Draußen nur Kännchen!
Diesmal brachten mich die acht vorgegebenen Begriffe (Danke, Coleen ) – burschikos, anschmiegen, Wolken, machtvoll, Halt, anlächelnd, Kreuzung und Kartoffelkäfer – dazu, in ganz verschiedene Richtungen schreib-durch-brennen zu wollen ...
und letztlich doch ein Schicksal zu betrachten, das eng mit einem Deich zusammenhängt. Das drückte mir dann auch einen Dichter aufs Auge, aber daran ist bloß der Käfer schuld ,-).
Draußen nur Kännchen!
Dörte sitzt
draußen. Sie schaut auf die Weser. Das Sonnenlicht zittert mit dem Kräuseln des in bogigen Linien verlaufenden Wassers. Sie weiß um den mäßigen Seitenwind, ist schnell und weit gegangen, immer auf der Deichkrone entlang.
Sie hatte die wogenden Ähren in der Ferne gesehen und die Halme gespürt durch ihre leichten Sohlen, die sich büschelweise immer erst unwillig biegen und dann doch umknicken unter der Last der Schritte. Der Wind zerrte linksseitig sanft an ihr, erwischte einzelne Strähnen ihres Haars, wenn er auffrischte und ruppiger, fast böig wurde und pfitzte sie ihr unerbittlich ins Gesicht, wenn die Deichlinie den Fluss nachahmte, mehr nach Osten mäanderte oder wenn sie Halt machte und sich umwandte.
Dörte dehnt sich, reibt ihr linkes Ohr, betrachtet den Fluss und den schnellen Flug der wie zerrissen wirkenden Wolken. Sie streckt die Beine aus, dreht die Füße nach außen. Ihr rechtes Fußgelenk schmerzt ein wenig. Eine unvorhergesehene Rille, überwuchert, nicht selten mit Wasser gefüllt, wie sie das Profil mannshoher Treckerreifen an den Kreuzungen zu den asphaltierten Feldwegen gerne hinterlassen. Alle fahren diese modernen Riesendinger inzwischen. Kein Wunder, gibt es doch im Aller-Weser-Dreieck nur noch wenige Großbauern, die in der Landwirtschaft ihr Auskommen finden. Nur Dreschergiganten lohnen sich in der Erntezeit, sie laufen im Dauereinsatz dann und machen zügig Fläche. Dörte mag ihre weithin sichtbare Silhouette am Horizont, den sichelförmigen Drescherstaub, den sie hinter sich her ziehen, ihre kantige, meist hellgrüne Front. Auch wenn sie leider höher wirken als die wenigen übrig gebliebenen Windmühlen, deren dunkle Kontur einst als machtvoller Solitär im Abendlicht stand.
Sie kennt sich aus, auch mit Landmaschinen, war oft bei einer der Vertretungen von Claas Niedersachsen. Meist der nächsten, der Niederlassung Weser-Ems, wenn mal wieder ein kleineres Ersatzteil sofort herbeigeschafft werden musste. Warum denke ich nur daran? Als hätte ich nichts Wichtigeres im Kopf! Sie dreht denselben, als sie die entschiedenen Schritte der Bedienung im mit Unkraut durchsetzten Kies auf sich zukommen hört.
„Einen Kaffee bitte.”
Die rotgesichtige Fahlblonde schüttelt ihren kurzen Schopf, stützt mit leicht entnervter Geste eine Hand auf die Hüfte und zeigt auf einen Aufsteller, der an der Hauswand neben dem Durchgang zum doch etwas übertrieben als „Weserterrasse” bezeichneten Biergarten lehnt. Dort steht der eindeutige Hinweis. Mit Ausrufezeichen, doppelt und doppelt nachgezogen.
„Dann bringen sie mir eben ein Kännchen.”
Dörte ist nicht danach zumute auf diesen besonders sparsamen Einsatz von Geste und Wort einzugehen, der die Landfrauen zwischen Hannover und Bremen leicht von zupackend burschikos über die Grenze und hinein in die Unfreundlichkeit katapultiert. Sie ist mit sich beschäftigt. Sie denkt über Henning und Heiner nach.
