Ach Kalle...
Halbnackt stand Kalle zitternd vor der versammelten Zuschauermenge, knallrot im Gesicht, wünschte er sich nichts mehr, als im Erdboden verschwinden zu können und dem Kindergarten eine Augenbinde für jeden.
Entgeistert starrten die Kinder auf seine nun entblösste, kleine Männlichkeit, die Nachbarin blickte kopfschüttelnd in die Kindermenge, packte die geschockten Zwerge, drehte sie mit geschicktem Handgriff einer nach dem anderen um und schob sie aus Kalles Wohnung. „Das wird noch Konsequenzen haben“ rief sie über ihre Schulter zurück, während Kalle verzweifelt fuchtelnd seine Hände als Lendenschurz einsetzte.
Krachend flog seine Wohnungstür zu, er stürzte sich auf das Schloß, drehte den Schlüssel um und rutschte mit dem Rücken an der Tür zu Boden. Der Latex-Mini lag mitten im Raum auf dem Teppich, höhnisch grinsend neigte sich noch eine Falte zur Seite und dann ruhte es platt, als wäre es das harmloseste Wesen, das auf der Welt existierte.
Kalles Blick fiel auf seinen Oberschenkel, entdeckte die filmreife Laufmasche in seinen Netzstrümpfen. –na, die sind ja jetzt auch für alle Ewigkeit hinüber- maulte Kalle, und schob sich an der Tür wieder nach oben, seine Haut quietschte als er seine hinteren Backen über das Holz drückte.
Noch immer zitternd fummelte er die winzigen Schnallen an den HighHeels auf, um diese Dinger endlich für immer und ewig ins Nirvana schicken zu können. –DAS wird mir nie wieder passieren –schwor sich Kalle. Als er aus dem letzten Schuh stieg, verschätzte er die Höhe, er spürte sein Knie umknicken, schrie kurz auf, und sah, wie mit erschreckender Geschwindigkeit der Ölofen direkt auf sein Gesicht zustürzte. Mit einem riesigen Knall schlug seine Stirn auf dem Metall auf, dann umfing ihn eine sanfte Dunkelheit.
Nur langsam kam Kalle wieder zu sich. Verschwommen sah er viele kleine Sterne um seinen Kopf kreisen, während er um sich tastend nach Halt suchte. Der Fernseher dröhnte noch immer, verschlimmerte die Kopfschmerzen, die sich jetzt pochend in seinem Schädel ausbreiteten. Auf allen vieren kroch er an der Kiste vorbei, schaltete sie endgültig aus, zurück ins Badezimmer, zog sich ächzend am Waschbecken hoch und betrachtete sich den Schaden in dem Teil seines Körpers, der sich sonst immer Gesicht nannte. Nun durchzog eine dunkelblaue Rille die Mitte seiner rechten Hälfte. Auf der Stirn, direkt über der Augenbraue klaffte eine kleine Wunde, die begann leicht zu bluten, doch nichts, was er nicht mit einem Heftpflaster wieder hinkriegen würde. Unbeholfen und noch immer mit verschwommenem Blick drückte er sich das Pflaster auf die angeschwollene, schmerzende Stelle und griff nach einem Waschlappen, den er mit kaltem Wasser tränkte.
Diesen drückte er dann vorsichtig auf seine rechte Wange, die hatte übel was abbekommen. Zischend zog er Luft durch seine Lippen, als er sein Handy piepsen hörte. Siedendheiß fiel ihm ein, daß er heute doch noch ein Date hatte. Letzte Woche hatte er in einem Chat für Übergewichtige eine Tussi angemacht, die sich doch tatsächlich auf eine Verabredung mit ihm einließ. Ein Blick auf die Uhr – es konnte nur sie sein. Ob Olga-Sieglinde sauer war? Schnell grapschte er nach seinem Handy, las die SMS von ihr, in der sie ihm mitteilte, sie käme eine halbe Stunde später ins Restaurant„Cäsar“. Erleichtert aufseufzend plumpste er auf den Stuhl.
Doch genau so schnell wie er saß, sprang er wieder auf. –verdammt, jetzt aber nichts wie raus aus diesem Fummel- krächzte Kalle. Als wären ihm die Klamotten vom Leib geplatzt, sah es im Wohnzimmer nun aus, doch er wuchtete seinen deformierten Luxuskörper unter die Dusche, klatschte sich Rasierschaum ins Gesicht, wollte er doch einen guten Eindruck bei Olga-Sieglinde hinterlassen. Schnell überlegte er, ob er sich auch unter den Armen waschen sollte, drückte seine Nase in diese Richtung, und entschied sich, als ihm ein stechender Geruch in sein Riechorgan strömte, doch das Duschgel zu öffnen und es zu benutzen.
