Sahelgeschichten
Ich möchte in diesem Thread mit Euch über Geschichten aus meiner Zeit als Reiseleiter diskutieren. 1. Kommt "Afrika" (Mentalitäten, Umweltbedingungen...) rüber?
2. Es sollen Reportagen sein - Ziel erreicht oder verfehlt?
3. Sahel = arabisch für Ufer, Sahelgeschichten --> Geschichten über Grenzerfahrungen: zu sehr um die Ecke gedacht?
4. Ist der Schluss gelungen, oder ist es zu sehr "mit dem Holzhammer"?
5. Passt der Titel?
Animisten
„In Dörfern, in denen Schweine gehalten werden, wohnen Animisten.“ ruft Ibrahim und verschwindet, wie immer, wenn wir in einem Dorf ankommen.
Während ich meinen Touristen erkläre, was Animisten sind, kehrt er zurück und hat für jeden einen Schaschlik mit Schweinefleisch dabei.
Das Paar aus dem Vogtland greift sofort zu, die ausgehungert aussehende Verwaltungsfrau Heidi aus Dresden zögert eine Sekunde und denkt an Hepatitis. Der Fotograf hat schon alles gegessen und der Lehramtsstudent mit den reichen Eltern ist aus der vegetarischen Phase raus. Das Fleisch ist durch und dann dieses Gewürz...
„Lasst uns zum Dorfchef gehen und ihn grüßen.“
In jedem Dorf wiederholt sich das Ritual, bei dem ich durch Ibrahim und der Dorfchef durch den Lehrer oder Feldscher miteinander sprechen, natürlich in der 3. Person.
Durch einen niedrigen Torbogen treten wir in einen sandigen Hof, die kurzen Reisigbesen der Frauen haben auch den kleinsten Dreck hinweggewedelt und die Spuren afrikanischen Zens auf die Erde gemalt. Der Chef sitzt mit seinem Hofstaat auf den landesüblichen Stapelstühlen und bietet auch uns welche an.
Ich grüße ihn:
„I ni sógóma!“ (Gepriesen sei Dein Morgen – noch ist es vor 12, da geht das)
Nbah (der Chef ist ein Mann, eine Frau würde „Nse“ sagen – Danke, der Deine auch)
I ka kéné (Wie geht’s?)
Toóró si té (Mir geht’s gut)
Der Chef wechselt ins französische, spricht aber durch seinen Herold zu mir.
„Ich habe gehört, dass es in Europa sehr kalt ist zur Zeit?“
„Er hat gehört, das es in Europa sehr kalt ist zur Zeit!“
Ich antworte: „Ja, - 10 Grad.“
Ibrahim spricht für mich: „Er sagt, dass es 10 Grad unter Null sind, das ist so kalt wie in einer Gefriertruhe!“
Irgendwo habe ich hier ein Solarpaneel gesehen, das tagsüber Strom für eine Gefriertruhe liefert, in der das ganze Dorf abgekochtes Wasser in Schlauchbeuteln einfriert. So kann der Chef sich wenigstens ein bisschen vorstellen, wie kalt es bei uns jetzt im Dezember ist.
„Mögt ihr nicht ein wenig von der Kälte herschicken?“ fragt mich der Chef direkt unter Verletzung des Protokolls. Sein Herold schaut pikiert, und auch Ibrahims Gesicht wird sauertöpfisch, als ich antworte: „Mit Vergnügen, aber wie?“
Wir lachen alle, und ich frage weiter:
„Gab es Regen dieses Jahr?“ – Wir haben Dezember, und die Regenzeit war im September vorbei.
„Ja, es gab Regen und die Hirse steht gut. Gib Gott, dass keine Heuschrecken kommen!“
Ich übersetze für meine Touristen und frage nach Fragen, hoffend, dass sie keine stellen, denn trotz meines intensiven Briefings am ersten Tag, dass es besser ist, sich mit den Leuten an ihrem wenigen zu erfreuen, als sie ständig mit der Nase auf ihr Elend zu stoßen, hat insbesondere die graumelierte Heidi ein seltenes Geschick, in Fettnäpfe zu treten.