„Und einen Cognac bitte!”, ruft sie ihr hinterher. Versucht am Rücken der Frau wenigstens ein zustimmendes Zucken zu erkennen bevor diese im Gebäude verschwindet. Dörte zuckt stattdessen selbst mit den Schultern. Nichts anderes als dieses Nichts hatte sie erwartet. ‚Dann lopt se even twee mal, de taube Kauh (die blöde Kuh)’, denkt sie, setzt sich mit Nachdruck bequem und wendet der Gaststätte ihre Kehrseite zu. Ihr Blick geht zum Wasser, wird verschwommen, verliert sich im Spiel der Wellen, die an der Oberfläche zwar nur fein sind, ohne dass dies jedoch darüber hinwegtäuschen könnte, wie hurtig es dennoch fließt.
„Das Kännchen für draußen und der Cognac. Sehr zum Wohlsein!”
Dörte fährt hoch, kollidiert fast mit dem ihr vor die Nase gehaltenen Tablett und nimmt es – die Bedienung etwas hilflos anlächelnd – entgegen, da jene das Abstellen als zu den Aufgaben des Gastes gehörig anzusehen scheint.
Sie trinkt, schaut. Sie ist alleine hier draußen. Die Minuten verrinnen. Ab und an scheppert der Deckel des Kännchens oder ein Kahn zieht vorüber. Dörte sieht angestrengt in die Ferne.
Wäre Heiners Vater in seinen besten Jahren – noch mit dem alten Lanz-Trecker damals – nicht im Spätwinter im Graben ertrunken, weil die kleine Maschine auf der nassen, halb gefrorenen Grasnabe über den Deich rutschte, abkippte und ihn, der kopfunter lag, unter sich begrub, wäre alles anders gekommen. Hätte Hennings Vater ihn früher gefunden und nicht erst, als es zu spät war ...
Die unausgesprochene Schuld, die es nicht gab, nicht geben konnte, das Unglück, die enge Nachbarschaft, die es schon immer gab, die Tatsache, dass beide zu kämpfen hatten, übertrug sich. Sie lag wie der Pestizidfilm auf dem Rübenacker über allen, auch den Kindern, und vermischte sich mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die die EU-Agrarpolitik, wie alle meinten, ihnen die nachfolgenden zwei Jahrzehnte bescheren sollte. Alles zusammen schweißte sie eng aneinander, machte sie noch abhängiger voneinander und blieb doch immer wie ein grauer Schatten des Misstrauens im innersten Kern zwischen den beiden Hoferben bestehen. Wie sollte sie Ihrem Mann das beibringen? Wie ihm sagen, dass sie Henning liebt, seit wie vielen Jahren schon? Und nun nicht mehr weiter lügen kann.
Sie fürchtet sich vor seinen Augen. Sie werden dunkel werden. Kein Wort wird er sagen, sie nicht an die Kinder erinnern. Nur aufstehen, sich am Kamin anlehnen. Fast anschmiegen wird er sich an dessen Schräge, die er mit seinen eigenen Händen geformt hat und sie ansehen mit diesem Blick. Ihr wird das Herz stehenbleiben vor Angst und vor dem, was nun kommt. Er wird aus seiner starren Haltung heraus plötzlich aufwachen, hinausstürmen und hinüber.
Den Anderen an die Wand drücken, ohne ein Wort. Ihn zerdrücken wie einen Kartoffelkäfer.
Unmöglich! Das geht nicht! Dörte rinnen Tränen über die Wangen. Sie nimmt einen Schluck des längst kalten, ohnehin viel zu schwachen Kaffees. Sieht über den Fluss, dem tanzenden Licht zu, das immer goldener wird in seinem silbrigen, leichten Glanz. Ihr Kopf ist leer, ihr Tatendrang wie weggeblasen.
Ihre Schultern beben, sie schluchzt ohne Ton. Irgendwann schlägt sich der Tröster ihrer Kindertage zu ihr durch, flüstert ihr ein. Der
Ringelnatz persönlich. Ihre „Oellermutter”, die Großmutter mütterlicherseits, die aus Groot Hutbergen, las ihn ihr immer vor. Ringelnatz zitiert sich selbst und hebt mit jener besonderen Verschmitztheit mancher zu kurz Gewachsener an zu seinem Gedicht über die Pellkartoffel:
„Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,
Du Ungleichrunde,
Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,
Du Vielgequälte,
Du Gipfel meines Entzückens.
Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens ...”
Dörte knurrt der Magen. Kein Wunder, es ist bald Zeit.
7.2017©nyx
.