2 Minuten müssen genug sein, Wasser schadet der Haut –entschied Kalle und verließ seine Duschkabine. Schnell rubbelte er sich trocken und trat wieder vor den Spiegel, der inzwischen durch den Wasserdampf angelaufen war. Mit seinen dicken Pranken wischte er in bogenförmigen Bewegungen das Wasser vom Glas und betrachtete sich.
-Verdammt – schrie Kalle – wie seh ich denn aus?- man sollte sich nie ohne Spiegel rasieren – jammerte er. Tausend kleine blutende Stellen prangten ihm aus seinem lädierten Gesicht entgegen. –die kann ich doch unmöglich alle mit Pflaster überkleben- grummelte er. Mit hektischen Fingern zupfte er Klopapier von der Rolle und presste die schnell zurecht gerissenen Schnipsel auf die kleinen blutenden Stellen. –AAAAh, schon besser – doch was war das??? Sein Kopf schoß vor an die Spiegelscheibe, er zog mit seinen dicken Fingern die Oberlippe hoch und sah die Bescherung. Oh nein, der Sturz vorhin an den Ofen hat ihm einen Zahn aus seinem Gebiss gekostet.
Hastig hechtete Kalle ins Wohnzimmer, suchte nach diesem verdammten Zahn, doch das Ding war nicht zu finden. Kalle glaubte fast durchzudrehen. –hey, ich glaub ich habs – schnipste er mit seinen Fingern, und gratulierte sich zu dieser genialen Idee. Letztens schon, als er sich diese Packung Kaugummis kaufte, erinnerten ihn die einzelnen Brocken an seine Zähne. – na, wenn das nicht die Genialität des Jahres ist – grinste er selbstsicher vor sich hin.
Mit einem schmatzenden Geräusch löste er den Zahnersatz von seinem Kiefer, öffnete die Schublade und drückte einen Kaugummi aus der Aluhülle. Etwas zu breit war es schon, doch für Kalle kein Problem. Seine dicken Zeigefinger pressten die Kaumasse in die Öffnung seines Gebisses, es war auch noch der Frontzahn, welcher denn sonst – wenn dann mach ich es richtig- schoß ihm durch den Kopf.
Zufrieden betrachtete er sein Werk. –Hmmm.. irgendwie ist der Zahn aber zu weiß – ha ha – stolz wie Oskar eierte er zahnlos grinsend in die Küche, öffnete die Dose mit dem aromatisch duftenden Kaffeepulver, nahm eine Prise zwischen seine Finger, verrieb es und strich dann vorsichtig über den Kaugummi. – Einfach perfekt – jubelte Kalle und drückte sich seine Kauleiste nun wieder fest in den Kiefer. Jetzt aber ruckzuck in die Klamotten hüpfen.
Er hatte sich, als das Date mit Olga-Sieglinde sicher war, einen Anzug geleistet. Mit einem „Sattäng-Hemd in Lila bitte“ hatte er der gequält blickenden Verkäuferin ins Gesicht gehaucht. Wie John-Travolta in „Sädderdei Naid Fieewär“ wollte er aussehen, rief er ihr noch hinterher, als sie im Lager verschwand.
Der weiße Anzug, der Kalle aussehen ließ, wie ein Bräutigam, der vor 30 Jahren vorm Altar stehend vergessen wurde, umspannte seinen Wampen verdächtig dem Platzen nahe, doch er würde es wohl schaffen, die Luft ab und zu anzuhalten. Jetzt noch in die schwarzen Lack-Schuhe, die Tube mit dem Haargel lag auf der Schuhkommode. Einen riesengroßen Klecks verrieb er schmatzend in seinen Händen und schmierte es, ganz „Grriiieees“-mässig in seinen schütteren Haaren.
Jeaah – stieß Kalle mit seiner tiefsten Stimme aus, schnipste mit seinen noch leicht klebrigen Fingern, doch Zeit hätte er nun nicht mehr, sie noch zu waschen, wenn er denn pünktlich im „Cäsar“ sein wollte. Noch schnell die Schlüssel in die Hosentasche, nachdem er die Tür von aussen sicher verschlossen hatte.
Kalle übte noch schnell den coolen Gang, den John Travolta damals draufhatte und tänzelte wie ein besoffener Elefant zum Fahrstuhl. Unten angekommen entschied er sich zu laufen, das „Cäsar“ war nur ein paar hundert Meter entfernt und ein Taxi hätte wohl so lange gebraucht, wie er zu Fuß, bei dem was hier noch auf der Gasse loswar.
