Herr F. hat Frühlingsgefühle
Mit unseren acht vorgegebenen Begriffen (Danke https://www.joyclub.de/my/1287173.ev32undmarkus69.html ): Trumpf, Narzist, Vögel, Winterkorn, Taube, anstellen, kuschen und braun, wurde ich doch langsam, aber sicher warm. Sie drängelten sich schließlich in eine Alltagsminiatur und wollten an die Sonne. Herr F. hat Frühlingsgefühle
In Hut und Mantel tritt Herr F. auf die Straße hinaus, den Schal gewohnheitsmäßig eng um den Hals geschlungen und blinzelt. So hell plötzlich, so viel gleißendes Licht! Noch steckt das Melancholische wie Winterkorn fest in der Erde seines Gemüts, die Kälteperiode war lang in diesem Jahr und schien kein Ende zu nehmen. Doch nun, auf einen Schlag, ist es überraschend warm.
Er wendet sich nach rechts, folgt dem Straßenverlauf und lockert, noch etwas skeptisch, seinen Kragen. Sein Blick streift beiläufig über den Plattenbau gegenüber, den zahlreiche, nachlässig hingeschmierte Graffitis und halb abgerissene Plakate verunzierten, was das unwirtliche Grau des Vorstädtischen noch betont. Er beschleunigt seinen Schritt und verfällt schon in seinen zügigen Rhythmus, als eine dunkel gekleidete Gestalt, die zwischen die Riesenlettern des Schriftzugs „Scheiß Nazis” etwas Neues sprüht, seine Aufmerksamkeit erregt.
Ein „R” ist schon untergebracht, er hört das Schütteln der Dose, klack-klack, und sieht, wie ein dürrer Junge mit hängenden Hosen noch ein „T ” ans Ende setzt. „Narzist” liest Herr F., denkt unwillkürlich „SS”, sagt aber nichts. Nur seine Mundwinkel verziehen sich angesichts dieser allzu passenden Doppeldeutigkeit etwas nach oben und fast hätte man es für ein Lächeln halten können. Er hält inne, sagt: „Schöne Farbe. Wie heißt sie?” Der aschblonde Schopf fährt herum, ein sommersprossiges Jungengesicht schaut ihn ungläubig an. Der Schlaks grinst verlegen und hält ihm die Dose hin: „Ironstuff. Agent orange. Voll die krasse Farbe.” Herr F. nickt.
Er geht an einem Bauzaun entlang, lässt seine Gedanken treiben. Er denkt an das sattgrüne Laub von Orangenbäumen und daran, dass er unbändige Lust verspürt, ein Blutorangen-Parfait zu verspeisen. Auf der Höhe eines Plakats, auf dem wewewe.absolut-schrott.de-eh. Telefon 0711 08150815 zu lesen wäre, beachtete man es denn, überquert er die Straße. Nur einmal noch bevor er den Park erreicht, sieht er genauer hin: Eine riesige Fläche reinsten Himmelsblaus auf der frisch angebrachten Werbung einer Fluggesellschaft sticht ihm ins Auge. Er atmet tief ein und ihm fällt auf, wie klar die Luft ist und wie verheißungsvoll der Tag.
Mit jedem Schritt in die schlichte rechteckige Parkanlage, lässt der Lärm der Straße nach und Herr F. lauscht dem zaghaften Zwitschern vereinzelter Vögel. Noch ist das Grün überwiegend braun, die Bäume und Büsche recken wie gewohnt kahl ihre Äste. Er bleibt an einem Zweig hängen, löst die Dornen vom Stoff und fährt vorsichtig mit der Fingerkuppe über eine der satt roten Erhebungen der Knospen, die das baldige Aufplatzen der jungen Triebe ankündigen. Er schwitzt, öffnet die obersten Knöpfe seines Mantels und sieht sich um.
Auf der einzigen Bank sitzt eine fragile alte Dame am äußersten Ende und hält ihr Gesicht in die Sonne. Etwas zögerlich nähert er sich ihr und fragt: „Ist es gestattet?” Die Dame öffnet langsam die Lider und sieht ihn an: „Aber sicher, mein Herr. Genießen Sie die Sonne, es ist so wunderbar warm heute.” Sie lächelt und schließt die Augen wieder, während Herr F. für Sekundenbruchteile in ihrem vom Leben gezeichneten Gesicht das Mädchenhafte erkennt. Er weiß plötzlich, dass dies dasselbe Lächeln ist, das sie schon als junge Frau zeigte, wenn sie mit sich im Reinen war. Er setzt sich ans andere Ende der Bank als wolle es das Gleichgewicht so und beobachtet still die Umgebung.
Einige Kinder tollen herum, schubsen sich gegenseitig und ziehen sich an der Wäsche. Eines stellt sich ungelenk an bei dem Versuch, auf dem Rand eines Mülleimers zu stehen, fällt prompt hintenüber ins Gebüsch und krakeelt in einer Sprache, die Herr F. nicht versteht. Ganz in der Nähe raschelt es.
Drei Ringeltauben zerren ein Papier mit dem Aufdruck „Burger King” über die Wiese und picken abwechselnd nach Essensresten und sich gegenseitig die fettigen Krumen von den Schnäbeln. Eine hat ein wenig das Nachsehen gegenüber den anderen, sie hinkt, denkt aber nicht daran zu kuschen und versucht es immer wieder. Mut ist Trumpf. Trotz ihres Nachteils gelingt es ihr, einen größeren Brocken zu ergattern und Herr F. meint, in ihrem gurrruh-guh so etwas wie Glück herauszuhören. Der weiße Fleck an ihrem Hals leuchtet in der nachmittäglichen Sonne.
Ein Pärchen nähert sich. Die Tauben fliegen auf. Der junge Mann bleibt stehen, fährt dem Mädchen zärtlich über den Rücken, greift in ihrem Nacken unter ihr Haar, zieht sie heran und küsst sie, als haben sie alle Zeit der Welt. Herr F. sucht in seinem Gedächtnis nach der Erinnerung an seinen letzten, so zarten und innigen Kuss. Er schmunzelt, wendet sein Gesicht wieder der Wärme zu und der merkwürdige Text auf dem Großflächenplakat der Fluggesellschaft fällt ihm ein:
Kann das Meer zu türkis sein?
Jetzt das Weite buchen.
In diesem Jahr werde ich mir eine neue Badehose kaufen, denkt er.
2.2017© ...
.