„Ich habe das mit dem Animismus nicht verstanden.“
Bammm, heiliges Kanonenrohr, Herr lass Hirn regnen, bitte mach, dass ich nicht da bin....
Der Chef reagiert gelassen: „Wir glauben an die Beseeltheit der Natur. In jedem Ding, jedem Wesen ist eine Seele, und diese Seelen können miteinander in Verbindung treten, modern sagt man wohl, kommunizieren. Das kann kein einzelner Gott.“
Heidi scheint sich irgendwie ein bisschen an Aussagen des Staatsbürgerkundeunterrichts zu erinnern, Ibrahim funkelt mich mit seinem „Du-hast-schlecht-erklärt“-Blick an und der Chef stopft sich grinsend ein Pfeifchen.
Geschafft, diese interkulturelle Kuh ist vom Eis.
„In unserer Reisegruppe sind Lehrer.“ flunkere ich ein bisschen, auch um dem Gespräch eine Wendung zu geben. Der Grund ist einfach – dann kann der Lehramtsstudent mal sehen, dass Klassengrößen von dreißig Kindern ein Klacks sind und außerdem können wir dem Dorf ein bisschen was zurückgeben für das, was hier gleich passieren wird. Drei Dörfer vorher landete das letzte Huhn im Ragout und seitdem haben wir ein bisschen ein schlechtes Gewissen, wenn wir unseren Stapel Schulhefte und die Kugelschreiber mit Werbung für unser Reisebüro rüberreichen, aber im Gegensatz zu den Polizisten an den Straßensperren kann man hier Menschen mit Geldangeboten, ja nur mit der Vokabel „bezahlen“ schwer beleidigen. In muslimischen Dörfern konnten wir immer noch was für die „Erhaltung der historischen Moschee“ spenden, aber das wäre hier ein besonderer Affront....
„Gut, dann lasst uns zur Schule gehen!“
Die Schule ist ein „Hangar“, wie man hierzulande sagt. Das deutsche Wort ist „Schuppen“ eigentlich trifft Carport es noch besser. Aufgeständert auf das schiefe Savannenholz, gedeckt mit Hirsestrohbündeln sitzen alle Kinder des Dorfes vor dem Lehrer. Die kleinsten kauern vorn auf dem Fussboden, die ältesten sitzen hinten. Die Tafel ist aus dem Sperrholz einer Transportkiste, in der einer Ecke sind noch die „aufrecht transportieren“ und „vor Regen schützen“-Symbole zu erkennen.
Der Lehrer unterbricht seine Unterweisung in schriftlicher Addition, ich erkläre mich kurz und überreiche den Stapel Hefte und die „BICs“, so werden alle Kugelschreiber genannt, und der Lehrer bringt die Kinder dazu, uns im Chor ein „Merci“ entgegenzuschmettern. Er flüstert kurz mit dem Dorfchef, und der fragt mich ebenso konspirativ, ob der Lehrer lieber die guten Schüler mit Heft und Stift auszeichnen soll oder ob unser Geschenk an jene gehen soll, die noch ohne Heft und Stift sind ob der Armut der Eltern.
Bevor wieder zwischen den leistungsorientierten Vogtländern und Heidi eine Debatte ausbrechen kann, entscheide ich mich für die soziale Variante, schäme mich aber gleichzeitig für unser Geschenk.
Als wir zum Grundstück des Dorfchefs zurückkommen, steht dort ein Tisch, gedeckt mit Tellern und Besteck, dampfendem Hirsecouscous, kaltem Brunnenwasser und frischer Papaya. Sie teilen alles mit uns, was sie haben, und Heidi stochert im Essen.