welt mal ordentlich heimleuchtete. Unvermittelt warf er sich in die Brust und rief:
„Dativ, Genitiv! Hört ihr mich?” Lauschte und schmetterte: „Ihr wisst es noch nicht. Bald heißt ihr nur noch: Instinktiv!”
Er lachte. Dachte sich in Rage und ließ sich gehen: ,Smilies in den gelben Sack, animierte Emojis für antriebslose Sozialphobiker.
Nerds, wie der ehrwürdige Stubenhocker jetzt heißt, außer man ist ein
Honk, ein Vollhorst, eben ein Depp, und hat schon fünf Trends hintereinander verpennt. Hauptsache, die Seelenpickelretusche läuft auf Hochtouren, Pixel für Pixel und was der
Router hergibt. Wir gehen zwar nirgendwo hin – navigieren mehr, als dass wir Wege beschreiten – eiern haltlos rum, folgen keinem inneren Pfad oder ständig einem anderen, bewegen uns kaum und sowieso kaum etwas. Man knutscht zu wenig, drängelt sich aber immer schön in den Fokus – ist
en vogue, für die von gestern. Auf jeden Fall sind wir näher am Fokus als am Kuss. Aber das Bild! Es ist das Bild, das zählt. Wir sind Ich-AGs im Show-Modus, bevölkern als Selbstoptimierer wie eine Heuschreckenplage die Plattformen. Verpeilen zwar die
Essentials, aber richten uns und einen
Channel ein. Wir
daten uns
up (oder ab?) und sind doch
down.
All inclusive ist auch eine Form von
alles ist nichts. Ramschniveau, Volksverarsche, raffiniert und doch so perfide abgezockt.´
‚Die Zugspitze hat an Zug und die Zuspitzer an Biss verloren’, dachte er. Die Wahrnehmung der feinen Unterschiede, die erst zur Urteilskraft befähige, sei allenthalben in Gefahr. Die Kunst der leisen und der lauten Töne, der Spiegelungen, das vielgestaltige Echo aus der Vergangenheit. Er sehnte das laue Lüftchen zarter Wort- und Stilblütendüfte herbei, die sich wie Ringelblumen an die Hirnwindungen schmiegen. Wollte den Sturm rufen, die dunkelwütigen, herausgeschleuderten Wortstämme, die Schwarzwaldtannen des starken Gefühls und dessen sprachlichem Ausdruck. Er vermisste die Grenzen, fragte sich, ob Linie, Schicht, Begrenzung, ja Trennendes, nicht eine besondere Bedeutung habe. Zu bereitwillig sah er uns die globalisierte Standardkost freimütig von der homomorphen, aalglatt geschälten Rute der Vereinfachung lecken.
Simpli(fi)cissimus!
Sah uns die Verflachungen des Geistes als einen
Drive-In ins Gedankengebäude bejubeln. Twitter-Zwitter, Weltnomaden, Umhergeschobene, hundertfach verlinkte, aber linke Titten. Abgeschobene, Abgehängte, Ausgeklinkte.
Delayed4ever. Zappel-Philipp-Fische im Kescher der Teilhabe. Eine Fangvorrichtung, die nun
Netzwerk heißt, wenn es gut läuft und
Network, was nach Arbeit stinkt, wenn nicht so gut. Der einsame Rufer F. beklagte den Verlust der Erhabenheit, des Besonderen und des stolzen Eigensinns.
Ich bin ein
Stakeholder, denkt sein gegenwärtiges Ich. Ein
Hipster; habe nicht umsonst eine Kindheit lang „Hipp-Gläschen” leergefressen. Ein
Digital Native, ein Ureinwohner des Unbehausten, gehöre zum Stamm der Naiven, ein
Global Player auf Playmobil. Ein
Borderliner der Kulturen, ein
Crossboarder, ein Grenzensprenger. Ich erkenne den
Hype wie die Blasen. Es riecht nach Schwefel, nach Blähungen der Welt. Vermutlich furzt die Erde auf uns!
Webster, Hipster, hin oder her.
Ich bin ein
postfaktischer Neandertaler, schalt sich Herr F., mein Zuhause ist das Web. Seine Miene erhellte sich: „Ich bin Spiderman! Logisch, dass ich spinne!
Wenn es zu schlimm wird,
bootet mich hoch oder bootet mich aus, geht auf
Reset, macht einen Neustart! Ich probe den Ausbruch, ich bin ein Vulkan, ein Vielschichter, ich spucke Lava, Gedanken, Gefühle, reine Glut. Bin
Teamplayer, aber stets auf Distanz.
Cultural Avantgarde oder labere nur rum von
carpe diem, noctem ... einen alten Scheiß! ...
carpe, pah!
Poesie, Differenziertheit, Zärtlichkeit der Sprache? Tüddelkram! Hauptsache, es
macht Laune oder
irgendwie Sinn. 24/7 Kabbala und Liebe ...”
8.2017©nyx
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