Irgendwie spürte es noch das Pochen der Beule in seinem Gesicht, als er vor Anstrengung seinen Puls spürte, doch die Vorfreude siegte, und er vergaß alles um sich herum. Allerdings fielen ihm die Blicke der Passanten auf, denen er begegnete. –Tja, so einen geilen Typen haben die schon lange nicht mehr gesehen- prahlte Kalle innerlich, und formte mit seinem Daumen und Zeigefinger grade eine „Pistole“ und zielte auf eine junge Blondine, die ihn mit offenem Mund nachstarrte.
-Wow, ich bin der Hengst des Tages, ich kann alle haben - puschte sich Kalle nun absolut Testosterongeladen in den Macho-Himmel.
Die Leuchtanzeige des „Cäsar“ tauchte vor ihm auf, sein Schritt beschleunigte sich und schon trat er durch die Drehtür ins geräuschvolle, himmlisch duftende Restaurant. Neben dem Empfang stand eine kleine Schüssel mit Glückskeksen. Unverschämt wie er war, griff seine Pranke gleich mehrere dieser Kekse und noch immer lässig schwebte er in die hintere Ecke des Raumes, dort hatten sie vereinbart sich zu treffen. Olga-Sieglinde saß schon an einem Tisch, sie sah genau aus, wie auf dem Bild, das sie ihm per mail schickte. –naja, heute werde ich sie ganz sicher beeindrucken, auch wenn mein Bild schon zwanzig Jahre als war, das ich ihr schickte- dachte Kalle voller Überzeugung. Er bemerkte den Kellner nicht, der ihn mit großen Augen anblickte, als Kalle zum Tisch eilte. Schnell schob er sich den letzten Keks, der irgendwie nach Hundekuchen schmeckte, zwischen die Lippen, seine dicken Backen wabbelten bei jedem Schritt, der letzte Biss in den Keks verhieß jedoch nichts gutes doch lenkte ihn der Blick auf sein neues Opfer ab.
-HA, ja, genau so habe ich es erwartet – protzte Kalle vor sich hin. Olga-Sieglinde glotzte hinter ihrer runden Brille, mit den Glasbausteinen, direkt zu Kalle. Ihr aufgesetztes Grinsen erstarb augenblicklich, als er vor ihr stand. –Hey –Baby, süße Puppe, ich bin der Mann, auf den du schon dein Leben lang gewartest hast – stimmts?- und damit griff er in ihre Hüfte, krallte sich an einem ihrer vielen Rettungsringe fest, die unter dem gelben Glitzershirt sich hervorragend abzeichneten. – na das ist doch mal ein Weib zum Festhalten – dröhnte Kalles laute Stimme durch den Raum. Olga-Sieglinde lief rot an und plumpste zurück auf ihren Stuhl. Lässig griff Kalle nach der Lehne seines Stuhles und senkte seinen Hintern ebenfalls auf die Sitzfläche.
-na, Olga-Sieglinde, Baby, haste dir schon was ausgesucht, was du essen willst? Ober, einen Espresso, pronto – rief er einem der Kellner hinterher, der an ihm vorbei lief.
Kalle quasselte ohne Pause auf Olga ein, die anfing in ihrer Handtasche zu kramen. Der Kellner stellte den bestellten Espresso vor Kalle auf den Tisch und konnte den Blick nicht von Kalle lassen. – Man, sogar die Kerle starren schon hinter mir her- flüsterte Kalle mit einem schleimigen Grinsen zu Olga und zwinkerte ihr mit seinem linken Auge zu, das funktionierte noch einwandfrei.
Oh, verdammt, war der Espresso heiß – Kalle versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, daß ihm die Zunge fast kochte, und grinste lässig über den Tisch, als ihm der Schweiß aus den Poren brach. Olga schien gefunden zu haben, was sie suchte, reicht Kalle etwas kleines goldendes aus Metall über den Tisch. Er beugte sich rüber, als er aus dem Augenwinkel sah, wie etwas weißes aus seinem Gesicht löste und in seine Tasse rieselte. Wie ein Schock durchzuckte es Kalle siedendheiß – SHIT das Klopapier!! – und unbewusst griff er nach dem kleinen Taschenspiegel von Olga, grinste verzweifelt schief bis über beide Ohren, sah Olgas Blick auf seinen Mund gleiten und noch während er in den winzigen Spiegel sah, fühlte der den Kaugummi, der sich zäh, seiner Konsistenz Ehre machend, durch den heißen Espresso aufgelöst über seine Unterlippe in langen Fäden Richtung Tisch baumelnd abwärts drängte….